Kriege

Afghanistan: Ein Amoklauf? – Das nächtliche Morden hat Methode

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Das Massaker an Zivilisten durch einen Angehörigen der Besatzungstruppen hat die ohnehin angespannte Lage in Afghanistan weiter verschärft. Zweifel bestehen, ob es sich wirklich um einen Einzeltäter handelte.

Von SEBASTIAN RANGE, 12. März 2012 –

In der Nacht zu Sonntag hat ein US-Soldat nach Angaben der afghanischen Regierung 16 Zivilisten in einem Dorf im Distrikt Pandschwai erschossen. Unter den Todesopfern seien neun Kinder, die im Schlaf getötet wurden. Auch drei Frauen und vier Männer gehörten zu den Opfern der Bluttat in der südafghanischen Provinz Kandahar, teilte der Präsidentenpalast in Kabul am Sonntag mit. Fünf Menschen seien verletzt worden. Präsident Hamid Karsai sprach von einem „unverzeihlichen Verbrechen“. „Die afghanische Regierung hat oft diese sogenannten Einsätze gegen Terrorismus verurteilt, in denen Zivilisten Opfer erleiden“, sagte Karsai. „Aber wenn amerikanische Soldaten vorsätzlich Menschen töten, dann ist das ein unverzeihliches Verbrechen.“

Laut der New York Times (NYT) handelt es sich bei dem Soldaten um einen 38-jährigen Feldwebel, der seit letztem Dezember in Afghanistan im Einsatz sei. Zuvor sei der Ehemann und Vater von zwei Kindern dreimal im Irak eingesetzt gewesen. (1)

Zu Fuß habe er sich von seinem nur rund eineinhalb Kilometer entfernt gelegenen Stützpunkt aufgemacht, um nach seiner Ankunft in dem Dorf „methodisch“ (New York Times) von Tür zu Tür zu gehen und schließlich in drei verschiedenen Häusern die zum Teil noch Schlafenden zu erschießen. Einige seiner Opfer seien von Raum zu Raum gerannt, um seinen Schüssen zu entkommen. Zwei Frauenleichen zeigten laut Angaben von Angehörigen zudem Stichwunden auf. (2) Unter seinen Opfern befanden sich auch vier Mädchen im Alter von unter sechs Jahren – er hatte ihrem jungen Leben mit Kopfschüssen ein Ende bereitet. Anschließend soll er elf der Leichen in einen Raum zusammengetragen und angezündet haben. Laut Augenzeugen habe er zuvor Chemikalien über die toten Körper gegossen. Berichten zufolge sei er offenbar betrunken gewesen. Nach seiner Mordtat habe er sich wieder zurück in seine Basis begeben und sich dort gestellt.

„Es sieht so aus, als habe er einfach seinen Posten verlassen, sei dann später zurückgekehrt und habe sich gestellt”, sagte Armeesprecher James Williams gegenüber der Washington Post. (3) Der Mann habe unter psychischen Problemen gelitten.

Bei ihrem gegenwärtigen Besuch in Afghanistan drückte Bundeskanzlerin Angela Merkel Präsident Karsai ihr persönliches Beileid anlässlich der „schrecklichen Tat des US-Soldaten“ aus. „Ich habe heute mit Präsident Karsai von Masar-i-Scharif aus gesprochen und ihm auch noch mal mein Mitgefühl für den gestrigen Amoklauf deutlich gemacht“, so die Kanzlerin.

Auch Außenminister Guido Westerwelle zeigte sich bestürzt. „Die Nachrichten aus Afghanistan über den Tod von so vielen Menschen, darunter zahlreichen Frauen und Kindern, haben mich tief erschüttert“, sagte Westerwelle am Sonntag während eines Besuchs in der saudischen Hauptstadt Riad. „Das ist ein Rückschlag für das große Engagement der internationalen Gemeinschaft für Frieden und Aussöhnung in Afghanistan.“ Westerwelle sprach von „unverantwortlichem und gänzlich unverständlichen Handeln“ Einzelner.

US-Präsident Barack Obama versprach eine Untersuchung der Vorgänge, ebenso wie der Kommandeur der Internationalen Schutztruppe ISAF und der US-Soldaten in Afghanistan, General John Allen. Auch er hatte sich „schockiert“ gezeigt und den Angehörigen kondoliert.

