Der Kernenergie-Boom und seine Nutznießer
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Von ANDREA SOTH, 14. März 2011 –
Um weiterhin schier unglaubliche Gewinne aus abgeschriebenen alten Atomkraftwerken abzuschöpfen und um ihre Marktmacht zu zementieren, machten die vier großen Energiekonzerne im vergangenen Sommer der Politik ein „unmoralisches Angebot“: Sie boten der Bundesregierung 30 Milliarden Euro und verlangten als Gegenleistung längere Laufzeiten und den Wegfall der geplanten Brennelementesteuer. Informationen über diese Gespräche sollten eigentlich nicht publik werden. Es gab jedoch undichte Stellen, angeblich sogar „aus Regierungskreisen“, und so kam das Ganze in die Medien und in die öffentliche Diskussion.
Während noch diskutiert wurde, erhöhte RWE-Chef Jürgen Großmann den Druck mit einer bundesweiten Anzeigenkampagne – dem „Energiepolitischen Appell“. Vierzig Manager, unter ihnen die Chefs der vier großen Energiekonzerne, protestieren darin gegen die Brennelementesteuer, sprechen sich für Laufzeitverlängerungen und den Ausbau von Kohle aus. Andernfalls stellen die Unterzeichner eine preisgünstige Energieversorgung infrage. Unterschrieben haben neben dem Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann einige Vertreter stromintensiver Industrien wie Ekkehard Schulz (Thyssen- Krupp), Werner Wenning (Bayer) oder Jürgen Hambrecht (BASF), der Manager der Fußballnationalmannschaft und Sohn eines früheren RWE-Vorstandes, Oliver Bierhoff, sowie Wolfgang Clement, Aufsichtsratsmitglied bei der RWE Power AG.
Weiterer dynamischer Ausbau erneuerbarer Energien und Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke schließen einander aus
Berechnungen des Fraunhofer-Institutes für Windenergie und Energiesystemtechnik (IWES) auf Basis des soeben von der Bundesregierung verabschiedeten Nationalen Aktionsplanes für erneuerbare Energien zeigen: Schon in wenigen Jahren decken regenerative Energien immer häufiger den gesamten nationalen Strombedarf. Die Deutsche Umwelthilfe e.V. (DUH) weist auf daraus resultierende unauflösbare Widersprüche in der Energiestrategie der schwarz-gelben Bundesregierung hin. „Wer einerseits den Eintritt in das regenerative Zeitalter propagiert und andererseits auf verlängerte Laufzeiten für Atomkraftwerke setzt, treibt diese Gesellschaft in einen neuen Fundamentalkonflikt“, erklärte DUH-Bundesgeschäftsführer Rainer Baake. Behauptungen der Atomkraftwerksbetreiber und von Teilen des Regierungslagers, wonach sich Atomenergie und erneuerbare Energien bestens ergänzen, seien nichts als eine interessengeleitete Irreführung der Öffentlichkeit: „In Wirklichkeit geht es bei der künftigen Stromversorgung nicht um ein Sowohl-als-auch, sondern deutlich früher, als die meisten Experten angenommen haben, um ein glasklares Entweder-Oder“, so Baake. Denn Strom aus Erneuerbaren wird vorrangig ins Netz gespeist. Wenn dessen Anteil steigt, ist kein Platz mehr für den Atom- und Kohlestrom, was dessen Betreiber nicht akzeptieren werden „Wer heute AKW-Laufzeiten verlängert, wird morgen den Vorrang der Erneuerbaren in Frage stellen …“ Quelle Pressemitteilung DUH 5.8.2010 |
Für Laufzeitverlängerungen zu kämpfen, lohnt sich – aus der Sicht der Energieversorger. Deren Zusatzprofite würden nach einer Analyse der Landesbank Baden-Württemberg bereits bei zehn Jahren längerer Laufzeit mehr als 44 Milliarden Euro betragen. Bei 15 Jahren wären es 70 Milliarden Euro. Gewinne in dieser Größenordnung sind ein starkes Argument und es gibt noch weitere Gründe, mit allen Mitteln gegen eine Energiewende zu agieren: Im gleichen Maße wie der Ausbau der erneuerbaren Energien voranschreitet, schrumpft die Macht der Energiekonzerne und ihr gravierender Einfluss auf die Politik. Die Monopolstellung, mit der sie andere Energieerzeuger behindern können, wird weiter zurückgedrängt. Viel schneller als angenommen wird ein höherer Anteil erneuerbarer Energie im Netz zu einem Systemkonflikt führen, denn der steigende Anteil von Erneuerbaren hat Vorrang und die alten großen und unflexiblen Atom- und Kohlekraftwerke können nicht bedarfsgerecht an- und abgeschaltet werden. Somit werden sie überflüssig und stören sogar. Womit es für die vier Energieriesen nicht mehr nur um längere Laufzeiten oder neue Kohlekraftwerke geht, sondern auch um den Umbau und die Dezentralisierung unserer Energieversorgung, die für sie einen Machtverlust bedeutet.
