Kriege

Freispruch für Haditha-Massaker

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Ein Urteil enthüllt die Willkür der US-Militärjustiz im Irak –

Von REDAKTION, 27. Januar 2012 –

Offenbar will die Regierung des Irak wegen des skandalösen US-Urteils zum Massaker von Haditha nun juristische Schritte einleiten. Regierungssprecher Ali Al Mussawi kündigte am Donnerstag laut Pressemeldungen an, die Behörden des Landes wollten alle notwendigen Maßnahmen ergreifen, um Gerechtigkeit zu erlangen. Er nannte das vor sechs Jahren von US-Soldaten verübte Massaker an 24 irakischen Zivilisten ein „großes Verbrechen“. (1)

Welche Hebel seine Regierung konkret gegen das Besatzungsregime in Bewegung setzen will, ist bis zur Stunde freilich noch offen. Möglicherweise handelt es sich um eine letztlich folgenlose Verbalattacke, mit der man versucht, die aufgebrachte Bevölkerung zu beruhigen. Denn nun ist  bekannt geworden, dass auch dem letzten von acht beschuldigten US-Marineinfanteristen, gegen die eine Serie von Militärverfahren durchgeführt wurde, eine Gefängnisstrafe erspart bleiben wird. .

Dabei handelt es sich ausgerechnet um den Hauptbeschuldigten. Der 31-Jährige Feldwebel Frank Wuterich hatte sich ursprünglich wegen 16-fachen Totschlags verantworten sollen, ist nun aber lediglich wegen der von ihm eingeräumten Verletzung seiner Dienstpflicht verurteilt worden. In einer Vereinbarung mit der Anklage sicherte er sich seine Freiheit. Bereits zuvor waren die Verfahren gegen sechs der Soldaten eingestellt worden, ein siebter wurde freigesprochen.

Das Blutbad vom 19. November 2005 hatte sich ereignet, nachdem ein Marineinfanterist aus dem Trupp durch eine Bombe am Straßenrand getötet worden war. Die Soldaten stürmten danach zwei Häuser und feuerten im Dunkeln auf die Bewohner. Zu den Toten zählen zehn Frauen und Kinder sowie ein Rollstuhlfahrer.

Wuterich wurde angelastet, seinen Trupp zu dem Massaker veranlasst und am Tod von 16 der Opfer direkt beteiligt gewesen zu sein. Die Angeklagten hatten sich damit verteidigt, dass sie sich unmittelbar bedroht gefühlt hätten und es nie ihre Absicht gewesen sei, Zivilisten zu töten. James Crossen, ein US-Soldat, der neben dem getöteten Marineinfanterist gesessen hatte und selbst verletzt worden war, sagte in einem Interview mit dem TV-Sender King5 Television in Seattle, dass er für die in dem Massaker getöteten Frauen und Kinder kein Mitgefühl hätte: „Nein… wahrscheinlich sind die Hälfte von Ihnen ohnehin Verbrecher, man weiß einfach nichts Genaues über sie. Ich habe nie wirklich über sie nachgedacht. […] So weit weg und es war so heiß… du verlierst einfach sozusagen die Kontrolle, und hörst irgendwie auf, dich zu kümmern um das, was passierte – und ich bin mir ziemlich sicher, dass es das war, was dort passiert ist.“ (2)

Das Urteil im Falle Wuterichs wurde von Militärrichter David Jones verkündet. Ein zuständiger General billigte die Vereinbarung.

Das US-Militär hatte sich viel Mühe gegeben, den genauen Ablauf des Massakers zu vertuschen. „Nach einem Bericht der Tageszeitung The New York Times (NYT) vom 8. Juli 2006 haben führende Mitglieder des United States Marine Corps bei der Untersuchung des mutmaßlichen Massakers im Irak ‚Fehler im Rahmen ihrer Vorgesetztenfunktion’ begangen. Angehörige der Stäbe von Generalmajor Richard A. Huck, der im Irak eine Division kommandiert und Oberst Stephen W. Davis hätten Widersprüche und Ungenauigkeiten in einem ersten Bericht nicht untersucht.“ (3)

Mitte Dezember 2011 wurde bekannt, dass ein Reporter der New York Times auf einem Schrottplatz im Irak mehrere Hundert Seiten lange Verhörprotokolle über die Bluttat gefunden hatte. Der Journalist hatte die Unterlagen, so hieß es in der Zeitung, nahe der Hauptstadt Bagdad vor dem Verbrennen gerettet. Die Dokumente hätten als Grundlage für einen umfassenden Untersuchungsbericht gedient und mit Hilfe einer irakischen Vertragsfirma des US-Militärs eigentlich längst vernichtet werden sollen.

Das Massaker in Haditha fügt sich ein in eine lange Reihe von Kriegsverbrechen, die von US-Militärs und den sie unterstützenden privaten Sicherheitsfirmen im besetzten Irak begangen worden waren. Bereits ein Jahr nach der Invasion der US-Truppen im Jahr 2003 löste die Folteraffäre im Gefängnis von Abu Ghuraib nahe der Hauptstadt Bagdad weltweite Empörung aus.

Im März 2006 waren US-Soldaten südlich von Bagdad gegen eine Familie vorgegangen. Die Männer drangen in ein Haus ein und vergewaltigten ein 14-jähriges Mädchen. Dann erschossen sie das Kind und verbrannten es mit Benzin. Auch alle anwesenden Familienmitglieder wurden ermordet.

Im September 2007 schließlich erschossen Männer des privaten Sicherheitsdienstes Blackwater im Westen von Bagdad 17 irakische Zivilisten. Sie hatten einen Konvoi von US-Diplomaten begleitet, der ihrer Ansicht nach angegriffen wurde. Die Privatarmee hatte damals einen Vertrag mit der Regierung in Washington. Wahrscheinlich handelt es sich bei den zum Teil nur durch Zufall bekannt gewordenen Verbrechen nur um die Spitze eines Eisbergs.

(1) http://www.net-tribune.de/nt/node/97517/news/Irak-will-wegen-Haditha-juristische-Schritte-einleiten

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(2) http://www.iraktribunal.de/crimes/haditha/haditha_massaker_nov2005.htm

(3) http://www.iraktribunal.de/crimes/haditha/haditha_massaker_nov2005.htm

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