Barack Obama: US-Präsident und Märchenerzähler

„Dieser Zwischenfall ist tragisch und schockierend und repräsentiert nicht den außergewöhnlichen Charakter unseres Militärs und den Respekt, den die Vereinigten Staaten für das afghanische Volk empfinden“, so der US-Präsident.

Für die Afghanen muss das wie Hohn klingen. Denn in den vergangenen Wochen und Monaten haben die Besatzungstruppen mehrfach unter Beweis gestellt, wie außergewöhnlich ihr Respekt für die Bewohner des Landes ist.

Im Januar sorgte ein Video für Schlagzeilen, auf dem zu sehen ist, wie US-Soldaten auf die Leichen mutmaßlicher Talibankämpfer urinieren. (4) Solche Leichenschändungen sind nach Angaben der „Kinderhilfe Afghanistan“ keine Ausnahme. „Vorgänge wie die geschilderten sind nicht etwa „Raritäten“ im Krieg am Hindukusch. Sie geschehen nach unseren Erfahrungen viel häufiger als wir in unseren Medien davon erfahren; insbesondere im Süden und Osten des Landes, im Verantwortungsbereich der US-Streitkräfte. Der heute gemeldete „Skandal“ (des Urinierens auf Leichen, Anm. Red.) wurde ja nur deshalb zum medialen Ereignis, weil die betreffenden US-„Elite“-Soldaten“ ihr schändliches Verhalten auf Video aufgenommen und auf Youtube ins weltweite Netz gestellt haben.“ (5)

Dass es mitunter nicht nur bei der Schändung von Leichen bleibt, sondern den Toten zuweilen auch Körperteile abgetrennt werden, um sie als Trophäen zu sichern, kam auch nur dank der Aussagen eines Soldaten an den Tag, der den „Drogenkonsum seiner Kollegen, die Todesdrohungen gegen ihn und das Morden afghanischer Zivilisten“ nicht mehr ertragen konnte. (6)

Nach den Vorfällen im Januar sagte Präsident Karsai, er sei „angewidert von dem Anstieg der Ereignisse unmoralischer Natur unter ausländischen Soldaten“. Die Verbrennung von Koran-Exemplaren durch US-Soldaten auf der ostafghanischen Basis Bagram vor rund drei Wochen brachte das Fass dann zum Überlaufen. Bei tagelangen Unruhen wurden mindestens dreißig Afghanen getötet und Hunderte verletzt. Seitdem wurden zudem sechs US-Soldaten durch afghanische Sicherheitskräfte erschossen.

Auch das Töten von Zivilisten durch die Besatzungskräfte hält unvermindert an und lässt den tatsächlichen Mangel an Respekt vor der afghanischen Bevölkerung erkennen. So wurden Mitte Februar acht Kinder bei einem Luftangriff in der ostafghanischen Provinz Kapisa getötet. Erst einen Tag zuvor kamen laut afghanischen Angaben sieben Zivilisten bei einem US-Bombardement in der ostafghanischen Provinz Kunar zu Tode. (7)

Zwei Tage vor dem „Amoklauf“ des US-Soldaten wurden wieder Zivilisten in der Kapisa Provinz getötet. Die vier Toten und drei Verletzten fielen Schüssen aus NATO-Kampfhubschraubern zum Opfer. Daraufhin demonstrierten laut offiziellen Angaben 1.200 Menschen gegen den Terror der Besatzungstruppen. (8)

Unter diesen wächst nach dem Massaker in Kandahar die Furcht vor wachsenden Protesten gegen ihre Anwesenheit. Und natürlich vor Racheaktionen der Taliban, die bereits ankündigten, auf das „blutgetränkte Verbrechen“ zu reagieren.

Der Zeitpunkt könnte kaum ungünstiger kommen. Nach dem Debakel der Koranverbrennung galt es, die Wogen zu glätten. Diese Absicht dürfte durch den Mord an den 16 Afghanen nur schwer umsetzbar sein. Erst Recht, weil sich die Tat ganz anders abgespielt haben könnte.

Einzeltäter oder Wahnsinn mit Methode?

