We do it again and again
Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.
Die fortwährende Gefährdung der Erdbevölkerung durch Plutonium-Abenteuer der NASA –
Von RÜDIGER HAUDE, 13. Juli 2012 –
Am 6. August dieses Jahres werden die Augen der Raumfahrt-Fans auf unseren Nachbarplaneten, den Mars, gerichtet sein. Das „Mars
Start von 4,8 kg Plutonium am 26. November letzten Jahres. Quelle: Wikimedia Commons (NASA) |
Science Laboratory“ der NASA soll an diesem Tag nach einem Flug von gut acht Monaten im Gale-Krater des roten Planeten landen und mithilfe des ferngesteuerten Fahrzeugs „Curiosity“ mal wieder danach forschen, ob auf dem Mars die Bedingungen für die Existenz von Leben bestehen oder früher bestanden. Es ist nicht das erste irdische Fahrzeug (auch „Rover“ genannt) auf dem Mars. Aber „Curiosity“ (engl.: „Neugier“, aber auch „Merkwürdigkeit“) ist nicht nur wesentlich größer als frühere Rover wie „Sojourner“ (1997) oder die „MER“-Fahrzeuge von 2004. Es verfügt vor allem über eine andere Energieversorgung. Die früheren Rover waren mit Photovoltaik-Zellen ausgerüstet, deren Leistung aber, wie auf der Erde auch, von den Wetterbedingungen in der Landeregion auf dem Mars abhängig war. „Curiosity“, dessen Energiebedarf größer ist als bei früheren Missionen, hat stattdessen eine Radionuklid-Batterie, die mit 4,8 kg Plutoniumdioxid beladen ist. Aus der Zerfallswärme des Plutoniums kann, wie die NASA schreibt, „den ganzen Tag, jeden Tag, nachts, im Winter“ Strom produziert werden.(1) Dieses Isotop des Plutoniums, 238Pu, hat eine Halbwertszeit von knapp 90 Jahren und strahlt daher wesentlich stärker als das häufiger erzeugte 239Pu. Infolge des eigenen radioaktiven Zerfalls glüht das Plutoniumdioxid mit 238Pu ohne äußeres Zutun.
Man darf sich fragen, ob es auf der Suche nach Leben auf dem Mars wirklich eine weise Entscheidung war, die möglicherweise gefundenen Mikroorganismen mit einem der chemisch stärksten Gifte, die auf der Erde bekannt sind, zu beglücken, und dazu noch mit einem Isotop, das in starkem Maße Alphastrahlung abgibt, die auf irdische Lebewesen jedenfalls erbgutverändernd wirkt. Man fühlt sich an das Lied der britischen Sängerin Tracey Curtis erinnert, in dem es heißt: „I’d like to say I’m proud to be human, but I’m not / Cause all that we discover we destroy / And I know if we found life on Mars, we’d take that, too / And we do it again and again.” Wir sind hier mit dem Problem des unkontrollierten Agierens von Instanzen wie der NASA konfrontiert, bei denen Technokratie, das Phantasma militärischer Überlegenheit und Nationalprestige die Stelle vertreten, die bei funktionierenden Entscheidungsfindungen von der Ethik eingenommen würde.
Und auch wenn die hypothetischen Mars-Mikroben in der Tat ein ethisches Problem aufwerfen – das Problem verantwortungsvollen Handelns an der Umwelt und an anderen Lebensformen –, so besteht das gravierendere ethische Problem selbstverständlich auf zwischenmenschlicher Ebene. Was ist denn passiert? Am 26. November vergangenen Jahres ist eine amerikanische Atlas-V-Rakete von Cape Canaveral gestartet, die viereinhalb Kilogramm Plutonium an Bord hatte. Der Start glückte, aber alle Welt weiß, dass dies bei Raketenstarts nicht selbstverständlich ist. Atlas-V-Raketen sind bisher 32 mal gestartet; eine Katastrophe gab es mit diesem Raketentyp noch nicht, aber bei einem Transport von Spionagesatelliten im Juni 2007 gab es Schwierigkeiten mit der letzten Raketenstufe, dem „Centaur“-Aggregat, so dass die vorgesehene Umlaufbahn nicht erreicht wurde. Insgesamt ist die Zahl der Misserfolge beim Start von Raumfahrzeugen bis heute weltweit konstant bei fünf bis zehn Prozent geblieben. Im Jahr 2011 z.B. waren von 84 Starts 78 erfolgreich, während sechs Missionen scheiterten; hiervon erreichten vier keine Umlaufbahn.(2) Die NASA hat bei der „Curiosity“-Mission mit der Bevölkerung mindestens des Südostens der USA va banque gespielt.
