Prozess gegen Neonazis in Hoyerswerda: Verharmlosung und Ignoranz
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Von SEBASTIAN RANGE, 14. Januar 2014 –
Mit stundenlanger Verzögerung hat in Hoyerswerda ein Prozess gegen acht mutmaßliche Neonazis begonnen. Da einer der Beschuldigten am Dienstagvormittag nicht vor Gericht erschienen war, wurde seine polizeiliche Vorführung angeordnet. Den Männern im Alter zwischen 18 und 36 Jahren wird vorgeworfen, im Oktober 2012 ein Paar bedroht und beleidigt zu haben, weil dieses immer wieder Aufkleber mit rechtsextremen Parolen in der Stadt entfernt hatte. Nachdem sich die Neonazis Zutritt zu dem Mehrfamilienhaus verschafft hatten, in dem die damals 33-jährige Frau und ihr gleichaltriger Lebensgefährte wohnten, schlichen sie sich zur Wohnungstür des Paares und versuchten, diese einzutreten. Dabei riefen sie rechte Parolen, drohten dem Mann mit dem Tod und seiner Lebensgefährtin mit Vergewaltigung. Zuvor hatten sie den Strom im Haus gekappt und dieses umstellt, damit das Paar nicht über die Fenster flüchten konnte.
Das in Todesangst versetzte Paar musste diesen Horror zwei Stunden lang über sich ergehen lassen. Unter den Augen der herzu gerufenen Polizei konnten die Nazis das Wohnhaus noch weitere zwei Stunden belagern. Erst als die Angreifer von sich aus zu einer nahe gelegenen Tankstelle weiterzogen, nahmen die inzwischen mit Verstärkung anwesenden Polizisten Personalien auf – einige der Täter hatten die Gruppe zu diesem Zeitpunkt bereits verlassen. (1) Was dann geschah, sorgte bundesweit für Schlagzeilen: Die Polizeibeamten empfahlen den Opfern des Übergriffs, die Stadt zu verlassen, weil man ihre Sicherheit nicht gewährleisten könne. Eine Kapitulation vor dem rechten Terror seitens der Behörden, die das Paar schließlich zwang, aus der Stadt wegzuziehen an einen noch heute geheim gehaltenen Ort.
Ein Polizeisprecher erklärte damals: „Es ist einfacher, zwei Personen von einem Ort zu einem anderen sicheren Ort zu verbringen, als 30 Personen zu bewachen oder permanent fünf Funkstreifen vor ein Haus zu stellen.“ Es war nicht das erste Mal, dass in Hoyerswerda vor rechter Gewalt kapituliert wurde und die Behörden darauf verzichteten, das elementare Rechtsgut auf Leben und Gesundheit für alle Bewohner der Stadt durchzusetzen.
In einer pogromartigen Stimmung belagerten im September 1991 hunderte Neonazis und Sympathisanten ein Wohnheim für ausländische Arbeiter sowie ein Asylbewerberheim an. Bei den tagelang anhaltenden Übergriffen wurden mindestens dreißig Menschen verletzt. Die Polizei unterband nicht die rechten Krawalle, sondern reagierte mit der Räumung des Asylbewerberheims. Etwa 230 Ausländer mussten die Stadt dann unter Polizeibegleitung verlassen.
Für die Neonazi-Bewegung war Hoyerswerda damit zu einem Fanal geworden. Die Krawalle in der sächsichen Stadt bildeten den Auftakt zu einer Serie ausländerfeindlicher Ausschreitungen zu Anfang der 1990er Jahre in Deutschland. An der Stadt haftet seitdem ein schlechtes Image, dessen sich die Verantwortlichen vor Ort gerne entledigen würden. Mit der Einrichtung eines Asylbewerberheims, das bis zu 120 Asylbewerbern Platz bieten und kommende Woche bezugsfertig sein soll, soll der Imagewandel in die Wege geleitet werden.
Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) lobte die Stadt für das Engagement beim neuen Asylbewerberheim. „Es verdient Anerkennung, wie die Stadt zusammen mit vielen engagierten Leuten in Hoyerswerda ein neues Klima für mehr Weltoffenheit erreicht hat“, erklärte Ulbig am Montag in Dresden. Auch Regierungschef Stanislaw Tillich kritisierte Vorbehalte gegenüber Hoyerswerda und ermunterte die Stadt bei ihrem Vorhaben.
Unter dem Motto „Hoyerswerda hilft mit Herz“ hat sich ein Bündnis zur Unterstützung der Neuankömmlinge formiert. Es will die Bevölkerung für eine „Willkommenskultur“ sensibilisieren. Der zu den Initiatoren gehörende evangelische Pfarrer Jörg Michel beschäftigt dabei die Sorge, dass die NPD „über die Angstschiene oder durch Sozialneid“ aus der Einrichtung des Asylbewerberheims politischen Nutzen ziehen könnte. Im Sinne des angestrebten Imagewandels dürfte die Entscheidung des Amtsgerichtes Hoyerswerda sein, den gegenwärtig laufenden Prozess gegen die acht Männer möglichst schnell abzuhaken. Obwohl es vierzehn Zeugen vernehmen will, setzte es nur einen Verhandlungstag an.
Aufgrund dessen bezweifelt Jens Thöricht, Sprecher der Landesarbeitsgemeinschaft für antifaschistische Politik der säschsichen Linken, den Aufklärungswillen des Gerichtes. Vor allem kritisierte er jedoch, dass den Tatverdächtigen in der Anklageschrift lediglich Bedrohung und Beleidigung vorgeworfen wird. Dies ließe Zweifel an der Fähigkeit der zuständigen Staatsanwaltschaft aufkommen, den Sachverhalt rechtlich zutreffend einzuordnen. „Das kommt einer Verharmlosung rechter Gewalt gleich, denn zutreffender wäre der Tatvorwurf des schweren Hausfriedensbruch und des Landfriedensbruch gewesen.“ (2)
Update 17. Januar 2013: Textänderung / Korrektur im zweiten Absatz
Anmerkungen
(mit dpa)
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