Zunächst scheint es fragwürdig, ob die Tat wirklich spontan und nicht zielgerichtet erfolgte. Zeugen zufolge habe der Soldat die Leichen vor ihrem Verbrennen mit Chemikalien übergossen – was für ein geplantes Vorgehen und das Verwischen von Spuren spricht. Und möglicherweise kannte er seine Opfer. Er soll einer Einheit angehört haben, die „Dorfstabilisierungs-Operationen“ (village stabilization operations) durchführt. Im Rahmen dieser Arbeit baut er lokale Polizeieinheiten auf und versucht, enge Kontakte zu den Dorfältesten herzustellen. (9) Laut Angaben eines Dorfbewohners sei eines der angegriffenen Häuser das eines Stammesältesten gewesen. (10)

Gegen die Version der willkürlichen Wahnsinnstat eines Einzelnen sprechen auch Aussagen verschiedener Zeugen. So zitiert die New York Times den 40-jährigen Abdul Hadi, der von mehr als einem Angreifer spricht. Mindestens fünf weitere Einwohner sprachen, so die NYT weiter, von mehreren Soldaten. (11)

Gul Bashra, Mutter eines der getöteten Kinder, verwendete den Plural, als sie gegenüber Associated Press das Erlebte beklagte: „Sie töteten ein Kind, das zwei Jahre alt war. War dieses Kind ein Taliban?“ (12)

Auch Haji Samad, der elf Angehörige bei dem Gemetzel verloren hatte, sprach im Plural: „Sie kippten Chemikalien über die Leichen und setzten sie in Brand.“ Nachbarn berichteten von mehreren Soldaten, die getrunken und gelacht hätten. „Sie waren alle betrunken und schossen durch die Gegend“, beschreibt Agha Lala den Vorfall. (13)

„Viele Afghanen, darunter gesetzgebende Personen und andere Offizielle, glauben, dass die Attacke geplant wurde und zeigten sich skeptisch, dass ein amerikanischer Soldat alleine ohne Hilfe den Angriff durchführen konnte.“ (14) Zu den Skeptikern zählt auch der öffentliche Repräsentant Kandahars, Hamidzai Lalai. Er widersprach der Version, derzufolge die Tötungen von einem einzigen, „geistig labilen“ Soldaten durchgeführt wurden. (15)

Auch Präsident Karsai sprach anfangs noch von „amerikanischen Kräften“, in der Folge dann aber von dem individuellen Akt eines Soldaten.

Gegen die These vom Einzeltäter sprechen auch afghanische Militärangaben. Danach soll der US-Soldat „außerhalb des Stützpunktes noch von afghanischen Soldaten festgenommen worden sein“. (16) Wenn das stimmt, dann hat sich der Soldat nicht freiwillig selbst gestellt, was die Amoklauf-These weiter untergräbt. Auch der Tatablauf selbst will sich nicht so recht in das Bild des Einzeltäters fügen. Hatte er keine Angst, erschossen zu werden, als er nach dem Massaker die elf Leichen zusammentrug und anschließend entzündete? Oder hatte er nichts zu befürchten, weil andere ihm dabei den Rücken deckten?

War es also wirklich die Tat eines Einzelnen, der „unter psychischen Problemen gelitten“ habe, wie das US-Militär behauptet? Sicher, wer solche Taten begeht, dem lässt sich kaum psychische Gesundheit bescheinigen.

Massaker mit besonderer Brisanz

Allerdings stellt die Tat – leider – kein Novum dar. Wenn überhaupt, dann nur in einer Hinsicht: Sie soll sich nicht aus einem Befehl ergeben haben, sondern aus eigenständigem Handeln. Und das dürfte der wahre Grund sein, warum die Militärführung so schnell Worte des Bedauerns und der Verurteilung der Tat findet und rasche Aufklärung verspricht. Bislang wurden nicht nur die aus der Luft bombardierten Zivilisten, wie beispielsweise die vor einem Jahr in der Provinz Kunar getöteten neun Kinder, die Brennholz sammelten (17), anschließend als Kollateralschäden bezeichnet.

