„Früher hieß das ,Wehrmachtstournee‘“
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Wo, bitte, geht’s denn hier zur Front?, fragen immer mehr Stars und Sternchen der Unterhaltungsindustrie –
Von SUSANN WITT-STAHL, 2. April 2013 –
Wenn die NATO ihre Bombenteppiche über die Welt ausbreitet, bietet nicht nur der Schauspieler Til Schweiger seine Dienste als „Schutzengel“ für die kämpfende Truppe an. Auch viele Prominente aus dem Musik- und Showbusiness haben entdeckt, dass die Teilnahme am Propagandafeldzug für den „ethischen“ Imperialismus durchaus lukrativ sein kann. „Give Peace a Chance“ war einmal – heute stehen sie Schlange für einen Transall-Flug nach Kabul oder Kunduz. Sogar Punkbands finden „Antifa heißt Luftangriff“, engagieren sich an der Heimatfront für den guten Zweck der völkerrechtswidrigen Angriffskriege
Werben fürs Sterben: Actionstar Til Schweiger auf Propagandatour für die Bundeswehr |
des Westens und freuen sich, wenn endlich einmal „zurückgeballert“ wird. „Ein gut geführter Krieg ist wie eine große Symphonie“, sagte Hitlers General Friedrich von Boetticher. Heute ist der „Vater aller Dinge“ wieder so tief in die „Eingeweide der Gesellschaft“ (Paul Virilio) vorgedrungen, dass das Stakkato einer M16 als virtuose Darbietung goutiert wird.
Fette Beats wummern aus einer Halle im Camp Marmal bei Mazar-i Sharif am Fuße des Hindukusch. „Den Alltag in Afghanistan vergessen. Einfach mal abschalten!“, heißt das Motto des Megaevents mit dem Technomusiker und -produzenten Paul Kalkbrenner. Vor seinem DJ-Pult raven mehr als tausend Soldaten in Kampfanzügen und mit Knicklichtern in ihren Händen.
Kalkbrenner findet seinen Auftritt total „exciting“. (1) Er gehört zu den deutschen Stars, die für Kriege rocken, tanzen, singen und blödeln – selbstverständlich nur wegen der humanitären „responsibility to protect“. Die Band Karat und die Girl-Group No Angels waren im Kosovo, Xavier Naidoo 2004 in Bosnien und, weil’s so schön war, 2010 in Afghanistan. „Dass er vor 20 Jahren den Wehrdienst verweigert hat, kann er sich heute gar nicht mehr vorstellen“, lobt Aktuell – die Zeitung für die Bundeswehr den Soul-Sänger. Naidoo hat sogar, auf den Spuren Ernst Jüngers („Während des Tanzes über dem Abgrunde lernt man das Blut schätzen und die dürftigen Geister verachten“), den Krieg als Extremsportart und Abenteuer entdeckt. Wer seinen drastischen Bedingungen ausgesetzt sei, philosophiert der Gründer der Söhne Mannheims, genieße jeden Moment und würde auch intensiver leben. „Wenn ein Krieg die Menschen nicht kaputtmacht, dann macht er aus ihnen bessere Menschen.“ (2)
Comedy in der Wolfshöhle
Im Juni vergangenen Jahres leistete der Berliner Komiker Kurt Krömer – auch er hatte als Wehrpflichtiger den Dienst an der Waffe verweigert – bei den deutschen Kriegern im Camp Warehouse in Kabul in der Betreuungseinrichtung „Wolfshöhle“ mit Stand-Up-Comedy Wiedergutmachung. „Getragen wurden die kurzweiligen Auftritte von Geschichten aus dem Leben und Lästereien gern auch jenseits der ,political correctness‘“, freut sich der Berichterstatter der Bundeswehr, verrät aber nicht, für welche Menschengruppe Krömers Lustigkeiten kein Pardon kannten. (3)
