Terrorismus

Der westliche Wunsch nach einem Islamischen Staat

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Von ANDREAS VON WESTPHALEN, 02. Juni 2015 – 

Ganz überraschend tauchte im Winter 2013/14 plötzlich die Miliz mit dem Namen “Islamischer Staat im Irak und Syrien” (ISIS) auf der politischen Weltkarte auf und rief im irakischen Falludscha den islamischen Gottesstaat aus. Zuvor war sie kaum in Erscheinung getreten. So als sich im Juni 2012 zu einem Attentat im Irak „die zum Terrornetzwerk Al-Qaida gehörende Gruppe ‘Islamischer Staat Irak’“ bekannte. (1)

Ebenso überraschend belegt nun ein offizielles Dokument, dass die Entstehung des Islamischen Staates (IS) für die USA alles andere als überraschend war. Aber das ist nur der Anfang der Überraschungen, die ein teilweise deklassifizierter Bericht des US-Militärgeheimdienstes Defense Intelligence Agency (DIA) aus dem August 2012 bereit hält. Der amerikanische Watchdog Judicial Watch hat ihn mit Hilfe des Freedom Information Acts erhalten und veröffentlicht. (2)

Das Dokument macht glasklar, dass im August 2012 den USA eindeutig bewusst war, dass die damalige syrische Opposition deutlich weniger moderat war, als sie nach außen hin dargestellt wurde. Zur konkreten Situationsbeschreibung in Syrien heißt es: „Die Salafisten, die Muslimbruderschaft und ‘Al-Qaida im Irak (AQI)’ (so wurde damals der spätere IS genannt) sind die Hauptkräfte, die den Aufstand in Syrien anführen.“ Der Bericht konstatiert, dass ‘Al-Qaida im Irak’ in Syrien trainiert und den Irak infiltriert.“ Zudem war die spätere ISIS von Anfang an in der syrischen Opposition aktiv: „’Al-Qaida im Irak’ unterstützte die syrische Opposition von Anfang an, sowohl ideologisch als auch über die Medien.“ Aber trotz der Kenntnis, dass gewaltbereite und extremistische Elemente in der Opposition das Sagen haben, ist die Parteinahme eindeutig: „Der Westen, die Golfstaaten und die Türkei unterstützen die Opposition, während Russland, China und Iran das Regime unterstützen.“

“Salafisten-Hoheitsgebiet” in Ost-Syrien

Auch die Einschätzung der weiteren Entwicklung ist  vielsagend. Es herrsche ein Stellvertreterkrieg in Syrien zwischen dem Westen, den Golfstaaten, der Türkei und den Islamisten auf der einen und Russland, China, Iran und die Assad-Regierung auf der anderen Seite. Bemerkenswert, was als Wunschziel für die Opposition genannt wird: „Wenn die Situation sich weiterentwickelt, entsteht die Möglichkeit der Etablierung eines erklärten oder nicht erklärten Salafisten-Hoheitsgebiets in Ost-Syrien. Das ist genau das, was die Mächte, die die Opposition unterstützen, wollen, um das syrische Regime zu isolieren“. Diesen letzten Absatz sollte man vielleicht zweimal lesen. Der Westen wünscht also die Errichtung eines Salafisten-Hoheitsgebiets in Ost-Syrien.

Die Beschreibung der düsteren Aussichten für den Irak lässt keine Zweifel offen, dass den Analysten der DIA bereits im August 2012 klar war, welche Macht der Islamische Staat gewinnen kann: „Dies schafft ideale Voraussetzungen für die Rückkehr von ‘Al-Qaida im Irak’ in ihre früheren Enklaven in Mosul und Ramadi und wird einen neuen Impuls schaffen, den Dschihad der irakischen und syrischen Sunniten sowie der übrigen Sunniten der arabischen Welt gegen die ‘Abtrünnigen’ zu vereinigen, die sie als einen Feind betrachten. Die ‘Al-Qaida im Irak’ könnte, durch seinen Zusammenschluss mit anderen Terror-Organisationen im Irak und Syrien, auch einen ‘islamischen Staat’ ausrufen. Dies wird eine große Gefahr im Hinblick auf die Einheit des Iraks und dem Schutz seines Territoriums darstellen.“ Was vor drei Jahren prophezeit wurde, ist heute Realität: Im Juni 2014 wurde Mossul vom IS erobert, vor wenigen Tagen Ramadi. Dass diese erwünschte Entwicklung zu einer Vergrößerung des Terrorismus führt, leuchtet der DIA natürlich auch ein: „Erneute Förderung der Einreise von Terrorzellen aus der ganzen arabischen Welt in die irakische Arena.” (Die gesamte folgende Seite ist geschwärzt).