Selbst für Mordtaten an Zivilisten, die von Angesicht zu Angesicht stattfanden und daher kaum als Kollateralschäden abgetan werden können, wurden bisher immer entschuldigende Ausreden gefunden. Zum Beispiel bei den sich regelmäßig im Rahmen der beschönigend als „nächtliche Durchsuchungen“ (Nigt Raids) bezeichneten Einsätze.

So töteten US-Sondereinheiten bei einer „Durchsuchung“ im Februar 2010 in einem Dorf bei Gardez, hundert Kilometer südlich von Kabul, fünf Menschen. Neben dem lokalen Polizeichef und dem Bezirksstaatsanwalt wurden auch drei Frauen, zwei davon schwanger, von Kugeln tödlich getroffen. ISAF-Vertreter sprachen anschließend von einer Schießerei, bei der zwei unschuldige Männer gestorben seien. Das Schicksal der Frauen wurde einfach verschwiegen. Ein US-Sprecher sagte später, die Frauen seien bei Ankunft der Sondereinheit bereits tot gewesen. Sie seien im Innern eines Hauses gefesselt und geknebelt vorgefunden worden. Später wurde korrigiert:

Die drei Frauen seien in traditioneller Weise aufgebahrt gewesen und hätten Spuren von Messerstichen aufgewiesen.

Auch das war gelogen. Die NATO korrigierte noch einmal: Die drei Frauen seien bei Schüssen auf die beiden Männer, die sich im Hof und nicht im Innern eines Hauses befanden, ums Leben gekommen. Interessanterweise hatte der ISAF-Sprecher zuvor gesagt: „Ich weiß nichts Gerichtsmedizinisches, das zeigt, dass es Einschussstellen oder Blutspuren dieser Frauen gibt.“

Das war möglicherweise – und zur Abwechslung – nicht gelogen. Denn nach Informationen der britischen Times „sollen die US-Soldaten die tödlichen Kugeln mit Messern aus den Körpern ihrer Opfer entfernt und die Schusswunden mit Alkohol ausgewaschen haben.“ (18) Die Angehörigen der Opfer schworen Rache.

Die Night Raids sind ein großes Hindernis bei dem Versuch, das Vertrauen der afghanischen Bevölkerung in die Besatzungstruppen zu erlangen. Immer wieder kam es dabei zur Erschießung von Zivilisten – teilweise wurden ganze Familien ausgelöscht. Anschließend wurden die Tötungen als Notwehrmaßnahmen deklariert. Der wohl bestialischste von den bislang bekannt gewordenen Vorfällen ereignete sich im Dezember 2009 in der Ortschaft Ghazi Khan. Ein US-Sonderkommando drang in ein Haus ein und erschoss aus nächster Nähe zehn der Bewohner, die in ihren Betten schlafend überrascht wurden. Eine Untersuchung der afghanischen Regierung ergab, dass es sich bei acht der zehn Getöteten um Minderjährige im Alter zwischen 11 und 17 Jahren handelte.

Schulleiter Rahman Jan Ehsas, schilderte das Geschehen so:„Sieben Schüler befanden sich in einem Raum. Ein Schüler und ein Gast waren in einem Zimmer für Gäste, und der Bauer nächtigte mit seiner Frau in einem anderen Gebäude. Zuerst erschossen die ausländischen Soldaten die beiden im Gästezimmer, dann legten sie den sieben Schülern in dem anderen Raum Handfesseln an und töteten sie ebenfalls. Als der Bauer Abdul Khaliq die Schüsse hörte, kam er aus dem Haus. Als ihn die Soldaten sahen, erschossen sie ihn ebenfalls. Nur seine Frau, die nicht herausgekommen war, überlebte.“

Die der NATO unterstehende International Security Assistance Force / ISAF erklärte anschließend, es lägen „keine verlässlichen Beweise“ für die Behauptungen der Vorsitzenden der Untersuchungskommission vor, „dass bei der von afghanischen und Koalitions-Truppen gemeinsam durchgeführten Operation unbewaffnete Zivilisten zu Schaden kamen.“ Denn, so die ISAF-Angaben, „als der gemeinsame Sturmtrupp ins Dorf eindrang, wurde er aus mehreren Gebäuden beschossen; als er das Feuer erwiderte, wurden neun Personen getötet.“ (19)

Das Bestialische der Tat besteht nicht nur darin, dass wehrlose, gefesselte Kinder kaltblütig hingerichtet wurden. Sondern auch darin, wie diese Taten von den Verantwortlichen gedeckt und die Opfer zu Tätern erklärt werden. Die an den Aktionen beteiligten Sonderkommandos können das nur als Freifahrtschein für zukünftiges Morden betrachten.

