Schwedische Nachrichtenagentur: Beschäftigter der Streitkräfte hat vor dem Stockholm-Anschlag gewarnt
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Von THOMAS WAGNER, 13. Dezember 2010 –
Die Stockholmer Nachrichtenagentur TT verbreitete am Wochenende die Meldung, nach der ein Beschäftigter der schwedischen Streitkräfte bereits wenige Stunden vor dem Selbstmordanschlag und einer Autobombenexplosion in Stockholm einen Bekannten vor „Ereignissen“ auf der bekannten Einkaufsstraße Drottninggatan gewarnt haben soll.
Bei den Terroranschlägen waren am Samstag im Stadtzentrum von Stockholm ein Selbstmordattentäter getötet und zwei Passanten verletzt worden. Militärsprecher wiesen die Angaben jedoch zurück. „Wenn wir etwas gewusst hätten, wäre sofort die Polizei informiert worden“, sagte der zuständige Stabssprecher Erik Lagersten am Sonntagabend.
Detoniert war eine von sechs Rohrbomben am Körper des Attentäters Taimur Abdulwahab al-Abdali dann aber nicht auf der von Menschen belebten Einkaufsstraße Drottninggatan, sondern in ihrer Nähe. Kurz zuvor war nicht weit entfernt zudem ein Auto explodiert.
In den schwedischen Medien heißt es, der 28-jährige Schwede irakischer Abstammung habe die Einkaufsstraße wahrscheinlich erreichen wollen, um dort ein Blutbad anzurichten, der amateurhaft gebaute Sprengsatz sei dann jedoch zu früh explodiert. So jedenfalls wird die Information interpretiert, dass der Attentäter einen Rucksack mit Reißnägeln und weiterem Sprengstoff mit sich geführt habe.
Der zuständige Staatsanwalt Thomas Lindstrand sagte am Montag, dass man dessen genaues Ziel nicht kenne. Es gebe aber Vermutungen, dass der Täter auf dem Weg zum Stockholmer Hauptbahnhof oder in ein bekanntes Kaufhaus gewesen sei, als eine Rohrbombe an seinem Körper wahrscheinlich versehentlich explodierte. „Der Mann war mit Bombenmaterial sehr gut ausgerüstet“, sagte Lindstrand. Deshalb könne man vermuten, dass er den Tod von sehr vielen Menschen verursachen wollte.
Schreckgespenst Al-Qaeda
Spekuliert wird in den Medien auch über eine Verbindung des Mannes zur ominösen Terrororganisation Al-Qaeda. Entsprechende Hinweise werden von dem US-Unternehmen SITE gestreut, dass zuvor schon im Fall des sogenannten Weihnachtsbombers im vergangenen Jahr (1)
und dem vereitelten Times Square-Attentat im Frühjahr 2010 (2) mit allen Kräften entsprechende Gerüchte verbreitet hatte.
In seinem Testament habe sich Tamur Abdel Wahab auf Terrordrohungen des irakischen Terror-Ablegers „Islamischer Staat Irak“ gegen Schweden bezogen, hieß es auf Bild.de unter Berufung auf Informationen von SITE. (3)
Auch die Nachrichtenagentur AFP machte sich zum Lautsprecher der dubiosen Firma: „Der mutmaßliche Selbstmordattentäter von Stockholm könnte Experten zufolge im Auftrag des irakischen Arms des Terrornetzwerks El Kaida gehandelt haben. In seinem Testament bezog sich der Mann auf Terrordrohungen des irakischen El-Kaida-Ablegers Islamischer Staat Irak gegen Schweden, wie das auf die Überwachung islamistischer Internetseiten spezialisierte US-Unternehmen SITE mitteilte. ‚Der Islamische Staat Irak hat sein Versprechen gehalten’, schrieb der mutmaßliche Attentäter demnach mit Blick auf den Anschlag.“ (4)
Dpa wiederum meldete am 13. Dezember um 12.07 Uhr, dass der mutmaßliche Selbstmordattentäter von Stockholm angeblich Verbindungen zu Al-Qaeda-Terroristen im Irak gehabt habe. „Dafür gibt es Hinweise auf verschiedenen Websites islamistischer Extremisten.“ Die Quellen dafür nannte die Nachrichtenagentur allerdings nicht.
Die schwedische Polizei, die angab, dass vor den Explosionen eine Droh-Mail kursierte, in der ein Mann den Einsatz schwedischer Soldaten in Afghanistan und „das Schweigen des schwedischen Volkes“ zur Mohammed-Karikatur des heimischen Künstlers Lars Vilks verurteile, ging zunächst von einem Einzeltäter aus.
Dass der Mann allein gehandelt habe, sei die wahrscheinlichste Erklärung, hatte Carolina Ekéus vom Sicherheitsdienst Säpo anfangs gesagt. Am Montag korrigierte die Polizei jedoch ihre Angaben. Nun hieß es, sie ginge mittlerweile von mehreren Mithelfern aus. Der zuständige Staatsanwalt Thomas Widstrand sagte diesbezüglich, das Attentat sei zwar missglückt, aber „gut vorbereitet“ gewesen. Deshalb gehe man von Helfern bei der Vorbereitung aus. Noch gebe es jedoch keine konkret Verdächtigen.
