Assange: Haft war politische Gefangennahme
Wikileaks-Gründer vor Ausschuss: Schutzmechanismen haben versagt / USA bedrohen investigativen Journalismus weltweit / Abgeordnete: Assange und Wikileaks haben Kriegsverbrechen der USA aufgedeckt
(Diese Meldung ist eine Übernahme von multipolar)
Wikileaks-Gründer Julian Assange hat seine Inhaftierung in Großbritannien als politische Gefangennahme bezeichnet. In der Einigung mit der US-Regierungen, die zu seiner Freilassung führte, habe er sich schuldig bekannt, Informationen aus einer Quelle erhalten und die Öffentlichkeit über diese Informationen unterrichtet zu haben. Er sei nicht freigekommen, weil das System bestehender Schutzmechanismen funktioniert habe, sondern weil er sich „des Journalismus schuldig bekannt“ habe, erklärte Assange am Dienstag (1. Oktober) während einer Anhörung vor dem Ausschuss für Rechtliche Angelegenheiten und Menschenrechte der Parlamentarischen Versammlung des Europarates.
Der 53-Jährige wies darauf hin, dass die US-Regierung in der Einigung darauf bestanden habe, dass er keine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte einreichen oder einen Antrag auf Informationsfreiheit stellen darf, um die Folgen seiner Haft zu klären. Er hoffe, dass seine Aussage dazu diene, die „Schwächen der bestehenden Schutzmaßnahmen“ aufzuzeigen und denjenigen zu helfen, deren Fälle weniger sichtbar sind, sagte Assange.
Er beschuldigte den früheren CIA-Direktor Mike Pompeo, ab 2017 Anweisungen an den US-Auslandsgeheimdienst für Pläne gegeben zu haben, um den Wikileaks-Gründer aus der ecuadorianischen Botschaft zu entführen und zu ermorden. Transnationale Repressionen würden aber auch durch den „Missbrauch von Rechtssystemen“ betrieben, erklärte Assange. Er machte darauf aufmerksam, dass „ohne starke Schutzmaßnahmen und einen Staat, der bereit sei, diese durchzusetzen“, die Menschen keine Chance hätten, „sich gegen die enormen Ressourcen zu verteidigen, die ein staatlicher Aggressor einsetzen kann“.
Die US-Regierung habe zudem „eine gefährliche neue globale Rechtsposition“ geltend gemacht, in der nur US-Bürger das Recht auf freie Meinungsäußerung hätten, kritisierte Assange. Europäer in Europa müssten sich an das US-Geheimhaltungsgesetz halten und hätten gegenüber der US-Regierung keinerlei Schutz. Die „Kriminalisierung der Nachrichtenbeschaffung“ sei eine „Bedrohung für den investigativen Journalismus überall auf der Welt“.
Der Wikileaks-Gründer dankte der Parlamentarischen Versammlung des Europarats für ihre 2020 gefasste Resolution gegen „Bedrohungen der Medienfreiheit und der Sicherheit von Journalisten in Europa“, welche seine unverzügliche Freilassung gefordert hatte. Des Weiteren dankte er der Versammlung für eine Erklärung von deren Generalberichterstatter, in der dieser 2021 ernste Besorgnis über Diskussionen zur Ermordung von Julian Assange durch die USA geäußert hatte. Der Freigelassene forderte die Parlamentarische Versammlung auf zu handeln, damit „transnationale Unterdrückung“ nicht „zur Norm“ werde.
Hintergrund der Anhörung von Julian Assange ist eine geplante Resolution der Parlamentarischen Versammlung des Europarats zur „Verhaftung und Verurteilung von Julian Assange und ihre abschreckende Wirkung auf die Menschenrechte“. In dem zugehörigen Entwurf stellt die Bericht erstattende isländische Abgeordnete Thorhildur Sunna Aevarsdottir von der Fraktion der Sozialisten, Demokraten und Grünen fest, dass Wikileaks und sein Gründer glaubwürdige Beweise für „Kriegsverbrechen, Menschenrechtsverletzungen und staatliches Fehlverhalten“ der USA geliefert hätten. Zudem hätten sie „die Existenz geheimer Haftanstalten, Entführungen und illegaler Gefangenentransporte durch die Vereinigten Staaten von Amerika innerhalb Europas“ bestätigt. Insbesondere in den Vereinigten Staaten werde der Begriff des Staatsgeheimnisses jedoch dazu verwendet, „Vertreter der Exekutive vor der Strafverfolgung für Verbrechen wie Entführung und Folter zu schützen oder Opfer davon abzuhalten, auf Entschädigung zu klagen“.
Die unverhältnismäßig harte Behandlung von Julian Assange, insbesondere seine beispiellose Verurteilung nach dem Spionagegesetz, habe einen „gefährlichen Abschreckungseffekt und ein Klima der Selbstzensur“ erzeugt. Dies wirke sich auf alle Journalisten, Verleger und andere aus, die über Dinge berichten, die für das Funktionieren einer demokratischen Gesellschaft von wesentlicher Bedeutung sind, heißt es im Entwurf weiter. Das Versäumnis der zuständigen US-Behörden, die mutmaßlichen Täter strafrechtlich zu verfolgen, erwecke den Eindruck, dass die US-Regierung mit der Strafverfolgung von Julian Assange die „Vertuschung von Fehlverhalten von Agenten des Staates und nicht den Schutz der nationalen Sicherheit“ bezweckte. Die Behandlung von Assange erfülle eindeutig mehrere Kriterien eines „politischen Gefangenen“.
Der Resolutionsentwurf fordert die Vereinigten Staaten unter anderem dazu auf, das Spionagegesetz von 1917 zu reformieren, die Anwendung des Gesetzes auf Verleger, Journalisten und Whistleblower auszuschließen sowie die von Wikileaks aufgedeckten mutmaßlichen Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen „gründlich, unparteiisch und transparent zu untersuchen“ und die „Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen“. Großbritannien wird aufgefordert, seine Auslieferungsgesetze zu überprüfen sowie eine unabhängige Überprüfung der Behandlung von Julian Assange durch die zuständigen Behörden durchzuführen, um festzustellen, ob er Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung ausgesetzt war.
Die Parlamentarische Versammlung des Europarats berät am Mittwoch über den Resolutionsentwurf und stimmt darüber ab. Der britische Abgeordnete Richard Keen, Vorsitzender des Ausschusses für Rechtliche Angelegenheiten und Menschenrechte, Mitglied der Fraktion der Europäischen Volkspartei und Leiter der Anhörung von Julian Assange hat laut Anhang des Entwurfs eine Reihe von Änderungsanträgen eingereicht, um Ungenauigkeiten und „Übertreibungen“ des Resolutionsentwurfs zu korrigieren. Unter anderem kritisiert er, dass die Bezeichnung von Assange als „politischer Gefangener“ das Schicksal „echter“ politischer Gefangener in Russland verharmlosen würde. Assange sei zurecht inhaftiert worden, da er Kautionsauflagen verletzt habe. Zudem seien er und sein Anwaltsteam selbst für die Länge der Haft verantwortlich gewesen. Assanges „bedauerlicher psychischer Zustand“ sei in erster Linie die Folge von seiner „selbst auferlegten langen Isolation“ in der ecuadorianischen Botschaft in London und könne nicht den britischen Behörden angelastet werden.