Kriege

Sind afghanische Menschenleben weniger wert als deutsche?

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

1263216845

Guttenberg will Kundus-Opfer nur „landesüblich“ entschädigen –

Von THOMAS WAGNER, 11. Januar 2010 –

Der deutsche Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) hat gegenüber Spiegel-online angedeutet, dass die zivilen Opfer des von der Bundeswehr angeforderten Bombardements einer großen Menschenmenge in Kundus am 04. September 2009 nur auf eine vergleichsweise geringe Entschädigungszahlung hoffen dürfen. „Jede Form von Entschädigung sollte landestypisch sein und keinen neuen Unfrieden säen“, sagte er dem Nachrichtenmagazin am Wochenende. (1) Unklar ist zur Zeit sowohl die Höhe der Entschädigungszahlungen als auch die Anzahl der Personen, die der deutschen Regierung als anspruchsberechtigt erscheinen.

Während der Bremer Anwalt Karim Popal vor Ort 179 zivile Opfern recherchiert hat, war die NATO nicht in der Lage eine exakte Opferzahl zu ermitteln. Ein abschließender Untersuchungsbericht des Militärpaktes stellt verschiedene, zum Teil sogar widersprüchliche Zahlenangaben unvermittelt nebeneinander. Nun ist Popal wieder nach Afghanistan geflogen. Diesmal gemeinsam mit einem Juristen des Verteidigungsministeriums. Gemeinsam wollen sie im Rahmen einer „Lagefeststellung“ überprüfen, wer die Gelder bekommen soll.

Unterdessen sagte Guttenberg gegenüber Spiegel-online, nach einer Analyse seines Ministeriums sei zu befürchten, dass in der Region Kämpfe um das Geld ausbrechen könnten. Hinter dieser Einschätzung steckt möglicherweise einmal mehr ein äußerst zwielichtiger Partner der deutschen Regierung vor Ort: der Gouverneur von Kundus, Mohammad Omar.

„Wenn die Bundeswehr Geld an Einzelne gibt, führt das zu Mord und Totschlag“, sagte dieser am Wochenende in einem Gespräch mit Spiegel-online: „Wir haben eine Arbeitsgruppe gegründet, die nach Lösungen suchen wird.“ Deutsche Behörden sollen den Gouverneur vor der Ankunft Popals informiert haben und wollen den selbst in Kriegsverbrechen verstrickten Politiker in die Gespräche einbinden. (2)

Dabei stehen Popal und der Gouverneur auf keinem guten Fuß miteinander. Der Gouverneur wirft Karim Popal vor, er wolle aus Eigennutz hohe Geldsummen aushandeln, die letztlich bei den Taliban landen würden. Popal wiederum hatte den Gouverneur schon nach seinem zweiten Recherche-Besuch in Afghanistan im Verdacht, hinter einer Morddrohung gegen ihn zu stecken.

Im Lichte verschiedener Hintergrund-Recherchen ist es aber nicht Popal, sondern Gouverneur Omar, der nur wenig glaubwürdig erscheint. Es gibt starke Anhaltspunkte dafür, dass er sich mit der Bundeswehr vor Ort abgesprochen hat, um die Höhe der zivilen Opferzahlen gegen die Faktenlage im Sinne des Verteidigungsministeriums nach unten zu korrigieren. (3)

Lange Zeit galt der Gouverneur dem Verteidigungsministerium als wenig vertrauensvolle Person. Erst infolge des Kundus-Bombardements ist er zu einem beliebten Kronzeugen avanciert. Denn Gouverneur Omar hatte die Bundeswehr für das Massaker ausdrücklich gelobt.

Es kommt daher einer Verhöhnung der Opfer gleich, wenn deutsche Behörden ausgerechnet mit diesem zynischen Gewaltpolitiker in Fragen der Opferentschädigung zusammenarbeiten.

Aber nicht nur aus diesem Grund ist das derzeitige Verhalten Guttenbergs skandalös. Abgesehen davon, dass er sich sehr lange Zeit gelassen hatte, bis er dem Verlangen der Opferanwälte nach einer direkten Kontaktaufnahme überhaupt entgegen kam, sät er nun auch noch neuen Unfrieden unter der afghanischen Bevölkerung, indem er das Leben der Einheimischen zumindest implizit für weniger entschädigenswert erklärt, als das deutscher Mitbürger.

Abo oder Einzelheft hier bestellen

Seit Juli 2023 erscheint das Nachrichtenmagazin Hintergrund nach dreijähriger Pause wieder als Print-Ausgabe. Und zwar alle zwei Monate.

Hintergrund abonnieren

Erschwerend kommt hinzu, dass er sich weigert, die Opfer um Verzeihung zu bitten. Während er auf der einen Seite die Höhe der Entschädigung auf das „landesübliche“ Maß herunterdrücken will, verstößt er damit auf der anderen Seite gegen einen der wichtigsten Bräuche des Landes. Nach Landessitte ist es üblich, bei den Angehörigen getöteter Menschen um Verzeihung zu bitten. Einer entsprechenden Empfehlung des landeskundigen ehemaligen CDU-Abgeordneten und Buchautors Jürgen Todenhöfer ist Guttenberg aber bis heute nicht nachgekommen.


(1) http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,671027,00.html
(2) http://www.hintergrund.de/index.php/politik/inland/der-kriegsverbrecher-als-kronzeuge.html
(3) http://www.hintergrund.de/index.php/globales/kriege/wie-die-bundeswehr-afghanische-regierungsstellen- in-ihre-propagandastrategie-einspannte.html

Newsletter

Wir senden keinen Spam! Erfahren Sie mehr in unserer Datenschutzerklärung.

Der Hintergrund-Newsletter

Wir informieren künftig einmal in der Woche über neue Beiträge.

Wir senden keinen Spam! Erfahren Sie mehr in unserer Datenschutzerklärung.

Drucken

Drucken

Teilen

Voriger Artikel Kriege Kriege verschaffen den Großhändlern des Todes einen wahren Geldregen
Nächster Artikel Kriege Niederlande: Kein völkerrechtliches Mandat für den Irakkrieg