Kriege

Krisengipfel Obama - Netanyahu: Der Krieg gegen Iran wird vorerst vertagt -

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Von SEBASTIAN RANGE, 6. März 2012 –

Es war das siebte Zusammentreffen von Israels Premierminister Benjamin Netanjahu mit US-Präsident Barack Obama, das für Montag mit großer Spannung erwartet wurde. In Washington sollte die Entscheidung darüber fallen, ob es zu einem Militärschlag gegen das iranische Atomprogramm kommt.

Nach einem erfolgreichen Abschluss sehen beide Gesprächspartner nicht aus: Barack Obama hatte am Montag, den 5. März, in Washington mit dem israelischen Premier Benjamin Netanjahu über Israels Drängen nach einem Militärschlag gegen Iran verhandelt.

Doch von Erfolg gekrönt scheint die Begegnung für Netanjahu nicht gewesen zu sein. War es doch sein erklärtes Ziel, den USA damit zu drohen, Iran im Alleingang anzugreifen, falls sie nicht zu einem gemeinsamen Militärschlag bereit seien.

Und auch Obama vermittelte noch einen Tag zuvor mit seiner Rede auf der Jahreskonferenz der größten pro-israelischen Lobby-Organisation AIPAC den Eindruck, dem Druck aus Tel Aviv nachgegeben zu haben. Der US-Präsident sprach von dem „souveränen Recht“ Israels, eigene Entscheidungen über den Schutz seiner Sicherheitsinteressen zu fällen.

Obama unterstrich zum wiederholten Mal seine häufig geäußerte Haltung, auf keine Option verzichten zu wollen, um Teheran vom Bau einer Nuklearwaffe abzuhalten. „Und das meine ich auch so“, erklärte der US-Präsident und führte aus, dass dazu Sanktionen und die internationale Isolierung des Irans zählten. „Ja, auch militärische Anstrengungen, um auf jeden Notfall vorbereitet zu sein.“

„Ich verfolge eine Politik, die verhindert, dass der Iran in den Besitz von Atomwaffen gelangt.“ Er habe bislang in seiner Amtszeit nicht gezögert, auch Gewalt anzuwenden, um die Vereinigten Staaten und ihre Interessen zu schützen.

Netanjahu äußerte sich anschließend sehr zufrieden über die Rede Obamas. „Vielleicht mehr als alles andere schätze ich seine Aussage, dass Israel in der Lage sein muss, sich selbst gegen jede Bedrohung zu verteidigen“, sagte der israelische Premierminister.

Der Eindruck, Obama habe Tel Aviv damit die uneingeschränkte Handlungsfreiheit für eigene militärische Interventionen eingeräumt, trügt jedoch. Zum einen ist Washingtons Betonung von Israels souveränen Rechten nicht neu und kann nicht als Weichenstellung in Richtung eines militärischen Vorgehens interpretiert werden. Zum anderen wäre es eine Überraschung gewesen, wenn der US-Präsident im Wahlkampfjahr vor der einflussreichen Lobby-Organisation nicht die israelisch-amerikanische Bündnistreue beschworen und dazu eine gegen den Iran gerichtete Rhetorik genutzt hätte. Entscheidend sind die praktischen Konsequenzen. Und genau hier scheiden sich – trotz aller Beteuerungen gemeinsamer Interessen  – die Geister: Obama ist der Forderung Netanjahus nicht nachgekommen, eine „rote Linie“ zu benennen, die unausweichlich zu einem US-Militärschlag gegen das persische Land führen würde, falls Teheran diese überschreitet. Auch hat Obama die Schwelle für einem Militärschlag nicht herabgesenkt. Nach wie vor wird diese mit dem „Besitz von Atomwaffen“ markiert, während Israel bereits die „Atomwaffenfähigkeit“ als Markstein für einen Angriff gekennzeichnet sehen will.

Die Fähigkeit, Atomwaffen herzustellen, ist allerdings nicht klar definiert. Würde der Iran aufgrund dieses Kriteriums einen Krieg vermeiden wollen, so müsste das Land sein ziviles Atomprogramm – zumindest die eigenständige Urananreicherung – aufgeben. Doch das Recht auf ein eigenständiges ziviles Atomprogramm wird sich der Iran nicht nehmen lassen.

Obama favorisiert weiterhin Diplomatie – und setzt sich durch

Obama betonte während seiner Ansprache, er glaube allerdings nach wie vor, dass Diplomatie und internationaler Druck durch Sanktionen weiterhin Gelegenheit böten, Teheran im Atomstreit zum Einlenken zu bewegen. „Wir glauben, dass es immer noch ein Fenster gibt, das eine diplomatische Lösung dieses Themas erlaubt“, sagte Obama. Die USA wollen „in dieser kritischen Zeit“ weiter „an der diplomatischen Front“ wirken, bekräftigte er.

Als sich Netanjahu vor dem Treffen mit Obama über den Iran und dessen Atomprogramm äußerte,  kam ihm „nicht ein einziges Mal das Wort ‚Diplomatie’ über die Lippen“, konstatierte sogar die Nachrichtenagentur dpa.

