Terrorismus

Der Hariri-Mord vor dem UN-Tribunal. Provokation für die Hisbollah

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Von SEBASTIAN RANGE, 13. Januar 2011 –

Nach nur gut einem Jahr ihres Bestehens hat Libanons „Regierung der nationalen Einheit“ aufgehört, zu bestehen, nachdem  zehn Minister der Hisbollah und ein Minister, der von Präsident Michel Suleiman ernannt worden war, am Mittwoch ihren Rücktritt aus dem Kabinett von Ministerpräsident Saad Hariri erklärten. Der Rücktritt ist eine Reaktion darauf, dass  sich Hariri nicht von dem UN-Tribunal für die Aufklärung des Mordes an seinem Vater, Rafik Hariri, distanzieren will. Die UN selbst mahnten Respekt für die Untersuchung an. Die USA kritisierten die Hisbollah für den Rückzug der Minister.

Mit dem Ausscheiden von elf der dreißig Kabinettsmitglieder ist die erst vor 14 Monaten vereidigte Regierung gescheitert. Die zurückgetretenen Minister, unter denen auch Anhänger des mit der Hisbollah verbündeten christlichen Generals Michel Aoun sind, hatten Hariri zuvor aufgefordert, eine Kabinettssitzung einzuberufen. Dabei wollten sie ihre Forderungen in Bezug auf das Tribunal vorbringen.

Die Vereinten Nationen forderten von den Libanesen die Achtung des Hariri-Tribunals. Die Kommission sei ein unabhängiges Gremium und müsse respektiert werden, sagte ein UN-Sprecher in New York. Saad Hariri war bereits am Wochenende mit UN-Generalsekretär Ban Ki Moon zusammengetroffen. Anschließend hatte der UN-Chef noch einmal unterstrichen, dass die Ermittlungen zu dem politischen Mord unbedingt und unabhängig weitergehen müssten.

Die Anklageschrift des Tribunals in Den Haag wird noch in diesem Monat erwartet. Angeblich sollen darin mehrere Hisbollah-Mitglieder als Tatverdächtige genannt werden. Syrien und Saudi-Arabien hatten in den vergangenen Monaten versucht, eine Kompromissformel zu finden, um die Krise in Beirut zu entschärften. Am Dienstag mehrten sich jedoch Berichte, dass diese Vermittlung nun endgültig gescheitert sei. Am Mittwoch rief der Emir von Katar, Scheich Hamad bin Chalifa al-Thani, den libanesischen Präsidenten Suleiman an, um die Krise vielleicht in letzter Minute doch noch zu entschärfen, wie die Deutsche Presse-Agentur heute meldete.

Der Milliardär und frühere libanesische Ministerpräsident Rafik Hariri war am 14. Februar 2005 bei einem Bombenattentat in Beirut ums Leben gekommen.

Trotz unklarer Beweislage wurde sofort Syrien für das Attentat verantwortlich gemacht. Die anschließende Protestwelle führte schließlich dazu, dass Syrien sämtliche Truppen aus dem Libanon abzog. Nutznießer des Attentats war somit vor allem Israel, welches schon lange auf einen Abzug des Erzrivalen drängte.

Auch die daraufhin im April eingesetzte UN-Untersuchungskommission UNIIC (International Independent Investigation Commission), deren Leitung der Berliner Oberstaatsanwalts Detlev Mehlis ab Mai 2005 innehatte, beschuldigte Syrien des Attentats. Mehlis hatte bereits Erfahrungen mit Terroranschlägen als zuständiger Staatsanwalt in den Ermittlungen des Anschlags auf die Berliner Diskothek „La Belle“ im Jahr 1986 gesammelt, bei dem drei Personen getötet und über 200 verletzt wurden.  Der Anschlag auf die Diskothek, die auch von in Berlin stationierten US-Soldaten frequentiert wurde, diente der US-Regierung damals als Vorwand für einen Luftangriff auf Libyen.

