Zeitfragen

Wie schafft eine Minderheit, die Mehrheit in Geiselhaft zu nehmen? (Teil 2)

Eine biedere urbane Mittelschicht mit dürftiger Bildung, ohne Esprit und Verantwortungsbereitschaft lähmt weite Teile der Gesellschaft. Teil 2 der analytischen Annäherung an die „woke Bewegung“.

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Einfalt ist ein Kennzeichen des Wokeismus. Entsprechend gerne “verwalten” seine Anhänger den Rest der Welt. Ihr Weg führt unweigerlich in ein Gefängnis geistiger Fantasielosigkeit.
Bild von Peter H auf Pixabay, Mehr Infos

Zweiter Teil des Essays, in dem Erscheinungsformen und Ursachen einer vermeintlichen „Bewegung“ untersucht werden, die gar keine ist. Heute geht es unter anderem um die modernen Spießer. Sie sitzen nicht an der Spitze, aber an entscheidenden Schaltstellen: Es sind Lehrer, Menschen, die an Hochschulen arbeiten, vor allem auch in der Verwaltung. Sie bilden das Herzstück des Wokeismus, suchen ständig das Haar in der Suppe und einen Schuldigen. Bei alledem leisten sie wenig oder nichts Nützliches.

Hier geht es zu Teil 1

Wie kann die Machtausübung funktionieren?

Die Macht der „woken Bewegung“ besteht nicht darin, Panzer auffahren zu lassen, nicht darin, wie ein Elon Musk, Silvio Berlusconi oder Rupert Murdoch ganze Medienunternehmen aufzukaufen und zu beeinflussen. Sie besteht noch nicht einmal darin, durch Anzeigengelder eine genehme Berichterstattung zu erzeugen. Nicht darin, Politiker zu bestechen. Es beruht auch nicht auf der Faszination des Verwegenen eines Che Guevara, der Faszination des Verruchten wie in der Punk Musik, nicht in der natürlichen Sympathie für irgendeinen David in seinem Kampf gegen Goliath. Die Einflussnahme der woken Bewegung besteht nicht darin, dass man neue Anliegen, Werte und Ziele entwickelt hätte und jetzt versuchte, die Menschen dafür zu gewinnen – das müsste ja eigentlich der normale Prozess in einer Demokratie sein.

Schuldenfalle in anerkannten Themen

Der Machtmechanismus der „woken Bewegung“ beruht im Gegenteil darauf, dass nichts neu und nichts umstritten ist. Auf der Basis längst anerkannter Anliegen und Werte wird ein Konstrukt ewiger Schuld errichtet. Die „woke Bewegung“ trägt selbst nichts bei, bleibt auf dem Sofa, aber wirft anderen ständig vor, dass nicht genügend passiere. Man nimmt Themen wie Umwelt, Klima, Gleichberechtigung, Migration, Frieden, Schwulen-Emanzipation oder ähnliches längst Anerkanntes1 und behauptet ständig, dass nicht genug geschehe, eigentlich noch gar nichts passiert sei, dass wieder irgendwo was vorgefallen sei, dass selbst dann, wenn nichts Schlimmes passiert, es strukturelle Missstände gibt, oder gar, dass niedrige Fallzahlen an zu wenig Beauftragten und Meldestellen liegen. Und schließlich, dass man selbst der Retter ist, der das alles aufdeckt und darüber wacht – eben „woke“ ist.

Diese Art der Machtausübung funktioniert nur deshalb, weil die große Mehrheit die Grundwerte und Grundziele teilt. Wenn Gesellschaft und Politik wie vor 150 Jahren nach der Gewinnung von Kolonien strebten, dann liefe der Kolonialismusvorwurf ins Leere. Natürlich könnte man immer noch gegen Kolonien sein – das gab es ja auch, angefangen mit Bismarck.2 Aber man könnte den Kolonialismus nicht dadurch abwehren, dass man ihm vorwirft, kolonialistisch zu sein. Auch die Nazis wären wohl nicht besonders beeindruckt gewesen, hätte man sie als rassistisch bezeichnet – sie hätten vielmehr „Ja, genau!“ geantwortet. Wenn die Mehrheit gegen Schwule wäre, könnte man nicht einfach Schwulendiskriminierung anprangern, sondern müsste erst einmal Überzeugungsarbeit leisten, dass es überhaupt falsch ist, Schwule zu diskriminieren.3 Es ist auch nicht so, dass man heute gegen jede Diskriminierung wäre – niemand will ja Nazis oder Pädophile vor Diskriminierung schützen. Die ständigen Etikettierungen etwa als „homophob“ oder „Klimaleugner“ ebenso wie die damit begründeten Cancel-Versuche funktionieren nur, weil der gesellschaftliche Konsens nicht homophob ist und nicht den Klimawandel leugnet.