Auch Daniela Katzenberger, Dampfschwätzerin bei VOX, wollte sich nicht lumpen lassen und bewarb sich 2011 darum, die Soldaten mit Blondsein und ihren anderen, bislang noch unentdeckten Talenten zu unterhalten. (4) Überraschend wurde sie aber abgewiesen. Die sensible Sicherheitslage lasse ihren Auftritt bis auf Weiteres nicht zu, so die offizielle Begründung der Bundeswehr: Viele Soldaten seien außerhalb der Feldlager eingesetzt – eine No-go-Area für Katzenberger – und sollen derzeit nicht von der Aufstandsbekämpfung abgelenkt werden. (5)
Anders erging es Superstar Til Schweiger ein Jahr später. Er flog auf Kosten der Bundeswehr, also des Steuerzahlers, mit einem siebenköpfigen Kamerateam plus Spiegel-Reporter nach Usbekistan – die Folterdiktatur hat als Verbündete der westlichen Mächte keine Militärintervention in Sachen Menschenrechte zu fürchten – und Mazar-i Sharif. Dort wurde der geschäftstüchtige Schauspieler für die Promotion seines Films „Schutzengel“ stets ins rechte Licht gerückt: Er posierte in Kampfmontur vor den „Jungs“, die als Statisten herhalten mussten, um ihn als Heroen zu inszenieren, und zur „Belohnung“ mit ein paar Autogrammen und einem gemeinsamen Kantinenessen abgespeist wurden. Aber damit war die Reise nicht zu Ende. Schweiger gab auch noch publikumswirksam den deutschen Patrioten, besuchte ein Militärkrankenhaus sowie den Ehrenhain für die gefallenen Soldaten und fuhr mit dem Schützenpanzer Marder.
„Da ist auch Burger King und Pizza Hut“, berichtete ein Bundeswehrangehöriger Schweiger ganz stolz vom hohen zivilisatorischen Niveau der Esskultur im deutschen Militärcamp. Der Schauspieler präsentierte sich nicht nur davon zutiefst beeindruckt und bewegt. „Den Kindern zu erklären, dass der Papa irgendwo hingeht, wo es auch böse Leute gibt oder so – das kann ich mir nicht vorstellen“, philosophierte Schweiger. (6) Und er ist einfach fassungslos, wie „clever“ die „bösen Leute“ sind, „wenn’s darum geht, sich noch perfidere Tötungsmechanismen auszudenken“ – „da läuft’s dir eiskalt den Rücken runter“, gruselte er sich während einer Vorführung sichergestellter Sprengsätze der fiesen Taliban-Dämonen. Aber glücklicherweise gibt es ja gute Menschen, die da „rausgehen“ und versuchen, „das unschädlich zu machen“. (7)
Für die „kleinen Leute“ im Bendlerblock
Noch bis in die 1990er-Jahre hinein blieb die deutsche Unterhaltungsprominenz stets auf Mittelstreckenraketendistanz zur Bundeswehr. Als der historische Imperativ „Nie wieder Faschismus – nie wieder Krieg!“ von der rot-grünen Regierung endgültig entsorgt, Kriege nicht nur trotz, sondern wegen Auschwitz geführt wurden und Deutschland sich erstmals wieder militärisch an einem Angriffskrieg beteiligte, wagte sich im Jahr 2000 auch der erste (ehemalige) Star aus der Deckung der deutschen Schlagerparade: Der Sängerbarde Gunter Gabriel näherte sich der kämpfenden Truppe sogar auf Männerschweißriechweite und folgte einer Einladung der Bundesregierung für zwei Konzerte in den Kosovo.
