Kriege

Not und Elend im Donbass

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Von SUSANN WITT-STAHL, Donezk, 12. September –

Der Krieg im Südosten der Ukraine ist zermürbend. „Meine Tochter kann nun noch trockenes Brot essen“, sagt Ludmilla, die ihr Kind auf dem Arm hält. Die kleine Viktoria ist keine drei Jahre alt und leidet unter einer schweren Gastritis. „Wir haben kein Geld für Medikamente, die sie dringend braucht“, erklärt Großmutter Valentina. Sie ist mit ihrer fünfköpfigen Familie aus Petrovsky, einem westlichen Distrikt von Donezk, gekommen – einem Ort, der wochenlang dem Artilleriegeschosshagel ausgesetzt war; viele Häuser wurden komplett zerstört. Der Stress und die ständige Todesangst machen viele Menschen krank. Viele haben psychosomatische Beschwerden.

Wie unzählige andere hat Valentinas Familie alles verloren. Die Flüchtlinge – die aus Lugansk oder aus den Randbezirken von Donezk in die Innenstadt gekommen sind – haben es besonders schwer. Die heftigen Kämpfe zwischen Kräften der selbsternannten Volksrepublik Donezk und der ukrainischen Armee haben viele gezwungen, alles stehen und liegen zu lassen.

Etwa zweihundert von ihnen sind provisorisch in einem Studentenwohnheim untergebracht. Der Ort wird geheim gehalten. Die Bewohner und Sicherheitskräfte fürchten, dass das Gebäude zur Zielscheibe werden könnte – nicht völlig auszuschließen, wie das abgebrannte Obergeschoss einer nicht weit entfernten Schule belegt. Diverse zivile Einrichtungen sind in den vergangenen Wochen von der ukrainischen Artillerie getroffen worden.

Vitali ist in einer provisorischen Flüchtlingsunterkunft einquartiert. Dennoch steht er hinter dem Aufstand gegen Kiew: „Ich möchte in einem demokratischen Land leben, ohne Nationalismus und Faschismus.“

Zu den Flüchtlingen, die im Studentenheim Unterschlupf gefunden haben, gehört auch Vitali. Er wohnte in Ploshadka, in der Nähe des bis heute erbittert umkämpften Flughafens von Donezk. „Vor der Haustür des Gebäudes sind Granaten eingeschlagen. Ich musste dort raus.“ Die Straße, in der der 64-Jährige lebte, ist derzeit Niemandsland. Sie liegt zwischen den Fronten. Es gebe zwar, zumindest zeitweise, Strom aber kein Wasser. Vitali wohnt im zehnten Stock. „Es ist momentan viel zu gefährlich zurückzukehren.“ Außerdem muss er sich um seine kranke Schwester kümmern, die unweit von der Flüchtlingsunterkunft in einem Hospital liegt. Wie er zukünftig zurechtkommen soll, das weiß er nicht. Er hat seit zwei Monaten keine Rente bekommen. Die Firma, in der er sich ein paar Griwna dazu verdient hatte, lag auch in der Nähe des Flughafens. Sie ist zerbombt worden.

Der Krieg hat seine Spuren hinterlassen – Zerstörtes Museum in Donezk

Trotz der Entbehrungen steht Vitali hinter dem Aufstand gegen Kiew. „Als die Eskalation anfing auf dem Maidan, haben wir uns gewehrt. Wir wollen nicht, dass der Rechte Sektor hierherkommt“, sagt Vitali. Auf die Frage, was sein wichtigstes politisches Anliegen sei, antwortet er: „Ich möchte in einem demokratischen Land leben, ohne Nationalismus und Faschismus.“ Ob das in einem unabhängigen Staat Novorussia, in einem Teil Russlands oder in einer föderalistischen Ukraine ist – die drei Möglichkeiten, die es für die Bevölkerung des Donbass gibt – , das ist für ihn zweitrangig und könne erst später geklärt werden, meint er. „Erst einmal brauchen wir Frieden.“

Dass der noch weit entfernt ist – an diese schmerzhafte Wahrheit erinnert das Gewehrfeuer, das plötzlich zu hören ist. „Etwa einen Kilometer entfernt wird geschossen“, erklärt ein Kämpfer der Miliz, der zusammen mit zwei Kameraden vor dem Flüchtlingsheim an einem Blog Post Wache hält und soeben die Meldung über Funk erhalten hat. Durch das Universitätsviertel donnert im Höllentempo eine Kolonne von Militärfahrzeugen mit tödlicher Ladung: Grad-Werfer, die in einer Salve innerhalb von 20 Sekunden 40 Raketen abfeuern können. Die Stadt kommt einfach nicht zur Ruhe. Nachts wird die Bevölkerung immer wieder durch Geschützlärm und Detonationen aus dem Schlaf gerissen.

Die Lage in den Randbezirken von Donezk ist weiterhin in einigen Gegenden verheerend. Oftmals mangelt es am Allernotwendigsten – beispielsweise an Brot. „Wir haben keine ärztliche Versorgung“, berichtet Sergei, ein junger Mann, der bei einem Artillerieangriff am Arm verletzt wurde, regelmäßig in die Innenstadt kommt, um die Wunde behandeln zu lassen. In Petrovsky, wo Sergei lebt, wird weiter geschossen. Die Leichen können nicht geborgen werden. „Die Hunde haben angefangen, sie zu fressen.“

“Es kümmert sich doch sonst niemand um sie”, sagt die Frau, während sie den abgemagerten Straßenhund füttert 

Auch die Tiere leiden. Überall betteln völlig abgemagerte verwilderte Hunde um Futter. Trotz der eigenen Not zeigen einige Menschen in Donezk Mitgefühl. Eine Frau kommt aus einem Hochhaus. Sie hat einen Kochtopf mit Essensresten in der Hand, die sie einem zitternden Hund gibt, der sich völlig ausgehungert darüber hermacht. „Es kümmert sich doch sonst niemand um sie“, sagt die Frau und streichelt dem verängstigten Tier über dem Kopf. „Da kann man doch nicht nur zuschauen. Man muss einfach etwas tun.“


 

 

 

  

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