War das Massaker vom letzten Wochenende eventuell auch eine der „aus dem Ruder gelaufenen“ nächtlichen Razzien? Selbst die New York Times musste feststellen, dass die Tat „einige Ähnlichkeiten mit den Night Raids aufweist, die die Koalitionskräfte in Afghanistan durchführen“.(20)

Eines scheint klar: Die US-Army wird sich trotz gegenteiliger Ankündigung einer Aufklärung dann in den Weg stellen, wenn diese auf mehr als einen Täter hinweist. Denn das Abkommen über eine strategische Partnerschaft Afghanistans mit den USA nach 2014 soll nach Angaben von Präsident Karsai im Mai unterzeichnet werden. Der Staatschef sagte am Sonntag in Kabul, beide Seiten hätten sich auf „neue Rahmenbedingungen“ verständigt, so dass der Vertrag zum NATO-Gipfel in Chicago unterschriftsreif vorliegen könne.

Doch es gibt noch eine Hürde: Karsai forderte erneut von den internationalen Truppen, die Night Raids zu stoppen. Andernfalls werde es keine strategisches Abkommen mit den USA geben.

Für die USA steht also weit mehr als nur das Ansehen der eigenen Truppe auf dem Spiel. Daher ist es nicht überraschend, wie schnell die Tat verurteilt wurde und wie rasch das Militär einen ihrer Angehörigen entgegen der sonstigen Gewohnheit als Beschuldigten inhaftierte.

Das Entsetzen der Heuchelei und die Heuchelei des Entsetzens

Genauso wenig überrascht es, wenn in Deutschland Kanzlerin und Außenminister, die ansonsten die Verbrechen der Besatzungskräfte verschweigen oder schönreden, und denen Worte des Bedauerns gegenüber den Angehörigen der Opfer dabei nur selten über die Lippen kommen, sich plötzlich „schockiert“ und „entsetzt“ zeigen.

Mit der Bezeichnung als „Amoklauf“ versucht Bundeskanzlerin Merkel die Tatsache zu übertünchen, dass es sich bei dem Massaker um den ganz normalen Wahnsinn handelt, in den die USA und ihre Hilfstruppen das Land gestürzt haben.

„Leider reiht sich diese Wahnsinnstat des Soldaten in eine Kette von Fehltritten ein, die das Vertrauen der Bevölkerung in die westlichen Streitkräfte schwer erschüttert hat“, kommentierte die Saarbrücker Zeitung und lieferte damit ungewollt eine Paradebeispiel für die Arroganz des Westens. (21)

Die bisher im Rahmen der Night Raids erfolgten Morde an wehrlosen Männern, Frauen und Kindern und die nicht unübliche Schändung von Leichen als „Fehltritt“ zu bezeichnen, ist einer der Gründe, warum der Krieg in Afghanistan für die Besatzungstruppen nicht mehr zu gewinnen ist. Denn den Kampf um die Herzen und Köpfe der Menschen haben sie bereits verloren.

„Paradoxerweise ist es die Präsenz der ausländischen Truppen in Afghanistan, die den Taliban mehr Macht und Zustimmung verschafft“, brachte der britische Independent das Dilemma des Einsatzes auf den Punkt. (22)

Die ISAF-„Schutz“-Truppe hat ein wahres Kunststück vollbracht: Mittlerweile erscheint vielen Afghanen selbst die Schreckensherrschaft der Taliban als mildere Form der Unterdrückung, die viele von ihnen mittlerweile bevorzugen würden. Noch steht keine Mehrheit der Afghanen hinter den Taliban, aber eine Mehrheit lehnt die NATO-Einsätze ab.