„In einem – für die meisten von uns – unwirklichen Szenario von zerbombten Häusern, verängstigten Menschen und von Minenfeldern, in denen jeder Spatenstich tödlich sein kann, schrieb Gunter Gabriel den Song: Es steht ein Haus im Kosovo“, heißt es auf dem Cover der Studio-CD-Einspielung, die wenige Monate später erschien: „Ladies and Gentlemen, dieser Song ist für alle Soldaten around the world, speziell für die hier im Kosovo, die im Namen von Frieden und Freiheit ihren Arsch hinhalten!“, kündigte eine Anheizerin auf der CD das Machwerk an – eine schaurige Entstellung des alten Folksongs „The House of the Rising Sun“. „Sie sind zum Schutz im Kosovo, das multinationale Team, genannt KFOR, und die, die früher einmal Feinde warn, tun jetzt zusammen ihren Dienst im Friedenscorps“, lautete Gabriels zeitgemäße Version (Krieg heißt heute „Frieden“) des alten Schlachtrufes „Serbien muss sterbien!“. Sein Front-Repertoire enthielt neben nationalistischem Schmalz („Hier ist mein Land“) inklusive Huldigung des Nazis und Kriegsverbrechers Wernher von Braun, auch eine Verstümmelung von Pete Seegers Antikriegshymne „Where Have All the Flowers Gone“. Gabriel, der auf seinen Konzerten auch gern einmal über arbeitsscheue Arbeitslose herzieht („Und deshalb ist Hartz IV verdammt noch mal endlich mal notwendig“) (8), „hat sich von Anbeginn seiner Karriere für die Belange der ,kleinen Leute‘ eingesetzt“, so die Begründung für seinen tönenden Balkan-Feldzug. Immer nur für Trucker und Stahlkocher – warum nicht auch einmal für die „kleinen Leute“ im Bendlerblock? i(9)
Auf die „humanitäre Arbeit“ aufmerksam machen
Gefragt nach der Motivation und Bewertung ihrer Einsätze, reagieren die meisten Unterhaltungskünstler mit höflichen Phrasen. Sie vermeiden politische Aussagen und geben – getreu der Ideologie des Menschenrechtsimperialismus – lieber den netten Kumpel, der gern einmal guten Freunden unter die Arme greift, wenn sie Hilfe brauchen. „Mein Respekt vor dem Dienst hier ist noch mal gestiegen. Ich würde sofort wieder für die Truppe im Einsatz auftreten. Einfach um ihnen ein Stück Heimat zu vermitteln“, sagt Paul Kalkbrenner. (10)
Etwas mutiger ist Peter Maffay – es war Sommer 2005, als er es ebenfalls dort, wo „Deutschlands Freiheit verteidigt wird“, das
Die Unterhaltungsindustrie als integraler Bestandteil der Feldzüge des Westens – Peter Maffay bespaßt deutsche Soldaten in Afghanistan, Kabul, 24. Juni 2005. |
erste Mal im Leben tat –, der sich offenbar in der Rolle des Sonderbotschafters für die Mission „Enduring Freedom“ gefällt: „Zu wissen, was die Streitkräfte in Afghanistan tun, ist wichtig für das Verständnis in Deutschland“, erklärte Maffay auf einer Pressekonferenz mit dem damaligen Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung. Ob der rockende Schlagersänger mit dem „Tun“ des Militärs die Bombardierung von Zivilisten oder Brunnenbohren meinte, erfuhr die Öffentlichkeit leider nicht.
Ralf Möller hingegen weiß ganz genau, dass die Bundeswehr „für den Frieden kämpft“ und lehnte sich etwas weiter aus dem Schützengraben. 2008 reiste der Obergefreite der Reserve, Guttenberg-Fan („Wenn Frau Merkel keine Lust mehr hat, dann wäre er schon einer, der das machen könnte“), Bodybuilding-Weltmeister und Action-Star („Hai-Alarm auf Mallorca“) mit Fitnessgeräten im Gepäck nach Kabul und ließ sich ausgiebig beim Armdrücken mit Soldaten fotografieren. Er forderte mehr Unterstützung für die Bundeswehr. Dass der deutsche Landser bei der gewaltsamen Durchsetzung der Pax Americana mitmischen muss, ist für Möller keine Frage: „Wir gehören der NATO an. Dort sterben Amerikaner, Engländer, Franzosen, Kanadier, und auch wir haben unsere Aufgabe, unseren Verbündeten dort zu helfen. Wir müssen da hin.“ (11) Das findet auch Popsängerin Sarah Connor („Ich bin Pazifistin durch und durch“), die 2009 auf dem Truppenstützpunkt Maszar-i-Sharif ein Konzert gegeben hat und der es „ein Anliegen ist, auf die humanitäre Arbeit der Bundeswehr vor Ort aufmerksam zu machen“.
