Kriege

Kriegsverbrechen in Irak und Afghanistan

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Von ROBERT DREYFUSS, 15. APRIL 2010 –

Kriegsverbrechen, Massaker und „kollaterales Morden“, wie es Al-Jazeera richtigerweise bezeichnet, sind seit 2001 Teil des US-Engagements im Irak und in Afghanistan.

Screenshot aus dem Video. Wenige Sekunden später werden diese Menschen von dem US-Helikopter aus geradezu umgemäht. http://www.collateralmurder.com/

Die Veröffentlichung des Wikileaks-Videos vergangene Woche (1), welches in 38 grausigen Minuten zeigt, wie US-Piloten 2007 nebenbei ein Dutzend Iraker abschlachten – darunter zwei Reuters-Reporter – rückt dies ins Blickfeld. Nicht weil es zeigt, was wir nicht schon bereits wissen, sondern weil wir zusehen können, wie es sich in Echtzeit zugetragen hat. Echte Menschen, echtes Fleisch und Blut, aus der Luft zusammengeschossen in einem höllischen Feuerregen.

Die fast drei Jahre alten Ereignisse im Irak wiederholten sich diese Woche in Afghanistan, als schießwütige US-Soldaten fünf Afghanen abschlachteten, die in der Nähe Kandahar in einem großen, komfortablen Bus unterwegs waren.

Die New York Times berichte: „Amerikanische Truppen bearbeiteten einen großen Passagierbus mit Geschützfeuer in der Nähe Kandahars am Montagmorgen, töteten und verwundeten Zivilisten und entfachten damit wütende, anti-amerikanische Demonstrationen in einer Stadt, in der die Erlangung afghanischer Unterstützung entscheidend für die Kriegsanstrengungen ist.“ (2)

Der Zwischenfall in Kandahar ist natürlich nur einer von vielen. Während des vergangenen Jahres starben dutzende Afghanen auf ähnliche Weise an Checkpoints und am Straßenrand. An keinem Vorfall, nicht einem einzigen, waren feindliche Kräfte beteiligt. Mit anderen Worten: Wenn der Rauch und der Staub sich legten, zeigte sich in allen Fällen des vergangenen Jahres, dass die geborgenen Leichen die von Unschuldigen waren.  

Wie General McChrystal kürzlich selbst sagte: „Wir verlangen wirklich viel von unseren jungen Diensthabenden an den Checkpoints, denn es ist gefährlich und sie müssen in oftmals unklaren Situationen sehr schnelle Entscheidungen treffen. Wie auch immer, meines Wissens gab es in den neun Monaten, die ich hier bin, keinen einzigen Fall, bei dem wir an einer Gewalteskalation beteiligt waren und jemanden verletzten, bei dem sich hinterher herausstellte, dass das Fahrzeug eine Bombe oder Waffen an Bord hatte. In vielen Fällen befanden sich [stattdessen] Familien in den Fahrzeugen.“

Meine Frage ist: Wenn das so ist, warum wurden dann die Einsatzregeln nicht überarbeitet? Warum können die US-Truppen auf ein sich näherndes Fahrzeug wild drauflos feuern, wenn bislang an keinem der bisher ereigneten Fälle feindliche Kräfte beteiligt waren?

Im Fall Irak zeigt das atemberaubende Wikileaks-Video wie eine Gruppe von acht Männern in einer Straße Bagdads am helllichten Tag aus der Luft in Stücke geschossen wird. Dann, als ein Kleinbus mit vier oder fünf anderen Männern an Bord ankommt und einen Verwundeten aufnimmt, der schmerzerfüllt an einer Rinne entlang kriecht, wird auch dieser Bus in Fetzen geschossen, nachdem die Piloten die Erlaubnis einholten, anzugreifen.

Eine Analyse von Politifact nimmt die kaltschnäuzige Beteuerung von Verteidigungsminister Gates auseinander, wonach die Morde „unglücklich“ waren und „keine dauerhaften Konsequenzen“ haben sollten. (3) Wir haben das schon untersucht, sagte er, also wozu die Aufregung?

Die Begründung des Militärs für die Schlachterei ist, dass US-Kräfte einige hundert Meter entfernt aus Handfeuerwaffen beschossen wurden. Und so schlussfolgerten die Flieger in dem Helikopter, dass die Männer, die sie sahen und von denen sie annahmen, dass sie Waffen und Panzerfäuste trugen – die Panzerfaust stellte sich als Teleobjektiv eines Kameramanns heraus – zu den „bösen Jungs“ gehören und erschossen werden können. Es gab natürlich keine Beweise, dass das Dutzend abgeschlachteter Iraker an einem Schusswechsel beteiligt war, der in der Nähe stattgefunden hat oder auch nicht. Aber, wie Sie wissen, Krieg ist nun einmal die Hölle.

