RKI-Protokolle

BSW: Regierung setzte Lockdown-Kurs gegen kritische RKI-Stimmen durch

Inzidenz-Grenzwert ohne fachliche Grundlage / Gesundheitsministerium spricht von „pragmatischen Abschätzungen“ / BSW: rechtliche Konsequenzen für Verantwortliche nur durch Untersuchungsausschuss

Das Robert Koch Institut in Berlin-Wedding.
Foto: A. Savin, Wikipedia; Lizenz: Freie Kunst, Mehr Infos

(Diese Meldung ist eine Übernahme von multipolar)

Die deutsche Bundesregierung hat, laut der Bundestagsabgeordneten Jessica Tatti (BSW), den Lockdown-Kurs des Frühjahrs 2020 gegen kritische Stimmen aus dem Robert Koch-Institut (RKI) durchgesetzt. „Von wegen ‚Follow the Science‘“, kritisierte Tatti aktuelle Aussagen aus dem Gesundheitsministerium auf eine parlamentarische Anfrage. Es seien „immer wieder wichtige Argumente der Wissenschaft offenbar bewusst von der Bundesregierung ignoriert“ worden. Tatti hatte eine Anfrage an die Bundesregierung gestellt, um zu erfahren, welche fachlichen Einschätzungen und Bewertungen der Einführung des Inzidenz-Grenzwertes damals zugrunde lagen.

Zuvor war aus den am 30. Mai vom RKI veröffentlichten weitgehend entschwärzten Protokollen hervorgegangen, dass die Einführung eines Inzidenz-Grenzwertes im Frühjahr 2020 vom RKI damals intern als unsinnig gesehen und „aus fachlicher Sicht weitgehend abgelehnt“ wurde (Protokoll vom 5. Mai 2020). Das RKI hatte intern ebenso erklärt, Inzidenz-Grenzwerte seien „willkürliche politische Werte“ (Protokoll vom 9. April 2021), während die Bundesregierung immer wieder betont hatte, dem Rat der Experten im RKI zu folgen.

Tatsächlich hatte das RKI intern dargestellt, dass ein Grenzwert „nachdrücklich von politischer Seite eingefordert“ worden war (Protokoll vom 5. Mai 2020) und dessen Höhe „aus einer Diskussion“ zwischen Kanzleramtschef Helge Braun und Gesundheitsminister Spahn „kommt“. Und weiter: „Kommt das RKI der politischen Forderung nicht nach, besteht das Risiko, dass politische Entscheidungsträger selbst Indikatoren entwickeln und/oder das RKI bei ähnlichen Aufträgen nicht mehr einbindet“, heißt es in einer nun erst entschwärzten Protokollpassage.

Sabine Dittmar, Parlamentarische Staatssekretärin von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), erklärte in einem offiziellen Antwortschreiben auf die parlamentarische Anfrage Jessica Tattis: Die Festlegung des Grenzwertes habe „Schutz vor schweren Erkrankungen und Tod erreichen“ sollen, „Grundlage“ seien „pragmatische Abschätzungen“ gewesen.

Tatti fragte die Bundesregierung auch, wann die bislang noch vollständig geheim gehaltenen RKI-Protokolle des Zeitraumes ab Mai 2021 veröffentlicht werden, die auch die Amtszeit von Karl Lauterbach betreffen. Staatssekretärin Dittmar teilte dazu mit, dies geschehe „nach entsprechender Prüfung und Drittbeteiligung durch das RKI“. Ein genauer Zeitpunkt der Veröffentlichung könne „noch nicht genannt werden“.

„Die Bundesregierung erweckt den Eindruck, als hätte sie etwas zu verbergen“, kritisierte BSW-Abgeordnete Tatti. Die Protokolle müssten „umgehend und entschwärzt dem Bundestag und der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden.“ Es brauche außerdem einen Untersuchungsausschuss. Ein Bürgerrat, wie ihn Bundeskanzler Olaf Scholz zuletzt vorschlug, sei „ein Ablenkungsmanöver“. Auch eine Enquete-Kommission, wie sie FDP und AfD wollten, reiche nicht aus. „Nur mit einem Untersuchungsausschuss haben Falschaussagen rechtliche Konsequenzen“, betonte Tatti.

Die aktuell öffentlich vorliegenden RKI-Protokolle bis April 2021 enthalten weiterhin Schwärzungen, gegen die Multipolar derzeit juristisch vorgeht. Ein Gerichtstermin dazu findet am 8. Juli in Berlin statt.

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