Angesichts dieser Fakten ist es kein Wunder, dass sich die vier mächtigen Energieversorger gegen eine Zukunft mit erneuerbaren Energien sträuben. Der Vormarsch der Erneuerbaren stört sie bei ihrem Lieblingsspiel: Reibach für die Konzerne, Risiko für alle.
• Die deutschen Atommeiler sind abgeschrieben; sie produzieren billig Strom, aber nicht „billigen Strom“. Verbraucher zahlen einen Strompreis, der an der Strombörse ermittelt wird. Hier bestimmt das zuletzt zugeschaltete Kraftwerk, das die benötigten Stromspitzen abdeckt, den Preis für die Gesamtstrommenge. Je mehr „billig“ erzeugter Atomstrom in der Gesamtstrommenge enthalten ist, desto größer sind die Gewinne der Stromkonzerne.
• Deutsche Atommeiler produzieren nicht nur Strom, sondern auch Müll. Für diesen Müll ist der Staat zuständig. Für das, was nach dem Stromproduzieren kommt, werden wir alle herangezogen. Auf eine Anfrage der SPD-Fraktion antwortete die Bundesregierung im Sommer, dass der Bund bis heute schon 5,2 Milliarden Euro für die Stilllegung und den Rückbau von Atomanlagen ausgegeben hat und sie davon ausgeht, dass bis 2035 noch einmal 5,4 Milliarden Euro hinzukommen, wobei diese Kostenschätzungen mit Unsicherheiten behaftet sind.(1) Allein im ehemaligen Salzbergwerk „Asse II“ bei Wolfenbüttel liegen rund 125.000 zum Teil undichte Fässer mit Atommüll. In die Stollen dringt Wasser ein, Salzlauge kommt mit Atommüll in Kontakt, das erst 40 Jahre alte „Versuchsendlager“ ist akut einsturzgefährdet. Das Bundesamt für Strahlenschutz rechnet mit Kosten von bis zu 2,5 Milliarden Euro für die Sicherung und eventuelle Bergung des Atommülls sowie eine ordnungsgemäße Stilllegung
Gut zu wissen
Einer Studie von Greenpeace zufolge hat die Atomwirtschaft zwischen 1950 und 2008 Subventionen und Förderungen in Höhe von mindestens 165 Milliarden Euro erhalten. Dazu zählen beispielsweise Forschungsausgaben, Finanzhilfen für die Atommüll-Zwischenlagerung, die Kosten der Wismut-Sanierung (Uranabbau zu DDR-Zeiten) und der bisherigen Sanierungen in Asse und Morsleben. Die Vergünstigung durch die beschränkte Haftung der AKW-Betreiber ist in den 165 Milliarden nicht einmal enthalten. Die staatlich vorgeschriebene Deckungssumme liegt bei 2,5 Milliarden Euro. Das UBA beziffert die daraus resultierende Begünstigung deshalb auf zwischen 5 und 184 Cent pro Kilowattstunde Strom. Müssten die Betreiber für das volle Risiko haften, wäre Atomstrom nicht wettbewerbsfähig. Wiederaufbereitung – das klingt nach Recycling. In Wirklichkeit werden aber nur wenige Prozent des ursprünglichen Atommülls in neuen Brennstäben wiederverwendet. Der Rest wird in der Wiederaufbereitungsanlage (WAA) La Hague mit Glas verschmolzen und in Stahlbehälter gegossen, dieser radioaktive Rest muss von den AKW-Betreibern zurückgenommen werden. Ein weiterer Teil geht über Abluft und Abwasser wieder in die Umwelt: Greenpeace berichtet, dass über 90 Prozent der radioaktiven Einleitungen in den Nordostatlantik aus den WAA La Hague und Sellafield stammen. Beide Atommüllfabriken pumpen jeden Tag zusammen rund zehn Millionen Liter radioaktive Abwässer in den Ärmelkanal und die Irische See. Einen anderen Entsorgungsweg haben Brennelementhersteller genutzt: Bei der Produktion von Kernbrennstäben wird Uranhexafluorid angereichert. Dabei fällt massenhaft abgereichertes Uran an. Dieses immer noch strahlende Abfallprodukt der Urananreicherung wurde jahrelang nach Russland geschafft und liegt dort teilweise in Fässern unter freiem Himmel. |
der Grube.