Der Machtmechanismus der „woken Bewegung“ funktioniert offenbar ähnlich wie im Märchen vom Fischer und seiner Frau – mithilfe des ständigen Vorwurfs, dass das Erreichte noch nicht gut genug sei. Wer für eine saubere Umwelt ist, hat ein schlechtes Gewissen, wenn er dabei ertappt wird, wie er im Wald versehentlich ein Tempotaschentuch auf den Boden fallen lässt. Genauso kann die Machtausübung der „woken Bewegung“ nur funktionieren, wenn ständig das schlechte Gewissen gefüttert wird. Nicht weil wir heimlich rassistisch wären, sondern gerade, weil wir alle gegen Rassismus sind, zucken wir zusammen, wenn jemand sagt, es sei Rassismus, beim Krippenspiel dem sechsjährigen Robin als Darsteller eines der Heiligen Drei Könige das Gesicht dunkel zu machen. Oder Kolonialismus, wenn der Hl. Mauritius als Afrikaner dargestellt wird – was übrigens seit seinem Märtyrertum im 4. Jahrhundert der Fall ist.4 Nur die Wenigsten machen sich die Mühe, die Fakten nachzuprüfen, geschweige denn zu erkennen, dass das Verdikt der kulturellen Aneignung zutiefst rassistisch ist. Nur die wenigsten schauen in den Paragrafen 1356 BGB und seine Novellierungen, schauen die tatsächlichen Fakten zur Hexenverbrennung an oder hinterfragen die Zahlen zum Gender Pay Gap, geschweige denn, dass sie sich fragen, was das ständige Füttern der Opferrolle für die Mündigkeit der Frauen bedeutet. Da wir alle die Ziele teilen, fühlen wir uns sofort schuldig, wenn irgendwo ein solcher vermeintlicher Missstand oder „Skandal“ aufgedeckt wird. Und man begnügt sich bei der Konstruktion ewiger Schuld schon lange nicht mehr mit der Gegenwart, sondern besonders im Thema Kolonialismus (aber auch Feminismus) leben wir allein aufgrund unserer Hautfarbe (oder des männlichen Geschlechtes) in einem Zustand der Erbsünde, aus dem es trotz ehrlicher Reue und Selbstkasteiung kein wirkliches Entkommen gibt: „Die Wurzeln der Klimakrise liegen in Machthierarchien von Männern über Frauen, von weißen Menschen über People of Color, von Männern über die Natur.“5

