Annullierte Wahl in Rumänien: Regierungspartei hatte skandalisierte TikTok-Kampagne selbst finanziert
Investigativ-Magazin belegt Falschinformation durch Nachrichtendienste und Innenministerium Rumäniens / Influencer-Kampagne war keine russische Einflussnahme, sondern von Regierungspartei beauftragt / Sieger der annullierten Wahl liegt in Umfrage deutlich vorn
(Diese Meldung ist eine Übernahme von multipolar.)
Eine der TikTok-Kampagnen, die dem unabhängigen Kandidaten Calin Georgescu Ende November den Sieg in der ersten Runde der rumänischen Präsidentschaftswahlen verschafft haben sollen, wurde von der Nationalliberalen Partei (PNL) des noch amtierenden Präsidenten Klaus Johannis mit öffentlichen Geldern finanziert. Das hat das rumänische Investigativ-Magazin „Snoop“ aufgedeckt. So habe die PNL das in Bukarest ansässige Unternehmen für politisches Marketing Kensington Communication damit beauftragt, eine Kampagne zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit für die Präsidentschaftswahl ohne Nennung eines Kandidaten zu konzipieren. Kensington habe daraufhin eine Social-Media-Kampagne unter dem Titel „Echilibru și Verticalitate“ (sinngemäß: Ausgewogenheit und Aufrichtigkeit) mit 130 rumänischen Influencern durchgeführt. Von diesen hätten jedoch einige den Namen „Calin Georgescu“ in die Kommentare ihrer Videos geschrieben.
Ende November gewann der bis dahin als Außenseiter geltende Georgescu überraschend die erste Runde der rumänischen Präsidentschaftswahl mit knapp 23 Prozent Stimmenanteil. Auf Basis von Angaben der rumänischen Geheimdienste erklärte der oberste Gerichtshof des Landes daraufhin die Wahl Anfang Dezember für ungültig und ordnete eine Wiederholung an. Als Begründung erklärten die Richter, Rumänien sei Ziel eines „aggressiven russischen hybriden Angriffs“ gewesen.
Die Investigativjournalisten von Snoop sind nach eigenen Angaben zunächst von einer anonymen Quelle darauf aufmerksam gemacht worden, dass die rumänische Steuerbehörde die Finanzierung der vermeintlichen russische Kampagne untersucht hat und auf die PNL als Geldgeber gestoßen ist. Nachdem die Journalisten einen Mitbegründer von Kensington Communication mit diesen Informationen konfrontierten, habe dieser die Durchführung der Kampagne und deren Finanzierung durch die PNL sowohl mündlich als auch schriftlich zugegeben. Demnach hätten die Influencer von dem Marketing-Unternehmen Skripte erhalten, deren Inhalte sie in einem täglichen 30 bis 50 Sekunden langen Video verbreiten sollten.
Das Magazin Snoop weist darauf hin, dass in einem vom obersten Rat der rumänischen Landesverteidigung freigegeben Dokument des Innenministeriums exakt diese Kampagne als ein Beleg für die russische Wahlbeeinflussung zugunsten Georgescus beschrieben wird. Sogar die von Kensington verwendeten Hashtag-Titel seien darin wiedergegeben. In dem Dokument heißt es, die analysierten Daten wiesen auf circa 130 TikTok-Konten von nationalen Influencern hin, die Videomaterial mit sich ähnelnden Inhalten verbreitet hätten. An einer Stelle wird die Kampagne mit der Beeinflussung der Präsidentschaftswahl in Moldawien verglichen. An einer anderen Stelle wird behauptet, sie sei „identisch mit der Kampagne ‚Bruder für Bruder‘“, die die Russische Föderation vor dem Krieg mithilfe von Influencern in der Ukraine über Telegram durchgeführt habe. Snoop macht darauf aufmerksam, dass Georgescu noch von einer weiteren TikTok-Kampagne profitierte, die von dem Rumänen Bogdan Peșchir mit mehreren Hunderttausend Euro finanziert wurde.
In vielen westlichen Medien, so auch auf Wikipedia, wird Georgescu, Dozent an der Polytechnischen Universität Bukarest und ehemaliger Sonderberichterstatter für Menschenrechte der UN, als „rechtsextremer“ Politiker bezeichnet. Die österreichische Tageszeitung „Der Standard“ weist darauf hin, dass Georgescu Verbindungen zur „Orthodoxen Bruderschaft“, einer „antiwestlichen Gruppe mit mutmaßlichen Verbindungen zu Nachrichtendiensten“, pflegt. Zudem verwende er die „eindringlich-messianische“ Sprechweise des 1938 verstorbenen faschistischen rumänischen Politikers Corneliu Zelea Codreanu und habe diesen zu einem Helden erklärt. Des Weiteren werden Georgescu eine prorussische und NATO-kritische Haltung sowie die Verbreitung von „Verschwörungstheorien“ vorgeworfen.
Georgescu selbst weist die Vorwürfe zurück. In zwei Interviews mit dem Nachrichtensender Sky News Anfang Dezember bezeichnete er den obersten Gerichtshof in Rumänien als „mafiös“ und verglich dessen Entscheidung mit einem Staatsstreich. Das politische Establishment in Rumänien stehe unter Druck von EU und NATO, einen Friedensvertrag zwischen der Ukraine und Russland zu verhindern. Die NATO sei von einer Verteidigungs- zu einer Angriffsorganisation mutiert. Er selbst habe kein Problem mit der Mitgliedschaft seines Landes in diesen Bündnissen. Allerdings wolle er nicht, dass Rumänien in den Krieg in der Ukraine hineingezogen wird.
Ein Termin für die Wiederholung der Präsidentschaftswahl steht noch nicht fest. Einer aktuellen Umfrage zufolge würde Georgescu diese jedoch mit 40 Prozent noch deutlicher gewinnen als die annullierte Wahl Ende November. Crin Antonescu (PNL) würde mit 22 bis 24 Prozent auf dem zweiten Platz und Nicuşor Dan, parteiunabhängiger Bürgermeister von Bukarest sowie Gründer und ehemaliges Mitglied der Partei „Union Rettet Rumänien“ (USR), mit 16 bis 18 Prozent auf dem dritten Platz landen. Beide Politiker waren im November noch nicht angetreten. Elena Lasconi (USR), die in der annullierten Wahl mit etwas über 19 Prozent noch den zweiten Platz ergattern konnte, liegt laut der Umfrage nur noch bei sieben Prozent Wählerzustimmung.