Große Mehrheit gegen stärkere internationale Einmischung Deutschlands
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Von SEBASTIAN RANGE, 20. Mai 2014 –
Fast zwei Drittel der Bundesbürger sind dagegen, dass Deutschland international mehr „Verantwortung“ übernimmt. Das geht aus einer repräsentativen Umfrage hervor, die das Auswärtige Amt zusammen mit der Körber-Stiftung in Auftrag gegeben hat. (1)
Demnach finden nur 37 Prozent, dass sich Deutschland weltweit stärker engagieren sollte. 60 Prozent sind dagegen. Noch vor zwanzig Jahren waren die Verhältnisse beinahe umgekehrt: 1994 sprachen sich noch 62 Prozent für eine stärkere deutsche Einmischung auf dem internationalen Parkett aus, während das 37 Prozent ablehnten.
Noch deutlicher fällt die Ablehnung der Ausübung internationaler „Verantwortung“ aus, wenn diese mit militärischen Mitteln umgesetzt werden soll. Nur 13 Prozent der Befragten befürworten ein stärkeres militärisches Engagement Deutschlands, während 82 Prozent sich für weniger militärische Aktivitäten aussprechen.
Sogar was Waffenlieferungen an verbündete Staaten betrifft, sind die Ergebnisse identisch: 13 Prozent Zustimmung, 82 Prozent Ablehnung. Die Studie stellt fest, dass diese ablehnende Haltung alle Altersgruppen und alle Bildungsniveaus in West- und Ostdeutschland betrifft, unabhängig von der Präferenz einer politischen Partei. Besonders groß fällt die Ablehnung jedoch mit 90 Prozent unter den über 60jährigen aus – also unter jenen Menschen, von denen viele Krieg und dessen Folgen noch selbst miterleben mussten.
Die Mehrheit der Deutschen erteilt somit jeglichen Ambitionen ein klares „nein“, die Bundesrepublik zukünftig stärker die Rolle eines Weltpolizisten – oder eher eines Hilfssheriffs an der Seite der USA – zukommen zu lassen.
Demgegenüber gibt es aus anderen NATO-Ländern, insbesondere den Vereinigten Staaten, immer wieder die Erwartung, dass sich das wirtschaftlich starke Deutschland auch in internationalen Krisen stärker arbeitsteilig in die Belange anderer Staaten einmischt.
Als wichtigstes Ziel der deutschen Außenpolitik wurde von 93 Prozent der Schutz der Menschenrechte genannt. Wenig überraschend kommt die Studie in ihren Empfehlungen entsprechend zu dem Schluss, dass in der Debatte um eine größere internationale Einmischung Deutschlands die Betonung auf zivile Instrumente und diplomatische Ressourcen gelegt werden sollte.
Die am Dienstag veröffentlichte Umfrage gehört zu einer Überprüfung, die Außenminister Frank-Walter Steinmeier nach seiner Rückkehr ins Auswärtige Amt in Auftrag gegeben hatte. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und Bundespräsident Joachim Gauck hatten vor Monaten ein stärkeres militärisches Agieren Deutschlands angemahnt. (2) Die Umfrage dient daher auch als Lageeinschätzung, inwieweit bei der Umsetzung dieser Ziele mit Gegenwind aus der Bevölkerung zu rechnen ist.
Steinmeier sprach am Dienstag bei einer Konferenz in Berlin von einem „tiefen Graben“ zwischen der breiten Öffentlichkeit und der außenpolitischen Elite, der überwunden werden müsse. „Politik muss sich über solche Gräben hinwegbewegen, damit sie handlungsfähig bleibt“ – mit anderen Worten: Das Volk muss auf Linie gebracht werden, damit sich die außenpolitischen Ambitionen dieser „Elite“ möglichst widerspruchsfrei umsetzen lassen. Angesichts der Veränderungen in der Welt müsse man auch „vermeintliche Gewissheiten in Frage stellen“, erklärte Steinmeier.
Offenbar tun das immer mehr Menschen in Deutschland, doch anders als es der „außenpolitischen Elite“ behagt. So befürworten mehr Menschen eine stärkere Kooperation mit China (61 Prozent) als mit den USA (56 Prozent) – die transatlantische Gewissheit gerät ins Wanken. Immerhin liegen die Vereinigten Staaten bei der Frage nach einer engeren Kooperation noch drei Prozent vor Russland (53 Prozent). Dieser Wert ist wenig schmeichelhaft, wenn in Rechnung gestellt wird, dass die Umfrage im März und April dieses Jahres durchgeführt wurde – da lief das Russland-Bashing seitens der Leitmedien bereits seit Monaten auf Hochtouren.
Die einseitige, teils regelrecht kriegstreiberische Berichterstattung vieler Medien über die Rolle Russlands im Ukraine-Konflikt ist offenbar wenig geeignet, die Bevölkerung „auf Linie“ zu bringen. Stattdessen scheint diese eher eine Politisierung zu befördern, die nicht im Sinne ihrer Erfinder ist.
Worin der Schlüssel zum Erfolg im Sinne der „außenpolitischen Elite“ liegen könnte, darüber gibt die Umfrage ebenfalls Auskunft. Denn laut dieser sei die jüngere Generation (unter 29 Jahren), die sich weniger für Außenpolitik interessiere als ihre Vorfahren, eher bereit, eine stärkere internationale Einmischung zu unterstützen. Das deckt sich mit einer Umfrage aus den USA vom April. Auch dort wuchs die Unterstützung für militärische Intervention mit der Unkenntnis der Befragten. (3)
Wenn es also gilt, den von Steinmeier beklagten Graben im Sinne einer stärkeren Akzeptanz deutscher Großmachtpolitik zu überwinden, dann ist die Empfehlung der Studie, die jüngere Generation zu einem größeren Interesse an der Auslandspolitik zu ermutigen, kaum zweckdienlich.
Erfolgversprechender wäre es wohl, die Jugend (und nicht nur die) mit Tittytainment, Sportevents und immer neuen Lifestyle-Apps im Tal der abgelenkten Ahnungslosen zu belassen – damit die Politik alleine der Elite überlassen bleibt.
Anmerkungen
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(3) Siehe: http://www.heise.de/tp/artikel/41/41472/1.html