Ägypten: Militär als „Korrektiv“ der Revolution?

(04.07.2013/dpa)

Am heutigen Morgen trugen viele Menschen in Kairo ein Lächeln auf den Lippen. Sie sind froh, dass die Armee am Vortag den islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi entmachtet hat. Die Tageszeitung Al-Ahram, im gegebenen Moment stets das Sprachrohr der jeweiligen Macht, titelt in großen roten Lettern: „Präsident abgesetzt, revolutionäre Legitimität wiederhergestellt!“

Auf die demokratische Legitimität kann sich das Militär tatsächlich nicht berufen, denn die konnte Mursi für sich reklamieren. Vor mehr als einem Jahr war er in freien und demokratischen Wahlen ins Amt gewählt worden. Es war der erste Urnengang nach der Revolution, die im Februar 2011 den Langzeitherrscher Hosni Mubarak von der Staatsspitze gefegt hatte. Viele Nicht-Islamisten, unpolitische Fromme und Teilnehmer des Anti-Mubarak-Aufstands wählten den Kandidaten der islamistischen Muslimbruderschaft. Denn in der Stichwahl wollten sie ihre Stimme nicht Ahmed Schafik geben, einem Exponenten des alten Regimes.

Doch nach einem Jahr an der Macht hatte Mursi gerade die Revolutionäre von damals verprellt. Statt Demokratisierung und wirtschaftlicher Erholung bewirkte er eine Islamisierung von Staat und Gesellschaft und wirtschaftliche Stagnation. Am Ende zunehmend isoliert, biederte er sich sogar islamistischen Hasspredigern an, die zum Dschihad gegen die syrische Regierung aufriefen und deren schiitische Unterstützer zu „Ungläubigen“ erklärten. Nach einem solchen gemeinsamen Auftritt ermordete ein Mob in einem Dorf bei Kairo fünf Schiiten, die in Ägypten nur eine winzige Minderheit darstellen. Mursi forderte darüber hinaus eine internationale militärische Intervention in Syrien und erklärte, „das ägyptische Volk und die Armee stehen hinter dem Aufstand in Syrien“. Damit habe er bei den Militärs das Fass zum Überlaufen gebracht, erklärte Nahost-Experte Yasser El-Shimy gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters.

„Er hat Unfrieden gesät und die ägyptische Gesellschaft gespalten“, meint der Lehrer Said Abdul Rahman, der eigens aus Alexandria zu den Anti-Mursi-Protesten auf dem Tahrir-Platz in Kairo angereist ist. „Es ist gut, dass er weg ist.“ Was unter Mursi falsch lief, könne nun beendet, ausgebügelt, korrigiert und in gute Bahnen gelenkt werden, so hofft er.

War der drastische Eingriff nach den beeindruckenden Massenprotesten der vergangenen Tage nur eine „Korrektur“ der Revolution? Ein „Putsch mit Glacé-Handschuhen“?

Übergangspräsident Adli Mansur, der gleich am Donnerstag den Amtseid ablegte, gelobte Respekt für Demokratie und Rechtsstaat. Doch noch ist nicht klar, wer seiner Übergangsregierung angehören soll, in welchem zeitlichen Rahmen und juristischen Umfeld die angestrebten Neuwahlen für Präsidentschaft und Parlament stattfinden sollen.

Mursis Muslimbrüder lecken sich die Wunden. Trotz ihres massiven Popularitätsverlusts verfügen sie über einen gut organisierten, schlagkräftigen Kern von Hunderttausenden Mitgliedern und Unterstützern. Ihr Potenzial, die Verwaltung des Landes zu stören und zu lähmen, ist beträchtlich. Auch gewaltsame Aktionen radikalisierter Muslimbrüder oder extremistischer Verbündeter sind nicht auszuschließen. Mursi selbst erkennt seine Absetzung nicht an und bezeichnete sie als „illegal“. Er forderte seine Anhänger zu friedlichen Protesten auf.

Die Meldungen von seiner Festsetzung und von Haftbefehlen gegen andere führende Muslimbrüder lassen nichts Gutes erahnen. Auch die gegenwärtige repressive Kampagne gegen unliebsame Medien und die Schließung von Sendern, die den Muslimbrüdern nahe stehen, lässt am demokratischen Willen der neuen Machthaber zweifeln. „Armee und Übergangsregierung in Ägypten müssen sofort ihre Übergriffe gegen die Medien einstellen“, erklärte der Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen, Christian Mihr, am Donnerstag. Er verwies auf Berichte über Einschüchterungen und Festnahmen von Journalisten. Die Ankündigung der Armee, als Teil ihres Übergangsplans solle ein „Medien-Ehrenkodex“ erarbeitet werden, sei bedenklich, erklärte Mihr.

Das Europaparlament rief zu einer raschen Wiederherstellung der demokratischen Ordnung in dem arabischen Land auf. Der demokratische Prozess „mit Beteiligung aller demokratischen Kräfte“ sollte so schnell wie möglich wiederaufgenommen werden, auch durch Präsidenten- und Parlamentswahlen, hieß es in einer Entschließung, die am Donnerstag in Straßburg mit großer Mehrheit verabschiedet wurde. Eine schwammige Formulierung, die die Frage nach dem weiteren Schicksal der Muslimbrüder und ihrer zukünftigen Beteiligung am politischen Leben übergeht. Denn dazu müsste das Europaparlament erklären, ob es die Muslimbrüder überhaupt zu den „demokratischen Kräften“ zählt. Sie nicht in den politischen Prozess zu integrieren, dürfte eine Stabilisierung der Verhältnisse im Land in weite Ferne rücken. „Die größte Herausforderung für die neue Regierung ist es, die Muslimbrüder wieder zurück ins Boot zu holen“, meinte der Nahost-Experte Magdi Abdelhadi am Donnerstag in der BBC.

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