Ernährungsumstellung könnte Millionen Menschenleben retten
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Eine Britische Studie belegt die Vorteile vegetarischer und veganer Lebensweise. Der Fleischverzicht könnte darüber hinaus zu einer deutlichen Verringerung der Treibhausgase beitragen. –
Von ANDREAS VON WESTPHALEN, 3. April 2016 –
Todesfälle durch typische „Zivilisationskrankheiten“ oder Antibiotikaresistenzen reduzieren, die Erderwärmung verringern und Milliardenkosten im Gesundheitswesen einsparen – all das wäre durch eine Ernährungsumstellung möglich. Zu diesem Ergebnis kommt die Studie „Analysis and valuation of the health and climate change cobenefits of dietary change“, die Wissenschaftler der Universität Oxford kürzlich veröffentlichten. (1)
Weniger Fleisch und mehr Obst und Gemüse essen, ist die ebenso einfache wie erstaunliche Möglichkeit, um fundamentale Probleme der Menschheit zu lösen. Die Studie ist die erste Forschungsarbeit, die die Auswirkungen der menschlichen Ernährungsweise sowohl auf die Gesundheit, als auch auf das Klima analysiert und zu beziffern sucht. Dafür untersuchte das Forscherteam unter Leitung von Dr. Marco Springmann die Folgen von vier unterschiedlichen Ernährungsverhalten: Das erste ist die „Weiter-wie-bisher“-Ernährungsstrategie. Das zweite Ernährungsverhalten orientiert sich an bekannten Richtlinien (Begrenzung von rotem Fleisch, also Rind, Kalb, Schwein, Schaf oder Lamm, und Mindestmengen an Gemüse und Obst). Das dritte und vierte Ernährungsverhalten meint eine ausgewogene vegetarische oder vegane Ernährung.
Die Studie verglich die eigenen Prognosen der drei gesunden Ernährungsweisen mit den Prognosen der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) für das Jahr 2050. Die Ernährung mit begrenztem roten Fleisch und einem Minimum an Obst und Gemüse führt zu gut 5 Millionen Todesfällen weniger pro Jahr. Bei vegetarischer Ernährung würden 7,3 Millionen Menschen weniger sterben, bei der veganen Ernährungen sogar rund 8 Millionen Menschen. Weltweit würden bei der Ernährung mit einem begrenzten Anteil an rotem Fleisch sechs Prozent, bei der vegetarischen neun und bei der veganen Ernährung zehn Prozent weniger Menschen sterben. Fast die Hälfte aller Herzkrankheiten mit Todesfolge könnte vermieden werden, ein Viertel aller Schlaganfälle und die Zahl der Krebsfälle würde um ein knappes Fünftel sinken. Die Autoren bezeichnen hierbei sogar ihre Ergebnisse ausdrücklich als eine „vermutliche Untertreibung“.
Mehr als ein Viertel aller Treibhausgase entstehen bei der Nahrungsmittelproduktion. Würden die Menschen ihre gegenwärtigen Essgewohnheiten beibehalten, würden die durch die Nahrungsmittelproduktion entstehenden Treibhausgase sich im Jahr 2050 im Verhältnis zu 2007 um mehr als 50 Prozent gesteigert haben. Eine Ernährung mit weniger rotem Fleisch und stattdessen mehr Obst und Gemüse würde deutlich klimafreundlicher abschneiden, aber die betreffenden Treibhausgase dennoch um 7 Prozent erhöhen. Die vegetarische und die vegane Ernährung hingegen würde eine massive Verbesserung mit sich bringen, dadurch würden die Treibhausgase um 45 bzw. 55 Prozent reduziert.
Einsparungen im Gesundheitswesen
Auch die staatlichen Haushaltskassen würden von einer Veränderung der Ernährungsweise deutlich profitieren. Allein die direkten Einsparungen im Gesundheitswesen wären immens. So könnte man mithilfe einer Ernährung mit weniger rotem Fleisch und mehr Gemüse und Obst im Jahr 2050 weltweit 735 Milliarden US-Dollar einsparen – pro Jahr. Eine vegetarische Ernährung würde knapp eine Billion US-Dollar und eine vegane Ernährung mehr als eine Billion US-Dollar einsparen.
Berücksichtigt man alle wirtschaftlichen Vorteile, belaufen sich die Einsparungen je nach Ernährungsweise sogar auf eine und bis zu 31 Billionen US-Dollar pro Jahr.