Politifact bringt sich selbst in Verruf, wenn es auf dieser Grundlage Verteidigungsminister Gates unterstützt und David Finkel zitiert, einen Reporter der Washington Post und Verfasser des Buches The Good Soldier, der zur Rechtfertigung des Massakers schreibt:

„Was für das Verständnis hilfreich ist, ist die Tatsache, dass – entgegen den von manchen aufgestellten Interpretationen, wonach es sich hier um einen Angriff auf eine Gruppe handelte, die an einem schönen Tag einfach nur die Straße entlang ging – der Tag alles andere als schön war. Es geschah inmitten einer großen Säuberungs-Operation in einem Gebiet, in dem US-Soldaten mit steigender Häufigkeit beschossen, verletzt und getötet wurden. Die Leute von Reuters gerieten in den schlimmsten Teil, wo es am Morgen eine Reihe von Panzerfaust-Attacken und laufende Feuergefechte gab.

Was Sie sehen ist eine editierte Fassung des Videos. Das komplette Video dauert viel länger. Und es bietet nicht den Vorzug der nachträglichen Einsicht, in diesem Fall das Heranzoomen an den Kleinbus und das Erkennen dieser zwei Kinder. Die Helikopter waren vielleicht eine Meile entfernt. Und als sich die Ereignisse entwickelten war es den beteiligten Soldaten unklar, ob es sich bei dem Kleinbus um einen Bus guter Samariter oder Aufständischer handelte, die gekommen waren, um einen verletzten Kameraden zu retten. Ich sage diese Sachen nicht als Entschuldigung für das Verhalten der Soldaten, aber um zu betonen, wie verschwommen solche Momente in der Echt-Zeit erscheinen.

Wenn Sie das ganze Video anschauen, dann würden Sie eine Person sehen, die eine Panzerfaust trug und als Teil der Gruppe die Straße entlang ging. Ein anderer war auch bewaffnet, so weit ich mich erinnern kann. Wenn Sie außerdem das bedauerliche Glück gehabt hätten, hinterher den Tatort zu begutachten, dann hätten Sie gesehen, dass einer der Toten aus der Gruppe auf einer Panzerfaust lag. Deswegen und wegen einiger anderer Dinge musste die EOD [Kampfmittel-Beseitigungs-Einheit] anrücken und die Stelle sichern. Noch einmal, ich versuche nicht zu rechtfertigen, was geschehen ist. Aber da war weitaus mehr, was es zu berücksichtigen gilt, als es in dem Video gezeigt wird.“

Finkel, der offensichtlich keine Fortsetzung seines Buches unter dem Titel The Bad Soldiers plant, tut den Tod eines Dutzend Iraker ungeniert als etwas ab, dass „in der Echtzeit-Verschwommenheit eines Moments“ nun mal geschieht.

In Afghanistan hat das wiederholte Töten unschuldiger Zivilisten einen verbitterten Präsidenten Karzai verärgert, der wiederholt das Töten afghanischer Bürger durch amerikanische Truppen scharf verurteilt hat. In einem Bericht der Washington Post vom14. April mit dem Titel Erschießung durch US-Soldaten befeuert Karzais Wut, berichtet die Zeitung:

„Zwölf Tage bevor Karzai das Verhalten des Westens anprangerte, besuchte er einen vierjährigen Jungen im Tarin Kowt-Krankenhaus im Süden. Der Junge verlor im Februar seine Beine bei einem Luftangriff durch Helikopter der US Special Operation Forces, bei dem über 20 Zivilisten getötet wurden. Laut drei Augenzeugen hob Karzai ihn aus der Matratze und ging mit ihm auf den Hof des Krankenhauses. „Wer hat dich verletzt“ fragte der Präsident, während Helikopter über ihren Köpfen vorbeizogen. Der Junge, der zusammen mit seinen Verwandten weinte, zeigte in die Luft.

Die Tränen und der Zorn, dem Karzai im Krankenhaus in der Uruzgan-Provinz begegnete, hallten bei ihm nach, wie einige seiner Gehilfen berichteten. Es war ein Vorfall aus einer Reihe jüngster politischer Enttäuschungen, der zu Karzais emotionalen Ergüssen gegen den Westen beitrug und eine kurze Krise seiner Beziehungen zu den Vereinigten Staaten verursachte. Der Vorfall war auch eine Mahnung daran, dass zivile Opfer in Afghanistan ein politisches Echo erzeugen, welches weit über die Orte hinausgeht, an denen das Töten stattfindet.“ (4)

Aber ich nehme an, Finkel findet auch dafür eine Rechtfertigung.


Der Artikel erschien im Original am 13. April unter dem Titel War Crimes in Iraq and Afghanistan bei TheNation.com.

Übersetzung: Sebastian Range

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Anmerkungen

(1) Anzuschauen hier: http://www.collateralmurder.com/
(2) New York Times, 12.4.2010, „Civilians Killed as U.S. Troops Fire on Afghan Bus“, http://www.nytimes.com/2010/04/13/world/asia/13afghan.html?ref=world
(3) Politifact.com, 11.4.2010, http://www.politifact.com/truth-o-meter/statements/2010/apr/12/robert-gates/gates-said-leaked-military-video-shooting-iraq-doe/
(4) Washington Post, 13.4.2010, „Shooting by U.S. soldiers in Afghanistan fuels Karzai’s anger“, http://www.washingtonpost.com/wp-dyn/content/article/2010/04/12/AR2010041200761.html?hpid=moreheadlines

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