Nach dem Washingtoner Treffen äußerte sich der israelische Premier zu dem Thema – allerdings abschlägig, bisher hätten weder Diplomatie noch Sanktionen Wirkung gezeigt. „Niemand von uns kann es sich leisten, viel länger zu warten“, fügte er mit Blick auf mögliche militärische Schritte gegen den Iran hinzu.

Der Wirkungsgrad der Sanktionen ist tatsächlich beschränkt. Das iranische Atomprogramm wurde und wird trotz der Strafmaßnahmen weiter vorangetrieben. Negative Folgen hat der von der „internationalen Staatengemeinschaft“ verhängte Boykott vor allem für die einfache Bevölkerung und deren Lebensstandard. Die Folgen der Sanktionen scheinen eher zu einer Stärkung des Regimes in Teheran zu führen, da es nun die Revolutionsgarden sind, die sich um die sozialen Belange der Bevölkerung kümmern.

Israels Regierungschef ist sich zudem der Tatsache bewusst, dass die Sanktionen den Iran nicht völlig in die Knie zwingen können, da sich hinter der „internationalen Staatengemeinschaft“ nur die NATO-Staaten, sowie Israel und die Diktaturen am arabischen Golf verbergen. Die bevölkerungsreichsten Länder der Welt – Indien und China – beziehen nach wie vor Öl aus dem persischen Land. China im vergangenen Jahr sogar noch mehr als in den Jahren zuvor. Zudem beteiligen sich selbst Verbündete des Westens wie Japan nicht an dem Boykott. Und mit der Türkei bleibt sogar ein NATO-Land außen vor.

Obama ist sich dieser Situation sehr wohl bewusst. Wenn er weiterhin an diplomatischen Mitteln zur Isolation Irans festhalten will, dann einerseits, um Zeit zu gewinnen – zumindest bis zu den Präsidentschaftswahlen im November – und andererseits, weil offenbar für die US-Administration ein Militärschlag in seiner Konsequenz zu viele Risiken beinhalten würde. Er bliebe damit das letzte Mittel. Voraussetzung dafür wäre, dass der Iran tatsächlich an einer Atombombe baut oder davorstünde, in ihren Besitz zu kommen. Die Fakten deuten aber nicht darauf hin.

Erst Ende Februar berichtete die New York Times über die Einschätzung des US-Geheimdienstes CIA, wonach der Iran gegenwärtig nicht an einer Atombombe baue. Bereits Ende Januar hatte der US-Geheimdienstdirektor James Clapper erklärt, der Iran habe keine Entscheidung getroffen, den Bau der Bombe zu realisieren. (1)

Der Zeitpunkt der Veröffentlichung der CIA-Einschätzung und jüngste Äußerungen von Vertretern der US-Administration, wie US-Generalstabschef Martin Dempsey (2), deuten darauf hin, ein eigenmächtiges Vorpreschen der Israelis gegen den Iran und die höchstwahrscheinlich damit verbundene Verwicklung der USA in einen weiteren Krieg, verhindern zu wollen. Auch die Absage eines gemeinsamen Militärmanövers der USA und Israels im Januar oder die an die Öffentlichkeit gelangten Berichte über israelische Geheimdienstler, die unter falscher Flagge Terroranschläge im Iran begehen, deuten in diese Richtung. (3) Ein unmissverständliches Zeichen gegen einen Krieg setzten auch ehemalige ranghohe US-Militärs und Geheimdienstleute in einer ganzseitigen Anzeige in der Washington Post am vergangenen Wochenende. (4) In dem Inserat fordern sie ihren Präsidenten auf, zu einem möglichen Krieg „Nein“ zu sagen. Es steht stellvertretend für das große Unbehagen innerhalb der US-Administration, sich auf einen riskanten Krieg einzulassen, für den es keinen objektiven Grund – zumindest nicht in Form einer iranischen Atombombe – gibt. Im Gegensatz zur Öffentlichkeit werden sich die Entscheidungsträger der USA auch nicht von den populistischen Vergleichen Netanjahus, „Es ist 1938 und Iran ist Deutschland“, beeindrucken lassen. 

Israel will, aber kann nicht – die USA können, wollen aber nicht

Anscheinend ist die Botschaft in Tel Aviv und bei dessem Gesandten angekommen. „Nun, Israel verfolgt dieselbe Politik“, sagte Netanjahu nach dem Treffen mit Obama im Weißen Haus. Das klingt ein wenig kleinlaut im Vergleich zu dem, was einige Medien im Vorfeld des Treffens prognostiziert hatten. So sprach der Spiegel von einem „historischen Treffen“, das den „wichtigsten politischen Erfolg Netanjahus“ darstelle. „Er hat es geschafft, der Welt einzureden, dass die Zeit für eine Lösung des Iran-Problems ausläuft.“ (5)