• Laufzeitverlängerungen bedeuten, dass über Jahre hinweg noch mehr Atommüll anfällt – ein Großteil der Kosten und Risiken wird der Gesellschaft und besonders nachkommenden Generationen aufgebürdet. Nach fast 60 Jahren Atomkraftnutzung gibt es nirgendwo auf der Erde ein sicheres Endlager für radioaktiven Abfall, kein einziges Gramm Atommüll ist sicher entsorgt. Etwa 12.500 Tonnen hochradioaktive Brennelemente sind in deutschen Atomkraftwerken bisher angefallen; jedes Jahr kommen rund 500 Tonnen hinzu.
• Je länger ein Atommeiler am Netz ist, umso größer wird das Risiko von Unfällen durch Materialermüdung. Um Kosten zu sparen und Gewinne zu steigern, reduzieren die Energieversorger Reparatur- und Wartungsarbeiten. Mängel werden verspätet oder gar nicht erkannt. Wachsende Arbeitsbelastung führt zu verminderter Wachsamkeit während des Betriebes. All dies erhöht das Risiko für schwere Störfälle. „Somit ist klar, dass das Risiko eines nuklearen Unfalls mit jedem Jahr, das ein Atomkraftwerk über zwei Jahrzehnte hinaus in Betrieb ist, signifikant steigt.“ (2)
Selbstverständlich denkt man zuerst an die vier großen Energiekonzerne, wenn es um die aktuelle Diskussion um die Atomenergie in Deutschland geht – vielleicht noch an einige Politiker. Es gibt jedoch noch andere, die das „Reibach-Risiko-Spiel“ lieber im Verborgenen spielen. Werfen wir einen Blick auf weitere Akteure, die sich um einen Boom der Kernenergie bemühen und auf weitgehend unbekannte „Spielfelder“ bekannter Akteure.
Die Banken strahlen: Alles im grünen Bereich
In aufwendigen und schön gestalteten Nachhaltigkeitsberichten veröffentlichen deutsche Bankhäuser wie die Commerzbank, die Deutsche Bank oder die HypoVereinsbank Jahr für Jahr, mit wie viel Geld sie den Ausbau der erneuerbaren Energien unterstützen. Dabei sind sie alle die Nr. 1: Die eine bei den Investitionen in die Windkraft, die andere hat am allermeisten Geld für Photovoltaikprojekte gegeben, eine weitere rühmt sich, Branchenführer in der Beratung zu sein.
Keine einzige Bank veröffentlicht dagegen, mit wie viel Geld sie die Atomindustrie unterstützt. Mit Krediten für Uranbergbau, für den Ausbau von Atomanlagen und für
Übersicht über Atomfinanzierungen deutscher Finanzinstitute von 2000 bis 2009 (in Mrd. Euro)
Deutsche Bank 7,84 |
Firmen wie Areva oder Urenco lässt sich schlecht „grüne PR“ betreiben. Also „versteckt“ man Kredite und Anleihen für die Atombranche dezent in den Geschäftszahlen und die Frage: „Wie radioaktiv ist meine Bank?“ bleibt für den Bankkunden in der Regel unbeantwortet.
Mehrere NGOs haben die Portfolios der wichtigsten internationalen Banken aus den Jahren 2000 bis 2009 auf Atomgeschäfte durchforstet. Danach kommt die Deutsche Bank im internationalen „Atombanken-Ranking“ auf Platz sieben. Insgesamt haben die Top-Ten-Atombanken, zu denen auch BNP Paribas (Frankreich), Barclays (UK) und Citi (USA) gehören, der Atomindustrie in der untersuchten Periode 92 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Diese Zahlen zeigen: Auch die Banken spielen eine wichtige Rolle im internationalen Atomgeschäft.