Richtig krachen ließ es Til Schweiger. In der Talkshow 3 nach 9 protestierte er lauthals gegen den „disrespect“ vor den Militärs. „Die sind ganz wichtig. Genauso ganz wichtig ist die Polizei. Wir schaffen es nicht, verfassungsfeindliche Parteien zu verbieten. Aber wir brauchen die Polizei, und wir brauchen die Armee. Denn es gibt Nationen, und es gibt Feinde, die unsere Gesellschaftsform, die Demokratie, total verachten und bekämpfen und abschaffen wollen. Dafür brauchen wir die, und dafür brauchen die mehr Respekt“, appellierte Schweiger für mehr Solidarität mit der bewaffneten Staatsmacht und eine härtere Gangart gegenüber allen, die er als „böse Leute“ ausgemacht hat. Talkmeister Giovanni di Lorenzo war völlig überwältigt von so viel selbstlosem Engagement und drückte mächtig auf die Tränendrüse. „Es ist schon etwas Absurdes und zutiefst Verstörendes, dass wir deutsche Soldaten dort hinschicken, die ihren Kopf riskieren, jeden Tag, und an den Sinn dieser Mission glaubt hierzulande kaum noch jemand“, lamentierte di Lorenzo mit gebrochener Stimme. (12)
Ein „Kuhhandel“
Für ihre Abstecher an die Orte, wo „die Maschinengewehre ihre tödliche Melodie spielen“ (Ernst Jünger), dürfen die Stars stets auf intensive Schützenhilfe der neoliberalen Medien hoffen. Bild dankte Sarah Connor mit einer bilderreichen Hindukusch-Story. Das sei „gut für das Image (es ist ja wieder sehr still geworden …) und erweitert zudem die Zielgruppe zum möglichen Kauf ihrer Alben“, kommentierte ein Leser, der Böses dabei denkt. Die Kabarettisten Hans Werner Olm und Dietmar Wischmeyer wurden für ihre Auftritte in Mazar-i-Sharif, Kunduz und Camps Termez in Usbekistan mit einem Sperrfeuer der Sympathie gegen potentielle Kritiker belohnt. „Wehrkraftzersetzung durch Satire? Nein, Truppenstärkung durch Lachsalven!“, jubelte der Tagesspiegel. „Die Show für die Truppen ist so alt, wie es Truppen gibt“ – was es schon immer gab, kann gar nicht schlecht sein. „Wer Krieg führt, braucht nicht nur den berühmten Rückhalt in der Bevölkerung, sondern auch Spaß: als Ablenkungsmanöver vom harten Soldatenjob und als Zeichen eben jener Zivilität, die im Krieg nicht selten verteidigt wird.“ Wer Militäreinsätze organisiere, müsse auch für „erotischen Ausgleich“ sorgen, meint die Autorin. „Party als psychologische Kriegsführung, ein Stück Normalität mitten im permanenten Ausnahmezustand.“
Wenn das immer noch nicht überzeugt, dann muss eindringlich daran erinnert werden, dass Hits damals gegen Hitler geholfen haben: „Marlene Dietrichs Besuch der gegen Hitlers Wehrmacht kämpfenden US-Truppen ist Legende.“ (13) Das war Zarah Leanders Auftritt für Hitlers Wehrmacht mit „Davon geht die Welt nicht unter“ auch. „Früher hieß das ,Wehrmachtstournee‘“, was Til Schweiger in Afghanistan veranstaltet hat, meint der Filmkritiker Hanns-Georg Rodek und verweist darauf, dass die sich aus dem Stelldichein zwischen Muse und Mörser ergebenden Synergieeffekte schon andere für sich entdeckt hatten, die das Entertainment auf den Schlachtfeldern für einige Jahrzehnte in Verruf gebracht hatten (Goebbels hatte es verstanden, scheinbar tendenzlose Unterhaltung als Propaganda für die Kriegspropaganda einzusetzen). „Ein solcher Kuhhandel zwischen Schaugeschäft und Militär ist nicht neu.