Ägypten: Keine Versöhnung – Armee will Notstandsvollmachten

(24.07.2013/dpa)

Die Muslimbruderschaft will ein vom ägyptischen Übergangspräsidenten Adli Mansur angeregtes Versöhnungstreffen boykottieren. Das erklärte ein Sprecher der Islamisten, aus deren Reihen der Anfang Juli vom Militär gestürzte Präsident Mohammed Mursi stammt, am Dienstagabend, wie die Zeitung Al-Ahram online berichtete. Auch die mit den Muslimbrüdern verbündeten Gruppen würden sich dem Dialog verweigern. Der Sprecher begründete die Haltung damit, dass sie die Übergangsregierung nicht anerkennen würden. Mansur hatte angesichts der tiefen Spaltung der ägyptischen Gesellschaft in einer Fernsehansprache am Dienstag erneut zu einer nationalen Aussöhnung aufgerufen.

Die Mursi-Anhänger setzten unterdessen ihre Demonstrationen für die Wiedereinsetzung ihres Präsidenten in ägyptischen Städten fort. Bei Zusammenstößen zwischen Anhängern und Gegnern Mursis wurden am Dienstag in Kairo mehrere Menschen getötet. 85 weitere Menschen hätten in der Nähe der Kairoer Universität Verletzungen erlitten, berichtete Al-Ahram unter Berufung auf das ägyptische Gesundheitsministerium.

In Al-Mansura im Nildelta explodierte am späten Dienstagabend eine Bombe vor einer Polizeiwache. 14 Polizisten seien laut Angaben aus Sicherheitskreisen verletzt worden. Offensichtlich sei ein Sprengsatz auf die Polizeistation geworfen worden.

Der ägyptische Armeechef Abdel Fattah al-Sisi hat am Mittwoch indirekt Vollmachten für Notstandsmaßnahmen verlangt. In einer Rede bei einer Militärfeier, die im staatlichen Fernsehen übertragen wurde, forderte er die Bevölkerung dazu auf, an diesem Freitag mit Massendemonstrationen diesem Verlangen Ausdruck zu geben. „Ich rufe die Ägypter auf, am Freitag auf die Straße zu gehen, um uns das Mandat dafür zu geben, dass wir gegen Gewalt und Terrorismus vorgehen“, sagte der Armeechef.

Al-Sisi, zugleich auch Verteidigungsminister und erster stellvertretender Ministerpräsident der Übergangsregierung, hütete sich davor, das Wort „Notstand“ auszusprechen. Doch für Beobachter war klar: seine Forderung nach einem „Mandat“ und „Vollmachten“ werden darauf hinauslaufen, dass sich die Armee wieder zum Eingreifen ins unmittelbare Tagesgeschehen ermächtigen wird.

Vor seinem Aufstieg zum Armeekommandeur vor knapp einem Jahr leitete Al-Sisi den Militärgeheimdienst. Am 3. Juli entmachtete er jenen Präsidenten, der ihn seinerzeit an die Spitze der Streitkräfte berufen hatte. Zuvor hatten Millionen Ägypter gegen die Herrschaft Mursis und die autoritären Auswüchse demonstriert. Al-Sisi, so schien es, konnte sich auf den „Volkswillen“ berufen und auf die Notwendigkeit, das Land durch den Präsidentensturz zu stabilisieren.

Genau drei Wochen später ist jedoch Ägypten instabiler als zuvor. Die Muslimbruderschaft fand sich mit dem Armeeputsch nie ab. Fast täglich demonstrieren ihre Anhänger, wenn auch nicht in Millionenzahl, so doch manchmal zu Hunderttausenden. Immer wieder kommt es zu tödlicher Gewalt.

Seit dem Sturz des in der Geschichte des Landes erstmals demokratisch gewählten Präsidenten kamen fast 200 Menschen ums Leben, weit mehr als davor, als das Militär sein Eingreifen just mit der zunehmenden Gewalt rechtfertigte. Jetzt soll die Gewalt, die infolge des Umsturzes aufkam, weitere Vollmachten für das Militär rechtfertigen. Für Ägypten ist das nichts Neues. In den ersten anderthalb Jahren nach dem Sturz Mubaraks regierte formell das Oberkommando der Armee, dem auch Al-Sisi angehörte. Die Militärpolizei konnte nach Belieben Menschen verhaften. Misshandlungen und Folter waren üblich. Zivilisten wurden von Militärgerichten abgeurteilt.

Noch ist nicht klar, ob sich das Militär das volle Arsenal dieser Vollmachten zurückholen will. Letztlich hat diese Art des Herrschens dem Ansehen des Militärs damals schwer geschadet, ein Umstand, dessen sich Al-Sisi bewusst ist. Zugleich hat aber auch die inkompetente, arrogante und in Ansätzen autoritäre Regierungsweise Mursis in vielen Ägyptern die Bereitschaft erzeugt, über die Exzesse des Militärs den Schleier des Vergessens zu breiten.

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