Umwelt

Atomlobby nach Kündigung der Großen Koalition in Schleswig-Holstein gestärkt

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Von REGINE NAECKEL, 27. Juli 2009 –

Ein kleiner Rückblick: Die promovierte Sozialpädagogin Gitta Trauernicht hatte keine gute Figur gemacht, als im Jahre 2004 endlich eine hochkarätige Expertenkommission ihre Ergebnisse präsentiert und Erklärungen für die Häufung der Leukämiefälle in der Elbmarsch vorgelegt hatte. Trauernicht war zu der Zeit Schleswig-Holsteins Gesundheitsministerin im Kabinett von Heide Simonis.

Die Expertengruppe, geleitet vom Kieler Toxikologen Otmar Wassermann, hatte verheerende Erkenntnisse gesammelt, die darin gipfelten, dass im Boden der Elbmarschen – auf der gegenüberliegenden Elbseite des Atomkraftwerkes Krümmel und des Forschungsreaktors Geesthacht – hochradioaktive Spuren in Form kleiner Kügelchen gefunden wurden.

Die Forscher werteten diesen Ausstoß radioaktiven Materials als Folge eines möglichen Reaktorunfalls, den sie auf den Herbst 1986 datierten und der – sollte er die Quelle der Kontaminationen sein – vor der Öffentlichkeit geheim gehalten worden war. Fakt ist noch heute: der Boden gegenüber den beiden Kernreaktoren ist hoch belastet und das kann eine der (wenn nicht die) Ursache(n) für das dramatisch erhöhte Auftreten von Leukämie – vor allem bei Kindern – sein.

Im November 2004 – nach zwölf Jahren Forschungsarbeit – legen sechs von acht Mitgliedern der Wissenschaftlichen Fachkommission Leukämie um den Vorsitzenden Prof. Wassermann ihre Arbeit nieder, nachdem ihre Aufklärungsarbeit vom zuständigen Ministerium behindert, ja konterkariert wurde. So wollten sie ihrem Protest gegen – so wörtlich – „die Verschleierungspolitik der schleswig-holsteinischen Aufsichtsbehörde" Ausdruck verleihen. Die Wissenschaftler gingen davon aus, dass die Erkrankungen der Kinder auf "geheim gehaltene kerntechnische Sonderexperimente" zurückzuführen sind.

In einem offenen Brief wandte sich daraufhin die Ärzteorganisation IPPNW und die Gesellschaft für Strahlenschutz an Ministerin Trauernicht. Sie wiesen auf eine Vielzahl von Fragen hin, deren Beantwortung das zuständige Ministerium verweigert hatte sowie auf die Befangenheit der federführenden Reaktoraufsichtsabteilung. Weiter erklären sie ihr Unverständnis darüber, dass die Landesregierung die Untersuchungen unabhängiger und erfahrener Laboratorien an deutschen und ausländischen Universitäten nicht ernst nimmt.

Die massive Kritik aus der Kommission wurde von der Ministerin vom Tisch gewischt. Gitta Trauernicht erklärte lapidar: „Diese ’Kügelchen“ haben eben kein radioaktives Potential. Und es gibt überhaupt keine Vertuschung eines Atomunfalls in der GKSS. Das ist absurd. Das ist abwegig.“ Sämtliche wissenschaftliche Untersuchungen kamen jedoch zu ganz anderen Ergebnissen, Dr. Trauernicht ignorierte sie sämtlich. (siehe Quellenangaben)

2007, nach den Pannen im Kernkraftwerk Krümmel musste sich Gitta Trauernicht gegen Vorwürfe zur Wehr setzen. Nach Medienberichten hatte sie angeblich mehr gewusst, als sie zuzugeben bereit war.

So seien Trauernicht laut Berichten im Tagesspiegel und im Focus die Namen der Reaktorfahrer bereits bekannt gewesen, bevor die Staatsanwaltschaft den Betreiber Vattenfall am 13. Juli 2007 zur Preisgabe zwang. Die Ministerin wies das zurück .

Fünf Jahre insgesamt und seit 2005 im Kabinett Carstensen war sie mit der politischen Aufsicht über kerntechnische Anlagen in Schleswig-Holstein betraut gewesen. Bis zu jenem denkwürdigen Tag, als Ministerpräsident Carstensen in der vergangenen Woche sämtliche SPD-Minister Knall auf Fall entließ und ein Ende der großen Koalition per Misstrauensvotum erzwang. Ein Feiertag für die CDU – auch und vor allem in Sachen Kernenergie. Und Trauernicht gibt sich geläutert hinsichtlich der Risiken der Kernenergie. Aus der Opposition formuliert sie nun Konsequenzen. Zumindest in Hinblick auf die ständigen Pannen in den Vattenfall-Reaktoren. Am vergangenen Freitag führte Hintergrund ein Gespräch mit Gitta Trauernicht.

