Flugsicherheitsmaßnahmen gefährden Passagiere
Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.
Von THOMAS WAGNER, 8. Januar 2010 –
Infolge des unter merkwürdigen Umständen erfolgten Anschlags auf den Northwest-Flug 253 von Amsterdam nach Detroit am 25. Dezember 2009 wurden die „Sicherheitsmaßnahmen“ auf internationalen Flughäfen weltweit verstärkt. (1) Nun mehren sich die Anzeichen, dass die Fluggäste dadurch nicht nur belästigt,(2) sondern daneben auch ganz neuen Gefahren für Leib und Leben ausgesetzt werden.
So hatten 231 Passagiere eines US-Flugzeugs der Hawaiian Airlines auf dem Weg von Portland nach Hawaii am Mittwoch das zweifelhafte Vergnügen, kurz vor der Landung von zwei Kampfjets eskortiert zu werden. Nach Angaben der Fluggesellschaft war das „unkooperative“ Verhalten eines 56 Jahre alten Passagiers der Grund für das Eingreifen der Luftstreitkräfte, die bei entsprechender Lageeinschätzung das Passagierflugzeug wohl hätten abschießen sollen.
Der Mann habe während des Fluges „bedrohliche Äußerungen“ gemacht und sich geweigert, sein Handgepäck zu verstauen, teilte die US-Behörde für Flugsicherheit mit. Bei der späteren Durchsuchung des Flugzeugs wurden aber keine Waffen oder Sprengstoff gefunden.
Noch haarsträubender liest sich der Fall eines 49-jährigen Slowaken. Der hatte nichts weiter vor, als am 02. Januar 2010 vom Flughafen Poprad Tatry nach Irland zu fliegen. Was er nicht wusste: Die slowakische Polizei hatte ihm und neun weiteren ausgewählten Passagieren im Rahmen eines „Sicherheitstests“ heimlich Sprengstoff ins Gepäck geschmuggelt. Die Päckchen wurden schließlich von Spürhunden entdeckt – mit einer Ausnahme.
Der völlig ahnungslose Mann reiste daher mit rund 90 Gramm Plastiksprengstoff in Irland ein und erlebte dort am Dienstag eine böse Überraschung. Schwer bewaffnete Polizisten riegelten die Umgebung seiner Wohnung ab und stürmten das Gebäude. Dort fand man den potenziell hochgefährlichen Plastiksprengstoff RDX unberührt und unversehrt im Rucksack des Mannes. Erst nach stundenlangem Verhör wurde er wieder auf freien Fuß gesetzt. Nach Darstellung irischer Sicherheitskräfte hätte der Sprengsatz ausgereicht, um das Flugzeug zum Absturz zu bringen.
Während die slowakischen Behörden behaupteten, den Flughafen Dublin unmittelbar über den Vorfall informiert zu haben, gab die irische Polizei an, erst am Dienstag Informationen aus der Slowakei erhalten zu haben.
Der Chef der slowakischen Grenz- und Fremdenpolizei, Tibor Mako, wollte für den unglaublichen Vorgang unterdessen keine Verantwortung übernehmen und machte stattdessen einen seiner Beamten verantwortlich. In einer am Mittwoch veröffentlichten Erklärung des Innenministeriums in Bratislava heißt es: „Am Anfang stand die gute Absicht, die Sicherheit der Bürger zu erhöhen.“ Durch „individuelles Versagen“ sei es jedoch zu dieser Panne gekommen.
Die Gefährdung von Bürgern durch ihnen untergejubelten Sprengstoff scheint die slowakische Regierung dagegen für eine ganz normale Sache zu halten. Solche Sicherheitstests seien an Flughäfen „überall auf der Welt“ üblich. Falls die slowakische Regierung mit dieser Behauptung Recht behalten sollte, ist die Gefährdung von Flugpassagieren durch die fahrlässigen „Anti-Terror“-Maßnahmen ihrer eigenen Regierungen möglicherweise weit größer als durch die Anschlagsversuche von Kriminellen.
Statt über den Einsatz von Nacktscannern zu debattieren, wären die Volksvertreter in Deutschland und den anderen EU-Staaten daher gut beraten, zunächst einmal zu bilanzieren, ob und inwiefern die bisherigen „Sicherheitsmaßnahmen“ ihren Zweck erfüllt haben. Das heißt vor allem, ob sie verhältnismäßig waren. Neben einer Auflistung von Grundrechtsverstößen gehört in diese Bilanz hinein, wie viele Menschen bisher durch das Handeln der Behörden an Leib und Leben gefährdet wurden oder auf eine andere Weise zu Schaden gekommen sind. (3)
Quellen:
(1) Vgl. zum Fall des „Weihnachtsbombers“: http://www.hintergrund.de/index.php/globales/terrorismus/der-weihnachtsbomber-als-kriegsvorwand.html
(2) Fünf Flaschen mit Honig sollen am Flughafen im kalifornischen Bakersfield Terroralarm ausgelöst haben, weil die dort gebräuchlichen Scanner nicht darauf programmiert seien, zwischen Honig und flüssigem Sprengstoff zu unterscheiden. Vgl. http://www.neues-deutschland.de/artikel/162595.vorsicht-honig-an-bord.html
(3) Dabei könnte sich herausstellen, dass die Vermeidung regulärer Flugzeugunglücke sehr viel mehr Aufmerksamkeit verdient als die Verhinderung von Terroranschlägen. Nach einem Bericht des Neuen Deutschland starben 2009 766 Menschen bei Flugzeugunfällen, 2008 seien es noch 598 gewesen. 2007 verunglückten 751 Passagiere und Besatzungsmitglieder tödlich, 2006 waren es 876, http://www.neues-deutschland.de/artikel/162595.vorsicht-honig-an-bord.html
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