Terrorismus

Wem nützt das Rätselraten um angeblich getötete deutsche Islamisten?

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Von THOMAS WAGNER, 6. Oktober 2010 –

Die Nachrichtenlage ist verwirrend: Zunächst hieß es, bei einem US-Drohnenangriff in Pakistan seien am Montag acht deutsche „Islamisten“ getötet worden; drei davon seien türkischstämmig und fünf gebürtige Deutsche. Dann gab ein Sprecher des Auswärtigen Amtes am Dienstag bekannt, dass es bislang aus Pakistan „keine zuverlässigen Informationen“ gebe.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) sagte am Mittwoch im Deutschlandfunk, einiges passe nicht zusammen. „Was mich sehr erstaunt ist, dass dieser Angriff angeblich vorgestern gewesen sein soll in einem unzugänglichen Gebiet durch unbemannte Drohnen, und man zugleich Ausweise findet. Das müssen wir erst noch aufklären.“

Laut pakistanischem Geheimdienst sollen zwei Raketen von einer Drohne auf ein von den Deutschen genutztes Gehöft nahe der Ortschaft Mir Ali im unwegsamen Stammesgebiet Nord-Waziristan gefeuert worden sein. Bei dem Angriff seien auch drei Männer aus Turkmenistan verletzt worden. Zwei Schwerverletzte sollen inzwischen gestorben sein.

Die Männer hatten sich angeblich gerade zum Abendessen versammelt, als die Raketen einschlugen. Die deutschen Staatsbürger sollen Verbindungen zur mysteriösen Islamischen Dschihad-Union (IJU) gehalten und sich seit Monaten im Grenzgebiet zu Afghanistan aufgehalten haben. Da die Erkenntnisse zur IJU fast ausschließlich aus pakistanischen Geheimdienst- und Sicherheitskreisen stammen, sind sie mit äußerster Vorsicht zu genießen.

Benno Köpfer, ein Mitarbeiter des Stuttgarter Verfassungsschutz,  bezweifelt, das es die IJU überhaupt gibt: „Ich kann natürlich nicht beweisen, dass es die IJU nicht gibt, aber ich habe erhebliche Zweifel. Es gibt bisher nur einige wenige Lebenszeichen der IJU im Internet“, sagte er vor drei Jahren in einem Interview mit der Taz. (1) Der ehemalige britische Botschafter in Usbekistan, Craig Murray, hatte die IJU  im Jahr 2004  als ein Gespenst bezeichnet, das von der korrupten usbekischen Regierung mit Unterstützung der CIA ins Leben gerufen und nach Bedarf instrumentalisiert worden war. (2)

In der deutschen Presse scheint die ominöse Terrorganisation immer dann ins Gespräch zu kommen, wenn es gilt, ein diffuses Bedrohungsgefühl in der Bevölkerung zu erzeugen, auf dessen Grundlage die Verschärfung sogenannter Sicherheitsgesetze im Inland und militärische Interventionen im Ausland gegenüber der Bevölkerung besser „kommuniziert“ werden können, wie es im heutigen Politsprech heißt.  

Momentan scheint es vor allem darum zu gehen, die Furcht vor Anschlägen in Europa zu schüren, die man von EU-Bürgern erwartet, die in sogenannten Terrorcamps in Pakistan ausgebildet worden seien.

„Immer mehr Menschen sind aus Deutschland in die dortigen Ausbildungslager gefahren – und ein großer Teil ist auch zurückgekehrt“, sagte beispielsweise der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Konrad Freiberg, am Dienstag der Passauer Neuen Presse.  Freiberg beklagte, dass die Polizei derzeit  nicht in der Lage sei, alle etwa 100 angeblichen Gefährder zu überwachen.

Hierhin passt auch, dass dpa ausdrücklich darauf hinweist, dass die IJU in der Region Mir Ali ihr Hauptquartier unterhalte, wo es neben Unterkünften auch Trainingslager für junge Rekruten aus Europa geben soll. Laut dpa haben außerdem „französische Anti-Terror-Einheiten“  im Süden (unklar ist, ob es sich um den Süden Pakistans oder Afghanistans handelt)  rund ein Dutzend „Islamisten“ festgenommen, die  Unterkünfte und falsche Pässe für „Dschihad-Krieger“ besorgt haben sollen, die aus Terrorcamps im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet nach Europa zurückkehren. Die Quelle dafür sind wieder die vielzitierten „Sicherheitskreise“.

Außerdem strebten  internationale Terrornetze nach Angaben russischer Sicherheitskreise immer stärker nach dem Besitz von biologischen und chemischen Massenvernichtungswaffen. Was an dieser Stelle stutzig macht, ist die Formulierung „immer stärker“, die das Bedrohungsgefühl intensivieren soll, ohne dass dem Nachrichtenempfänger irgend ein Maßstab an die Hand gegeben wird, mit dem die Stärke des Drängens nach Massenvernichtungswaffen seitens der potenzieller Interessenten eingeschätzt werden könnte.

An diesem  Donnerstag, so heißt es ebenfalls bei dpa,  wollen die EU-Innenminister mit US-Vertretern in Luxemburg über eine mögliche terroristische Bedrohung in Europa sprechen. Ein Vertreter von US-Heimatschutzministerin Janet Napolitano werde die EU-Minister informieren, hieß es in Brüssel. Nach den USA und Großbritannien verschärften am Dienstag auch Australien und Kuwait ihre Reisehinweise für Europa.

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Das klingt alles klingt verdächtig danach, als ob in allernächster Zeit im „Kampf gegen den Terror“ innen- wie außenpolitisch erheblich aufgerüstet werden soll.

(1) http://www.taz.de/?id=deutschland&art=5603&id=deutschland-artikel&src=SZ&cHash=1c7f65d3ba
(2) http://www.craigmurray.org.uk/archives/2007/10/islamic_jihad_u_1.html; http://www.hintergrund.de/20090310359/politik/inland/terroristen-in-deutschland-phantome-der-geheimdienste.html

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