Die ZDF-Sendung Frontal deckte jedoch 1998 geheimdienstliche Hintergründe des Anschlags auf. Laut Frontal sei der Hauptangeklagte Yasser Chraidi von deutschen und amerikanischen Geheimdiensten zum Sündenbock aufgebaut worden und vermutlich unschuldig. Bei mindestens einem der Angeklagten, Musbah Eter, handelte es sich um einen jahrelangen Mitarbeiter der CIA. Auch sei gegen einige der Hauptverdächtigen keine Anklage erhoben worden, weil diese laut der ZDF-Sendung den Schutz westlicher Geheimdienste genossen. Zudem habe mindestens einer von ihnen für den israelischen Geheimdienst Mossad gearbeitet. (1)

Auch Mehlis Rolle im Hariri-Tribunal der UN ist nur als fragwürdig zu bezeichnen. Bevor er im Dezember 2005 wegen der Aussagen zweier gekaufter Kronzeugen die Leitung des Tribunals „aus persönlichen Gründen“ abgeben musste, tat er sein möglichstes, um Syrien die Schuld zuzuweisen. In Folge dessen wurden vier libanesische Generäle inhaftiert, die als syrienfreundlich gelten. Der französische Anwalt Akram Azouri, der den inhaftierten ehemaligen Sicherheitsgeneral Jamil Sayyed vertrat, bewertete die Festnahmen äußerst kritisch: „Sie werden illegal und aus politischen Gründen, ungeachtet des Fehlens jeglicher Beweise festgehalten, im Widerspruch zu Feststellungen des UN-Hochkommissars für Menschenrechte und des Jahresberichts des US-Außenministeriums zur Menschenrechtslage in Libanon.“ (2)

Die Anwälte der Generäle bezichtigten den Berliner Oberstaatsanwalt der „Fälschung von Beweisen, des Fabrizierens von Tatsachen, der Befragung imaginärer Zeugen“. (3) Im Jahr 2009 musste sich Mehlis vor einem Pariser Gericht wegen des Verdachts auf „Fälschung von Ermittlungen und des Einberufens unechter Zeugen“ verantworten. (4)

In seinem Buch Mordakte Hariri hat der Journalist Jürgen Cain Külbel die Ungereimtheiten und Widersprüche des Attentats zusammengetragen. (5) Neben der zwielichtigen Rolle Mehlis, der unverzüglich nach Amtsaufnahme „Washingtons Wunschtäter ins Rennen gebracht“ (6) hatte, weist Külbel auch auf Merkwürdigkeiten in Bezug auf die Vorgänge rund um den Anschlag selbst hin.

Die interessanteste der Merkwürdigkeiten, so Külbel in einem Interview mit der jungen Welt, sei das Versagen der Störsender gewesen. „Die Störsender des Konvois von Hariri versagten während des Attentates völlig. Ohne diesen Defekt hätte der Anschlag nicht klappen können, denn ihre Elektronik ist eigentlich in der Lage, Handyfernzündungen von Bomben zu verhindern. Der Defekt ist umso bemerkenswerter, als die Geräte vor und während des Anschlages aktiv waren, eines sogar noch danach.“ (7)

Anstatt sich zu verdichten, wurden im Laufe der Jahre die „Beweise“ gegen Syrien immer dünner. Die vier beschuldigten Libanesen mussten daher nach vier Jahren, in denen sie nie angeklagt wurden, wegen fehlender Beweise freigelassen werden. So ist es nicht verwunderlich, dass in Sachen Schuldzuweisung umgeschwenkt wurde. Im Mai 2009 – pünktlich zwei Wochen vor den libanesischen Parlaments-Wahlen – präsentierte das Nachrichtenmagazin Spiegel „überraschende neue Erkenntnisse“ und die Hisbollah als Schuldigen. Das Magazin berief sich auf Informationen aus dem Umfeld des Tribunals und Einsicht in interne Papiere. (8)

