Umwelt

Die Klimaklempner

Um die Konzentration des Treibhausgases Kohlendioxid in der Atmosphäre zu senken, reicht es nicht aus, dessen Emission zu stoppen. Mit abenteuerlichen Technologien und folgenschweren Eingriffen in natürliche Abläufe wollen Klimaingenieure es einfangen und endlagern. Dass die Welt stattdessen dringend alternative Produktions- und Konsummuster benötigt, wird ideologisch ausgeblendet.

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Symbolbild: Luftverschmutzung
Lizenz: Creative Commons CC0 (Frei für den persönlichen und kommerziellen Gebrauch); Quelle: pxhere.com, Mehr Infos

Die Konzentration des Klimagases Kohlendioxid in der Atmosphäre hat die gerade noch verträgliche Schwelle von 350 ppm (Parts per Million), das Verhältnis von CO2-Molekülen zu den übrigen Teilchen, schon seit vielen Jahren überschritten. Die Messstation auf dem 3 800 Meter hohen Mauna-Loa in Hawaii meldete Anfang Oktober 2018 einen Spitzenwert von 405,51 ppm. Der natürliche Wert schwankte im Schnitt zwischen 180 ppm in Kaltzeiten und 300 ppm in Warmzeiten. Vor der großen Industrialisierung, im Jahr 1870, lag er bei 288 ppm. Würde man sämtliche fossilen Brennstoffreserven verfeuern, könnte der CO2-Gehalt in 280 Jahren wohl bei 5 000 ppm liegen, fünfmal so hoch wie zu Zeiten der Dinosaurier – und da war es im Schnitt mollige 8 Grad wärmer als heute.

Will man allerdings den Temperaturanstieg auf 2 Grad Celsius bis zum Jahr 2100 beschränken, und das ist das erklärte weltweite Klimaziel, darf man insgesamt nur noch etwa 600 Milliarden Tonnen CO2 in die Luft blasen. Bislang werden jedoch jedes Jahr etwa 40 Milliarden Tonnen von Menschen produziertes Kohlendioxid freigesetzt. Ginge das so weiter, wäre also spätestens in 15 Jahren «Schicht». Diese Zusammenhänge sind allen sich damit beschäftigenden Wissenschaftlern und Politikern bewusst, aber sie spielen – wie so oft – auf Zeit und bürden das Problem der Generation ihrer Kinder und Enkel auf. Im Sonderbericht des Weltklimarates vom Oktober 2018 und auf der letzten UN-Klimakonferenz im polnischen Katowice wurde daher nüchtern festgehalten, dass die Klimaziele nicht mehr allein durch verringerte Emissionen eingehalten werden können und die Welt auf eine Erwärmung um die 4 Grad zusteuert. Helfen könne da nur noch ein Plan B: Das Zuviel an Gasmüll müsse aus der Atmosphäre entfernt werden. Geschehen soll das mittels «negativer Emissionstechnologien» (englisch NETs). Das überzählige CO2 soll eingefangen und sicher in natürlichen «Senken» im Boden und in den Weltmeeren verstaut werden. Dies passiert auf natürliche Art und Weise bereits jeden Tag. Die ohne menschliches Zutun anfallenden CO2-Emissionen im terrestrischen Kohlenstoffkreislauf, die unter anderem beim Atmen der Lebewesen, beim Gedeihen der Pflanzen und bei deren Verwesung entstehen, führt Mutter Natur im Idealfall wieder zurück und bindet den jährlich anfallenden Kohlenstoff mit rund 11 Gigatonnen in Vegetation und Böden sowie mit 9 Gigatonnen in den Ozeanen. Das Problem ist jedoch, dass die Menschheit noch einmal das Doppelte dazubläst. Die Wanne ist also übervoll: Es strömt deutlich mehr hinein, als auf natürlichem Wege wieder abfließen kann.