Das Ausmaß der Toxizität von Plutonium ist – erwartungsgemäß – hoch umstritten. Auf der englischen Wikipedia-Seite wird der vielzitierten Aussage von Ralph Nader widersprochen, ein Pfund in der Atmosphäre verteilter Plutoniumstaub reiche aus, um 8 Milliarden Menschen zu töten; vielmehr könnten durch diese Menge „nicht mehr als 2 Millionen Menschen“ durch Inhalation getötet werden.(3) Das mag so sein, aber zur Erinnerung: Wir sprechen hier von etwa neun Pfund Plutonium. Die NASA gibt die Wahrscheinlichkeit eines Unfalls, bei dem Plutonium freigesetzt würde, mit 0,3 Prozent an (das ist weniger als ein Zehntel der oben erwähnten nachweislichen Wahrscheinlichkeit eines missglückten Starts).(4) Bedenkt man, als wieviel umwahrscheinlicher die Kernschmelz-Unglücke von Harrisburg, Tschernobyl und Fukushima vor ihrem Eintritt galten, darf man bei dieser Zahl schon besorgt sein. Aber die NASA beruhigt: Selbst wenn ein solches Unglück geschähe, schreibt sie, “würde das Material höchstwahrscheinlich auf bundeseigenem Gelände verbleiben, entweder auf der Kennedy oder der Cape Canaveral Air Force Station“. Aus diesem Statement kann man zweierlei schließen: Erstens betrachtet die NASA das Plutonium als eine Art Wrackteil, nicht als eine nach etwaiger Explosion sich unkontrollierbar ausbreitende Menge Gift. Und zweitens ist ein solcher Unfall nur am Beginn des Startprozesses vorgesehen, wenn die Rakete sich noch nahe über dem Boden befindet. Ein gravierenderes Problem mit der „Centaur“-Stufe, die 2007 schon Probleme machte, hat man z.B. nicht auf der Rechnung. Wir haben es also mit der üblichen nuklearen Problem- und Risikoverdrängung von Technokraten im Kontakt mit Profit- und/oder Herrschaftsinteressen zu tun.
Wenn man bedenkt, dass die 2,5 Milliarden Dollar Kosten, die „Curiosity“ den US-amerikanischen Steuerzahlern verursacht hat, nicht zuletzt auf dem Feld der kulturellen Hegemonie investiert sind, gewinnt der Einsatz der Plutoniumbatterie noch eine weitere Dimension. Wenn der deutsche Wikipedia-Eintrag knapp von „Innovationen […] bei der Energieversorgung schreibt“ und erläutert: „(stabile Radionuklidbatterie statt wetterabhängiger Solarzellen)“, dann ist das selbstverständlich keine neutrale Formulierung – das Wirkprinzip des Plutoniums ist ja gerade, dass es instabil (vulgo: radioaktiv) ist. Hier wird semantisch gekämpft, um auch für irdische Nukleartechnik Akzeptanz zu beschaffen. Später wird in demselben Artikel das „mehrschichtige Sicherheitskonzept“ der Plutonium-Batterie gelobt, so wie man das z.B. auch von Atomkraftwerken kennt. Zu diesen für Laien schwer nachvollziehbaren Erörterungen ist an dieser Stelle nur zu sagen, dass sich das Vertrauen gegenüber solchen interessegeleiteten Expertisen in den vergangenen Jahrzehnten mit Recht deutlich abgenutzt hat.
Es ist vielleicht angebracht, in diesem Zusammenhang einen kurzen Blick in die Geschichte des US-Raumfahrtprogramms zu werfen. Die NASA hatte in der Frühzeit der unbemannten Raummissionen gegen die Möglichkeit einer solaren Energieversorgung optiert und voll auf nukleare Batterien gesetzt. In seinem Buch über die Geschichte der Photovoltaik bemerkt der Journalist Bob Johnstone: „Die skeptische Raumfahrtagentur setzte (…) auf nuklear. Das heißt, bis April 1964, als ein plutoniumbetriebener Navigationssatellit es nicht bis in die Umlaufbahn schaffte und sich zerlegte, während er durch die Atmosphäre auf die Erde zurückfiel. Ein nachfolgendes Bodenproben-Programm ergab, peinlicherweise, dass radioaktive Abfälle von diesem Satelliten ‚auf allen Kontinenten und in allen Breitengraden‘ vorhanden waren.“ (5)
Mit jenem Unfall, bei dem der Satellit „Transit 5 BN3“ über Madagaskar verglühte, wurde etwa ein Kilogramm 238Pu mit einer Strahlungsaktivität von 600 Billionen Becquerel (6 x 1014 Bq) in die Erdatmosphäre freigesetzt.(6) Eine Anzahl von Schwestersatelliten der „Transit 5“-Reihe kreist noch heute mit ihrer Plutoniumfracht um die Erde. Zwei weitere Rückstürze von plutoniumhaltigen NASA-Fahrzeugen, darunter die gescheiterte Apollo-13-Mission (1970), scheinen glimpflicher abgelaufen zu sein, weil die Aggregate nicht an Land, sondern im Wasser auftrafen. Unfälle sowjetischer Raumfahrzeuge mit Radionuklidfreisetzung scheinen ebenfalls häufiger vorgekommen zu sein, was umso besorgniserregender ist, als im sowjetischen Raumfahrtprogramm auch Kernspaltungs-Reaktoren zum Einsatz kamen; doch unterliegen diese Vorfälle noch strengerer Geheimhaltung als ihre US-amerikanischen Gegenstücke.