Laufzeitverlängerung für AKWs und CO2-Erdlager – ein Ausblick in ein Schwarz-Gelb regiertes Schleswig-Holstein

Hintergrund:
Ich freue mich, dass Sie sich nach den Turbulenzen der letzten Tage Zeit für ein Gespräch mit uns nehmen.

Dr. Trauernicht: Es ist eine bemerkenswerte Woche gewesen. Wir haben letzten Mittwoch noch fachpolitisch viele Fragen zu bearbeiten gehabt, ich habe mich um die Schweinegrippe, um Krümmel, um die Ärzteproteste, um den Kinderschutz, um viele Themen kümmern müssen. Und nun nach einer Woche ist praktisch alles vorbei. Es war eine intensive Woche und meine Priorität liegt heute morgen eher in einer kritischen Nachbetrachtung, bei der man in sich geht und analysiert, was da eigentlich passiert ist, wie man das Ganze bewertet.

Jetzt ist vielleicht die Situation, wo man sich noch mal Zeit nimmt und das Geschehen von der Seite aus betrachtet, um noch einmal zu einer Akzentuierung der Bewertung zu kommen.

Hintergrund: Sie haben sich schnell einen Namen gemacht, als es um die Kernkraftwerke in Schleswig-Holstein ging. Sie waren ab 2004 im Kabinett von Heide Simonis für die Atomkraftwerke zuständig und auch in der nun von Peter Harry Carstensen aufgekündigten großen Koalition oblag Ihnen die politische Aufsicht.

Dr. Trauernicht:
Ich habe jetzt mehrere Jahre intensiver Erfahrungen mit der Kernenergie und der Atomaufsicht hier in Schleswig-Holstein machen können. Es waren intensive Jahre, ich habe viel gelernt. Ich habe von Anfang an klare Positionen bezogen, nämlich eine strikte, konsequente Atomaufsicht unter Ausschöpfung aller rechtlichen und fachlichen Möglichkeiten.

Hintergrund: Wie viele Störfälle sind denn in Ihre Amtszeit gefallen. Sie haben ja die sehr problematischen Kernkraftwerke Krümmel und Brunsbüttel in Schleswig-Holstein.

Dr. Trauernicht:
Es hat von Anfang an in beiden Kernkraftwerken und auch in Brockdorf eine Reihe von meldepflichtigen Ereignissen gegeben. Der große Showdown kam aber mit dem 28. Juni 2007, als binnen zwei Stunden die Kernkraftwerke Krümmel und Brunsbüttel vom Betreiber Vattenfall vom Netz gehen mussten. Und seitdem habe ich praktisch keine ruhige Minute mehr, weil die Atomaufsicht und ich als zuständige Politikerin ein sehr intensives Controlling betrieben, Hunderte von Fachleuten auf die Kernkraftwerke geschickt, Gutachten ausgewertet, rechtliche Möglichkeiten ausgeschöpft und geprüft haben und mit dem Betreiber selbst auseinander gesetzt haben. Ich habe persönlich Gespräche geführt mit Vattenfall-Konzernchef Hatakka und Frau Biström. Also eine intensive Zeit, eine Zeit, die mir sehr deutlich gemacht hat, dass es um diese beiden Kernkraftwerke nicht gut bestellt ist. Das hat einerseits damit zu tun, dass es sich im alte und pannenanfällige Kernreaktoren handelt und andererseits damit zu tun, dass das Sicherheitsmanagement – speziell des Konzerns Vattenfall – schlechter ist als das Sicherheitsmanagement anderer Kernkraftbetreiber und in dieser Kombination war das eine große Herausforderung.

Hintergrund:
Was waren denn Ihre Forderungen und Ziele für das Kernkraftwerk Krümmel, das ja gerade wieder nach einem schweren Zwischenfall abgeschaltet werden musste?

Dr. Trauernicht:
Nach meinen Erfahrungen mit den Störfällen und dem Betreiber Vattenfall in den letzten Jahren hatte ich das klare Ziel, Krümmel und möglichst auch Brunsbüttel nicht wieder ans Netz gehen zu lassen. Ich wollte mehrere Wege verfolgen: Erstens die neuen Möglichkeiten durch das technische Regelwerk und die wiederholten Mängel bei dem Betreiber zu nutzen für eine erneute Zuverlässigkeitsüberprüfung, zweitens die rechtlichen Voraussetzungen zu verschärfen, damit Gemeinwohl vor Unternehmerinteresse geht und die Beweislast umgekehrt wird und drittens den Ministerpräsidenten und den Wirtschaftsminister davon zu überzeugen, dass politische Verhandlungen mit diesem Betreiber erforderlich sind, um das Ziel zu erreichen, Brunsbüttel und Krümmel nicht mehr von Vattenfall betreiben zu lassen, sondern die Reststrommengen auf andere Kernkraftwerke zu übertragen.

Hintergrund:
Mit der Aufkündigung der gemeinsamen CDU/SPD-Regierung durch den Ministerpräsidenten Peter Harry Carstensen sind sämtliche Aufgaben um die Kernkraftwerke an Christian von Bötticher übertragen worden. Und das zu einer Zeit, wo die Atomenergie-Debatte, die Frage der Laufzeitverlängerung, vor allem von Seiten der CDU neu entbrannt ist.