Der einfache Grundgedanke ist nun, der «trägen» Natur mittels neuer Technologien unter die Arme zu greifen, ihr künstliche Senken unterzuschieben und hier und dort an ein paar wichtigen Stellschrauben zu drehen. So soll mehr CO2 gebunden werden, als emittiert wird. Das ganze Unterfangen nenntsich entsprechend technokratisch «Geoengineering» und will das Klimasystem «reparieren». Ob man aber das, was man einmal zerstört hat, wieder nachhaltig flicken kann, ist noch völlig unklar und streckenweise reine Fiktion. Mehr noch: Die Folgen einzelner Eingriffe und Interventionen in unser komplexes Ökosystem können verheerend sein und die Klimakrise noch zusätzlich verschärfen. Viele Wissenschaftler und Nichtregierungsorganisationen, wie beispielsweise Misereor, warnen daher eindringlich vor solchen Experimenten. Niemand dürfe die Büchse der Pandora öffnen. 1

Von künstlichen Bäumen, Wolkenmachern und schäumenden Meeren

Grundsätzlich sehen die einfallsreichen Klimaingenieure dabei zwei Ansatzpunkte, um am Thermometer zu drehen: Zum einen will man CO2 im industriellen Maßstab direkt der Atmosphäre entziehen und einlagern (Carbon Dioxide Removal) und zum anderen die Menge an Sonnenstrahlung reduzieren, die die Erde erwärmt (Solar Radiation Management). Letzteres könne – kein Scherz! – durch die Injektion von Aerosolen in die Atmosphäre geschehen: Anorganische Partikel, Schwefel oder andere reflektierende Materialien sollen, von Jets großflächig in die Stratosphäre eingebracht, das Sonnenlicht wieder ins Weltall zurückwerfen. Unsere Städte, Häuser und Plätze könnten weiß angemalt und das Reflexionsvermögen von Landflächen durch den Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen erhöht werden. In noch vorhandenen schneebedeckten Regionen sollten darüber hinaus noch dunkle Bäume und Wälder abgeholzt werden. Die Reflexionsfähigkeit des Oberflächenwassers der Ozeane könne durch Mikroblasen künstlicher Schäumungsmittel erhöht werden. Doch damit nicht genug, man will auch helle Wolken machen: Dazu sollen Schiffe mit Kanonen Meerwasser in dunkle Wolken sprühen, das dort dann verdampfen soll. Übrig bleibende Meersalzkristalle würden dann als Kondensationskeime fungieren und so für mehr und hellere Wolken sorgen, die wiederum mehr Sonnenlicht reflektieren. Schöne Aussichten …

Teurer Wahnsinn

Ähnlich abenteuerlich und fiktional klingen die vorgeschlagenen Maßnahmen zum Einfangen und Verstauen von Kohlendioxid: Große, in Reihe geschaltete Ventilatoren saugen die Umgebungsluft durch einen speziellen Filter, in dem chemische Sorptionsmittel wie Calciumcarbonat das CO2 entziehen und binden, um es später in Gasflaschen sperren zu können. Diese künstlichen Bäume sollen, riesigen Wäldern gleich, in unbewohnten Regionen errichtet werden. Eine weitere landbasierte Technologie setzt auf das großflächige Ausbringen von gemahlenem Basalt oder pulverisierten Silikaten auf Wiesen und Feldern. Das auf diese Weise «turboverwitterte» Gestein reagiert mit CO2 aus der Luft und bindet es im Boden. Eine andere Variante ist die Meeresdüngung: Schiffe leiten tonnenweise Nährstoffe wie Eisen und Harnstoff in die Ozeane, die das vermehrte Wachstum von Phytoplankton anregen sollen. Stirbt es ab, sinkt es und nimmt den gebundenen Kohlenstoff mit auf den Grund des Meeres, so die Theorie.