Wenn Bob Johnstone seine Erwähnung des Unglücks von 1964 also mit den Worten beschließt: „Von da an waren alle Weltraumfahrzeuge solarbetrieben“(7), so stimmt dies leider nicht. Die NASA hat vor allem bei sonnenferneren Missionen weiter auf Plutonium gesetzt. So sind nicht nur die 1977 gestarteten beiden Voyager-Sonden – die heute am weitesten von Erde und Sonne entfernten menschlichen Artefakte – mit Radionuklidbatterien ausgestattet. Auch die Sonden Pioneer 10 und 11 (Start: 1972/73), Galileo (1989) und Cassini/Huygens (1997), die den Jupiter und den Saturn erforschten, hatten eine plutoniumbasierte Energieversorgung. Dasselbe gilt für die Pluto-Mission New Horizons (2006). Und auch die 1990 gestartete Ulysses-Mission, die der Erforschung der Sonne diente, setzte ironischerweise nicht auf regenerative Sonnenenergie, sondern auf Plutonium; an dieser Mission war neben der NASA auch die Europäische Raumfahrtagentur ESA beteiligt, Hauptauftragnehmer war der deutsche DASA-Konzern. Das Hasardspiel mit der Gesundheit der Erdbevölkerung hat also nie aufgehört. „Cassini“ hatte 1997 sogar 32,8 Kilogramm Plutonium an Bord und wurde nach dem geglückten Start noch einmal in einem „Swingby“-Manöver, das seiner Beschleunigung diente, nahe an der Erde vorbeigeführt; schon kleine Berechnungsfehler hätten damals, wie eine NASA-Studie vorab einräumte, einen Wiedereintritt in die Erdatmosphäre mit unabsehbaren Folgen bewirken können. Damals wurde aus dem Jet Propulsion Laboratory der NASA bestätigt, dass die Mission ohne Abstriche auch mit photovoltaischer Energieversorgung hätte durchgeführt werden können.(8)
Abo oder Einzelheft hier bestellen
Seit Juli 2023 erscheint das Nachrichtenmagazin Hintergrund nach dreijähriger Pause wieder als Print-Ausgabe. Und zwar alle zwei Monate.
Zu vermuten ist, dass das nukleare Abenteurertum der Weltraumagentur(en) nicht nur dem üblichen gefahrenverleugnenden Scheuklappendenken von Technokraten entspringt; sondern dass hier technologisch wie diskursiv eine Tür offengehalten werden soll, die alte Träume von nuklearen Antrieben von Raumfahrzeugen, nuklearbetriebenen Lasern und dergleichen doch noch umzusetzen verspricht. Phantasmagorien der ultimativen militärischen Überlegenheit sind hier lebendig, die auch ohne Plutonium und ohne Unfallgefahr die globale Öffentlichkeit alarmieren müssten. Wir können uns solches unkontrolliertes pubertäres Treiben nicht mehr leisten. Es wird Zeit, dass man diese Leute mit Spielekonsolen und einem ordentlichen Arbeitslosengeld versieht.
Quellen:
(1) http://www.nasa.gov/mission_pages/msl/launch/mslrtgweather.html
(2) http://en.wikipedia.org/wiki/2011_in_spaceflight
(3) http://en.wikipedia.org/wiki/Plutonium#cite_ref-JPH1995_104-0
(4) http://www.nasa.gov/mission_pages/msl/launch/mslrtgweather.html
(5) Bob Johnstone: Switching to Solar. Amherst 2011. S.33.
(6) https://de.wikipedia.org/wiki/Transit_5BN-3
(7) Bob Johnstone: Switching to Solar. Amherst 2011. S.33.
(8) http://www.castor.de/presse/ffmrundschau/971004.html