Dr. Trauernicht: Ich denke, dass bei Vattenfall wahrscheinlich die Champagner-Korken geknallt sind, als man hörte, dass ich nicht mehr die zuständige Ministerin bin. Denn ich bin gegen Vattenfall mit Unnachgiebigkeit und Konsequenz, auch einer gewissen Härte, vorgegangen. Ich habe inzwischen hinreichende Kenntnisse, um auch fachliche und technische Bewertungen vorzunehmen und ich kenne die Schwächen dieser Konzernstruktur. Das alles hat mein Nachfolger nicht, er hat einen anderen Auftritt, er hat einen anderen politischen Kontext, nämlich eine Partei, die die Verlängerung der Laufzeit von Kernkraftwerken verfolgt. Das wissen die Betreiber und das schwächt den für die Atomaufsicht zuständigen Minister in Schleswig-Holstein.

Hintergrund:
Eine andere Kontroverse aus umweltpolitischer aber auch energiepolitischer Sicht stellt die Einlagerung von CO2 im Boden dar. Für solche Lager wurde Schleswig-Holstein ins Auge gefasst?

Dr. Trauernicht: Ja, gerade Schleswig-Holstein. Es ist bemerkenswerterweise erst sehr spät deutlich geworden, dass die Absicht besteht, vorbereitet durch die Wirtschaftsminister der CDU, hier in Schleswig-Holstein CO2 einzulagern und zwar im nördlichen Schleswig-Holstein ebenso wie in Ostholstein. Nördliches Schleswig-Holstein, das ist Nordfriesland und Schleswig / Flensburg. Es sollte eine 500 km lange Pipeline von Kohlekraftwerken in Nordrhein-Westfalen gebaut werden, um das CO2 in Schleswig-Holstein endzulagern. Dagegen gibt es zurecht eine heftige Bürgergegenwehr und auch dies ist eins meiner großen politischen Ziele, keine Atomendlager, keine Atomenergie, aber auch keine CO2-Einlagerung in Nordfriesland, in Schleswig / Flensburg, in Ostholstein. Und das ist für die SPD ganz klar. Die CDU meint jedoch, dass es lediglich erneute Kommunikationspannen eines großen Energiekonzerns gewesen seien, die die Gegenwehr der Bevölkerung verursacht hätten.

Hintergrund:
Was für besondere geologische Formationen liegen in Schleswig-Holstein vor, dass man CO2 gerade dort lagern will?

Dr. Trauernicht:
Das sind Gesteinsformationen, die nach Einschätzung von RWE-Gutachtern besonders gut geeignet sind, Gase einzulagern, die dann nicht wieder entweichen würden. Nach unserer festen Überzeugung ist dies aber überhaupt nicht nachgewiesen und steht in krassem Widerspruch zu der Notwendigkeit, diese Gesteinsformationen eher zu nutzen, um alternative Energien zu speichern, um langfristig eine nachhaltige Energiepolitik betreiben zu können.

Hintergrund: Wenn man sich das ganze Prozedere dieser Koalitionsaufkündigung anschaut, dann hat man das Gefühl, dass das nicht eine notwendige politische Reaktion von Peter Harry Carstensen aufgrund der Zerwürfnisse war. So etwas kann es geben. Aber im Falle Schleswig-Holstein begann das Ganze mit einer Lüge des Ministerpräsidenten in Sachen HSH Nordbank. Und der Coup macht den Eindruck, als sei er mit Kalkül geplant: Einmal, um vorgezogene Neuwahlen im „Sog“ der Bundestagswahl zu erreichen und zum anderen, um die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat in Richtung Zweidrittelmehrheit für die CDU zu erreichen.

Dr. Trauernicht:
Meine Analyse ist klar. Ich beobachte seit längerer Zeit, eigentlich bereits seit zwei Jahren, aber intensiv in den letzten zwei Monaten, dass es ein deutliches politisches Machtkalkül von Strippenziehern aus der CDU-Fraktion gibt, die große Koalition aufzukündigen. Und dieses politische Machtkalkül wird kombiniert mit einer schwach agierenden Staatskanzlei und einem persönlich dünnhäutigen Ministerpräsidenten und in dieser Kombination ist es zum Knall gekommen, aber wohl kalkuliert und im Interesse der gesamten CDU einschließlich des Ministerpräsidenten, um am 27. September mit der Bundestagswahl die Landtagswahl in Schleswig-Holstein durchführen zu können.


Quellen:

http://www.gfstrahlenschutz.de/mitteil.htm

Sehr zu empfehlen: Die ZDF-Dokumentation von 2006 "Und keiner weiß warum – Leukämietod in der Elbmarsch". Autoren: Barbara Dickmann und Angelica Fell

Bei youtube in 4 Teilen zu sehen:

Teil 1

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