Jürgen Todenhöfer schreibt: „Der Inhalt des Geheimdokuments verschlägt einem die Sprache. Ein Friedens-Nobelpreisträger als Terror-Pate! Der Westen an der Seite des internationalen Terrorismus! Als wissentlicher Förderer des internationalen Terrorismus!“(3)

Informationen weit gestreut

Die Aufgabe der DIA besteht im Sammeln, Analysieren und Weiterleiten von Erkenntnissen der Nachrichtendienste der vier Teilstreitkräfte für das US-Verteidigungsministerium. Auch das US-Außenministerium und verschiedene andere Geheimdienste erhielten das Dokument. Der britische Journalist und Nahost-Experte Nafeez Ahmed präzisiert, dass das DIA Dokument zwar „nur“ ein  Intelligence Information Report (IIR) war und damit noch keine abschließend evaluierte Geheimdienstinformation war, aber der Inhalt vor der Verbreitung überprüft  wurde. (4)

Sicherlich gibt und gab es in Syrien eine moderate Opposition, die sich auch Ende Oktober 2013 öffentlich von radikalen Islamisten distanzierte.(5) Allerdings deutet das DIA-Dokument daraufhin, dass – zumindest nach Einschätzung der USA – die fundamentalistischen Kräfte von Anfang an das entscheidende Sagen in der syrischen Opposition hatten. Nafeez Ahmed zitiert Charles Shoebrdige, einen ehemaligen britischen Geheimdienstmann der Terrorabwehr: Das Dokument „zeigt, dass die US-Regierung spätestens im August 2012 die wahre extremistische Natur und den wahrscheinlichen Ausgang der syrischen Rebellion kannte.“ Insbesondere das Aufkommen des IS, „aber dies wurde als ein Vorteil der US-Außenpolitik eingestuft. Dies deutet auch auf eine Entscheidung hin, sich Jahre lang zu bemühen, mit gefügigen Medien die westliche Öffentlichkeit wissentlich darin zu täuschen, dass die syrische Rebellion in großer Mehrheit moderat sei.“(6)

Verschiedene Äußerungen erscheinen aufgrund des DIA-Dokuments in einem fundamental anderen Licht. Inwiefern ist die Rede des US-Präsidenten Barak Obama vor der UNO Ernst zu nehmen, als er im September 2014 versprach, den IS, das „Netzwerk des Todes“, zu zerstören?(7) Im Hinblick auf den IS erklärte Josh Earnest, der Pressesprecher des Weißen Hauses, kategorisch: „Die USA sind nicht dafür verantwortlich, die Sicherheitslage im Irak zu sichern.(8) Und die New York Times kritisiert die zurückhaltende Militärstrategie der USA gegen die IS, die zu viel Rücksicht auf Bürger im Irak nehme.(9) Man ist geneigt zu antworten, dass die richtige Strategie der USA gegen das Netzwerk des Terrors gewesen wäre, nicht dessen Entstehen zu begrüßen, dass die USA selbstverständlich für den Terror der IS im Irak mitverantwortlich sind und das die beste Strategie gegen die IS diejenige ist, die Existenz der IS wirklich beenden zu wollen. Derzeit steht dies in weiter Ferne. Ein aktueller Bericht der UN erklärt, in den letzten neun Monaten habe die Anzahl ausländischer Kämpfer der IS um 70 Prozent zugenommen. Aus über 100 Ländern seien 25.000 Kämpfer in den Konfliktzonen. (10)

Die Welt als Schachbrett der Geopolitik

Schon bevor Bashar Al-Assad Präsident in Syrien wurde, stand ein Regimewechsel ganz oben auf der geopolitischen Wunschliste der US-Falken. „Rebuilding America’s Defenses: Strategies, Forces and Resources for a New Century“, eine „Blaupause“ für die Erschaffung einer globalen Pax Americana, an der US-amerikanische Think Tank mit so illustren Personen wie Dick Cheney, Donald Rumsfeld, Paul Wolfowitz, John Bolton und Jeb Bush in den Jahren von 1997 bis 2000 arbeiteten, fordert unter anderem in Syrien einen Regimewechsel. Wesley Clark, NATO-Oberbefehlshaber im Kosovo-Krieg, schrieb in seinem Buch „A Time to Lead“, dass ihm unmittelbar nach dem 11. September im Pentagon erklärt worden ist, das strategische Ziel der nächsten fünf Jahre sei es sieben Länder auszuschalten, beginnend mit dem Irak und Syrien und mit dem Iran endend. (11)

Die RAND Corporation, ein weiterer US-Think Tank, erstellte vier Jahre vor dem DIA-Dokument einen Bericht, der eine ähnliche Strategie befürwortet. Die USA sollten aus „dem Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten Kapital schlagen, indem sie die Seite der konservativen sunnitischen Regierungen in einer entscheidenden Art und Weise einnehmen sollten und mit ihnen gegen alle Bewegungen in der muslimischen Welt kämpfen sollten, die die schiitische Seite stärken wollten.“ Die USA sollten der Macht und dem Einfluss des Iran in der Golfregion Einhalt gebieten, „indem sie die traditionellen sunnitischen Regimes in Saudi Arabien, Ägypten und Pakistan unterstützen.“ Der Bericht bestätigt, dass „die Strategie des Teilens und Herrschens bereits angewendet werde, um Spaltungen im Lager der Dschihadisten hervorzurufen. Im Irak werde diese Strategie auf einer taktischen Ebene eingesetzt.“(12)

