Operation Balkan: Werbung für Krieg und Tod
Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.
von Jörg Becker und Mira Beham.
Seit dem Kosovokrieg von 1999, der die Frage nach der Rolle der Medien im Krieg und nach Krisenkommunikation überhaupt in einer relativ breiten Öffentlichkeit thematisierte, ist eine explosionsartig angewachsene und kontinuierlich wachsende Menge an Literatur zum Thema Medien und Krieg zu verzeichnen. Damit scheint eine lange geltende kommunikationswissenschaftliche Gesetzmäßigkeit außer Kraft gesetzt worden zu sein, wonach jeder Krieg eine Medienkrise hervorruft, in der sich die Medienschaffenden veranlasst sehen, zu fragen, wie sie über den Krieg kommuniziert haben, um anschließend alsbald wieder zur Tagesordnung überzugehen und wenig bis gar keine Lehren aus dem zurückliegenden für den nächsten Krieg zu ziehen.
Dass es jetzt aber eine offenbar gestiegene und eine mehr oder weniger andauernde Sensibilität für den Umgang der Medien mit Kriegen gibt, hat vermutlich vor allem zwei Gründe. Erstens haben uns der 11. September 2001 und seine Folgen praktisch in den Zustand eines permanenten Krieges versetzt, was wiederum eine permanente Auseinandersetzung mit Inhalten und Formen der Kommunikation über Krieg hervorruft und erforderlich macht. Zweitens ist eine rasante Veränderung der Quantität und Qualität von Kriegs- und Krisenkommunikation eingetreten.
Innerhalb der Friedensforschung ist ebenfalls eine erhöhte Sensibilität hinsichtlich dieses Themas zu verzeichnen. Auffällig jedoch ist dabei generell, dass – nicht nur in der Friedensforschung – zwei wichtige Aspekte der komplexen Problematik eher ein Schattendasein fristen. Da wären zum einen die Balkankriege der neunziger Jahre, die über den Kosovokrieg hinaus kaum Interesse wecken, obschon der NATO-Krieg gegen Jugoslawien in vielerlei Hinsicht – auch medial – auf ihnen aufgebaut hat. Und da wäre zum anderen die Frage nach der Beeinflussung von Kriegs- und Krisenkommunikation, also auch der von Medien, durch Public Relations-Maßnahmen.
Propaganda und Public Relations
Wer im 21. Jahrhundert etwas über Propaganda schreiben will, tut gut daran, bei Harold D. Lasswell zu beginnen. Ende der zwanziger Jahre des letzten Jhs. veröffentlichte Lasswell sein Buch „Propaganda Technique in the World War“ , einen Klassiker über die Propagandagräuel aller Kriegsparteien im Ersten Weltkrieg. Nach Lasswell dient Kriegspropaganda vier Zielen: den Hass gegen den Feind zu mobilisieren, die Freundschaft unter den eigenen Verbündeten zu stärken, freundliche Kooperationsmodelle gegenüber neutralen Mächten herzustellen und den Feind zu demoralisieren. Diese Zielsetzungen von Kriegspropaganda haben sich heute bis heute nicht geändert.
In seinem Aufsatz über „Die Theorie der politischen Propaganda“ bestimmte Lasswell sein Verständnis von Kommunikation folgendermaßen: „Propagandastrategien kann man am besten in der Terminologie von Stimulus und Response erklären. Einem Propagandisten geht es um die Vervielfachung der Stimuli, die am ehesten die gewünschte Wirkung erzielen und um Auslöschung der Stimuli, die wahrscheinlich zu unerwünschten Wirkungen führen.“ Später schrieb er an anderer Stelle, dass Propaganda die Manipulation von Symbolen sei, um Einstellungen bezüglicher kontroverser Themen zu beeinflussen. Lasswells theoretische Modellbildung ging davon aus: Sind die Stimuli erstens nur geschickt genug ausgewählt und werden sie zweitens nur ausreichend häufig genug wiederholt, ist von geglückter Kommunikation zu sprechen, kann eine einheitliche Reaktion seitens der „amorphen Masse“ vorausgesetzt werden.
Hinter Lasswells Überlegungen verbirgt sich das Reiz-Reaktions-Modell der etablierten Sozialwissenschaft. Und als Persuasionsforschung, also als eine Kommunikationsforschung, die überreden und überzeugen will, stehen diese Überlegungen nach wie vor Pate für alle etablierten Konzepte der gegenwärtigen Werbewirkungsforschung, der Wirkungs- in der Kommunikationsforschung und auf dem Arbeitsgebiet von PR. Diskreditiert durch den positiv besetzten Propaganda-Begriff in der NS-Zeit grenzen sich Vertreter und Befürworter von PR seit langem vom Propaganda-Begriff ab.
