Kriege

Menschenjagd in Libyen: Lynchjustiz gegen Gaddafi-Treue, Journalisten unter Beschuss

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

1300894200

Von REDAKTION, 23. März 2011 –

Im libyschen Bürgerkrieg mehren sich Anzeichen, dass schwere Menschenrechtsverletzungen bei weitem nicht nur von den Regierungstruppen ausgehen, wie es von westlichen Politikern und den Medien meist suggeriert wird.

Auf der einen Seite gibt es nun tatsächlich ernstzunehmende Hinweise, dass Gaddafi-treue Soldaten, Milizen oder Söldner tatsächlich gezielt Zivilisten, genauer Journalisten, unter Beschuss nehmen. Der deutsche Autor Jürgen Todenhöfer musste das am eigenen Leib erfahren, als er mit einer Kamerafrau und mehreren zivilen libyschen Begleitern durch das Krisengebiet reiste. Filmaufnahmen belegen, wie er und sein Team gezielt beschossen werden und einer seiner Begleiter dabei ums Leben kommt.  (1) Der Film zeigt außerdem Bilder, auf denen weitere zerbombte zivile Fahrzeuge zu sehen sein sollen.

Auf der anderen Seite lässt sich aus einen Spiegel Online Interview mit Abdul Karim Basama, dem Generalsekretär des Nationalen Übergangsrates in Bengasi, unschwer schließen, dass unter Teilen der Aufständischen in der Stadt eine tödliche Jagd auf Angehörige von Gaddafis Revolutionskomitees, der Ligan Thauria, begonnen hat, die von der Führung der Aufständischen, die zum Teil selbst einmal dem Regime angehört haben, anscheinend nicht unterbunden wird.

„Einige der Ligan Thauria“, sagt Basama, „haben unter Gaddafi gefoltert oder getötet. Wenn einer jetzt erwischt wird, dann erzählen sich die jungen Revolutionäre davon und schnappen sich ihn. Wir versuchen, das zu kontrollieren so schnell es geht, um sie ins Gericht zu schicken.“ (2) Und weiter: „Es gibt Unfälle, wenn sie entdeckt werden. Sie wissen, wie das ist, wenn es zum Handgemenge kommt hier. Es ist schwierig, die Leute zu kontrollieren.“ (3)

Hier der weitere Wortlaut des in Bengasi geführten Gesprächs:
Spiegel Online: Sie werden getötet?
Basama: Ja.
Spiegel Online: Wie viele von der Ligan Thauria gibt es?
Basama: Es gibt keine genaue Zahl.
Spiegel Online: Und ungefähr? Dutzende oder Tausende?
Basama: Weniger als einhundert.
Spiegel Online: Stimmt es, dass eine Liste publiziert wurde mit allen Namen der Ligan Thauria, eine Tötungsliste mit 7.200 Leuten?
Basama: Es gibt viele Listen, wissen Sie.
Spiegel Online: Sind diese Listen öffentlich oder geheim?
Basama: Nein, ehrlich gesagt, hat der Übergangsrat wenig damit zu tun. Diese jungen Leute von der Revolution machen ihre eigenen Entscheidungen. Wir können nur versuchen, das zu koordinieren. Einige Anwälte im Gericht versuchen auch, dass keiner ohne legales Prozedere gefangengenommen wird. Aber im Kriegsfall ist das schwierig zu kontrollieren.
Spiegel Online: Kann man mit diesen Gefangenen sprechen?
Schweigen.  
Spiegel Online: Also kann man nicht mit ihnen sprechen.
Basama: Es gibt die Möglichkeit, aber … Entschuldigen Sie, ich bin in zehn Minuten wieder da.
Spiegel Online: Okay.
Er kommt nicht wieder.“ (4)

Die Gewalt eskaliert also auf beiden Seiten. Um so unverständlicher ist der Sachverhalt, dass die westlichen Interventionsstaaten bislang jeden Versuch einer diplomatischen Lösung der Krise, wie sie etwa von Venezuelas Präsident Hugo Chavéz und den Staaten des lateinamerikanischen Staatenbündnisses Alba auf die Agenda der internationalen Politik gesetzt wurden, rigoros ablehnten. Die ständig wachsende Zahl von Staaten, die sich gegen die Bombardements und für eine Verhandlungslösung einsetzen wird komplett ignoriert.

Abo oder Einzelheft hier bestellen

Seit Juli 2023 erscheint das Nachrichtenmagazin Hintergrund nach dreijähriger Pause wieder als Print-Ausgabe. Und zwar alle zwei Monate.

Hintergrund abonnieren

Auch Jürgen Todenhöfer machte seine traumatische Erfahrung nicht zum Befürworter westlicher Luftangriffe auf Libyen. „Ich appelliere an die Staatengemeinschaft: Helft dem libyschen Volk schnell, mutig, wirkungsvoll, aber auch klug! Es gibt klügere und mutigere Aktionen als Bombenangriffe nach vierzig Jahren Kooperation mit einem mordenden Tyrannen. Bomben töten immer auch unschuldige Zivilisten. Sie bergen stets die Gefahr einer unkontrollierbaren Eskalation.“ (5)

(1) http://www.daserste.de/maischberger/sendung.asp?datum=22.03.2011&startseite=true
(2) http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,752447,00.html
(3) http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,752447,00.html
(4) http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,752447,00.html
(5) http://www.faz.net/s/Rub117C535CDF414415BB243B181B8B60AE/Doc~EE32E594A7F9249028716ADFD846171F9~ATpl~Ecommon~Scontent.html

Newsletter

Wir senden keinen Spam! Erfahren Sie mehr in unserer Datenschutzerklärung.

Der Hintergrund-Newsletter

Wir informieren künftig einmal in der Woche über neue Beiträge.

Wir senden keinen Spam! Erfahren Sie mehr in unserer Datenschutzerklärung.

Drucken

Drucken

Teilen

Voriger Artikel Kriege Bomben treffen Zivilisten: Internationale Kritik an westlicher Militärintervention in Libyen wächst
Nächster Artikel Kriege Kriegslügen und tote Zivilisten: Geheimdienst-Kommandos unterstützen westlichen Bombenterror in Libyen