Die Hisbollah wies die Anschuldigen umgehend zurück und bezeichnete den Bericht als „Erfindung“, dessen Ziel es sei, „die am 7. Juni anstehenden Parlamentswahlen zu beeinflussen“ und davon abzulenken, dass kurz zuvor mehr als ein Dutzend Menschen unter dem Verdacht festgenommen worden seien, die Hisbollah für Israel ausspioniert zu haben. (9) Tatsächlich behauptete die Hisbollah später, Beweise für eine Beteiligung des Mossad am Hariri-Attentat zu haben, blieb einem Beleg für diese Beweise aber bislang schuldig. Neben dem Verweis darauf, dass der Anschlag vor allem die anti-israelischen Kräfte im Land geschwächt habe, sind es vor allem die in den letzten Jahren im Libanon aufgeflogenen israelischen Spionage-Netzwerke, die den Verdacht der Hisbollah begründen.  

Libanons Außenminister Fawzi Salloukh sprach bezüglich der Spiegel-Enthüllungen von einem „völlig unwahren Bericht und dass kein Hisbollah-Mitglied bisher von den UN-Ermittlern gehört wurde“, währenddessen  US-Vizepräsident Joe Biden damit drohte, die USA werde „die Form unserer Entwicklungshilfe entsprechend der Zusammensetzung der nächsten Regierung überdenken.“ (10)

Der Korrespondent des US-amerikanischen Nachrichtenmagazins Time,  Andrew Lee Butters, zeigte sich skeptisch gegenüber den Enthüllungen des Spiegel. „Die Spiegel-Theorie passt nicht zusammen mit dem gegenwärtigen Verständnis über die Beziehung zwischen Hisbollah und Hariri.“ Butters wies darauf hin, dass es in den Wochen vor dem Anschlag zu geheimen Aussöhnungsgesprächen zwischen Rafik Hariri und Hisbollah-Führer Nasrallah gekommen war. Hariri habe geglaubt, dass ein Abkommen kurz bevor stand. (11)

Ein solches wäre sicherlich auf den Unmut Israels und der USA gestoßen. Trotz des offenbar fehlenden Motivs der Hisbollah wird der nun bald erscheinende UN-Untersuchungsbericht die erstmals vom Spiegel öffentlich lancierte These vertreten, dass Hisbollah-Angehörige das Attentat zu verantworten haben.

Beobachter befürchten nun, dass die Hisbollah nun nicht nur auf der politischen Ebene, sondern auch auf der Straße die Konfrontation mit dem pro-westlichen Hariri-Lager suchen könnte. Bereits im November vergangenen Jahres hat Nasrallah mit markigen Worten davor gewarnt, Hisbollah-Angehörige anzuklagen. „Wer glaubt, dass wir zulassen werden, dass einer unserer Gotteskrieger verhaftet oder festgenommen wird, der irrt sich. Wir werden die Hand, die sich nach ihm ausstreckt, abhacken“, erklärte er. Die Hisbollah fürchte auch keinen neuen Krieg mit Israel, fügte er hinzu. (12)

US-Außenministerin Hillary Clinton konterte in einem Interview mit der libanesischen Zeitung Al-Nahar: „Die Hisbollah muss verstehen, dass sie scheitern wird, wenn sie Gewalt anzettelt, nur um das Tribunal zu behindern.“ Alle Akteure in der Region sollten sich vor Fehlkalkulationen hüten – auch Syrien, warnte Clinton. Niemand solle sich von den „Drohungen und Einschüchterungsversuchen“ der Hisbollah beeindrucken lassen. (13)

