Corona und die Folgen

Der Ethikrat bittet nicht um Entschuldigung

Die hohen Belastungen für Kinder und Jugendliche durch Corona und die Maßnahmen sind zu spät beachtet worden. Dies schreibt der Deutsche Ethikrat in seiner aktuellen Ad-hoc-Empfehlung. Darin fordert das vom Bundestag eingesetzte Gremium den Ausbau von psychologischer Hilfe für Kinder und Jugendliche sowie deren Partizipation bei künftigen Krisenbewältigungen. Eine Entschuldigung für eigene Fehler lehnte die Vorsitzende des Ethikrates explizit ab.

Alena Buyx, Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, kam sprachlich ins Schleudern. Ein Versäumnis sieht sie nicht.
Foto: re:publica 22, Lizenz: CC BY-SA 2.0 , Mehr Infos

Der Deutsche Ethikrat fühlt sich unschuldig. Bei der Vorstellung der Ad-hoc-Empfehlung des Gremiums zur psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen lehnt es dessen Vorsitzende Alena Buyx am Montag explizit ab, sich für etwaige Fehler zu entschuldigen. Im Papier selbst ist von massiven psychischen Problemen bei Kindern und Jugendlichen infolge der Corona-Maßnahmen die Rede. Der Ethikrat fordert in den Handlungsempfehlungen einen Ausbau von Therapieangeboten auf verschiedenen Ebenen und stellt fest, „dass in der Pandemie die Belange und Belastungen der jüngeren Generationen und insbesondere die Herausforderungen für ihre psychische Gesundheit in der gesellschaftlichen und politischen Wahrnehmung und Gestaltung – auch durch den Deutschen Ethikrat – nicht ausreichend Beachtung erfahren haben“.

Auf Nachfrage einer Journalistin wird die Vorsitzende in der Bundespressekonferenz dann grundsätzlich. Sie werde das gerade dauernd gefragt, sagt Buyx. „Da steckt ja dahinter, man wäre schuldig geworden und ich glaube, das ist ganz wichtig, dass man das einmal unterstreicht: Darum geht‘s nicht.“ In den beiden nächsten Sätzen verheddert sie sich zunächst: „Hätte man ja irgendwie vorher für die jungen Generation über Schaden anrichten wollen. Und wir haben uns, wenn auch nicht ausreichend, so haben wir doch zumindest die jungen Generationen immer in den Blick genommen.“ Nach dem kurzfristigen Stocken fängt sie sich und kann mit einem „Aber“ weitermachen, das vom Ethikrat weg lenkt. „Aber wir tragen als Gesellschaft die Verantwortung dafür, dass negativen Folgen, auch von legitimen Maßnahmen, jetzt angeguckt werden und reagiert wird.“

Das Papier sei auch Teil einer kritischen Selbstreflexion, sagt Buyx um sofort noch einmal hinterher zu schieben, dass der Ethikrat immer auf die Jüngeren hingewiesen habe, aber eben doch zu wenig. Der Kölner Rechtswissenschaftler Stephan Rixen, mit dem Buyx die Stellungnahme vorstellte und der ebenfalls Mitglied des Ethikrates ist, ergänzte laut Bericht der Welt: „Es kann aus guten Gründen Entscheidungen geben, die eben manchmal keine guten Folgen haben.“

Buyx verwies darauf, dass das Papier ein Nachdenken mit einem Blick nach vorn auf zukünftige Krisen enthalte. Genannt werden – ohne Angabe möglicher Verursacher – „Energiekrise“ und „Klimakrise“ sowie der „Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine“. Das Wichtigste aber sind aus ihrer Sicht die Handlungsempfehlungen, damit etwas für die psychische Gesundheit der Kinder und Jugendlichen passiert. Kein Wort davon, dass sich Buyx vor einem Jahr, im November 2021, am gleichen Ort für flächendeckende „2G-Regelungen“ – also die Aussperrung Ungeimpfter an vielen Orten – ausgesprochen und zunächst eine sektorale Impfpflicht befürwortet hatte.

Bereits damals gab es scharfe Kritik, beispielsweise vom Bayerischen Jugendring, an 2G-Regelungen für viele Kultur-, Freizeit und Sportangebote. Kinder und Jugendliche litten unter der Situation, kritisierte der Präsident des Jugendringes Matthias Fack. Zu dem Zeitpunkt im Dezember 2021 konnten nicht einmal die Hälfte der Jugendlichen von 12 bis 17 Jahren, für die 2G galt, einen sogenannten ausreichenden Impfschutz vorweisen, mit dem sie die Einlasskriterien erfüllt hätten. Gerade in Krisenzeiten seien Jugendgruppen als geschützte Orte wichtig, sagte Fack und forderte die Aufhebung der 2G-Regelung.

Auch drei von sieben Studien, auf die sich das nun vorgelegte Ad-hoc-Papier bezieht, stammen aus dem Jahr 2021, eine sogar aus dem Jahr 2020. Die Kritik an der fehlenden Partizipation und die hohe psychische Belastung durch die Pandemie hat beispielsweise schon eine Studie der Bertelsmann-Stiftung aus dem März 2021 ergeben. Und bereits im Februar 2021 schrieben Jugendpsychiater und Psychotherapeuten einen Offenen Brief zum Schutz der psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. Demnach müsse die erhebliche Not der Jugendlichen endlich Gehör finden und auch sie forderten die Partizipation der Betroffenen. Die aktuellen Handlungsempfehlungen des Ethikrates, über anderthalb Jahre nach der Studie, dem offenen Brief und vielen anderen Veröffentlichungen zum Thema, enthalten nun Forderungen, die bereits damals nahegelegt oder aufgestellt wurden.

Kein Thema in der aktuellen Stellungnahme ist die Empfehlung für eine allgemeine Impfpflicht, die der Ethikrat im Dezember 2021 mehrheitlich ausgesprochen hatte, woran die Vorsitzende nun von verschiedenen Seiten erinnert wird. Auf Twitter kritisierten viele Nutzer die Vorsitzende des Ethikrates mit dem Hashtag „#Buyx“. Sie selbst sprach deshalb am Tag vor der Vorstellung des aktuellen Papiers von „Vergeltungswut“ und schrieb: „Ach Gott ein Hashtag? Naja. Ich wiederhole mich aber: Die müssen alle irgendwo hin mit ihren toxischen Nöten, heute halt mal wieder bei mir.“ Dass diese toxische Nöte einen Grund haben, der außerhalb von Twitter liegt, wird von ihr nicht erwähnt. Keine Antwort gab es auch auf die Frage von Welt-Journalist Tim Röhn, der sie auf die Bedeutung von 2G-Regeln für die psychische Gesundheit hinwies und fragte, warum sie sich dafür ausgesprochen habe. Bereits im April hatte Röhn mit Buyx ein Interview geführt, indem sie sich davor verwahrt hatte, der Politik nach dem Mund geredet zu haben.

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