“ Im Zweiten Weltkrieg hätte es kaum einen deutschen Star gegeben, von Marika Rökk bis La Jana, der an der Front „nicht die Moral der Truppe gestärkt“ habe, zeigt Rodek eine peinliche Parallele auf. Schweiger instrumentalisiert also nicht nur die Bundeswehr und den Afghanistankrieg in eigener Sache als PR-Kulisse – auch Verteidigungsminister Thomas de Maizière saugt Honig aus dem bizarren Auftritt des Schauspielers. De Maizière sieht sogar den größeren Nutzen für das Militär: „Nicht wir werben für Herrn Schweiger. Sondern Herr Schweiger macht Werbung für die Bundeswehr!“, kann er sein Glück über die Rekrutierung des „Schutzengels“ gar nicht fassen. Rodek würde sich „gern mit dem Minister in ein Kino begeben“ und „dann sein Gesicht betrachten: wenn er den Afghanistan-Rückkehrer Til Schweiger sieht, einen klaren Fall von posttraumatischer Belastungsstörung, von seinen Kriegserlebnissen aufs Furchtbarste geprägt, beziehungsunfähig, mit fatalen Rambo-Tendenzen.“ Und am Ende von „Schutzengel“ würde er ihn fragen, „ob das nun Werbung für die Bundeswehr war“. (14)
Dass viele Veteranen der modernen Kriege hochgradig psychisch deformiert sind, einige als tickende Zeitbomben heimkehren und unzählige Morde und andere Gewaltverbrechen verübt haben, wird nicht nur in den USA und Großbritannien, sondern auch in Deutschland verdrängt. Schließlich stehen die deutschen ISAF-, EUFOR- und KFOR-Soldaten auf der Seite des (vorläufigen) historischen Siegers im gerechten Krieg (für Öl, Uran und neue Märkte) gegen „die Hitlers“ dieser Welt. Auch die taz bezieht Stellung im Kampf um die Herzen und Köpfe: „Man macht es sich mit einer Verdammung jeglicher künstlerischen Unterstützung des Afghanistaneinsatzes zu einfach“, findet Kulturredakteur Tim Caspar Boehme. Denn dass „bei einem sofortigen Rückzug die (nicht gerade als Musikliebhaber bekannten) Taliban wieder an die Macht kommen würden, dürfte höchstwahrscheinlich sein“ (15) – bösen Menschen, die keine Lieder kennen, müssen halt die Flötentöne beigebracht werden.
Aus den Niederungen der Jagdhorn-Bläsergruppen zum Olymp der Superstars
Zuständig für die Demoralisierung des Feindes, mehr aber für die seelische Erbauung der eigenen Truppen ist das Einsatzführungskommando der Bundeswehr im Sachgebiet „Betreuung im Einsatz“, das seinen Sitz in der Potsdamer Henning-von-Tresckow-Kaserne hat. Von dort aus bucht und organisiert ein vierköpfiges Team die Touren der Stars. Einige der Auftritte werden von den Kameratrupps des Bereiches Dezernat „Einsatzkamera der Operativen Information“, einer eigenen Truppengattung, die für psychologische Kriegsführung zuständig ist, abgefilmt und zu PR-Videos verarbeitet. Die Bundeswehr nutzt mittlerweile nicht nur eigene Medien, wie den 1974 gegründeten und ebenfalls zur Operativen Information gehörenden Truppenbetreuungssender Radio Andernach. Sie verbreitet ihr Propagandamaterial auch mehr und mehr im Web 2.0 über freie Videoportale wie Youtube oder MyVideo.
Ein eigenes Budget hat die Sondereinheit Truppenbetreuung offiziell nicht. Laut eigener Auskunft zahlt die Bundeswehr keine Gagen. Sie kommt lediglich für den Transport der wertvollen Fracht und deren Unterhalt an der Front auf. Das könnte der Grund sein, warum die deutschen Soldaten immer noch viel Unterhaltung der Güteklasse B und C, Cover- und Revivalbands, bisweilen gar das Esslinger Polizeiorchester oder eine Jagdhorn-Bläsergruppe über sich ergehen lassen müssen.
