Kriege

Syrien: Friedensgespräche werden fortgesetzt – Kurden rufen Föderation aus

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Parallel zu den Genfer Verhandlungen rufen die syrischen Kurden eine Föderation aus, während Moskau weiter seine Truppen abzieht –

Von REDAKTION, 17. März 2016 –

Am Montag wurden in Genf die seit Februar unterbrochenen Friedensgespräche wieder aufgenommen. Am selben Tag hatte Russlands Präsident Wladimir Putin angekündigt, den Großteil der russischen Streitkräfte aus Syrien abzuziehen. Währenddessen drängen die Kurden auf eine Föderalisierung des Landes.

Die syrischen Kurden und ihre Verbündeten haben am Mittwoch eine autonome Region im Norden Syriens ausgerufen, das die drei bereits unter Selbstverwaltung stehenden Gebiete umfassen soll, die von der syrisch-kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD) beziehungsweise der mit ihr verbündeten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) kontrolliert werden.

Die ausgerufene „Föderation Nordsyriens“ solle alle ethnischen Gruppen repräsentieren, die dort leben, erklärte Idris Nassan, „Außenminister“ der kurdischen Selbstverwaltung in Kobane.  

Vertreter der syrischen Kurden betonten dabei, dass es sich nicht um einen eigenen Staat handelt, sondern um eine Föderation, die auch anderen Regionen und Minderheiten Syriens als Vorbild dienen könnte.

Das kurdische Volk werde nicht den „Pfad des Separatismus“ bestreiten, sagte Nassan. Eine Abspaltung von Syrien sei „keine Option“, bekräftigte auch Abd Salam Ali, Repräsentant der PYD in Moskau. „Wir bleiben Teil Syriens, aber wir rufen eine Föderation aus“, sagte er. (1)

Ankara verurteilte den Schritt prompt. Die Türkei unterstütze Syriens nationale Einheit, ein einseitiger Schritt zur Ausrufung einer Föderation sei nicht zulässig, erklärte ein Mitarbeiter des türkischen Außenministeriums gegenüber der Nachrichtenagentur reuters. (2)

Die türkische Regierung hatte wiederholt gedroht, dass sie einen Kurdenstaat in Nordsyrien nicht dulden werde. Trotz Waffenpause nahm die türkische Armee die kurdisch kontrollierten Gebiete Nordsyriens in den vergangenen Wochen weiterhin unter Artilleriebeschuss.

Auch Damaskus verurteile die Ausrufung der Föderation. „Jede Art von Spaltung wird ein absoluter Misserfolg“, sagte der Chefunterhändler der Regierung bei den Genfer Gesprächen, Baschar Dschaafari, gegenüber dpa.

„Wir sind hier, um darüber zu sprechen, wie Syriens Einheit, Souveränität und territoriale Integrität aufrechterhalten werden kann.“ Eine Grenze zwischen Syrern zu ziehen, sei ein „schwerer Fehler“, so Dschaafari, der betonte, dass die syrischen Kurden ein wichtiger Teil des syrischen Volkes seien. (3)

Auch das Hohe Verhandlungskomitee (HNC), das einen Teil der Opposition in Genf vertritt, sprach sich gegen die ausgerufene Föderation aus. HNC-Mitglied Abdel Hakim Baschar bezeichnete sie als „politisches Abenteuer“. Die Kurdenfrage könne nicht mit einer Abspaltung beantwortet werden.

Die ungewohnte Einigkeit zwischen Damaskus, Ankara und dem HNC beschränkt sich allerdings auf die Ablehnung der Föderation. Was die Beteiligung der kurdischen Kräfte an den Friedensverhandlungen betrifft, herrschen weiterhin Differenzen.

Ankara und der HNC lehnen diese ab, während die syrische Regierung ebenso wie Moskau die Kurden mit am Tisch sitzen sehen will. Die Friedensgespräche würden erschwert durch „die Abwesenheit der Hälfte oder Zwei-Dritteln der gesamten Opposition“, sagte Dschaafari, weshalb das Gesprächsformat „sehr schwach“ sei.