Ein wesentlicher Teil des Machtmechanismus ist die moralisierende Unterstellung von Motiven. Dies findet zum einen gegenüber denjenigen statt, die nicht „woke“ denken. Ihnen werden unlautere Motive unterstellt, ja, es wird angenommen, dass ein Mann oder ein Weißer letztlich gar keine lauteren Motive haben, geschweige denn Menschen anderer Hautfarbe oder anderen Geschlechtes überhaupt verstehen könne. Für unser Thema ist aber noch relevanter, dass man sich selbst ständig die höchsten und edelsten Motive unterstellt. Es sind immer ganz große Anliegen, meist nichts Geringeres als die Weltrettung wie bei Luisa Neubauer6 oder im allgegenwärtigen Motiv des von menschlichen Armen gehaltenen Planeten. Man kann die Wirkung eines solchen Framings etwa in Kunstausstellungen beobachten: Beim Betreten eines Saales wird man als erstes informiert, welche hehren Ziele die Künstler verfolgen und welche Botschaften mit den Kunstwerken ausgedrückt werden. Wenn damit jedes ausgestellte Kunstwerk von vornherein einen Heiligenschein bekommt, wie könnte man als Besucher noch ganz profan zu sagen wagen, dass man dieses oder jenes Kunstwerk nicht mag oder für handwerklich misslungen hält? Diesen Machtmechanismus kann man auf viele Felder übertragen – auf Theater und Literatur, auf Wissenschaft, aber eben auch auf gesellschaftliche und politische Diskussionen. Wenn jede Position sofort auf die höchste Ebene von Gut und Böse bezogen und mit der Freund-Feind-Frage verknüpft wird, dann ist dies nicht nur ein billiger Schutz der eigenen Position vor dem rauen Wind des Diskurses, sondern dann ist keine offene Diskussion mehr möglich, nicht einmal über technische Details auf der dritten Ebene der Umsetzung. Wer einen Umsetzungsweg in Frage stellt, unterliegt dem Verdacht, der Weltrettung im Wege zu stehen. Dies wiederum führt dazu, dass sich entweder die widersprüchlichsten Auffassungen nonchalant und ungeklärt unter irgendeinem als gut beanspruchten Etikett versammeln; oder es führt zur Selbstzerfleischung der Aktivisten auf immer kleinerem Spielfeld.

Eines ist auf jeden Fall klar: Auch dieser Mechanismus der moralischen Diskreditierung von Motiven anderer und moralischer Überhöhung der eigenen Motive funktioniert nur, wenn er an etwas längst Anerkanntes anknüpft. Niemand kann Motive als moralisch gut oder böse bezeichnen, wenn es keinen Konsens gäbe, was gut oder böse ist. Die deprimierende Wirkung ist dann nicht mehr überraschend: Wenn es wegen der moralischen Überhöhung keine Kritik mehr im Einzelnen und Handwerklichen geben kann, dann sinkt die Qualität. Wenn dann aber auch die Ziele nur an das anknüpfen, was längst akzeptiert wird und als „nicht diskutierbar“ erklärt wurde, dann werden Gedankenwelt und Handlungsrahmen immer enger, konformistischer, langweiliger und spießiger.

Ich frage mich dann immer, warum ich mir etwas ansehen soll, dessen Gegenteil gar nicht mehr denkbar ist und schon gar nicht ausgestellt oder aufgeführt wird, ja warum man es überhaupt noch malen oder inszenieren muss. Das ist Erbauungskunst oder Erbauungstheater für bereits Bekehrte, genauso wie früher die Erbauungsblättchen in der Dorfkirche. Mir ging das – ganz unpolitisch – seit jeher so mit den Leitbildern in Unternehmen. Ich war seit jeher der Meinung, dass man in solche Leitbilder (wenn man denn glaubt, sie zu benötigen) nur Dinge aufnehmen sollte, die man mit guten Gründen auch anders sehen könnte.

Spießer an entscheidenden Hebeln der Macht

Wenn ich soeben das Wort „spießig“ verwendet habe und auch im Folgenden weiter mit dem Begriff des „Spießers“ arbeiten werde, dann scheint es, als glitte ich hier ins Billig-Polemische ab. Ich verwende jedoch den Begriff als eine Art Terminus technicus. Dabei lehne ich mich ganz einfach an die bei Wikipedia gebotene Definition an, nach welcher der Begriff des Spießers solche Personen bezeichnet, „die sich durch geistige Unbeweglichkeit, ausgeprägte Konformität mit gesellschaftlichen Normen und Abneigung gegen Veränderungen der gewohnten Lebensumgebung auszeichnen“. Spießer im Sinne dieser Definition gab es immer und wird es immer geben. Mich interessieren auch weniger die definitorischen Feinheiten – die konstatierten Verhaltensweisen reichen mir als Parallelität völlig aus. Mich interessiert vielmehr die umgekehrte Frage: Was ist jetzt anders und warum ist das neue Spießertum in anderer Weise auffällig als früher?