Über solche vergleichsweise jämmerlichen Bedingungen können ihre Kameraden von der US-amerikanischen Booking United Service Organisation (USO) und der britischen Combined Services Entertainment (CSE) nur mitleidig lächeln. Sie verfügen über schier unbegrenzte Summen und können im Olymp des Showbusiness einkaufen.
Geschlossene Front
Am 11. September 2001 sind alle Dämme der Zurückhaltung in der Popwelt – seit Woodstock galt sie als pazifistisch – gebrochen und viele, vor allem US-amerikanische Stars üben sich demonstrativ in militantem Westliche-Welt-Patriotismus. Bereits zehn Tage nach der WTC-Tragödie wurde eine stabile Heimatfront geschmiedet: Bei der „Tribute to Heroes“-Gala in New York boten die Troubadoure der „freien Welt“, darunter Bruce Springsteen und U2, den Feinden der Zivilisation musikalisch die Stirn und bekundeten aufrichtigen Durchhaltewillen. Ein einsamer Defätist, der Schauspieler und bekennende Buddhist Richard Gere, handelte sich auf der Bühne für seinen leise geäußerten Wunsch nach „Peace“ deftige Flüche, Buhrufe und Drohungen von einem nach Rache dürstenden und unentwegt „USA!, USA!“ skandierenden Lynchmob ein.
4. Dezember 2001 – Mariah Carey sucht die Nähe zur Truppe – hier in Camp Bondsteel im Kosovo während einer USO-Tour. |
Bei dem „United We Stand“-Konzert in Washington einen Monat später versprachen der Veranstalter und der Clear-Channel-Entertainment-Vorstand Brian Becker Präsident Bush offiziell die Unterstützung der Mitwirkenden für die Militärs, weil „die ihr Leben für unsere Sicherheit riskieren“.
Neil Young, während des Vietnamkrieges noch einer der musikalischen Galionsfiguren der Massendemonstrationen, mittlerweile strammer Republikaner, schickte „Satan“ im November 2001 ein unmissverständliches „Lets Roll“ nach Afghanistan („We‘ve got to get inside there, before they kill somemore“). Mariah Carey und Geri Halliwell ließen sich in den Armen von stiernackigen Elite-Fightern ablichten. Andere zog es direkt ans Tor zur Hölle: Jennifer Lopez forderte in einer US-Basis in Pakistan von einer enthusiasmierten Masse von Soldaten „Let’s get loud“ und tänzelte im Combat-Oufit über die Bühne – „Life is meant to be big fun, you’re not hurting anyone“. Rapper Coolio, Hardrockerin Joan Jett, Reggae-Sänger Shaggy, Soul-Legende Ruth Pointer tourten von Militärstützpunkt zu Militärstützpunkt. Die australische Sängerin Kylie Minogue trat bei den britischen Soldaten in der Golfregion auf. USO organisierte zusammen mit dem Sender MTV das Megaspektakel „For the Troops“ mit Kid Rock und Ja Rule, gesponsert von Multis wie Yahoo und Coca Cola („Coke follows thirst everywhere“) – für die Vermarktung der US-amerikanischen Kriege bildeten große Konzerne, wie Fox Home Entertainment und The Walt Disney Company, eine geschlossene Front.
Allgegenwärtigkeit von Militär und Krieg
Im Spätkapitalismus wird selbst die unmittelbare Kriegserfahrung lückenlos vermarktet und vom Warenkonsum kolonisiert. Wie ein Tourismusunternehmen sorgen die westlichen Armeen dafür, dass die Kombattanten nichts vermissen müssen, was sie in ihrer Heimat täglich konsumierten: Lebensmittel, Zeitschriften, Sportveranstaltungen und eben auch Popmusik.
„They sent us Playboy, they gave us Bob Hope.“ (Billy Joel) Auf den modernen Schlachtfeldern habe ein „Durchbruch einer neuen Normalität“ – von dem, „was wir heute Konsumgesellschaft nennen“, stattgefunden, stellen der Kulturwissenschaftler Tom Holert und der Psychologe Mark Terkessidis in ihrer Studie „Entsichert. Krieg als Massenkultur im 21. Jahrhundert fest“. (16) Allein deshalb werde die Forderung nach Frieden heutzutage als ebenso gemeingefährlich eingestuft wie die nach Abschaffung der Warengesellschaft, deren Kulturindustrie unentwegt die Aufrüstung des Bewusstseins vorantreibt.