Deutsche Bank: „Unbegrenzt am Kernenergie-Boom partizipieren“
Das große finanzielle Engagement der Deutschen Bank als Atomfinanzierer passt gut zu ihrem sonstigen Auftreten: Ihre Vertreter sprechen sich offen für eine „Renaissance der Atomkraft“ aus und passend dazu bietet die Deutsche Bank ihren Privatkunden gezielt radioaktive Investitionen an: Das „S-Box Nuclear Power Index Zertifikat“ bündelt die Erträge von 20 führenden Atomfirmen. An welchen verheerenden
Das „S-Box Nuklear Power Index Zertifikat“ der Deutschen Bank ist ein Wertpapier, dessen Entwicklung an den Nuklear Power Index gebunden ist. Es handelt sich dabei um einen Branchenindex, der bis zu 20 Unternehmen umfasst, die weltweit im Nukleargeschäft tätig sind. Dazu zählen die Förderung von Uran, der Bau und Betrieb von Atomanlagen sowie Dienstleistungen, die damit im Zusammenhang stehen. Das Zertifikat macht es erstmalig möglich, „das Zukunftsthema Kernkraft über die gesamte Wertschöpfungskette abzudecken“, so die stolze Darstellung der Deutschen Bank. Das Unternehmen preist „Atomkraft als Ausweg“ aus der Energiekrise. |
Umweltbelastungen und Gesundheitsgefährdungen von Menschen sich der Anleger hierbei beteiligt, verschweigt der Anlageprospekt.
Umweltorganisationen warnen seit Langem, dass die Atomenergie eine gefährliche Technologie ist, die der Energiewende im Weg steht und dass schon die Bereitstellung des Brennstoffs für enorme Verschmutzung und Verseuchung sorgt. Ein Beispiel dafür ist der Deutsche-Bank-Kunde Areva: Ende 2007 beteiligte sich die Deutsche Bank an einem Kredit für den französischen Atomkonzern, damit dieser seine Uranabbauaktivitäten in Afrika ausweiten kann. „Im Niger ist Areva über Tochterfirmen schon seit 40 Jahren aktiv, mit schrecklichen Folgen für die Bevölkerung“, sagt Dr. Barbara Happe von der Umwelt- und Menschenrechtsorganisation urgewald. „Greenpeace hat im November 2009 in der Umgebung der nigrischen Uranminen gefährlich hohe Strahlung gemessen, sie war bis zu 500-mal höher als üblich. Radioaktives Baumaterial wurde für den Straßenbau verwendet – eine große Gefahr für die Gesundheit der lokalen Bevölkerung. Deutsche-Bank-Vorstand Josef Ackermann erklärt sich jedoch für „nicht zuständig“ für die Umwelt- und Gesundheitsfolgen des Uranabbaus.(3)
Während viele Finanzinstitutionen Atomfinanzierungen skeptisch gegenüberstehen und manche, wie etwa die Weltbank und die Asiatische Entwicklungsbank, diese gänzlich ablehnen, hat die Deutsche Bank das ganze Programm der Nuklear-Branche im Angebot. Vom Uranbergbau über den Nuklear Power Index bis hin zu Geschäften mit Firmen, die Uran-Waffen produzieren. (4)
AREVA und der Uranabbau im Niger – finanziert von der Deutschen Bank
Zwei Tochterfirmen des Areva-Konzerns bauen seit den 70er Jahren im Norden Nigers Uran ab. 100.000 Tonnen Uran holten die Unternehmen Somair und Cominak aus dem Sahel-Boden und kontaminierten dabei Luft, Wasser und Böden. Den unmittelbarsten Gefahren durch die radioaktive Strahlung, den Gasen und dem kontaminierten Staub sind die Arbeiter ausgesetzt. Das französische Forschungsinstitut CRIIRAD und die Nichtregierungsorganisation Sherpa stellten fest, dass die Areva-Tochterfirmen ihre Arbeiter über 15 Jahre lang ohne Atemschutzmasken und Schutzkleidung arbeiten ließen. Über Gesundheitsrisiken wurden sie nicht aufgeklärt.