Laut einer unter afghanischen Männern durchgeführten Umfrage des International Council on Security and Development lehnen im Süden des Landes 87 Prozent der Befragten militärische Operationen der NATO ab. Im etwas ruhigeren Norden betrug die Ablehnung „nur“ 76 Prozent. (23) Die Umfrage stammt vom Mai 2011 und somit dürfte die Ablehnung gegenüber der NATO in der Zwischenzeit noch gestiegen sein.

Über das Debakel der Afghanistan-Mission kann auch eine kürzlich erfolgte Meldung nicht hinwegtäuschen, derzufolge das erste Internet-Café, das nur Frauen zugänglich ist, in der Hauptstadt Kabul eröffnet wurde. (24)

Was bedeutet dieses Minimum an Freiheit im Vergleich zu der Angst, der Willkür schwerbewaffneter, sadistischer US-Spezialkräfte ausgesetzt zu sein? Davon befreit zu sein wäre vermutlich für die Afghanen wichtiger, als ungehindert im Internet zu surfen.


Anmerkungen

(1) http://www.nytimes.com/2012/03/13/world/asia/us-army-sergeant-suspected-in-afghanistan-shooting.html

(2) ebd.

(3) http://www.washingtonpost.com/world/us-soldier-detained-after-opening-fire-on-afghans/2012/03/11/gIQAFFlW4R_story.html

(4) http://www.augsburger-allgemeine.de/politik/US-Soldaten-pinkeln-auf-Taliban-Leichen-id18279931.html

(5) http://www.hintergrund.de/201201131877/globales/kriege/hilfsorganisation-leichenschaendung-in-afghanistan-durch-us-soldaten-keine-ausnahme.html

(6) http://www.hintergrund.de/201009101122/globales/kriege/die-neuen-skalpjaeger-wie-obamas-krieg-aus-jungen-us-soldaten-brutale-moerder-macht.html

(7) http://www.hintergrund.de/201202161929/kurzmeldungen/aktuell/wieder-nato-massaker-in-afghanistan-acht-kinder-getoetet.html

(8) http://www.nytimes.com/2012/03/13/world/asia/us-army-sergeant-suspected-in-afghanistan-shooting.html?pagewanted=2

(9) http://www.nytimes.com/2012/03/13/world/asia/us-army-sergeant-suspected-in-afghanistan-shooting.html

(10) http://www.welt.de/politik/article13916204/Zeugen-erheben-schwere-Vorwuerfe-gegen-US-Armee.html

(11) http://www.nytimes.com/2012/03/13/world/asia/us-army-sergeant-suspected-in-afghanistan-shooting.html

(12) http://uk.news.yahoo.com/us-soldier-held-afghan-shooting-spree-074109101.html

(13) ebd.

(14) http://www.nytimes.com/2012/03/13/world/asia/us-army-sergeant-suspected-in-afghanistan-shooting.html

(15) http://www.pajhwok.com/en/2012/03/12/angry-lawmakers-shut-wolesi-jirga-protest-kandahar-killing

(16) http://www.welt.de/politik/article13916204/Zeugen-erheben-schwere-Vorwuerfe-gegen-US-Armee.html

(17) http://www.hintergrund.de/201103021415/globales/kriege/wieder-nato-massaker-in-afghanistan-neun-kinder-beim-brennholzsammeln-getoetet.html

(18) http://www.sueddeutsche.de/politik/afghanistan-us-soldaten-vertuschten-tod-von-drei-frauen-1.22560

(19) Siehe: http://www.hintergrund.de/20100104637/globales/kriege/afghanistan-das-morden-geht-weiter.html

(20) http://www.nytimes.com/2012/03/13/world/asia/us-army-sergeant-suspected-in-afghanistan-shooting.html?pagewanted=3

(21) http://www.saarbruecker-zeitung.de/sz-berichte/politik/US-Soldat-toetet-16-afghanische-Zivilisten;art2815,4218424#.T14oxHmDGBM

(22) http://www.independent.co.uk/opinion/leading-articles/leading-article-afghanistan–enough-is-enough-7554558.html

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(23) http://www.icosgroup.net/static/reports/bin-laden-local-dynamics.pdf

(24) http://www.thestarphoenix.com/news/cominghome/Female+only+Internet+cafe+opens+Afghan+capital/6281140/story.html

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