John Bolton, Mitglied von „Project of a New American Century“, Befürworter des Irak-Krieges bereits im Jahre 1998, gilt als eine der Architekten des Zweiten Golfkrieges. (13) Zum Konflikt in Syrien hat er eine Meinung, die der Aussage des DIA-Dokumentes erstaunlich nahe kommt, jedoch in seiner Zukunftsvision nichts an Deutlichkeit vermissen lässt: „Ich denke unser Ziel sollte ein neuer sunnitischen Staat sein, der aus dem westlichen Teil des Iraks und dem Osten Syriens besteht. Geführt sollte dieser Staat von moderaten oder autoritärer Menschen, die nicht radikale Islamisten sind. Was vom Irak übrigbleibt, ist einfach ein Satellitenstaat der Ayatollahs in Teheran. Er ist nichts, dem wir helfen sollten.” (14)

Ein zweiter Frankenstein?

1979 wurde der damalige US-Präsident Jimmy Carter von seinem Nationalen Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski überzeugt, die Mudschaheddin in Afghanistan als Oppositionskräfte gegen die kommunistische Regierung aufzubauen, noch bevor die sowjetische Armee in Afghanistan einmarschierte. Zehn Jahre später attestierte die pakistanische Premierministerin Benazir Bhutto dem US-Präsidenten George Bush: „Ihr habt einen Frankenstein erschaffen.”(15) Wobei es fraglich ist, inwiefern dieser Frankenstein tatsächlich vollkommen unabhängig von seinem Erschaffer ist. Ist der IS ein weiterer Frankenstein der USA?

Fundamentalistische Islamisten zu verwenden, um in Syrien einen Regimewechsel im eigenen Sinne hervorzurufen, wurde bereits 1957 schon einmal geplant. Der Guardian berichtete, dass der US-Präsident Dwight Eisenhower und der britische Premierminister Harold Macmillian einem Plan der CIA und des MI6 zugestimmt hatten. Dieser Plan sah vorgetäuschte Grenzzwischenfälle vor, die einen Vorwand für die pro-westlichen Nachbarn Syriens ergeben hätten, in das Land einzumarschieren. Die drei zentralen Führungspersönlichkeiten Syriens sollten ermordet werden. Ein weiterer Teil des Plans bestand darin Aufstände anzuzetteln, indem man die Muslimische Bruderschaft in Damaskus aufwiegelt. Der Plan wurde jedoch nicht in die Tat umgesetzt, weil es nicht gelang, die syrischen Nachbarn in diesem Sinne zu überzeugen.


 

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Anmerkungen

(1) http://www.spiegel.de/politik/ausland/mehr-als-30-tote-bei-anschlagsserie-im-irak-a-838530.html
(2)  http://www.judicialwatch.org/wp-content/uploads/2015/05/Pg.-291-Pgs.-287-293-JW-v-DOD-and-State-14-812-DOD-Release-2015-04-10-final-version11.pdf
(3) http://juergentodenhoefer.de/us-geheimdienst-deckt-auf-der-westen-wollte-einen-islamistischen-terrorstaat/
(4) https://medium.com/insurge-intelligence/secret-pentagon-report-reveals-west-saw-isis-as-strategic-asset-b99ad7a29092
(5)  http://www.spiegel.de/politik/ausland/syriens-opposition-distanziert-sich-von-radikalen-islamisten-a-930820.html
(6) https://medium.com/insurge-intelligence/secret-pentagon-report-reveals-west-saw-isis-as-strategic-asset-b99ad7a29092
(7)  http://www.nytimes.com/2014/09/25/world/middleeast/obama-syria-un-isis.html?_r=0
(8)  http://www.foxnews.com/politics/2015/05/28/white-house-isis-strategy/?intcmp=trending
(9)  http://www.nytimes.com/2015/05/27/world/middleeast/with-isis-in-crosshairs-us-holds-back-to-protect-civilians.html?hp&action=click&pgtype=Homepage&module=first-column-region&region=top-news&WT.nav=top-news
(10) http://www.foxnews.com/politics/2015/05/28/white-house-isis-strategy/
(11) http://transcripts.cnn.com/TRANSCRIPTS/0709/16/le.01.html
(12) http://www.rand.org/content/dam/rand/pubs/monographs/2008/RAND_MG738.pdf
(13) http://www.msnbc.com/msnbc/10-years-later-the-architects-the-iraq-wa
(14)  http://www.foxnews.com/transcript/2015/05/24/mike-huckabee-lays-out-path-to-2016-republican-nomination-amb-john-bolton-talks/
(15) http://www.newsweek.com/war-terror-road-september-11-151771

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