Moskau hatte bereits vergangene Woche gewarnt, ein weiterer Ausschluss der kurdischen Kräfte von den Verhandlungen könne die territoriale Integrität Syriens gefährden. Idris Nassan erklärte, die Ausrufung der Föderation sei keine Reaktion darauf, dass die PYD nicht zu den Genfer Gesprächen eingeladen ist. Die Pläne für die Autonomieregion gebe es schon längere Zeit.

Es dürfte dennoch kein Zufall sein, dass die Verkündung parallel zu den Genfer Gesprächen erfolgte. Angesichts des weiteren Ausschlusses von den Verhandlungen „sehen wir nur eine Lösung, und zwar die Ankündigung, eine Föderation aufzubauen“, erklärte der Chef des Moskauer PYD-Büros, Rodi Osman. (4)

„Aufgabe im Wesentlichen erfüllt“ – Russland zieht Truppen ab

Unterdessen kündigte der russische Luftwaffen-Kommandeur Viktor Bondarew an, der Teilabzug der russischen Streitkräfte aus Syrien werde noch in dieser Woche beendet sein. Präsident Putin hatte den Abzug eines Großteils der Streitkräfte am Montag bekannt gegeben. „Die Aufgabe, die dem Verteidigungsministerium und den Streitkräften gestellt war, ist im Wesentlich erfüllt“, sagte Putin.

Die Entscheidung bedeute aber nicht automatisch ein Ende der russischen Luftangriffe, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow, da der Terrorismus in Syrien  noch nicht besiegt sei. Die russische Luftwaffe flog auch in den vergangenen Tagen Einsätze gegen den „Islamischen Staat“ (IS).

Präsidialamtsleiter Sergej Iwanow kündigte an, den Kampf gegen Gruppen wie den IS und die Al-Nusra-Front verstärken zu wollen. „Aber dafür benötigen wir nicht solch ein Truppenkontingent, wie wir es bisher haben“, sagte er.

Wie umfangreich der Abzug letztlich ausfallen wird, ist noch unklar. Moskauer Militärexperten gehen davon aus, dass insgesamt rund eintausend Soldaten auf der Luftwaffen-Basis Hamaimim in der Provinz Latakia sowie auf der Militärbasis Tartus stationiert bleiben.

Die beiden Stützpunkte sollen weiterhin „zuverlässig geschützt werden“, so Putin. Entsprechend ist davon auszugehen, dass Luftabwehrsysteme und Abfangjäger nicht von dem Abzug betroffen sein werden. Schon aus dem Grund, um Saudi-Arabien und insbesondere die Türkei von einer militärischen Intervention in Syrien abzuhalten. Riad und Ankara hatten in den vergangenen Monaten wiederholt Pläne in diese Richtung geäußert.

Wie Moskau verlauten ließ, seien die Abzugspläne mit der Assad-Regierung abgesprochen worden. Hingegen wurden weder die USA noch die europäischen Partner von Moskau vorab über das Vorhaben informiert, sagte Außenminister Frank-Walther Steinmeier. „Insofern waren wir überrascht von dieser Ankündigung.“

Doch so ganz unerwartet kam sie nicht. Moskau hatte mit Beginn der Intervention Ende September angekündigt, diese auf sechs Monate zu befristen. Als deren Zielvorgabe hatte Putin im Oktober die „Stabilisierung des syrischen Staates“ sowie die Schaffung von „Rahmenbedingungen für einen politischen Kompromiss“  genannt.

Beide Ziele hat Moskau erreicht. Der Zeitpunkt der Bekanntgabe des Teilabzugs war geschickt gewählt: Am selben Tag wurde in Genf ein neuer Anlauf in den Friedensverhandlungen gestartet, nachdem die vor allem auf Moskaus Initiative zustande gekommene Waffenruhe seit drei Wochen weitgehend eingehalten wird.

