Guantanamo: Der „Kindersoldat“ Omar Khadr wird Testfall für Obama
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Von REDAKTION, 28. April 2010 –
Viele Bürgerrechtler in aller Welt blicken nach Guantánamo Bay: An diesem Mittwoch beginnt vor einer Militärkommission in dem US-Gefangenenlager in Kuba eine Anhörung, die als vorentscheidend für das Schicksal des „Kindersoldaten“ Omar Khadr gilt.
Sein sanftes Jungengesicht ist längst verschwunden. Er ist inzwischen 23 Jahre, und fast ein Drittel seines Lebens hat er in Guantánamo Bay verbracht. Er gehört zu den Häftlingen, die einen Namen haben, den viele kennen, weil sein Fall so besonders ist: Er ist Omar Khadr, der „Kindersoldat“. 15 Jahre war er alt, als ihn das US-Militär 2002 in Afghanistan gefangen nahm, und er gilt als der Jüngste, der jemals in das US-Lager in Kuba gebracht wurde. Inzwischen ist der gebürtige Kanadier auch der einzige Gefangene aus einem westlichen Land, der noch in Guantánamo festgehalten wird. Und jetzt erlangt er zusätzliche Berühmtheit: Er wird zu einer Art Testfall für US-Präsident Obama.
Nach bisherigem Stand soll Khadr Ende Juli der Prozess gemacht werden – vor einer der umstrittenen Militärkommissionen, die Obamas Vorgänger George W. Bush eigens zur Aburteilung von Terrorverdächtigen ins Leben rief. Es wäre das erste Sondergerichtsverfahren gegen einen Guantánamo-Gefangenen seit Obamas Amtsübernahme Anfang 2009. Aber schon jetzt ist der Fall zum Spektakel geworden: In einer aufsehenerregenden Anhörung ab Mittwoch soll geklärt werden, ob die Anklage Geständnisse des Häftlings im Prozess als Beweise einbringen darf.
Die Verteidigung sagt nein. Sie argumentiert, dass Khadr wiederholt gefoltert worden sei und aus purer Angst nie begangene Verbrechen zugegeben hat – allem voran die Tötung eines US-Soldaten mit einer Handgranate vor seiner Gefangennahme in Afghanistan. Das ist der Hauptanklagepunkt. Das Pentagon hat Dutzende Medienvertreter aus aller Welt zu dem Hearing nach Guantánamo eingeflogen, die Nachfrage war weitaus größer als das Angebot an Plätzen.
Warum der Wirbel, und was hat Obama speziell mit diesem Fall zu tun? Tatsächlich vieles. Als er noch Senator war und dann Präsidentschaftswahlkämpfer, gehörte Obama zu den lautstarken Kritikern der Militärkommissionen im eigenen Land. Denn bei diesen Sonderprozeduren wurden Angeklagten ganz klar weniger Rechte eingeräumt als vor zivilen Strafgerichten oder auch normalen Militärgerichten. So war es auch nur konsequent, dass Obama anhängige Verfahren kurz nach seiner Amtsübernahme aussetzen ließ. Er wollte prüfen, wie es mit den Guantánamo-Insassen besser und fairer weitergehen soll.
Kritiker des US-Umgangs mit Terrorverdächtigen im In- und Ausland applaudierten. Zu früh. Nicht nur, dass das umstrittene Guantánamo- Lager trotz Obamas erklärter Schließungsabsicht immer noch besteht: Der Präsident entschloss sich angesichts politischer Widerstände auch, an den Militärkommissionen festzuhalten – wenn auch künftig mit mehr Rechten für die Angeklagten.
Die wichtigste neue Regel: Geständnisse, die durch „grausame, inhumane oder erniedrigende Verhörmethoden“ zustande kamen, sollen künftig nicht als Belastungsmaterial in Prozessen zulässig sein. Aber „andere Erklärungen des Angeklagten“ können als Beweise eingebracht werden, wenn ein Richter zu dem Schluss kommt, dass die Angaben freiwillig erfolgten.
Nun wird mit Spannung erwartet, wie der zuständige Richter im Fall Khadr urteilt – die erste gerichtliche Entscheidung darüber, was denn unter den „grausamen und inhumanen Praktiken“ zu verstehen ist, der erste Hinweis darauf, ob Obamas „Reform“ wirklich in der Praxis eine Abkehr von den Regeln unter Bush bedeutet oder kaum mehr ist als ein bisschen Tünche. „Wenn der Richter beschließt, das Khadrs Angaben gegen ihn verwendet werden können, dann zeigt dies, dass nichts besser geworden ist“, sagt Jennifer Turner von der Bürgerrechtsorganisation ACLU.
Unbestritten ist anscheinend, dass Khadr Schlafentzug ausgesetzt war und lange in Stresspositionen sitzen und stehen musste. Er wurde auch wiederholt geschlagen. Aber von Folterungen kann nach der Argumentation der Ankläger keine Rede sein: „Das ist frei erfunden“, sagen sie und widersprechen damit krass der Verteidigung. Deren Antrag auf Ausschluss der Khadr-Geständnisse liest sich teilweise wie ein Horror-Roman: „Ihm wurde die Luft bis zur Ohnmacht abgeschnitten, dann wurde er…zu Bewusstsein gebracht und dann wieder beinahe erstickt. Er wurde durch bellende Hunde terrorisiert, während eine Plastiktüte fest um seinen Kopf gebunden war.“
Beim Hearing werden auch die Verteidiger anderer Gefangener genau zuhören, die ebenfalls geltend machen, dass ihre Mandanten gefoltert wurden. So könnte die richterliche Entscheidung nach Einschätzung juristischer Experten auch eine Signalwirkung für den geplanten Prozess gegen Khalid Scheich Mohammed, dem von den US-Anklägern vorgeworfen wird, mutmaßlicher Hauptdrahtzieher der Anschläge vom 11. September gewesen zu sein. Auch seine Geständnisse wurden unter Folter erzwungen.
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Für dpa von Gabriele Chwallek, redaktionell bearbeitet von HINTERGRUND