Die Studie der Universität Oxford zitiert eine Reihe weiterer Forschungsarbeiten, die zu ähnlichen Ergebnissen im Hinblick auf die Reduzierung der krankheitsbedingten Todesfälle und der Verbesserung des Klimas gekommen waren. Auch ein Bericht der UN rief im Jahr 2010 zu einer Reduzierung tierischer Produkte in der Ernährung des Menschen auf. Dies sei der einzige Ausweg, um die Auswirkungen von Hunger, Armut und dem Klimawandel „substantiell zu reduzieren“. (2)
Von den möglichen Verbesserungen könnte laut der Studie die gesamte Menschheit profitieren. Drei Viertel käme den Entwicklungsländern zugute, aber die Verbesserung pro Kopf wäre in den Industrienationen am höchsten. Die Änderung der Ernährungsgewohnheiten würde zu einer augenfälligen Win-Win-Situation führen – nicht zuletzt für die Tiere. Einziger Verlierer wäre die industrielle Massentierhaltung.
Fleischproduktion steigt weiter
Seit den 1960er Jahren hat sich die globale Fleischproduktion mehr als vervierfacht und bis zum Jahr 2050 wird eine weitere Steigerung um rund 50 Prozent auf 455 Millionen Tonnen erwartet. (3). Jedes Jahr werden bereits weltweit 58 Milliarden Hühner, knapp 3 Milliarden Enten und 1,4 Milliarden Schweine geschlachtet, um nur einige Zahlen zu nennen. (4) Der durchschnittliche US-Amerikaner verspeist in seinem Leben insgesamt mehr als 2 500 Landtiere (der durchschnittliche Deutsche bei insgesamt niedrigerem Fleischverzehr ca. 1 100 Landtiere).(5) Dieses Übermaß ist auch mitverantwortlich für die mehr als zwei Milliarden übergewichtigen Menschen weltweit.(6) In den Vereinigten Staaten führt dies in paradoxer Konsequenz dazu, dass US-Amerikaner mehr Geld für Diäten ausgegeben, als nötig wäre, um die ganze Welt zu ernähren. (7)
Das Paradox extremen Fleischkonsums wird auch in anderer Hinsicht deutlich. Schon heute werden für Weideland und den Anbau von Tierfutter fast achtzig Prozent der landwirtschaftlichen Flächen genutzt. (8) Für jedes Kilogramm Fleisch werden sieben bis zehn Kilogramm Getreide als Tierfutter benötigt. (9) Ein gutes Drittel der weltweiten Getreideernte landet so in den Mägen von Tieren, die für den Schlachthof bestimmt sind. (10) Der US-Schriftsteller Jonathan Foer rechnet aus, dass im Jahr 2050 die Nutztiere so viel Nahrung verzehren werden wie vier Milliarden Menschen. (11)
Fast alle von Menschen verzehrten Tiere stammen aus Massentierhaltung (in Deutschland sind es 98 Prozent (12) ) und vegetieren unter unvorstellbaren Bedingungen. Weltweit werden 450 Milliarden Landtiere auf diese Weise gehalten (13) und zumeist mit Antibiotika vollgepumpt, um bis zur Schlachtung zu überleben. Im Jahr 2010 wurden weltweit – konservativ geschätzt – gut 63 000 Tonnen Antibiotika an das Schlachtvieh verfüttert, dabei wird bis 2030 eine Steigerung um zwei Drittel erwartet. (14) Die Folgen für den Menschen sind evident. Allein in Deutschland sterben nach offiziellen Angaben 7 500 bis 15 000 Menschen in Krankenhäusern an Keimen, die sich gegen Antibiotika als resistent erweisen. Nach einer Recherche von Zeit online, Die Zeit und Correctiv liegt die tatsächliche Zahl deutlich höher – so diagnostizierten Ärzte im Jahr 2013 bei über 30 000 verstorbenen Patienten multiresistente Keime. Seit dem Jahr 2010 hat sich die Diagnose – je nach Art der Keime – um 40 bzw. 50 Prozent erhöht. „Das Problem ist so ernst, dass es die Errungenschaften der modernen Medizin bedroht”, heißt es in einem dramatischen Bericht der Weltgesundheitsorganisation. Das Weltwirtschaftsforum zählt Antibiotika-Resistenz sogar zu den größten Risiken für die Weltwirtschaft. (15)
Die exzessive Fleischproduktion hat aber auch unmittelbar negative Konsequenzen für das Klima. Rinder stoßen bei ihrer Verdauung das Treibhausgas Methan aus. (Methan ist ein 21-mal stärkeres Treibhausgas als Kohlendioxid). Allein die Fleischproduktion ist für ein gutes Drittel der Gesamtmethanmenge verantwortlich.