Definitorisch indes sind auch gegenwärtig die Abgrenzungen zwischen den Begriffen Propaganda und PR keinesfalls zufrieden stellend zu leisten. Weder ist trennscharf zu unterscheiden zwischen „überreden“ für Propaganda und „überzeugen“ für PR, noch sind inter-subjektiv überprüfbare und messbare Kriterien für „gute“ kommunikative Absicht und „gute“ Ethik für PR und „schlechte“ kommunikative Absicht und „schlechte“ Ethik für Propaganda denkbar.
Wie sehr der neue Begriff PR lediglich Neusprech für den alten Begriff Propaganda ist, zeigt der folgende Abgrenzungsversuch von Günter Bentele, Inhaber eines Lehrstuhls für Öffentlichkeitsarbeit und PR an der Universität Leipzig: Eine „umstandslose Gleichsetzung von Öffentlichkeitsarbeit und Propaganda“ sei „unter logisch-systematischen Gesichtspunkten und gemessen an der Zielsetzung einer differenzierten PR-Theorie zu simpel. Das Problem dieser Position ist, dass notwendigerweise von gravierenden Unterschieden zwischen nationalsozialistischer Propaganda oder politischer DDR-Propaganda und Öffentlichkeitsarbeit westlichen Typs abstrahiert werden muss“ .
Doch Benteles Position bleibt aus zwei Gründen problematisch. Erstens huldigt er einem sozialwissenschaftlich fragwürdigen, weil allzu simplen Totalitarismusmodell, dessen Dichotomie Feindbildcharakter aufweist: Propaganda haben nur die anderen, man selbst betreibt Aufklärung und Öffentlichkeitsarbeit. Zweitens aber bekommt Benteles inhaltlich leerer Strukturfunktionalismus erhebliche empirische Probleme, denn ganz offensichtlich kann nicht sein, was nicht sein darf.
Das Engagement von PR-Agenturen in den ex-jugoslawischen Kriegen
Es ist inzwischen allgemein bekannt, dass Regierungen PR-Unternehmen damit beauftragen, ihr Image in anderen Ländern aufzubessern. Wenig bekannt ist hingegen, dass es seit langem von sehr unterschiedlichen Regierungen in Auftrag gegebene und bezahlte PR-Kampagnen gibt, um Feindbilder aufzubauen, Kriege vorzubereiten oder Diktaturen zu beschönigen.
Im wechselseitigen Abhängigkeitssystem „Regierungen/PR-Agenturen in Kriegszeiten“ haben wir insgesamt 157 Halbjahresverträge zwischen ex-jugoslawischen Kunden und 31 verschiedenen PR-Agenturen sowie neun Einzelpersonen aus dem für den Zeitraum der Kriege in Ex-Jugoslawien von 1991 bis 2002 erfasst.
Im August 1991 erhielt die PR-Firma Ruder Finn von der kroatischen Regierung den Auftrag, für sie zu arbeiten, im Mai 1992 von der bosnischen Regierung und im Herbst desselben Jahres von der Führung der Kosovo-Albaner. Damit ist Ruder Finn die einzige PR-Agentur, die im Krieg für alle drei nicht-serbischen Kriegsparteien gleichzeitig tätig war.
