Ein Klima des Hungers
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Von SUSANNE GÖTZE, 19. November 2009 –
Drei Tage wurde in Rom über den Hunger in der Welt geredet – ohne nennenswerte Ergebnisse. Die Regierungen der reichen Länder glänzten durch Abwesenheit. Außen vor blieb auch eine Diskussion über die Auswirkungen des Klimawandels auf das Recht auf Nahrung. Klima- und Hungerkrise sind für die Welternährungsorganisation (FAO) immer noch zwei Paar Schuhe.
„Der Klimawandel wird zuerst die Länder treffen, in denen sowieso schon der größte Hunger herrscht“, erklärt Armin Paasch von der Entwicklungsorganisation FIAN. Die meisten hungernden Menschen leben heute in Afrika und Asien: 64 Prozent in Ländern wie Indien, China und Bangladesh und 25 Prozent vor allem in Zentral- und Ostafrika. Diese Regionen sind gleichzeitig akut von den Folgen der weltweiten Klimaveränderung betroffen. „Die Ernten der Länder in der Nähe vom Äquator werden durch die veränderten Wetterbedingungen um 50 Prozent zurückgehen. Wasserknappheit und extreme Witterung wie Dürren und Überschwemmungen verhindern Landwirtschaft und vernichten Ernten“, so Paasch über die Ergebnisse einer noch unveröffentlichten Studie von FIAN gegenüber dem Online-Magazin wir-klimaretter.de.
Auf dem Welternährungsgipfel der Welternährungsorganisation FAO in Rom war der Klimawandel aber auch fünf Wochen vor dem größten Klimagipfel aller Zeiten kein Thema. Doch auch bei den Klimaverhandlungen für ein Post-Kyoto-Abkommen ist Landwirtschaft und Ernährung so gut wie außen vor. Dabei gehört beides zusammen, meint Benedikt Haerlin von der Zukunftsstiftung Landwirtschaft: „Hunger- und Klimakrise müssen zusammen gedacht werden“.
Haerlin schrieb von 2002 bis 2008 am Weltagrarbericht mit. In diesem haben sich über 500 Wissenschaftler an der Frage abgearbeitet, wie eine für Mensch, Umwelt und Klima nachhaltige Landwirtschaft aussehen sollte. „Von der Welternährungsorganisation FAO wird weiterhin ausgeblendet, dass an die 40 Prozent der weltweiten Treibhausgase von der Landwirtschaft produziert werden“, erklärte der Co-Autor. Wenn die FAO nun eine Effizienzsteigerung der Landwirtschaft um 70 Prozent unter den derzeitigen Bedingungen fordere, dann widerspreche das drastisch den Klimazielen, die in fünf Wochen in Kopenhagen auf der Agenda stehen.
Eine Milliarde Hungernde und eine Milliarde Übergewichtige
Laut Weltagrarbericht ist in den letzten vierzig Jahren der Pestizideinsatz um 300 Prozent und die Düngung mit dem klimaschädlichen Stickstoff um 800 Prozent angestiegen. Hinzu kommen ein immer größerer Fleischkonsum und der steigende Bedarf an Getreide. Derzeit macht allein die Freisetzung von Methan, Stickstoff und Lachgas rund 14 Prozent des weltweiten Klimaproblems aus. Zur Erderwärmung tragen zudem Transport, Herstellung der Produkte und Landverbrauch durch Rodung von Waldflächen bei.
Doch nicht nur dem Klima schadet das, auch Millionen Menschen stürzt das globalisierte Ernährungssystem laut Agrarbericht in die Armut. „Wir haben es mit einer paradoxen Situation zu tun: Noch nie hatten so viele Menschen auf der Welt Hunger und noch nie wurde so viel pro Kopf an Nahrung produziert“, so Haerlin. Auf der Welt gebe eine Milliarde Hungernde und eine Milliarde Übergewichtige. Deshalb gehe es in erster Linie nicht darum wie viel, sondern wie Lebensmittel produziert und vertrieben würden.
Der Agrarbericht schlägt dazu über 200 Maßnahmen für die Politik vor, um den Übergang in ein „Agrarökologisches System“ und regionale Märkte zu schaffen.
Die FAO, die den Weltagrarrat selbst mit ins Leben gerufen hat, ignoriert allerdings die Ergebnisse des Berichtes. So wurden Vertreter des Rates ausdrücklich nicht zu einem Vortreffen der Welternährungsorganisation im Oktober eingeladen. „Die FAO und die Lobby der Gentechnikkonzerne versuchen, unseren Bericht so weit es geht totzuschweigen“, so Haerlin. Auch Deutschland und die USA haben den Bericht bis heute nicht unterschrieben.
FAO: Effizienzsteigerung um jeden Preis
„Bei der Hungerbekämpfung werden zwei Strategien diskutiert: Einmal die Unterstützung der lokalen und nachhaltigen Produktion von Lebensmitteln und deren faire Vermarktung und auf der anderen Seite eine Produktionsoffensive durch Grüne Gentechnik und mehr Kunstdünger“, erklärt FIAN-Mann Paasch. Letzteres ist innerhalb der FAO immer noch en vogue. Nach Ansicht der 500 Wissenschaftler des Weltagrarrates wird aber durch höheren Pestizideinsatz das Umwelt- und Klimaproblem noch verschärft und an der wirtschaftlichen Misere der Bauern wenig geändert.
Ein Grund warum sich auch immer mehr Entwicklungshilfeorganisationen für Klimaschutz einsetzen. Am Mittwoch forderten die Organisationen Brot für die Welt, Evangelischer Entwicklungsdienst, Germanwatch, Heinrich-Böll-Stiftung, Misereor, Oxfam Deutschland und Welthungerhilfe die Bundesregierung auf, sich für ein verbindliches Abkommen in Kopenhagen einzusetzen. Am Rande einer Tagung der Heinrich-Böll-Stiftung forderten sie vor allem mehr Klimagerechtigkeit und ein Einstehen der Industrieländer für ihre historische Schuld.
Von der Erderwärmung bedroht: Reisernte in Bangladesh
Doch auch der FAO-Gipfel hat gezeigt, dass der Norden nur schwer in die Verantwortung zu nehmen ist: „Es ist ein Skandal, dass die reichen Länder sich nicht zu ihrer Schuld beim weltweiten Hungerproblem bekennen: Beim Agrardumping, den Agrartreibstoffen und der Handelspolitik gibt es deshalb ein ‚weiter so’“, schimpfte Paasch.
Doch auch in der FAO gibt es Querköpfe: Alexander Müller, stellvertretender FAO-Generaldirektor, hatte sich im Vorfeld des FAO-Gipfels für eine nachhaltigere Landwirtschaft und ein Zusammendenken von Klima- und Hungerproblem ausgesprochen. Müller plädiert ebenso für ökologische, an Klima und Umwelt angepasste Technologien, statt auf Gentechnik und künstlichen Dünger zu setzen.
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Der Artikel erschien zuerst bei Wir Klimaretter .
Die Autorin: Susanne Götze arbeitet als Journalistin in Berlin und in Brüssel. Sie schreibt seit Jahren in verschiedenen Tageszeitungen über Umwelt- und Klimathemen, etwa für das Neue Deutschland, die tageszeitung oder DowJonesNews. Für Umweltthemen hat sie sich vor allem seit ihrem ökologischen Jahr bei der Stiftung Naturschutz (2001) begeistert. Götze hat Literatur, Politik und Geschichte in Potsdam studiert und bastelt derzeit an ihrer Promotion in Neuerer Geschichte.