BND soll befreundete Staaten ausspioniert haben
(15.10.2015/dpa)
Der Bundesnachrichtendienst (BND) soll über Jahre die Kommunikation befreundeter Staaten aus eigenem Antrieb ausgespäht haben. Abgeordnete aus allen Bundestagsfraktionen zeigten sich am Donnerstag alarmiert. Das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestags (PKGr) will den Vorwürfen mit einer eigenen Task Force auf den Grund gehen.
Die Bundesregierung teilte dem PKGr mit, „dass es auch beim BND hochproblematische Selektoren gegeben hat, die bis Ende 2013 im Einsatz waren“, wie der Vorsitzende des Gremiums, André Hahn (Linke), sagte. Vize-Chef Clemens Binninger (CDU) sagte, nach den Regierungsangaben vom Mittwoch müsse man davon ausgehen, dass ein Teil der Selektoren vom Auftragsprofil des BND womöglich nicht gedeckt gewesen sei. Selektoren sind etwa Telefonnummern oder Mailadressen, nach denen weltweite Datenströme durchsucht werden.
Laut Spiegel Online spähte der BND Botschaften und andere Behörden von EU-Ländern und weiteren Partnerstaaten aus, darunter französische und US-Ziele. Er dürfe zwar keine Details aus der PKGr-Sitzung nennen, habe aber keinen Grund, solche Berichte zu dementieren, sagte das Grünen-Mitglied Hans-Christian Ströbele. Seien die Vorwürfe richtig, sei das ein „beispielloser Skandal“.
Erst im Frühjahr war bekanntgeworden, dass der deutsche Auslandsgeheimdienst mit tausenden Spähzielen des US-Geheimdienstes NSA die Kommunikationsströme überwachte. Diese Selektoren sollen gegen deutsche und europäische Interessen verstoßen haben. Sie zielten etwa auf die europäischen Rüstungsunternehmen Eurocopter und EADS.
Anfang November soll vor dem NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestags ein Bericht zur Geheimliste mit Zehntausenden vom BND aussortierten Selektoren der NSA vorgelegt werden. Die Liste hat der mit Koalitionsmehrheit bestellte Verwaltungsrichter Kurt Graulich als Vertrauensperson geprüft. Die Opposition hatte selbst auf Einsicht gepocht.
Die neuen Vorwürfe über die BND-eigenen Selektoren seien „sehr ernst“, sagte Binninger. Der SPD-Obmann im NSA-Ausschuss, Christian Flisek, meinte, die Grenze zum Rechtswidrigen sei wahrscheinlich überschritten worden. Es könne beispielsweise nicht sein, „dass ein deutscher Nachrichtendienst die EU-Kommission ausspioniert“.
Der Umfang möglicher problematischer BND-Spionage blieb offen. Die Mitteldeutsche Zeitung berichtete von einer vierstelligen Zahl problematischer Selektoren. „Es geht um Institutionen, es geht um Einrichtungen befreundeter Staaten“, sagte PKGr-Chef Hahn. Die PKGr-Task-Forcesoll nun in der BND-Zentrale in Pullach Akteneinsicht nehmen und die Vorwürfe prüfen. Das dürfte einige Wochen dauern, hieß es aus dem Gremium. „Wir wollen die Selektorenliste sehen“, stellte Hahn klar.
Dass der BND mit eigenen Spähbegriffen die Datenströme ausspäht, sagten BND-Mitarbeiter wiederholt vor dem NSA-Ausschuss aus. Neu wäre, wenn er so gegen den Auftrag oder das Recht verstoßen hat.
Brisant sind die Vorwürfe auch, weil Bundeskanzlerin Angela Merkel im Oktober 2013 gesagt hatte: „Ausspähen unter Freunden – das geht gar nicht.“ Damals war bekanntgeworden, dass die NSA ihr Handy abhörte. Hahn sagte: „Man hat die Kanzlerin vom BND voll ins Messer laufen lassen.“ Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) pochte auf eine BND-Reform. „Wir brauchen strengere Regeln für den BND“, sagte er der Rheinischen Post.