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Geoengineering setzt auch auf nachwachsende Rohstoffe: Bei der sogenannten BECCS-Technologie (Bioenergy with Carbon Capture and Storage) wird Biomasse, beispielsweise in Form schnell wachsender Bäume oder ölhaltiger Ackerpflanzen, angebaut, die CO2 aufnimmt. Dann wird sie zur Energiegewinnung verbrannt und aus den Abgasen das CO2 herausgefiltert und im Untergrund gelagert. Das Problem dabei ist allerdings, dass diese Projekte alle enorm viel Geld kosten und es, ähnlich wie beim Atommüll, keine sicheren Endlagerstätten gibt. Schnell mal eben fossiles Erdöl zu erzeugen oder Gas bleibend in tiefere Erdschichten zu pressen – ein Prozess, für den die Natur Tausende Jahre braucht –, ist leider nicht möglich. Die preiswerteste Kalkulation zum Einfangen und vorübergehenden Verstauen von CO2 liegt bei 150 Dollar pro Tonne. Bei den nötigen 40 Milliarden Tonnen jährlich wäre das die Hälfte des weltweiten Militärbudgets. Wer wird das finanzieren wollen? Abgesehen davon beanspruchen solche Technologien aber auch riesige Landflächen, vor allem im globalen Süden. Das würde zwangsläufig zu verstärktem «Landgrabbing» und zur Verletzung von Menschenrechten führen, insbesondere indigener Gemeinschaften. Darüber hinaus tritt die Landnahme in Konkurrenz zum Nahrungsmittelanbau und kann zu noch mehr Hunger auf der Welt und drastisch steigenden Nahrungsmittelpreisen führen. Ein Manipulieren des Klimas und regionaler Wetterereignisse kann (und wird) auch militärisch genutzt und zu Kriegszwecken eingesetzt werden. Noch schwerer wiegt, dass ein solcher Eingriff in das Erdsystem völlig unerprobt und hochriskant ist. Die ökologischen Risiken sind unabsehbar. Schlimmstenfalls können sie das gesamte Ökosystem für immer verändern – mit gravierenden Folgen für das Leben und die Menschheit.

Wachstum versus Klimaschutz

Wie kommen gut ausgebildete und hoch bezahlte Wissenschaftler und Ingenieure nur auf solche Ideen? Das liegt in ihrem Denksystem begründet. Alle offiziellen Szenarien zum Erreichen der Klimaschutzziele gehen dogmatisch von der herrschenden wachstumsfixierten Politik und einem fortschreitenden Konsumismus aus. Alternative Produktions- und Konsummuster kommen in dieser Gedankenwelt schlicht nicht vor. Klimaschutz könne man sich nur leisten, wenn der Wagen weiter rolle und die Wirtschaft stetig wachse. Nötige gesellschaftliche Veränderungen werden als Utopie abgetan und Einflussmöglichkeiten nur auf technischer Ebene gesehen. Klimaschutz ohne Geoengineering erscheint unter dieser Prämisse unmöglich. Dabei könnte alles ganz anders sein, wenn man auf die Natur selbst und ein menschliches Leben in Maßen setzt: In einer umgehend zu dekarbonisierenden Welt muss die Entwaldung gestoppt werden, dürfen sich die landwirtschaftlichen Flächen nicht weiter ausdehnen und müssen vorhandene Wälder aufgeforstet und renaturiert werden. Die Verschwendung von Lebensmitteln und der Konsum von Fleisch müssen genauso heruntergefahren werden wie die Produktion von beispielsweise Autos und Militärgerät. Statt Wachstum und Steigern des Bruttosozialproduktes muss die Devise lauten: Minuswachstum, Suffizienz und ein fairer Wohlstand für alle Menschen auf einem nachhaltig verträglichen Niveau. Es ist also eine Frage an die Zukunft, wie und in welcher Welt wir leben wollen, schreibt Kai Kuhnhenn vom Kompetenznetzwerk Neue Ökonomie und kritisiert auch die Szenarien und Klimamodelle des Weltklimarates, da sie «keine Analyse einer Abkehr vom Wachstumsmodell» zuließen: «In den aus diesen Modellen hergeleiteten Ergebnissen werden daher nie Empfehlungen stehen, die zu einer Steigerung der Lebensqualität führen, wenn sie gleichzeitig ein Sinken des BIP zur Folge hätten.» 2 Der größte Feind unseres Weltklimas ist folglich das herrschende kapitalistische Wirtschaftssystem, der wichtigste Beitrag zum Klimaschutz eine Abkehr von der daraus resultierenden Lebensweise. Das sieht wohl auch Monsignore Pirmin Spiegel, Hauptgeschäftsführer und Vorstandsvorsitzender des katholischen Hilfswerkes Misereor, so, wenn er schreibt: «Der Klimawandel ist vor allem Folge eines auf unendliches Wachstum ausgerichteten Weltwirtschaftssystems. Dieses einseitige Denkmodell aufzubrechen und anzugehen, würde Emissionen massiv senken und gefährliche Geoengineering-Eingriffe in die bestehenden, komplexen Ökosysteme hinfällig machen.» 3 Recht hat er. Aber werden die Profitgeier und Wachstumsideologen auch auf ihn hören?

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