Anstatt radioaktiven Abraum in geschlossenen Lagern zu verstauen, wird der kontaminierte Schutt unter freiem Himmel gelagert. Der Wind und Tiere, die die Schuttberge überqueren, verteilen die Partikel großflächig. Schutzmaßnahmen für das Grundwasser gibt es nicht. In der Region ist Trinkwasser ein knappes Gut. Durch Areva ist es nun mit Werten, die weit über den von der Weltgesundheitsorganisation vorgeschriebenen Grenzen liegen, radioaktiv belastet. Durch die Entlüftungsschächte der Uranstollen entweicht das radioaktive Gas Radon und gefährdet die Menschen im Minengebiet zusätzlich. In ihrer Nähe beträgt die radioaktive Gammastrahlung das Sechzehnfache der normalen Höhe. Auch in zwei Kilometern Entfernung übersteigt der Wert noch die zulässige Höchstgrenze. Nach knapp vier Tagen zerfällt das Gas in radioaktive Schwermetalle, die beim Einatmen hoch krebserregend sind. Da der Saharawind das Gas weiträumig verteilt, sind große Gebiete belastet. Grob fahrlässig ist der Weiterverkauf kontaminierter Metalle. Diese finden beim Haus- oder Straßenbau Verwendung und erhalten so Einzug in den Alltag der Minenanwohner. Bei Messungen in der Stadt Akokan im Mai 2007 war die normale Hintergrundstrahlung um den Faktor 100 erhöht. Sicherheitsmaßnahmen bei Transporten werden systematisch vernachlässigt. Nachdem 2004 ein mit Uran beladener Lastwagen verunglückte, wurde die Unfallstelle so nachlässig gereinigt, dass noch einen Monat später die Strahlung das Tausend bis Zehntausendfache des Normalwertes betrug.
Die Wüstenstädte Arlit und Akouta, in denen insgesamt 80.000 Menschen leben, wurden eigens für die Minenarbeiter und ihre Familien gebaut. Viele Menschen in diesen Städten sind krank. Sie haben Hautausschläge, Leukämie, Erkrankungen von Nieren und Lungen und vieles mehr. Im firmeneigenen Krankenhaus wird jedoch kaum eine Diagnose gestellt, die im Zusammenhang mit dem Uranabbau stehen könnte. Stattdessen wird den Patienten oft erklärt, sie hätten andere schwere Krankheiten wie HIV/Aids oder Malaria. Der Grund für solche Falschdiagnosen: Das Unternehmen will die Behandlungskosten für ehemalige Mitarbeiter nicht übernehmen.(5)
Im Zweifel für den Atomkonzern: Klientel-Politik am Beispiel Hermes
Eine wichtige Errungenschaft der rot-grünen Bundesregierung, die in der Öffentlichkeit kaum bekannt ist, war der Ausschluss von
Mit Hermesbürgschaften versichert die Bundesregierung Exporte deutscher Unternehmen in sogenannte schwierige Märkte gegen politische und wirtschaftliche Risiken. Eine Firma, die zum Beispiel Turbinen, Schaltanlagen, Bauleistungen oder Flugzeuge vor allem in Entwicklungs- und Schwellenländer exportieren will, kann eine Hermesbürgschaft für diesen Export beantragen. Sie zahlt wie bei einer Versicherung eine Prämie. Kann der Käufer im Entwicklungs- oder Schwellenland später nicht zahlen, wird die Bürgschaft fällig und statt des Käufers zahlt der Versicherungskonzern „Euler Hermes“ im Auftrag der Bundesregierung. Wenn nur wenige Bürgschaften fällig werden, kann Hermes diese aus seinen Prämieneinnahmen begleichen. Doch gerade in Zeiten der Krise kann es zu enormen Ausfällen kommen, die dann den Bundeshaushalt belasten. Durch Hermesbürgschaften sollen deutsche Arbeitsplätze gesichert werden, sie werden immer wieder als ein wichtiges Instrument der Wirtschaftsförderung für den Mittelstand genannt. Die größten Nutznießer von staatlichen Bürgschaften sind allerdings eine Handvoll Großkonzerne wie Siemens, die in den letzten Jahren Arbeitsplätze im Inland massiv abgebaut, und im Ausland massiv ausgebaut haben. |
Exportbürgschaften, den sogenannten Hermesbürgschaften, für Atomprojekte. Seit 2001 konnte der Steuerzahler sicher sein, dass der deutsche Staat keine riskanten Atomgeschäfte im Ausland verbürgt bzw. im Schadensfall dafür einspringt.