Der Boston Herald wertete das Einlenken des israelischen Premiers nach dem Treffen, „Netanyahus Kommentar deutet seine Bereitschaft an, Obama mehr Zeit zu geben, um straffere Sanktionen und einen diplomatischen Deal umzusetzen.“ (6) In Verkennung der realen Machtverhältnisse, insbesondere in Kriegsfragen, hatte der Spiegel noch am Montag vor dem Treffen den Eindruck erweckt, Israel sei der große Bruder der USA. So verwies das Hamburger Magazin darauf, wie Netanjahu in der Vergangenheit das Siedlungsprogramm in Palästina gegen den Willen Washingtons durchgesetzt hat. Und vor seiner Reise in die USA habe er den US-Präsidenten dazu „genötigt“, öffentlich klarzustellen: „Ich bluffe nicht“. (7)

Ein konkretes politisches Statement war diese Aussage Obamas nicht, wer sollte denn wen bluffen? Vielleicht war Obamas Aussage nicht nur an Teheran gerichtet, es nötigenfalls mit einem Militärschlag ernst zu meinen. Betont man das erste Wort des Satzes – das „ich“, impliziert die Aussage, jemand anderes würde bluffen. Dieser jemand könnte Netanjahu sein. Da Israel bei seinem Siedlungsprogramm nicht auf die Hilfe des US-Militärs angewiesen ist, muss es in dieser Frage auch nicht dieselbe Rückendeckung aus Washington erhalten, wie es bei einem Angriff auf den Iran der Fall wäre. Bei Netanjahus Drohung, Israel werde alleine losschlagen, kann es sich durchaus um einen Bluff handeln. Zum einen verfügt er bei dieser Option über wenig Rückhalt in der Bevölkerung. Laut Umfragen lehnen 81 Prozent der Israelis ein militärisches Agieren ohne Mitwirkung der USA ab. (8) Zum anderen ist ein erfolgreicher Ausgang eines Militärschlages angesichts der damit verbundenen logistischen Herausforderungen keineswegs gesichert. Vor gut zwei Wochen berichtete die New York Times von den Bedenken, die US-Militärexperten angesichts der Erfolgsaussichten einer israelischen Operation äußerten.

So zitiert das Blatt den ehemaligen CIA-Chef Michael V. Hayden mit den Worten, ein nachhaltiger Schlag gegen das iranische Atomprogramm liege „außerhalb Israels Kapazitäten“. (9)

Unter militärischen Gesichtspunkten könnte man die derzeitige Lage als folgendes Dilemma charakterisieren: Israel will, aber kann nicht – die USA können, aber wollen nicht. Und der Iran wird es tunlichst vermeiden, den USA einen Grund zum Wollen zu liefern.

Solange die Interventionsschwelle mit dem Besitz von Atomwaffen markiert ist, muss Teheran einzig und allein darauf bedacht sein, bei der Entwicklung seines zivilen Atomprogramms – das auch von den meisten Oppositionellen im Land nicht zur Debatte gestellt wird – weiterhin mit der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA zu kooperieren. Mit der heutigen Ankündigung, Inspektoren der IAEA und der UNO Zutritt zur geheimen Militäranlage in Parchin zu gewähren, hat Teheran seinen Willen unter Beweis gestellt, über das vertraglich und verbindlich festgelegte Maß hinausgehend mit der „internationalen Staatengemeinschaft“ zu kooperieren. (10)

Es scheint, als sei die Frage Krieg oder Frieden diese Woche in Washington nicht entschieden, sondern nur vertagt worden – bis nach den US-Präsidentschaftswahlen. Dann werden die Karten neu gemischt. Sollten die Republikaner gewinnen, die in zunehmend aggressiverer Rhetorik für einen Angriffs des Iran die Trommel rühren, wird sich zeigen, ob das Wahlkampfpropaganda war, oder ob sie tatsächlich an der Lunte des Pulverfasses Naher Osten zündeln wollen. Und auch die Position Obamas könnte im Falle seiner Wiederwahl – wie nach der „Yes-we-can“-Wahl vor vier Jahren – einen großen Wandel erleben. Die Doppeldeutigkeit seiner damaligen Wahlkampfparole „Change“ hat er während seiner Amtszeit nicht nur mit militärischen Aggressionen in  Nah- und Mittelost oder in Libyen unter Beweis gestellt.

Anmerkungen

(1) http://www.hintergrund.de/201203011947/politik/welt/obama-im-politischen-minenfeld.html

(2) ebd.

(3) http://www.hintergrund.de/201201161880/globales/terrorismus/mossad-im-iran-terror-unter-falscher-flagge.html

(4) Abbildung der Anzeige: http://www.niacouncil.org/images/content/pagebuilder/NIAC-Washington-Post-Ad-ful.jpg

(5) http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,819263,00.html

(6) http://news.bostonherald.com/news/international/middle_east/view/20120306netanyahu_appears_willing_to_give_obama_more_time_on_iran/srvc=home&position=recent

(7) http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,819263,00.html

(8) http://www.globes.co.il/serveen/globes/docview.asp?did=1000729531&fid=1725

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(9) http://www.nytimes.com/2012/02/20/world/middleeast/iran-raid-seen-as-complex-task-for-israeli-military.html?_r=1&ref=middleeast

(10) http://www.nytimes.com/2012/03/07/world/middleeast/iran-agrees-to-inspection-of-secret-military-site-report-says.html

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