Die klassischen Spießer fanden sich irgendwo auf dem Land in einem Dorf oder in irgendeiner Schreibstube. Auch sie hatten kleinkarierte Ansichten, waren nicht gebildet, nicht fortschrittlich – man könnte dieselben Etiketten wie zuvor verwenden. Aber sie waren verdruckst, hatten ihre Komplexe, waren froh, nicht entdeckt zu werden und haben den großen Max höchstens am Stammtisch markiert – oder wie Ekel Alfred am heimischen Küchentisch. Die heutigen Spießer gehören zwar nicht zu den Reichen und Supermächtigen der Welt, aber sie sitzen an entscheidenden Schaltstellen: Sie sind Lehrer, arbeiten an Hochschulen, vor allem auch in der Verwaltung, in Behörden, sie stellen die allgegenwärtigen Beauftragten für irgendein vermeintliches Mangelthema. Vor allem sind sie in den Medien präsent. Sie sitzen überproportional im Parlament.7

Und sie haben einen missionarischen Anspruch. Auch dies ist etwas, was den klassischen Spießern eher fremd war. Beides zusammen führt dazu, dass sie nicht nur an machtvollen Stellen sitzen, sondern dort auch etwas machen und durchsetzen wollen. Aber gerade in den Momenten der programmatischen Verkündigung zeigt sich die Enge des Weltbildes. Ein kleines und doch bezeichnendes Beispiel: Auf der Titelseite eines Krankenkassen-Magazins8 sind Menschen abgebildet, die im Freien um einen Tisch sitzen und essen. Das Foto soll Vielfalt darstellen – verstärkt durch die Überschrift „Gemeinsam. Warum Zusammenhalt uns stark macht“. Beim genaueren Hinsehen fällt allerdings rasch auf, dass die Abgebildeten tatsächlich aus einer einheitlichen sozialen Schicht stammen und einen ganz bestimmten Lebensstil abbilden. Was auf den ersten Blick nach Vielfalt aussieht, entlarvt sich selbst auf einem gestellten Foto als gleichförmige Selbststilisierung der urbanen Mittelschicht.

Wenn die Mitglieder der urbanen Mittelschicht ihren Lebensstil in die Welt tragen, dann tun sie dies folgerichtig nicht mit den Mitteln von Unternehmern oder Arbeitern, also nicht durch konkrete Problemlösungen oder mühsame Überzeugungsarbeit, sondern durch das Instrumentarium, das sie beherrschen:

•  In öffentlichen Institutionen und Verwaltungen wirken sie durch Verbote, Verordnungen, Regelungen, Kontrollgremien und all die Themenbeauftragten, die sich den eigenen Bedarf selbst erzeugen.

•  In Vereinen, NGOs, Instituten, die mit öffentlichen Fördermitteln ausgestattet werden, üben sie durch Fragebögen und Bewertungssysteme Druck auf Unternehmen aus – fernab demokratischer Prozesse ebenso wie jenseits einer Eigentümerverantwortung und in einer Weise, die an Schutzgelderpressung erinnert.

•  In den Medien praktizieren sie einen Gesinnungsjournalismus, der gar nicht erst den Versuch macht, neutral über Fakten zu berichten, sondern Einzelereignisse sofort einer generellen Botschaft und Deutung unterordnet. Einen Journalismus, der bestimmte Berichte bewusst unterdrückt, damit es keinen „Applaus von der falschen Seite“ gibt.

•  Im Bildungssystem prägen sie einen Multiple-Choice-geschulten Glauben an falsch und richtig. Sie machen Vorgaben, sieben Inhalte aus, deuten diese nach Gesinnungskriterien um und schaffen so eine Wissenschaft, für die „umstritten“ etwas Negatives ist und die sich durch Safe Spaces dem Diskurs entziehen will.

Die allgegenwärtigen Etikettierungen von „umstritten“ und „wird kritisch gesehen“, von „rechtskonservatives Milieu“, ganz zu schweigen von „transphob“, von „verletzt sein“ sind Diffamierungen, mit denen ohne inhaltliche Auseinandersetzung der Sieg errungen werden soll. Und das ist nicht nur ein feuilletonistisches Spiel: Zum Beispiel im Hochschul- und Wissenschaftsbetrieb werden Nachwuchswissenschaftler bei Bewerbungen und Berufungen keine Chance haben, bei deren Google-Recherche sofort Begriffe wie „wird kritisch gesehen“ aufpoppen. Und auch der Grundgedanke der politisch korrekten Sprache hat ja wenig Zimperliches oder Sensibles: Aus dem behaupteten Zusammenhang von Sprache und Denken das Ziel abzuleiten, durch die Manipulation von Sprache bestimmte Gedanken undenkbar zu machen, beinhaltet einen totalen und zutiefst totalitären Machtanspruch.