Ein Zustand, der den Lobbyisten der Atomindustrie gar nicht gefiel. Dementsprechend legte die neue atomfreundliche Bundesregierung die Atomausschlussklausel für Hermesgeschäfte zu den Akten. Schon im Januar 2010 machte Schwarz-Gelb mit einer der größten Hermesbürgschaften der Geschichte (1,3 Milliarden Euro) der Atomindustrie ein „Willkommen zurück“-Geschenk. Nutznießer war der deutsch-französische Konzern Areva/Siemens und verbürgt wurde der Bau des umstrittenen Atomkraftwerkes Angra 3 in Brasilien.
Ein von der Bundesregierung in Auftrag gegebenes Gutachten sollte zwar die Sicherheit und den technischen Stand überprüfen. Einsicht in das Gutachten wurde jedoch weder Parlamentariern noch NGOs gewährt. Erst nach einer Klageandrohung bekamen NGOs das Gutachten zu Gesicht, allerdings waren die entscheidenden Stellen geschwärzt. Die Bundesregierung zögerte die Herausgabe der ungeschwärzten Originalfassung weiter hinaus, sodass Kritiker erst Monate nach der Grundsatzzusage bei Hermes die dieser Entscheidung zugrunde liegenden Fakten erfuhren. Transparenz in einem demokratischen Staat sollte anders aussehen.
Es sind jedoch nicht nur Sicherheitsbedenken, die gegen Angra 3 sprechen. Umweltorganisationen warnen ebenfalls vor einem erhöhten Proliferationsrisiko, da Brasilien zu den Ländern gehört, die den Inspekteuren der internationalen Atomenergie Agentur (IAEA) keinen freien Zutritt zu ihren Anlagen gewährt.
Mächtiger Strippenzieher: RWE und seine Rolle im Ausland
Da in Deutschland der Neubau von Atomkraftwerken nicht mehr durchsetzbar ist und die Stromkonzerne auf diesem Wege nicht expandieren können, weichen RWE & Co. mit Investitionen und Beteiligungen in atomfreundliche Länder wie zum Beispiel Finnland, Bulgarien oder Rumänien aus. Mit besonders schlechtem Beispiel geht dabei RWE „voRWEg“. Mit seiner aggressiven Investitionspolitik ist der Konzern bereit, auch in die gefährlichsten und kontroversesten Projekte einzusteigen. Kritiker werden dabei gebetsmühlenartig mit der immer gleichen Standardfloskel „Sicherheit hat bei RWE oberste Priorität“ besänftigt. Betrachtet man die Fakten, gerät dieser Satz jedoch zur reinen Lachnummer.
Russisches Roulette in Bulgarien und veraltete Atomtechnik in Rumänien
Vor dem Eingang zur Grugahalle anlässlich der diesjährigen Hauptversammlung von RWE in Essen diskutierten Atomenergiekritiker mit RWE-Mitarbeitern, die dort für Kohle- und Kernenergie „als Partner der Erneuerbaren“ demonstrierten. Ihre Meinung zu den kritisierten RWE-Auslandsprojekten in Rumänien und Bulgarien war: „Deutsche Technik und deutsches Know-how machen die Projekte sicher.“
Auch die RWE-Konzernleitung und die Kommunikationsabteilung beschwichtigten immer wieder, dass es nur dann ein Engagement gäbe, wenn „alle Fragen geklärt und die Erdbebenrisiken sicher beherrschbar seien“. Leider beschränkt sich RWEs Know-how in Bezug auf Standorte mit Erdbebengefahr auf die eigene Erfahrung mit dem AKW Mülheim-Kärlich: Gerade wegen der seismischen Situation musste es 1988 noch im Probebetrieb wieder vom Netz und bekam nie wieder eine Betriebsgenehmigung.
