Den Haag verurteilt Lubanga - Unbehagen und Zweifel in Afrika
(10.07.2012/dpa)
In Afrika nehmen viele das Urteil des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) in Den Haag – das Erste seit seiner Gründung 2002 – gegen den kongolesischen Ex-Rebellenführer Thomas Lubanga Dyilo mit gemischten Gefühlen auf. Viele sehen den Schwarzen Kontinent wieder einmal am Pranger.
„Es ist erniedrigend, dass Führer unseres Kontinents im 21. Jahrhundert in Den Haag wie Lämmer zur Schlachtbank geführt werden sollen“, wetterte der ghanaische Ex-Präsident Jerry Rawlings. In der Tat will der Haager Strafgerichtshof auch dem Ex-Präsidenten der Elfenbeinküste, Laurent Gbagbo, oder dem sudanesischen Präsidenten Omar al-Baschir, den Prozess machen.
„Der IStGH hat noch nicht gegen einen einzigen westlichen Führer wegen gravierender Menschenrechtsverletzungen ermittelt, nicht im Kosovo, Irak, in Afghanistan oder Libyen“, klagte der südafrikanische ANC-Politiker Cassel Mathale.
„Warum gibt es keine Anklagen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Argentinien, Myanmar oder im Irak?“ fragte auch der Kommissionschef der Afrikanischen Union (AU), Jean Ping. Es verstört viele, dass niemand aus den USA, Russland, China oder Indien, die dem IStGH nicht beigetreten sind, in Den Haag angeklagt werden kann. „Es scheint, dass das Gericht gezielt für weniger entwickelte und weniger privilegierte Länder geschaffen wurde“, so der sudanesische Botschafter in Nigeria, Tagelsir Magoub Ali.
Die jüngste Ernennung von Fatou Bensouda aus Gambia zur neuen Chefanklägerin des Haager Gerichtes soll das negative Image als „neue Form des Kolonialismus“ (Rawlings) verändern helfen.
„Mit Afrikanern in wichtigen Positionen können wir Vorurteile zerstreuen, das Gericht würde nur afrikanische Fälle verfolgen“, hatte Bensouda betont, die den Argentinier Luis Moreno Ocampo ablöste.
Zwischen den Zeilen lässt sich unschwer heraushören, dass es sich beim Austausch an der Spitze des Strafgerichtshof in erster Linie um eine PR-Maßnahme handelt, um den „Vorurteilen“ effektiver begegnen zu können. Allein die Verwendung des Begriffs „Vorurteil“ in diesem Zusammenhang ist bezeichnend – bezeichnend für das Urteilsvermögen der neuen Spitzen-Strafverfolgerin. Denn auf der Webseite des IStGH lässt sich schnell überprüfen, was es mit dem vermeintlich verfrühten Urteil auf sich hat: Es ist richtig – ausschließlich Afrikaner werden vom IStGH wegen Menschenrechtsverbrechen verfolgt. (1) In den derzeit noch anstehenden 14 Verfahren stammen die Angeklagten aus sieben afrikanischen Ländern: aus Uganda, Kenia, Libyen, dem Sudan, der Demokratischen Republik Kongo (DRC), der Zentralafrikanischen Republik und der Elfenbeinküste.
Anlässlich seines zehnjährigen Bestehens machte Gerd Schumann für Hintergrund eine Bestandsaufnahme des Internationalen Strafgerichtshofs. Darin heißt es: „Moreno Ocampos Aktivitäten befeuerten die Kontroverse zwischen Nord und Süd. Seine Arbeit beim ICC trug in heiklen Situationen dazu bei, dass der – auf nationaler Ebene schon ewig existente – Graben zwischen Arm und Reich auch transnational deutlich sichtbar wurde. Der Graben zwischen den neuen Blöcken in Nord und Süd war nach der Zeitenwende, dem Ende der globalen Bipolarität, richtig tief ausgehoben worden.“ (2)
Das Anliegen, diese Gräben nicht weiter zu vertiefen, dürfte Grund für die Ernennung einer Afrikanerin an der Spitze des Haager Gerichtes sein. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt kann diesem Anliegen aber nur – wenn überhaupt – ein bescheidener Erfolg attestiert werden.
Auf dem gegenwärtigen Gipfeltreffen der Afrikanischen Union (AU) in Addis Abeba steht das Thema angesichts des allgemeinen Unbehagens auf der Tagesordnung. Schließlich musste die kontinentale Dachorganisation von 54 Staaten kurzfristig sogar ihren Jubiläumsgipfel zum zehnjährigen Bestehen wegen des Gerichts verlegen. Malawis Präsidentin Joyce Banda hatte damit gedroht, bei dem ursprünglich in ihrer Hauptstadt Lilongwe geplanten Gipfel den sudanesischen Staatschef al-Baschir festzunehmen, der vom IStGH wegen Völkermordes gesucht wird. Das aber akzeptiert die AU nicht. Nun sucht sie nach einer Lösung, um mit einem eigenen, rein afrikanischen Strafgericht Prozesse gegen angebliche Kriegsverbrecher führen zu können – durchaus bewusst in Konkurrenz zu Den Haag.
Von besonderer Brisanz für Afrikas Politiker sind die jüngsten Anklagen des IStGH: Zwei prominente Präsidentschaftskandidaten Kenias sollen sich im April 2013 in Den Haag wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantworten. Beide beteuern ihre Unschuld. Bei der Präsidentenwahl im März 2013 wollen der stellvertretende Ministerpräsident Uhuru Kenyatta und der Ex-Bildungsminister William Rutto also trotzdem antreten.
Von einer abschreckenden Wirkung des Urteils gegen Lubanga kann derzeit noch nicht die Rede sein. Al-Bashir wird in Addis Abeba mit den höchsten Ehren empfangen. Bereits nach der Ausstellung des Haftbefehls gegen ihn im Jahr 2008 erklärten alle AU-Mitglieder außer Botswana und Tschad, sie würden bei Staatsbesuchen oder politischen Gipfeln den internationalen Haftbefehl gegen den sudanesischen Präsidenten ignorieren.
Anmerkungen
(1) http://www.icc-cpi.int/Menus/ICC/Situations+and+Cases/
(2) http://www.hintergrund.de/201204262033/politik/welt/im-namen-der-welt.html