Er hoffe, dass die Entscheidung zum Truppenabzug für alle Seiten ein Signal sei und das Vertrauen für eine friedliche Lösung des Konflikts erhöhe, sagte Putin während eines Treffens mit Außenminister Sergej Lawrow und Verteidigungsminister Sergej Schoigu.

Lawrow sagte, die im September begonnenen russischen Luftangriffe hätten entscheidend dazu beigetragen, Terroristen in Syrien zu schwächen und Voraussetzungen für einen politischen Prozess zu schaffen. Moskau werde alles dafür tun, um den Verhandlungsprozess unumkehrbar zu gestalten. „Diese Arbeit ist schwierig“, räumte der Chefdiplomat ein.

Schwierig, aber nicht aussichtslos. Die Atmosphäre in Genf habe sich nach seinem Eindruck im Vergleich zu früheren Gesprächsrunden zum Positiven verändert, sagte UN-Vermittler Staffan de Mistura am Dienstag.

Das gehe zurück auf Russlands Entscheidung zum Truppenabzug, die Flüchtlingskrise und die jüngsten Erfolge gegen die IS-Terrormiliz. Zudem sprächen die USA und Russland miteinander und seien im UN-Sicherheitsrat vereint. „All das hat einen neuen Impuls gegeben“, so der UN-Vermittler. Es gebe nun einen Mechanismus, den es zuvor nicht gegeben habe.

Nach Ansicht von Außenminister Steinmeier erhöht der russische Teilabzug den Verhandlungsdruck auf die syrische Regierung. „Wenn sich die Ankündigungen eines russischen Truppenabzugs materialisieren, erhöht das den Druck auf das Regime von Präsident Assad, in Genf endlich ernsthaft über einen friedlichen politischen Übergang zu verhandeln, der den Bestand des syrischen Staatswesens und die Interessen aller Bevölkerungsgruppen wahrt.“

Der Abzug sei jedoch nicht gleichbedeutend mit einer Schwächung Assads, sagte eine Sprecherin des russischen Außenministeriums der Agentur Interfax zufolge. (5) Auch Kremlsprecher Dmitri Peskow schloss ausdrücklich aus, dass Russland damit mehr Druck auf Assad ausüben will.

Allenfalls durchkreuzt Moskau mit dem Abzug etwaige Pläne der Assad-Regierung, den Konflikt auf militärischem Weg für sich entscheiden zu wollen. Ebenso wurden die Pläne der sich bis zum Eingreifen Russlands auf dem Vormarsch befindenden Assad-Gegner zunichte gemacht, einen militärischen Sieg zu erringen.

Die Erkenntnis, wonach der syrische Konflikt nicht militärisch, sondern nur auf dem Verhandlungsweg gelöst werden könne, haben auch westliche Regierungsvertreter in den letzten Jahren oftmals verlauten lassen.

In der Praxis haben sie sich davon jedoch nur selten leiten lassen, und den Konflikt weiter angeheizt mit der Aufrüstung der Assad-Gegner und der kompromisslosen Forderung, erst müsse Assad abtreten, dann könne verhandelt werden.

Russland hat die Staaten, die die Aufständischen in Syrien unterstützen, dazu gezwungen, die Rede, wonach es keine militärische Lösung gebe, nicht länger als öffentlichkeitswirksame Floskel zu missbrauchen – zähneknirschend wurden sie durch die militärische Intervention Moskaus genötigt, sich erstmals ernsthaft und ohne für die Gegenseite unerfüllbare Vorbedingungen an den Verhandlungstisch zu setzen.

Zum großen Verdruss des Westens ist es Russland damit gelungen, sich als Vermittler und Friedensmacht in Syrien in Szene zu setzen.

(mit dpa)


 

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Anmerkungen

(1) https://www.rt.com/news/335774-kurds-federal-system-syria/
(2) http://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-syria-turkey-idUSKCN0WI1B3
(3) https://www.rt.com/news/335774-kurds-federal-system-syria/
(4) ebd.
(5) http://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-russia-syria-assad-idUSKCN0WI0UN

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