Kennzeichnend für die Arbeit von Ruder Finn im Auftrag der drei Kriegsparteien – und eher unüblich für das nüchtern dienstleistungsorientierte Selbstverständnis der Branche – ist das hohe Maß an Identifikation mit den Anliegen und Zielen der Kunden, das sowohl David Finn als auch James Harff, beide Ruder Finn, mehrfach dokumentiert haben. In einem uns exklusiv vorliegenden Interview, das für die holländische TV-Dokumentation „De Zaak Milošević“ gedreht und nur in Auszügen ausgestrahlt wurde, erklärt Harff: „Es ist in unserem Blut, wir haben den Balkan im Blut wegen der persönlichen und professionellen Erfahrungen. […] Wir haben uns sehr große Sorgen um das Kosovo gemacht, und natürlich war die NATO-Aktion von 1999 ganz sicher angemessen, wenn auch verspätet. […] Ich muss sagen, als die NATO 1999 angriff, haben wir eine Flasche Champagner aufgemacht.“
Die Kommunikationskonzepte der PR-Agenturen in den Balkan-Kriegen
Die von den Kriegsparteien engagierten PR-Agenturen arbeiteten im wesentlichen mit folgenden Elementen, die sie formal und inhaltlich miteinander kombinierten: politische Propaganda, Lobbying, Krisenkommunikation, Medienkommunikation, Informationsmanagement, Issues Management, Public Affairs (also politische Kommunikation), Consulting und Intelligence. PR-Agenturen, die für nicht-serbische Klienten arbeiteten, gaben folgende Ziele ihrer Arbeit an:
• die Anerkennung der Unabhängigkeit Kroatiens und Sloweniens durch die USA,
• die Wahrnehmung Sloweniens und Kroatiens als fortschrittliche Staaten westeuropäischen Zuschnitts,
• die Darstellung der Serben als Unterdrücker und Aggressoren,
• die Gleichsetzung der Serben mit den Nazis,
• die Formulierung des politischen Programms der Kosovo-Albaner,
• die Darstellung der Kroaten, der bosnischen Muslime und der Kosovo-Albaner als ausschließlich unschuldige Opfer,
• die Anwerbung von NGOs, Wissenschaftlern und think tanks für die Verwirklichung der eigenen Ziele,
• das Eingreifen der USA in die Ereignisse auf dem Balkan,
• die Darstellung der Eroberung der serbisch gehaltenen Krajina durch die kroatische Armee als legitim und legal,
• die Aufrechterhaltung der UN-Sanktionen gegen Serbien,
• eine günstige Entscheidung beim Schiedsspruch um die bosnische Stadt Brčko,
• die Völkermordanklage gegen die Bundesrepublik Jugoslawien vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag,
• günstige Verhandlungsergebnisse für die albanische Seite in Rambouillet,
• die Anklage Slobodan Miloševićs vor dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag,
• eine Förderung von US-Investitionen in den jugoslawischen Nachfolgestaaten.
• die Sezession Montenegros von Belgrad.
PR-Agenturen, die für serbische Klienten arbeiteten, gaben folgende Ziele ihrer Arbeit an:
• die allgemeine Verbesserung des schlechten Images,
• die Verbesserung des Images der bosnischen Serbenrepublik,
• die Anwerbung von NGOs, Wissenschaftlern und think tanks für die Verwirklichung der eigenen Ziele,
• Förderung von US-Investitionen in Serbien,
• die Verbesserung der Beziehungen zu den USA nach der Abwahl Miloševićs,
• die Aufhebung der UN-Sanktionen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Balkan-Klienten mit ihren PR-Aktivitäten zwei Ziele verfolgten: Erstens ging es ihnen um eine Selbst-Einführung in die US-amerikanische Politik, Gesellschaft und Öffentlichkeit. Man wollte sich also selbst positiv präsentieren, d.h. diplomatisch tätig sein. Zweitens ging es ihnen um die Erreichung sehr handfester, eigener Kriegsziele. Oft wurden hierbei beide Aspekte stark miteinander verwoben.
Bad und good guys – die Simplifizierung bewaffneter Konflikte
In den Balkan-Kriegen haben wir die Konstellation, dass Kriegsregierungen ihre Propaganda durch den Filter von PR-Agenturen und deren zahlreiche Kommunikationskanäle in glaubwürdige Botschaften verwandeln konnten. Daraus resultiert eine starke Homogenisierung der öffentlichen Meinung in den USA und in den westlichen Gesellschaften überhaupt: die US-Regierung, amnesty international, Human Rights Watch, Freedom House, das United States Institute of Peace, die Soros-Foundation, liberale Intellektuelle und weite Kreise der Konservativen, die Vereinten Nationen, Journalisten, aber auch die Regierung in Zagreb, die Regierung in Sarajevo, die Führung der Kosovo-Albaner, die UÇK – sie alle haben, mit geringfügigen Nuancen, eine praktisch identische Lesart der Balkan-Kriege. In einer etwas überspitzten Kurzfassung sieht diese so aus: Die Serben sind in nationalistischen Wahn verfallen und wollten ein Großserbien errichten, Slobodan Milošević, ein unverbesserlicher Kommunist, hat sich zu ihrem Führer aufgeschwungen und hat mit der Jugoslawischen Volksarmee die nicht-serbischen Republiken und Völker angegriffen und dabei Massenvergewaltigungen, ethnische Säuberungen und Völkermord begehen lassen; die anderen ex-jugoslawischen Nationen – Slowenen, Kroaten, Bosnier, Albaner, Mazedonier – waren friedliebende, demokratische Völker (die Montenegriner hatten ein geteiltes Image – solange sie mit Belgrad solidarisch waren, galten sie als ebenso aggressiv, als sie mit Belgrad brachen, verwandelten sie sich in ein friedliebendes Volk). Das ist genau das Bild der Balkan-Kriege, das die PR-Agenturen 1:1 verbreitet haben. Und es ist deckungsgleich mit der Propaganda der ex-jugoslawischen, nicht-serbischen Kriegsparteien.
