"Wir haben schon längst keine Demokratie mehr."
Die Gesellschaft ist gespalten und der Weltfrieden bedroht. Das stellt der Psychoanalytiker und Psychotherapeut Hans-Joachim Maaz in seinem neuen Buch "Friedensfähigkeit und Kriegslust" fest. Im Gespräch mit Èva Péli und Tilo Gräser geht er unter anderem auf die Ursachen und die gesellschaftlichen Folgen ein.
HINTERGRUND: Sie haben nicht gedacht, wie Sie schreiben, dass es in Deutschland nochmal eine politische Führung gibt, die die Gesellschaft in den Krieg führen will. Nun ist es aber das gleiche System, das für zwei Weltkriege verantwortlich ist, nur modernisiert. Es sind die gleichen Interessen. Heute in der Form des Finanzkapitalismus. Warum ist es dennoch überraschend, was wir derzeit erleben?
MAAZ: In all meinen Büchern beschreibe ich genau die Hintergründe, weshalb sowas passiert. Ich habe immer den Eindruck gehabt, ich schreibe das fast wie mit magischen Wünschen, es möge helfen, dass es nicht passiert. Ich habe es eigentlich immer gewusst und die Entwicklungsprozesse aufgeschrieben. Aber ich wollte es nicht wahrhaben. Ich wollte die Hoffnung haben: Ja, das ist zwar so und die Gefahr ist groß, aber sie wird nicht wahr. Ich habe mich betrogen. Ich habe mir was vorgemacht. Das ist verstärkt worden durch die Ost-West-Verhältnisse. Ich war in der DDR-Zeit auch ziemlich naiv zu glauben, im Westen ist alles besser. Also an der Oberfläche: was man kaufen kann, wie man reisen kann, was man alles lesen kann. Das ist die bessere Welt. Ich habe geglaubt, die westliche Demokratie ist wirklich eine Demokratie. Das war von der Hoffnung getragen, es gäbe eine bessere Welt. So konnte man in der DDR ganz gut überleben mit dem Gefühl, es gibt eine Möglichkeit, woanders zu leben. Das gibt es heute nicht mehr. Dies hat auch dazu geführt, dass ich es nicht mehr für möglich gehalten habe, was wir jetzt erleben. Ich habe den Westdeutschen zu DDR-Zeiten geglaubt, dass sie eine Demokratie gestalten. Der Pluralismus, die Meinungsfreiheit – es war ja tatsächlich lange Zeit so, sodass man denken konnte, das seien echte demokratische Verhältnisse.
In meiner Arbeit habe ich immer wieder gesehen: Wenn Menschen persönlich in der Krise waren, waren sie immer in Gefahr, auch böse zu sein. Zu DDR-Zeiten haben wir mal spontan ein Psychodrama mit einer Gruppe gemacht, wo herauskam: Jeder er- kennt in sich den “Nazi”. Also nicht poli- tisch, sondern dass man sich für besser als andere hält und andere abwertet. Das war in den Menschen nur versteckt. Im Grunde habe ich es in meiner Arbeit immer wieder gesehen, aber nicht glauben wollen, dass das eine ganze Gesellschaft betrifft, die das nicht aufgearbeitet hat. Nachdem ich da nüchterner geworden bin, war klar, dieses “Nie wieder!” taugt überhaupt nichts, wenn es nur proklamiert und nicht seelisch veran- kert wird. Wie konnte es sein, dass die Nazis plötzlich Demokraten waren? Wie konnte es sein, dass die SED-Bonzen, die Stasi- Offiziere plötzlich Manager wurden? Über Nacht konnte man die Gesinnung wechseln. Da war klar, dass alles, was sie vorher taten, nicht wirklich innerlich gestimmt hat – und die neue demokratische Haltung auch nicht. Es war und ist nur eine auferlegte oder aufgenötigte Maske, wie man sein soll. Das entlarvt sich jetzt vollkommen, dass es schon längst keine Demokratie mehr ist, sondern nur ein Demokratie-Spiel.
HINTERGRUND: Nachdem die Gesellschaft durch die Corona-Politik in Geiselhaft genommen wurde, wird jetzt wieder mit den Russen Angst gemacht, auf dass sie kriegstüchtig werden soll. Schon Zweifel werden diffamiert und bekämpft. Erst bei den “Corona-Leugnern”, jetzt bei den “Lumpenpazifisten”. Was geschieht da und warum?
MAAZ: Man muss fürchten, dass der Krieg gebraucht wird. Ich habe den Eindruck, der Krieg ist schon längst vorbereitet und beschlossen. Das wird nur peu à peu den Menschen nahegebracht: “Du musst wieder kriegstüchtig werden.” Und so weiter. Damit es propagandistisch auch gelingt, die Menschen zu überzeugen. Deshalb also die Russen als der Teufel. Es wird ja immer gesagt, die dürfen den Krieg nicht gewinnen, denn dann überfallen sie das Baltikum und Polen. Es ist in meinen Augen irrwitzig, das zu glauben.
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Ich habe einen Text über den “falschen Protest” veröffentlicht, den falschen Protest “gegen Rechts” und die AfD. Eigentlich protestieren die Leute gegen sich selbst. Die meisten Demonstranten waren Grüne, SPD und so weiter. Sie haben wohl erkannt, dass das System zu Ende ist, dass Deutschland untergeht, ökonomisch und demokratisch, dass alles nicht mehr funktioniert. Und es muss ein Bösewicht her, der schuld ist: Das sind jetzt die Rechten. Ich finde das absurd, denn die Folgen der schlechten Politik haben CDU, FDP, SPD und Grüne zu verantworten. Die AfD hat damit überhaupt nichts zu tun. Die ist nur Opposition. Aber sie wird beschuldigt als die, die praktisch die Gefahr darstellt. Deshalb ist es ein falscher Protest, und man protestiert gegen sich selbst. Die Leute sind bisher noch überzeugt von der Richtigkeit der Regierungspolitik. Wenn sie dagegen protestieren würden, müssten sie erkennen: Ich habe mich geirrt, ich habe ein falsches Leben mitgestaltet. Das macht der Mensch nicht gerne, eine so schwer- wiegende Erkenntnis einzugestehen: Es ist meine Schuld. Ich habe mich geirrt. Es tut mir leid. Da ist es viel besser, jemanden zu finden, dem man dann die Schuld anlasten kann. Das ist das grundlegende Prinzip. Immer, wenn man im Gefühlsstau ist, immer, wenn man mit sich selbst ein Problem hat, fällt es schwer, das eigene Versagen und die eigene Fehlentwicklung zu erkennen. Es muss einen Sündenbock geben, auf ihn wird projiziert. Das ist genau das, was jetzt tatsächlich passiert. Und mit propagandistisch geschürter Angst lässt sich Schuld besonders leicht projizieren: Auf das Virus, das CO2, auf die Russen, auf die AfD.
Dies ist ein Ausschnitt aus dem ersten Teil des Interviews, das Èva Péli und Tilo Gräser mit Hans-Joachim Maaz geführt haben. Den vollständigen Text des ersten Teils lesen Sie in der Ausgabe 7/8 2024 unseres Magazins, den zweiten Teil in der Ausgabe 9/10 2024. Sie können diese auf dieser Website erwerben (Abo oder Einzelheft). Den nächsten Kiosk, in dem das Heft erhältlich ist, finden Sie über die Suche bei Mykiosk.