Diese ist notwendig, um die Alltagsmoral zu neutralisieren, vor allem die Empathie, den natürlichen Impuls, der Treibstoff für die Genese einer friedlichen menschlichen Gesellschaft ist. Es geht darum, wie es der Theologe Peter Bürger in seiner Analyse der totalitären Militarisierung der Filmindustrie Kino der Angst drastisch ausdrückt, ihren Mitgliedern „die Wahrheit zu verschleiern, dass Krieg Massenmord ist“. (17) Um Feldzüge erfolgreich führen zu können, müssen nicht nur „abgrundtiefer Hass auf den Gegner, eine Lust an der Gewalt und die Hoffnung auf Belohnungen in materieller und ideeller Hinsicht erzeugt, sondern überdies alle eigentlichen Anlässe und Impulse des Krieges verheimlicht werden“, schreibt der Filmkritiker Georg Seeßlen. So werde eine „zweite Wirklichkeit“ geschaffen, die sich durch „eine delirierende, rauschhafte Wahrnehmung der Geschehnisse ausdrückt“. Diese wiederum korrespondiere mit einer gesteigerten Produktion von Unterhaltung und Show-Bbusiness. (18) Popmusik, die von ihrer Anlage her sensualistisch-berauschend ausgerichtet ist, hat das Potenzial, – eingebettet in Mythen – Kulte um ihre Stars, die Fetischisierung des Krieges und seiner Symbole zu fördern. Denn eine gesteigerte Wahrnehmung ist mit der Überbewertung von Details, mit der Fetischisierung von Objekten verbunden. So entsteht ein Teufelskreis, der keine Opposition und kein Außen mehr zulässt.
Dieser Eindimensionalisierungsprozess hat längst die Gegen- und Subkultur erfasst. Viele ihrer Repräsentanten begnügen sich inzwischen nicht mehr damit, sich des Einspruches gegen Krieg und Militarismus zu enthalten. Nicht selten fungieren Musiker, die sich der Independentszene zuordnen, als (objektive) Verbündete der politischen Klasse und Rüstungsindustrie. Die Punkband The Vandals „rockte“ 2004 die US-amerikanischen Besatzungstruppen im zerbombten Irak und heizte die Stimmung mit Slogans wie „Come Out Fighting!“ an. Deutsche Musikmagazine und -Internetportale wie Spex und Beatpunk, die für sich mit den Attributen „kritisch“ und „unkommerziell“ werben, diffamieren Kriegsgegner und Antiimperialisten als „antiamerikanisch“ und „antisemitisch“.
Die Elektropunkband Egotronic huldigt nicht nur der Spaßgesellschaft und dem neoliberalen Mythos vom „freien Individuum“ – das in Wahrheit eine lethargische Geldmonade ist, deren Freiheit nichts anderes als die Freiheit des Konsumenten ist – und
Ziemlich Mainstream: Auch die Elektro-Subkultur hat den Militarismus für sich entdeckt (Plakat der Berliner Kombo Egotronic) |
verteufelt den ausgemachten Feind, das (sozialistische) Kollektiv. Egotronic unterstützt auch, ganz auf Linie der Merkel-Regierung (die eisern an der Adenauer-Doktrin des „Whitewashing of the Yellow Badge“ festhält, wie der Historiker Frank Stern die wahre Motivation des postnazistischen Deutschland für seine bedingungslose Solidarität mit Israel nannte), aus sicherer Entfernung die Kriegs- und Besatzungspolitik des „gelobten Landes“: Es „bleibt nichts anderes übrig, als da einzumarschieren und zurückzuballern“, feuerte die Band 2008 die Operation „Cast Lead“ der israelischen Armee im Gaza-Streifen im Radio an. (19) Außerdem findet Egotronic-Frontmann Torsun, der Friedenspolitikerin Inge Höger, die das Gemetzel kritisiert hat, fehle „ein Einschussloch in der Stirn“ und widmete ihr den Song „Hetzjagd auf Nazis“ – ein unmissverständlicher Aufruf an seine ergebene Fangemeinde. (20)
