Syriens vermeintliche Verschwörungstheorien
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Von REDAKTION, 18. September 2012 –
Das „syrische Regime füttert seine Anhänger mit immer neuen Verschwörungstheorien, um die Opposition im Land zu diskreditieren“, meldete in der vergangenen Woche die Deutsche Presse-Agentur (dpa) und bezog sich auf einen Artikel der syrischen regierungsamtlichen Tageszeitung Al-Thawra, die von einer Allianz zwischen Saudi-Arabien, Katar, der US-Regierung und Al-Qaeda geschrieben hatte. Ziel sei es, Al-Qaeda-Terroristen aus dem Jemen, Pakistan und Afghanistan nach Syrien zu bringen.
Was dpa nicht schreibt: Die vermeintliche Verschwörungstheorie erfreut sich nicht nur unter den syrischen Machthabern der Beliebtheit. Vor drei Wochen verfasste Ed Husain, Senior Fellow for Middle Eastern Studies des einflussreichen und regierungsnahen US-Think-Tanks Council on Foreign Relations einen Artikel unter der Überschrift: „Syrien: Warum Al-Qaeda gewinnt“.
Husain schreibt, wenn Baschar al-Assad fällt, dann werde das Terrornetzwerk „wahrscheinlich die de-facto Kontrolle über Teile Syriens ausüben“. „Eine neue Regierung wird diesen Kämpfern gegenüber nicht nur in der Pflicht stehen, sondern auch auf ihre Kooperation angewiesen sein, um die Gefahr sich bekämpfender Milizen zu reduzieren.“ (1)
Die Kombination der Faktoren mache Syrien zu einem idealen Terrain für den globalen Dschihad: Neben der Unterstützung durch einheimische sunnitische Muslime, bereitstehenden Geldern, „eifriger“ arabischer Unterstützung, dem stetigen Zustrom junger Muslime, die unter dem Banner eines islamistischen Staates kämpfen, sei es das „westliche Einverständnis“, das Syrien zu einem Aufmarschgebiet der islamistischen Internationale werden ließ.
Diese Kombination habe es seit der Zeit des afghanischen Dschihads gegen die sowjetischen Besatzer nicht mehr gegeben. „Die Interessen Al-Qaedas und des Westen gingen in Afghanistan im Kampf gegen die Sowjets zusammen, werden sie es auch in Syrien?“, fragt Husain. „Wird der gemeinsame Feind – Hisbollah und Iran – diese unaussprechliche Allianz zusammenhalten, wenn Assad nicht mehr da ist ?“
Bereits vor einem Monat beschrieb Husain, warum auf Al-Qaeda im Kampf zum Sturz Assads nicht verzichtet werden könne: „Die syrischen Rebellen wären heute ohne Al-Qaeda in ihren Reihen unermesslich schwächer. Die Einheiten der Freien Syrischen Armee sind weitgehend erschöpft, zerstritten, chaotisch und ineffektiv. (…) Al-Qaedas Kämpfer können jedoch helfen, die Moral zu steigern. Der Zustrom der Dschihadisten bringt Disziplin, religiöse Leidenschaft, Kampferfahrung aus dem Irak, Finanzmittel von sunnitischen Sympathisanten aus den Golfstaaten, und am wichtigsten, tödliche Resultate, mit sich. Kurz gesagt, die FSA braucht Al-Qaeda.“ (2)
Es sei eine Tatsache, so Husain in seinem jüngsten Artikel, dass Al-Qaeda „in jedem entscheidenden Kampf der letzten drei Monate, von Aleppo über Homs und Deir al-Zur bis nach Damaskus“ eine „herausragende“ Rolle gespielt habe. (3)
Das bestätigte auch der in Berlin lebende syrisch-kurdische Politologe Siamend Hajo, der enge Verbindungen zum oppositionellen Syrischen Nationalrat (SNC) unterhält. In Aleppo hätte Al-Qaeda den Widerstand übernommen. „Fünfzig, wenn nicht sogar bis sechzig Prozent der Leute“, die auf Seiten der Freien Syrischen Armee (FSA) kämpfen, sollen Al-Qaeda angehören. Sie seien „schlimmer als die Regime-Leute“ und würden „menschliche Schutzschilde“ einsetzen, so Hajo. (4)
Nicht nur regierungsamtliche syrische Medien „füttern“ ihr Publikum mit Berichten über die Allianz zwischen Al-Qaeda und den USA. „Ist Al-Qaeda ein Feind oder nicht?“, fragte der US-Fernsehsender Fox 19 in einer Sendung und stellte dabei fest, dass die US-Regierung in Syrien dieselben Leute unterstützt, die sie andernorts unter Aufwendung gewaltiger Summen und vieler amerikanischer Menschenleben bekämpft. Der Beitrag weist darauf hin, dass Präsident Obama Ende letzten Jahres den National Defense Authorization Act unterzeichnete, der es ihm erlaubt, Unterstützer von Al-Qaeda oder der mit ihr verbundenen Gruppen ohne Gerichtsverfahren unbefristet inhaftieren zu lassen. „Was in diesem Fall auf den Präsidenten selbst zutrifft“, so der US-Sender. (5)
Die Amerikaner seien in Syrien zu „Verbündeten einer Terrororganisation geworden“, kommentierte Peter Scholl-Latour. (6)
Elf Jahre nach 9/11 hat sich der von den USA geführte Krieg gegen den Terrorismus – zumindest in Syrien – in einen Krieg mit den Terroristen verwandelt.
Anmerkungen
(1) http://www.cfr.org/syria/syria-why-al-qaeda-winning/p28862
(2) http://www.cfr.org/syria/al-qaedas-specter-syria/p28782
(3) http://www.cfr.org/syria/syria-why-al-qaeda-winning/p28862
(4) http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/1829434/
(5) http://www.fox19.com/story/19184768/reality-check-is-al-qaeda-an-enemy-or-not
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(6) http://www.merkur-online.de/nachrichten/politik/assad-droht-gaddafis-schicksal-2425918.html
Siehe dazu auch: http://www.hintergrund.de/201208132194/politik/welt/syrien-schlachtfeld-international-agierender-dschihadisten.html