Syrien: Kämpfe um die Kontrolle östlich des Euphrat
Die kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) kämpfen um die Kontrolle des Siedlungsgebietes arabischer Stämme östlich des Euphrat.
Die US-geführte „Internationale Allianz gegen den Islamischen Staat (IS)“ hat beide Seiten bewaffnet, um – so die offizielle Darstellung – Restverbände des geschlagenen IS zu bekämpfen. Bei einem Treffen Anfang September riefen US-Offiziere beide Seiten zur Ruhe in dem strategischen Ölfördergebiet Syriens auf.
Kurdisch geführte SDF-Truppen gegen arabische Stämme
Hunderte SDF-Kämpfer wurden am vergangenen Wochenende mobilisiert, um verlorenes Terrain östlich des Euphrat zurückzuerobern. Am vergangenen Dienstag gingen die SDF-Truppen nach Angaben arabischer Medien mit Mörsergranaten und Drohnen gegen Al-Tayanah, Dhebian und Al-Hawayej im Osten der Provinz Deir Ez-Zor vor. Auch der Ort Al Shuhail ist umkämpft.
Auslöser der Kämpfe war die Festnahme des Leiters des Militärrates Deir Ez-Zor (DMC) Ende August. Rashid Abu Khawla war mit anderen DMC-Offiziellen zu einer Besprechung mit dem SDF-Militärrat auf eine Militärbasis in Hasakeh beordert worden, wo er festgenommen wurde.
Die Festnahme des Leiters des Militärrates löste eine massive Reaktion unter den arabischen Stämmen aus. Hunderte Kämpfer griffen SDF-Kräfte an, vertrieben sie aus Ortschaften und Kontrollpunkten östlich des Euphrats. Die Gegenoffensive der SDF richtet sich Medienangaben zufolge nun gegen Ibrahim Al-Hafel, der dem Al-Aqidat Stamm vorsteht, der in Dhebian siedelt. Al-Hafel sei „Anführer von Zwietracht und Aufwiegelung gegen die SDF“, hieß es. Der Mann wurde auf eine Fahndungsliste der SDF gesetzt.
Korrespondenten in der Region berichteten, dass die SDF eine Ausgangssperre verhängt und die Kämpfe bisher mehr als 90 Tote auf beiden Seiten gefordert hätten. Auch Zivilisten seien getötet worden. Die Stammesverbände hätten mehrere Angriffe der SDF abgewehrt, Bewohner der umkämpften Orte seien auf das westliche Ufer des Euphrat geflohen, das von der syrischen Armee kontrolliert wird. Ein SDF-Sprecher warf der syrischen Regierung und Iran vor, die arabischen Stammesmilizen aufgestachelt zu haben, um das von SDF und mehr als 900 US-Soldaten kontrollierte Gebiet zu destabilisieren.
US-Außenministerium greift ein
Am ersten September-Wochenende trafen der stellvertretende US-Beauftragte für Syrien, Ethan Goldrich, und Generalmajor Joel B. Vowell auf einer US-Militärbasis in Deir Ez-Zor ein und sprachen mit der SDF und arabischen Stammesvertretern. Lokale Konflikte müssten gelöst werden, hieß es im US-Außenministerium. Die Gewalt müsse sofort eingestellt werden. In dem umkämpften Stammesgebiet befinden sich strategische syrische Ölressourcen, die von den US-Truppen kontrolliert werden.
Vermutlich in Folge des Eingreifens der US-Offiziellen konnten am Mittwoch SDF-Kräfte Dhebian unter ihre Kontrolle bringen. Fotos zeigten US-amerikanische Panzerfahrzeuge (Humvees) der SDF-Truppen in menschenleeren Straßen des Ortes. Nach Angaben der in London ansässigen Syrischen Beobachtungsstellte für Menschenrechte seien Razzien durchgeführt worden. Das Haus von Al-Hafel, dem gesuchten Stammesführer, sei nicht durchsucht worden.
Arabische Stämme gegen kurdische Bevormundung
Das Vorgehen der kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräfte gegenüber den arabischen Stämmen im aktuellen Konflikt wird das Misstrauen der arabischen Stämme gegen die SDF verstärken. Schon lange fühlen die arabischen Stämme sich von kurdischen Kadern innerhalb der SDF-Entscheidungsgremien bevormundet.
Weite Teile von Rakka, Al Hasakeh und Deir Ez-Zor westlich, nördlich und östlich des Euphrat sind keine traditionellen Siedlungsgebiete von Kurden in Syrien, sondern gehören seit Jahrhunderten zum Siedlungsgebiet arabischer Stammesverbände im heutigen Grenzgebiet zwischen Syrien, Irak, Jordanien und Saudi-Arabien. Kurden leben in Syrien traditionell in Afrin (östlich von Aleppo) und in einzelnen Orten entlang der Grenze zur Türkei. Auch in Damaskus leben mindestens 500.000 Kurden.
Eine ausführliche SDF-Erklärung zur Festnahme des Leiters des Militärrates von Deir Ez-Zor macht deutlich, dass Welten zwischen dem Leben und Weltbild von SDF und dem Leben der arabischen Stämme liegen. Ausführlich wurde vom „Rojava Informationszentrum“ RIC unter Berufung auf die SDF-Erklärung erläutert, dass Rashid Abu Khawla schwerer Verbrechen und Gewaltverbrechen gegen Frauen beschuldigt werde. Man werfe ihm „Kommunikation mit anti-revolutionären fremden Kräften“, Drogenschmuggel und Kooperation mit dem IS vor. Seine Festnahme basiere auf einem Haftbefehl der Staatsanwaltschaft im Nordosten Syriens. Ausführlich wird auf Herkunft und Werdegang des Delinquenten eingegangen. Zu Wort kommt auch eine Sprecherin der Frauenorganisation „Zenobia“, die sich in den arabischen Stammesgebieten für Frauenrechte und Frauen in Führungspositionen einsetzt. Ihr Ziel ist es nach eigenen Angaben, der Unterdrückung von Frauen unter dem Islamischen Staat entgegenzuwirken.
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RIC ist ein SDF-Internetportal, dass ausländischen Journalisten Touren im SDF-kontrollierten Nordosten Syriens anbietet und Medien von BBC über das Wall Street Journal bis Deutsche Welle und sämtlichen westlichen Nachrichtenagenturen Berichte und Reportagen anbietet.