Diese Erfahrung hielt RWE jedoch nicht davon ab, sich 2007 für ein Engagement beim Bau des bulgarischen Atomkraftwerkes Belene zu entscheiden. Auch Belene liegt in einem Erdbebengebiet. RWE ignorierte alle Proteste, Warnungen und Bedenken, ungeachtet der immer länger werdenden Liste der Mahner und Kritiker, wie etwa des ehemaligen Chefs der bulgarischen Atomaufsichtsbehörde Dr. Kastchiev. RWE glänzte im Verlauf der Auseinandersetzung um Belene durch Ignoranz und Inkompetenz. Zum Glück konnten Bürgerproteste verhindern, dass der RWE-Aufsichtsrat grünes Licht für die geplante Beteiligung in Höhe von fast 1,3 Milliarden Euro an Belene gab. Am Ende, im Oktober 2009, warf RWE-Chef Großmann das Handtuch und gab RWEs Ausstieg aus dem Projekt bekannt – angeblich aus wirtschaftlichen Überlegungen. In Belene sollte übrigens ein russischer Reaktortyp zum Einsatz kommen, für den es weltweit keinerlei Betriebserfahrung gibt.
Trotz des Belene-Debakels interessiert sich RWE seit November 2008 für ein weiteres Projekt mit Katastrophen-Potenzial: Im rumänischen Cernavoda will sich RWE ebenfalls an einem äußerst kontroversen Atomprojekt beteiligen. Auch hier sind die Fakten haarsträubend. „Es ist nicht zu verstehen, warum RWE wieder ausgerechnet in eine Nuklearanlage investieren will, die in einem Gebiet mit starken Erdbeben errichtet werden soll. Zumal die Fundamente für Cernavoda bereits vor 30 Jahren gegossen wurden und es kaum möglich sein wird, die Anlage an heutige Erkenntnisse und Standards hinsichtlich der Erdbebenrisiken anzupassen“, sagt Jan Haverkamp, Nuklearexperte für Greenpeace in Osteuropa.
In jeder ernsthaften Risikobetrachtung schneidet das Projekt Cernavoda 3 und 4 äußerst schlecht ab. Hier liegen gravierende Standortrisiken vor, Risiken, die aus dem minderwertigen Design der Anlage herrühren, Risiken, die sich aus den niedrigen Standards und Mängeln der Atomaufsicht in Rumänien ergeben, sowie ein hohes Korruptionsrisiko. All diese Risikofaktoren potenzieren sich gegenseitig, sodass die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass es bei Bau, Betrieb und Management der Anlage zu schweren Qualitätsmängeln kommt, die unter ungünstigen Bedingungen (zum Beispiel im Falle eines schweren Erdbebens) Ausgangspunkt für einen schweren Unfall sein können. Zudem erhielt der in Cernavoda geplante Reaktortyp weder in Deutschland, USA oder Japan eine Betriebsgenehmigung der Aufsichtsbehörden. Umso berechtigter ist deshalb die Frage, die der rumänische Umweltschützer Ionut Apostol auf der RWE-Hauptversammlung 2009 an Aufsichtsrat und Vorstand stellte: „Ist RWE die Sicherheit der rumänischen Bevölkerung weniger wert? Warum wollen Sie Dinge in meinem Land tun, die bei Ihnen zu Hause nicht erlaubt sind?“
Die Atomfrage als eine rein deutsche Ausstiegsdebatte zu sehen, greift zu kurz. Denn zu dem möglichen Ausstieg aus dem Ausstieg kommen die internationale Bedeutung deutscher Banken als Finanziers der Atomkonzerne, die Verantwortung deutscher Politiker bei der Vergabe von Hermesbürgschaften für Atomkraftwerke in Entwicklungs- und Schwellenländer sowie deutsche Energieversorger, die als Investoren in Atomprojekte im Ausland noch mehr Profit mit noch weniger Sicherheit machen wollen.
Der Artikel erschien zuerst in Hintergrund Heft 4 – 2010.
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Quellen:
(1) Tagesschaumeldung 27.7.2010, www.tagesschau.de
(2) Anthony Frogott: Die Risiken der Atomreaktoren in: Mythos Atomkraft – Ein Wegweiser, Hrsg.: Heinrich-Böll-Stiftung, 2006
(3) urgewald Pressemitteilung 26.5.2010) http://www.urgewald.de/index.php?page=3-64-156&artid=334&stwauswahl=
(4) Weitere Informationen: http://www.nuclearbanks.org/
(5) Deutsche Bank: ein fragwürdiges Markenzeichen, urgewald 2008