PR und private Militärfirmen
Die kroatische Regierung hatte praktisch durchgehend von 1991 bis 2002 verschiedene große PR-Firmen engagiert, die sich in den USA für ihre politischen, ökonomischen und kulturellen Belange einsetzten und ein positives Image des Staates verbreiteten. Nach der erfolgreichen Anerkennung der Unabhängigkeit Kroatiens durch die USA gab es jedoch noch ein besonders kritisches politisch-militärisches Problem, das es zu lösen galt – die Serbenfrage in der Krajina. Und an diesem Punkt gibt es eine erste nachweisbare Kombination von gleichzeitigen Aktivitäten einer PR-Agentur und Aktivitäten einer privaten Militärfirma.
Im März 1993 engagierte das Büro des kroatischen Präsidenten Franjo Tudjman die PR-Agentur Jefferson Waterman International (Waterman Associates) und im September 1994 unterzeichnete die kroatische Regierung einen Vertrag mit der privaten US-amerikanischen Militärfirma MPRI (Military Professional Resources Inc.). MPRI ist eine von einigen Dutzend ähnlicher privater Militärfirmen (PMFs), die militärisches Training und verwandte Hilfsdienste für ausländische Regierungen durchführen. Wie ein ehemals hochrangiger Geheimdienstmitarbeiter erklärt, sind diese privaten Trainingsprogramme dazu gedacht, die „außenpolitischen Ziele der USA zu fördern“ und dürfen deshalb nicht ohne die ausdrückliche Zustimmung des US-amerikanischen Außenministeriums realisiert werden. Mit Hilfe dieser florierenden privaten Kriegsindustrie kann die US-Regierung in jedem Land der Welt jede Form von Militärhilfe leisten, ohne die Zustimmung des Kongresses einholen oder der Öffentlichkeit Rechenschaft ablegen zu müssen.
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Anfang August 1995, elf Monate nach der Unterzeichnung des Vertrags mit MPRI, startete die kroatische Armee die „Operation Sturm“ und überrannte in nur vier Tagen die UNPA-Zonen in der serbisch gehaltenen Krajina. Das war genau jene Aktion, auf die die US-amerikanische Öffentlichkeit von der PR-Firma Jefferson Waterman International positiv eingestimmt werden sollte. Während MPRI leugnet, mit der „Operation Sturm“ irgendetwas zu tun zu haben, sagen Experten, dass der Angriff ganz eindeutig die „Handschrift“ der USA trage. Nicht nur der Name „Operation Storm“ wurde bewusst in Anlehnung an die „Operation Desert Storm“, also den Golf-Krieg von 1991, gewählt, vielmehr seien einzelne Aktionen so vorbildlich „wie aus einem Handbuch“ der US-Armee durchgeführt worden.
MPRI war jedoch nicht nur in Kroatien tätig, und Kroatien war nicht die einzige Kriegspartei auf dem Balkan, die die Dienste einer PMF in Anspruch nahm: So bildete MPRI die UÇK im Kosovo und Mazedonien aus, war aber gleichzeitig offiziell für die Armee der Republik Mazedonien tätig. Als es im Frühjahr 2001 zu einem bewaffneten Konflikt zwischen den mazedonischen Streitkräften und der UÇK kam und die Armee die UÇK in Aračinovo östlich von Skopje in die Enge gedrängt hatte, intervenierte die NATO und stellte 15 klimatisierte Busse zur Verfügung, die die albanischen Kämpfer samt Waffen evakuierten. Unter ihnen befanden sich 17 Instrukteure von MPRI. Zusammenfassend kann man sagen, dass es hier um eine Struktur geht, in der sich die Aktivitäten von privatwirtschaftlich agierenden PR-Agenturen und die einer privatwirtschaftlich agierenden Militärfirma im Dienste politisch-militärischer Ziele von Kriegsparteien komplementär verhalten. Privatisiert ist also nicht nur die Kriegspropaganda, privatisiert ist vor allem die Kriegsführung selbst.