„Noch nie gab es eine solche Allgegenwärtigkeit von Militär und Krieg“, so die bittere Diagnose von Peter Bürger. (21) Auf dem Wege der Kulturindustrie vollziehe sich eine „quasi-spirituelle Gleichschaltung“ der westlichen Gesellschaften, die eine „Ruhigstellung menschlicher Lebendigkeit durch Banalität und Konsum“ und eine Haltung zeitige, die Krieg ganz unbekümmert mit Spaß und Unterhaltung in Verbindung bringe. (22) Wird der Ausnahmezustand, in dem die Waffen sprechen, zur Regel, dann schweigen die Musen nicht – sie stimmen lieber ein in den „eintönigen Gesang der Granatbahnen“ (Ernst Jünger). Faschisierungsprozesse machten sich nicht nur durch die Ausbreitung autoritärer Denk- und Verhaltensmuster bemerkbar, hatte der marxistische Philosoph Walter Benjamin 1935 vergeblich gewarnt, sondern auch durch totalitäre (Massen-)Kulturkonzepte – eine „Ästhetisierung der Politik“, durch die die Selbstentfremdung der Menschen jenen Grad erreicht, „der sie ihre eigene Vernichtung als ästhetischen Genuss ersten Ranges erleben lässt“.
Anmerkungen und Quellen
(1) http://www.youtube.com/watch?v=Ny_s9enQ3_M
(3) Bundeswehr Berichterstattung zum Frontbesuch von Kurt Krömer
(4) Den Impuls für dieses Engagement hatte Katzenbergers Management offenbar von SPD-Chef Sigmar Gabriel bekommen. Der hatte 2010 gegen die ebenso glamouröse wie durchinszenierte Afghanistan-Reise des damaligen Bundesverteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg mit seiner Gattin und dem Talkmaster Johannes B. Kerner kurz vor Weihnachten polemisiert. Es fehle nur noch der Truppenbesuch von Daniela Katzenberger, lästerte Gabriel. „Da hätten wenigstens die Soldaten was davon.”
(6) http://www.youtube.com/watch?v=0PffBKWsiwE
(7) http://www.youtube.com/watch?v=MtnQjOwOO1Y
(8 ) Indiepedia Artikel Als Gunter Gabriel sich mit Eisleben anlegte und Adolf Noise einen Song daraus machte
(9) Gunter Gabriel, Es steht ein Haus im Kosovo. Der K-FOR Song. Limitierte Auflage, Hamburg 2000
(10) Bundeswehr Bericht: Paul Kalkbrenner sorgt für gute Stimmung
(11) http://www.n24.de/mediathek/krieg-in-afghanistan-im-gespraech-ralf-moeller-action-star_14825.html
(12) http://www.youtube.com/watch?v=UlcaEC1Vh6E
(13) http://www.tagesspiegel.de/kultur/truppenbetreuung-good-morning-afghanistan/3621876.html
(16) Tom Holert, Mark Terkessidis, Entsichert. Krieg als Massenkultur im 21. Jahrhundert, Köln 2002, S. 30
(17) Peter Bürger, Kino der Angst. Terror. Krieg und Staatskunst aus Hollywood, Stuttgart 2005, S. 12
(18) Georg Seeßlen, Von Stahlgewittern zur Dschungelkampfmaschine. Veränderungen des Krieges und des Kriegsfilms, in: Kino und Krieg. Von der Faszination eines tödlichen Genres, Frankfurt a. M. 1989, 19f.
(19) http://www.podcast.de/episode/1167573/Bandinterview%20Egotronic
(20) http://torsun.blogsport.de/2011/06/08/sehr-geehrte-die-linke/
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(21) Peter Bürger, Kino der Angst. Terror. Krieg und Staatskunst aus Hoolywood, Stuttgart 2005, S. 13
(22) Ebenda, S. 18