Während gegenwärtig die Lage im Libanon zu eskalieren droht, hält sich Ministerpräsident Saad Hariri in den USA auf und traf am Mittwoch mit Präsident Obama zusammen. Ob er sich dort neue Instruktionen geholt hat? Zumindest lässt die US-Regierung kaum eine Gelegenheit aus, sich in die inneren Angelegenheiten der Zedernrepublik einzumischen. Der Rückzug der Hisbollah aus der Regierung sei ein Akt der Angst, der den Willen der Bürger in dem Land unterlaufe, hieß es in einer Mitteilung des Weißen Hauses. „Die Bemühungen … zeigen nur ihre Entschlossenheit, die Regierung davon abzuhalten, ihrer Aufgabe nachzugehen und die Hoffnung des libanesischen Volkes zu erfüllen.“ (14)

Dass die US-Regierung den Rückzug der Hisbollah aus der „Regierung der nationalen Einheit“ kritisiert, mutet heuchlerisch an, war doch die Beteiligung der Hisbollah an der libanesischen Regierung von Anbeginn mit Argusaugen betrachtet worden.

Ob die wirklichen Hintergründe des Hariri-Attentas jemals aufgeklärt werden, erscheint äußerst fraglich. Fest steht jedoch, dass das Attentat und dessen anschließende Untersuchung bis heute eine Steilvorlage für diejenigen Kräfte liefert, die das Land destabilisieren und vor allem die Position der Hisbollah schwächen wollen. Und die sind nicht in Syrien oder dem Iran zu finden, sondern in den USA und Israel.

Gerade Letzteres hat noch eine Rechnung mit der Hisbollah offen, die aus dem Krieg, den Israel im Juli 2006 gegen das Nachbarland führte, gestärkt hervor ging. Wie die libanesische Armee gestern erklärte, hätten israelische Soldaten in der Nähe der Grenze einen Libanesen nach Israel verschleppt. Israel wies die Darstellung zurück und behauptet, der Libanese habe sich bereits auf israelischem Gebiet befunden. Soldaten hätten ihn in der Nähe des Sicherheitszaunes aufgegriffen, der mehrere hundert Meter südlich der Grenze verlaufe. Durch einen ähnlichen Fall – nur unter anderen Vorzeichen – wurde der Krieg 2006 ausgelöst. Aber gerade aufgrund dieser Erfahrung erscheint es unwahrscheinlich, dass der aktuelle Fall zu einer Eskalation führt, die in einem neuen Krieg mündet.

Spätestens seitdem die Hisbollah vergangenen Sommer erklärte, dass sie es nicht akzeptieren wird, wenn eigene Mitglieder von dem Tribunal angeklagt werden, ist klar, dass der Hebel zur Eskalation und Destabilisierung des Landes im Hariri-Tribunal zu finden ist. Denn im Gegensatz zu Israel erscheint das UN-Tribunal als neutrale Instanz. Und wenn diese der Hisbollah im Namen der Staatengemeinschaft die Schuld für das Attentat zuweist, so eröffnen sich den Anti-Hisbollah-Kräften dadurch wesentlich größere Spielräume, als wenn Israel erneut einen Alleingang wagt.

Anmerkungen

(1) http://www.wsws.org/de/1998/aug1998/bell-a28.shtml

(2) http://www.ag-friedensforschung.de/regionen/Libanon/hariri2.html

(3) ebd.

(4) http://www.jungewelt.de/2009/05-26/021.php

(5) http://www.kai-homilius-verlag.de/vp/8.34/

(6) http://www.ag-friedensforschung.de/regionen/Libanon/hariri2.html

(7) http://www.jungewelt.de/2006/04-11/046.php

(8) http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-65489992.html

(9) http://www.focus.de/politik/weitere-meldungen/libanon-hisbollah-weist-spiegel-bericht-ueber-beteiligung-an-hariri-attentat-zurueck_aid_402130.html
http://www.jungewelt.de/2009/05-26/021.php

(10) http://www.jungewelt.de/2009/05-26/021.php

(11) http://mideast.blogs.time.com/2009/05/26/did-hizballah-kill-rafik-hariri/

(12) dpa-Meldung vom 12. November 2010

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(13) ebd.

(14) dpa-Meldung vom 13. Januar 2011

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