Im Hinblick auf eine Fleischproduktion, die jegliches Maß verloren hat, erscheinen die Ergebnisse der Studie aus Oxford weniger überraschend, sondern eher eine wissenschaftliche Bestätigung des gesunden Menschenverstandes.
Die aktuelle Studie zeigt, dass die gesundheitlichen, klimatischen und finanziellen Vorteile desto größer sind, je geringer der Anteil an tierischen Produkten in der Nahrung des Menschen ist.
Um jedoch zumindest eine Ernährung entsprechend der Richtlinien zu erreichen, müssten weltweit ein Viertel mehr Obst und Gemüse gegessen werden, während die Menge an rotem Fleisch um mehr als die Hälfte reduziert werden müsste. Nicht zuletzt müsste die Gesamtmenge der Kalorien weltweit um 15 Prozent gesenkt werden. (16)
Marco Springman, der die Oxford-Studie leitete, erklärt: „Wir erwarten nicht, dass jeder Veganer wird. Aber die negativen Auswirkungen der Nahrungsindustrie auf den Klimawandel werden schwer zu lösen sein und sicherlich mehr als nur technologische Veränderungen erfordern. Eine gesündere und reichhaltigere Ernährungsweise zu übernehmen, kann ein großer Schritt in die richtige Richtung sein.“ Bliebe anzumerken, dass als Voraussetzung dafür wirtschaftliche und soziale Bedingungen geschaffen werden müssten, auch arme Menschen in die Lage zu versetzten, sich „gesündere und reichhaltigere“ Lebensmittel leisten zu können.
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Anmerkungen und Quellen:
(1) http://www.pnas.org/content/early/2016/03/16/1523119113.full
(2) http://www.unep.org/resourcepanel/Portals/24102/PDFs/PriorityProductsAndMaterials_Report.pdf
http://www.theguardian.com/environment/2010/jun/02/un-report-meat-free-diet
(3) http://www.fao.org/docrep/016/ap106e/ap106e.pdf
(4) http://www.boell.de/en/2014/01/07/meat-atlas
(5) http://www.usatoday.com/story/news/nation-now/2015/03/11/meat-eaters-animals-lifetime/70136010/
http://www.dw.com/de/studie-jeder-deutsche-isst-im-leben-1094-tiere/a-16510605
(6) http://www.focus.de/gesundheit/ernaehrung/gesundessen/gefaehrlicher-trend-fast-ein-drittel-der-weltbevoelkerung-ist-zu-dick_id_3879429.html
(7) Yuval Noah Harari: Eine kurze Geschichte der Menschheit, S. 425.
(8) http://www.fao.org/docrep/012/i0680e/i0680e.pdf
(9) http://www.unccd.int/en/programmes/Thematic-Priorities/Food-Sec/Pages/Wors-Fact.aspx
(10) http://www.fao.org/3/a-I5003E.pdf
(11) Jonathan Safran Foer: Tiere essen, S. 301.
(12) http://www.welt.de/debatte/kolumnen/Fuhrs-Woche/article135305189/In-Jerichow-faengt-gerade-die-Schweinewende-an.html
(13) http://www.spektrum.de/rezension/ethik-der-mensch-tier-beziehung/1194687
(14) Van Boeckel et. al., Global trends in antimicrobial use in food animals, 18. Februar 2015.
http://www.pnas.org/content/112/18/5649.abstract
(15) http://www.zeit.de/wissen/gesundheit/2014-11/antibiotika-keime-resistenz-bakterien/komplettansicht
http://www.aerztezeitung.de/praxis_wirtschaft/klinikmanagement/article/873809/antibiotika-resistenz-40000-tote-bmg-streitet-ab.html
(16) http://www.hintergrund.de/201603153877/wirtschaft/wirtschaft-welt/die-welt-ernaehren-ohne-sie-zu-zerstoeren.html