„Deutschland wählt Stillstand“: Eine Wahlnachlese oppositioneller Medien
Regierungskritische Medien warnen vor Großer Koalition / Keine Veränderungen bei Migrations- und Friedenspolitik erwartet / Gründe für BSW-Scheitern umstritten
(Diese Meldung ist eine Übernahme von multipolar.)
Regierungskritische Online-Medien sowohl aus dem konservativen als auch aus dem linksliberalen Spektrum schätzen die Ergebnisse der aktuellen Bundestagswahl größtenteils negativ ein. Viele Kommentatoren gehen von einer bevorstehenden Großen Koalition („GroKo“) aus, die sie als Stagnation betrachten. Konservative Oppositionsmedien sehen darin eine Garantie dafür, dass es keinen Wechsel in Sachen Migrationspolitik geben wird. Linke Oppositionsmedien befürchten eine weiterhin ausbleibende Friedenspolitik unter Schwarz-Rot. Union und SPD werden nahezu durchgängig für ihre vermutete Teilnahme an solch einer GroKo kritisiert. Nun beginne der „Überlebenskampf“ der CDU, heißt es beim Magazin „Nius“. Der zu besichtigende „Niedergang“ der SPD sei aus der wiederkehrenden Beteiligung an früheren Großen Koalitionen erst hervorgegangen, erklärt das „Overton-Magazin“. Trotzdem werde die SPD wie eine „Untote“ erneut in der kommenden Regierung sitzen, schreibt „Tichys Einblick“.
Deutschland habe den „Stillstand“ gewählt, kommentiert das Magazin „Apollo News“. Eine Große Koalition sei die einzige „realistische Option“ für die kommende Regierungsbildung. Schwarz-Rot bedeute jedoch „Stillstand und Lethargie“, kritisiert das Online-Medium. Von einer „schwachen Union“, die das zweitschlechteste Wahlergebnis ihrer Geschichte einfuhr, und einer „geschlagenen und verbrauchten“ SPD, die das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte erzielte, gehe keine Aufbruchsstimmung aus. Die Sozialdemokraten würden in der kommenden Regierung jeden Politikwechsel „verunmöglichen“, heißt es in dem Beitrag. Die „Wirkmacht“ der AfD werde als größte Oppositionspartei hingegen wachsen. Zudem habe die AfD zusammen mit der Partei „Die Linke“ eine Sperrminorität im Bundestag und könne Verfassungsänderungen verhindern. „Die Diskussionen über ein neues Sondervermögen Bundeswehr beispielsweise dürften sich damit erledigt haben.“
Die „Nachdenkseiten“ des früheren SPD-Politikers Albrecht Müller sehen den Frieden jedoch als „großen Verlierer“ dieser Bundestagswahl. Einerseits werde es nun mit der CDU unter Führung von Friedrich Merz und der SPD wahrscheinlich unter der Führung des „Falken“ Boris Pistorius eine Regierungskoalition geben, die Deutschland „hochrüsten“ wolle. Anderseits fehle mit dem BSW im kommenden Bundestag die Partei, die beim Thema „Friedenssicherung“ laut Befragungen ein „Alleinstellungsmerkmal“ habe. Die Partei „Die Linke“ sei nun die einzige Stimme gegen Krieg und Aufrüstung, heißt es bei den „Nachdenkseiten“. Allerdings habe die Linke ihre friedenspolitischen Positionen nach der Trennung vom Wagenknecht-Flügel „bis zur Unkenntlichkeit abgeschliffen“.
Das liberal-konservative Magazin „Tichys Einblick“ erklärte den kurzfristigen Zugewinn der Linkspartei mit den medial viel beachteten „Gegen-Rechts-Aufmärschen“ der vergangenen Wochen. Diese sollten zwar in erster Linie die CDU von einer Zusammenarbeit mit der AfD abhalten, allerdings hätten die Proteste in der Konsequenz Rot-Grün geschwächt, heißt es in dem Artikel. Viele junge Menschen befürchteten demnach, SPD und Grüne würden nach der Wahl mit der von ihnen kritisierten Union koalieren. Deshalb entschieden sie sich für die Linke, da diese definitiv nicht mit Friedrich Merz zusammenarbeiten werde. Die Linkspartei habe vor wenigen Wochen noch „im politischen Koma“ gelegen. Das „linke Lager“ habe insgesamt jedoch keine neuen Wähler an die Urnen locken können, schreibt „Tichys Einblick“, sondern die Stimmen nur intern umverteilt. AfD, CDU und BSW hätten hingegen Millionen bisherige Nichtwähler mobilisiert.
Das Overton-Magazin betont, die „GroKo“ sei ein „Auslaufmodell“. Zwar habe die Regierungszusammenarbeit von Union und SPD die deutsche Politik des 21. Jahrhunderts bislang dominiert, jedoch seien die Zustimmungswerte immer weiter gesunken. Es handele sich um „die schwächste GroKo aller Zeiten“. Statt Stabilität und Sicherheit zu bringen, habe die Konstellation bei vielen Menschen politische „Ohnmacht“ erzeugt und so erst die AfD als Oppositionspartei hervorgebracht. Die AfD sei „ein Produkt der Alternativlosigkeit, die durch die GroKo-Manie entstand“, schreibt das Magazin. Die SPD hingegen habe sich durch die regelmäßig wiederkehrende „GroKo-Sucht“ auf einen „Irrweg“ begeben und so ihren „Niedergang“ herbeigeführt. „Die SPD wird – ähnlich wie in Frankreich die Sozialisten – im politischen Niemandsland landen.“ Die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot schreibt im selben Magazin, das Wahlergebnis fühle sich „wie ein kleiner Aufschub“ an. Bis zur nächsten Bundestagswahl werde die „Brandmauer“ fallen und die AfD Regierungskandidat sein.
Die Gründe für das knappe Scheitern des BSW an der Fünf-Prozent-Hürde sind bei den Kommentatoren umstritten. Während die „Nachdenkseiten“ die Dominanz des Migrationsthemas in der letzten Wahlkampfphase und die Schwäche des BSW bei Jungwählern als wesentlich betrachten; macht der Journalist Thomas Röper die Annäherung des BSW an die etablierten Parteien nach den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg im September 2024 für das jetzige Ergebnis verantwortlich. Obwohl die Wählerschaft des BSW von den „Blockparteien“ sehr „enttäuscht“ sei, habe Wagenknecht damals – anstatt in die Opposition zu gehen – auf Koalitionsverhandlungen mit SPD und CDU gesetzt. Dies sei „ein großer Fehler“ gewesen, kritisiert Röper in seinem Online-Magazin „Anti-Spiegel“. Seit diesen Verhandlungen, die in BSW-Regierungsbeteiligungen in Brandenburg und Thüringen mündeten, begann der „schnelle Abstieg“ des BSW.