Problematische Quellenlage
Erstaunlich ist jedoch, was die Presse beim jetzigen Stand der Ermittlungen schon alles in Erfahrung gebracht haben will. So soll sich der Selbstmordattentäter in Ausbildungslagern in Pakistan sowie in England als Terrorist habe schulen lassen. Das berichteten jedenfalls schwedische und britische Medien am Montag übereinstimmend. Freilich besteht bislang die einzige Quelle für diesen Sachverhalt in einer merkwürdigen Erklärung, die der Attentäter vor dem Anschlag an die schwedische Polizei und die Nachrichtenagentur TT gerichtet haben soll Darin habe er seine Familie um Verzeihung gebeten, weil er ihnen nicht die Wahrheit seiner Aufenthalte in Pakistan oder Jordanien gesagt habe. Ungereimt ist jedoch, warum sich der Mann nicht direkt an seine Familie gewandt, sondern den Umweg über die Polizei und eine Nachrichtenagentur gesucht hat, um seine Angehörigen um Verzeihung zu bitten.
Unterdessen durchsuchte die britische Polizei in der Nacht zum Montag in der Stadt Luton nördlich von London ein Haus, in dem die Familie Abdalis gemeldet war. Der Selbstmordattentäter hinterlässt nach den Medienangaben drei kleine Kinder. Scotland Yard teilte mit, dass es keine Festnahmen gegeben habe. Auch habe man kein gefährliches Material sichergestellt, berichtete die Nachrichtenagentur PA. Nach Angaben in Schwedens größter Zeitung Aftonbladet war der Attentäter 1992 mit seinen Eltern nach Schweden gekommen. Nach dem Abitur begann er 2001 ein Studium an der englischen Universität Bedfordshire und schloss sich radikalislamistischen Gruppen in Luton an.
Politische Trittbrettfahrer
Für die Sicherheitsextremisten in der deutschen Politik sind die Vorgänge in Schweden eine Steilvorlage, um ihren Forderungen nach einer repressiveren Gesetzgebung mehr Nachdruck zu verleihen Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sagte am Montag im Morgenmagazin des ZDF, dass er auch für Deutschland die Gefahr von Terroranschlägen durch Einzeltäter sehe: „Das ist eine der beiden Hauptvarianten, die wir besonders befürchten für Terroranschläge auch in unserem Land“, sagte der Politiker: „Nämlich ein fanatisierter Einzeltäter, der sich aus sich heraus selbst entschließt, an diesem sogenannten Heiligen Krieg gegen den Westen, gegen das Christentum, gegen den Kapitalismus, was auch immer, teilzunehmen und dann selbst solche Bomben bastelt.“ Herrmann ergänzte: „Wir müssen fürchten, dass es solche auch in unserem Land gibt.“ Es gebe hierzulande schätzungsweise 50 bis 80 Personen, die auch schon an Ausbildungslagern in Pakistan und Afghanistan teilgenommen hätten. Mit mehr Polizeipräsenz ließen sich Anschläge von Einzeltätern nur begrenzt verhindern. Die Sicherheitsbehörden müssten solche Aktionen möglichst im Vorfeld aufklären. Daneben bestehe als zweite Variante für einen möglichen Anschlag die Gefahr, dass Terrorkommandos, die auch noch besser ausgebildet seien, aus dem Ausland einreisen, sagte der bayerische Innenminister. Hier sei dann eher Polizeipräsenz gefragt, um solche Kommandos rechtzeitig zu stoppen.
Der CSU-Innenexperte Hans-Peter Uhl forderte die zügige Einführung einer deutschen Visa-Warndatei. Es könne nicht sein, dass Terroristen in einer deutschen Botschaft irgendwo auf der Welt ein Visum beantragen und es auch bekommen, um anschließend einen Bombenanschlag in Deutschland durchzuführen, sagte Uhl der Leipziger Volkszeitung am Montag. „Das ist doch Wahnsinn. Wir müssen Daten von Terrorverdächtigen, die wir ohnehin bei den Nachrichtendiensten gelistet haben, bei der Visa-Antragstellung abgleichen.“
Der Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses, Wolfgang Bosbach (CDU), sagte der Rheinischen Post am Montag: „Der Terroranschlag in Schweden macht deutlich, wie ernst die Situation ist. Für Deutschland heißt das, dass wir zum jetzigen Zeitpunkt keine Entwarnung geben können. Wir werden noch über Weihnachten bis in das neue Jahr hinein das hohe Niveau der Sicherheitsvorkehrungen halten müssen.“
„Das Attentat zeigt deutlich, dass wir wachsam bleiben müssen“, sagte Hamburgs Bürgermeister Christoph Ahlhaus (CDU) am Montag vor einer Sitzung des CDU-Präsidiums in Berlin. Nun müssten sich die Kritiker einen Ruck geben, um bisher umstrittene Instrumente der Sicherheitsbehörden wie die Vorratsdatenspeicherung zu ermöglichen. Hessens Regierungschef Volker Bouffier sagte: „Wir sind nach wie vor in Europa im Zielspektrum.“ Es gebe keinen Anlass, sich zurückzulehnen. Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich verlangte unterdessen eine enge Zusammenarbeit in Europa: „Die europäischen Länder sind sicherlich gut beraten, dass sie sich eng abstimmen bei ihren Sicherheitsvorkehrungen.“
Außenminister Guido Westerwelle schließlich erklärte: „Angriffe wie dieser machen deutlich, dass wir nicht nachlassen dürfen in unserem Engagement gegen den Terrorismus.“
(1) http://www.hintergrund.de/20100102636/kurzmeldungen/aktuell/der-weihnachtsbomber.html
(2) http://www.hintergrund.de/20100504867/globales/terrorismus/raetsel-um-vereitelten-bombenanschlag-am-time-square.html
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(3) http://www.bild.de/BILD/politik/2010/12/13/stockholm-terror-war-der-bomber-doch/ein-al-qaida-mann.html
(4) http://www.google.com/hostednews/afp/article/ALeqM5gh2zav-b0g31Wa6WBGkfynr7Acxw?docId=CNG.19f5e80255321562ef2caa4ebbbcf4f6.31