Durch „woke“ Ideen auf Augenhöhe mit Mozart

Ich möchte versuchen, noch etwas genauer zu differenzieren zwischen den Treibern und Vordenkern des Wokeismus und der Schicht, die das aufsaugt und ihm überhaupt erst Macht verleiht. Was macht das teilweise wirre Gerede der Hardcore-Wokies zu einem so attraktiven Angebot für unsere biedere Mittelschicht?

Ich vermute zum einen, dass die hohe Studienquote eine große Rolle spielt. Früher waren die Spießer weit weg von denen, die das Sagen hatten. Sie haben nach dem dritten Bier über „die da oben“ geschimpft, waren ihnen aber dennoch hörig. Heute können sie sich beim Blick auf ihren Bildungsabschluss auf derselben Ebene sehen. Das ist aber nur die notwendige, keine hinreichende Bedingung.

Ich möchte deshalb meine zweite Erklärung an einem Bild verdeutlichen: Nehmen wir an, ich hätte Musik studiert. Wie kann ich jetzt beweisen, dass ich in derselben Liga spiele wie Mozart? Ich könnte eine Oper komponieren, die besser ist als die Zauberflöte. Ich könnte auch Dirigent, Sänger, Operndirektor, Geiger werden und versuchen, die Qualität der Aufführungen zu verbessern und neue Aspekte herauszukitzeln. Ich vermute mal, wenn ich so intensiv einstiege, würde ich auch die eine oder andere Schwäche in Mozarts Werk entdecken – wie sollte es anders sein! Ich könnte Geigenbauer werden und die Instrumente des 18. Jahrhunderts nachbauen oder restaurieren. Ebenso auch als Bühnenbildner, Kostümschneider, Beleuchter, Akustiker die Aufführung verbessern. Ich könnte nicht zuletzt auch Musiklehrer werden und versuchen, meine Schüler auf ein Niveau zu bringen, dass sie die Zauberflöte besser spielen oder singen können als andere. In all diesen Professionen müsste ich mich anstrengen, müsste ich mich exponieren, könnte scheitern und andere würden über mich urteilen. Ich könnte – eine Stufe entrückter – über Mozart als Person und über seine Kompositionsprinzipien forschen oder eine kritische Edition seiner Werke besorgen. Ich könnte auch eine qualifizierte Kritik der Inszenierung XY veröffentlichen. Auch in diesen Fällen müsste ich mich noch ein Stück exponieren und würde von anderen beurteilt.

Wenn ich das alles nicht will und kann, aber trotzdem mit Mozart auf einer Ebene sein möchte, dann ist die „woke“ Ideologie mit ihrer Schuldfalle ein Geschenk des Himmels. Jetzt kann ich ohne eigene Anstrengung über Mozart richten und vielleicht seine Verbannung von der Bühne fordern; zum Beispiel, weil die Zeile vorkommt „Und ich soll die Liebe meiden, weil ein Schwarzer hässlich ist…“ – das wäre zwar ein hundertprozentiges Missverständnis der Stelle, hätte aber immerhin noch etwas mit der Oper zu tun. Ich könnte aber auch einfach „entlarven“, dass Mozart Monarchist war, dass er seine Kinder geschlagen hat, dass er viel Fleisch aß oder Kleider aus Baumwolle trug, die in Kolonien von Sklaven geerntet wurde, dass er eine Statuette aus Elfenbein auf seinem Kaminsims stehen hatte oder dass bei ihm das Wort „Fräulein“ vorkommt (ein realer Vorwurf an Erich Kästner!) – wie wir lernen mussten, ist das Repertoire solcher Absurditäten unendlich und das Niveau nach unten offen.

Mit anderen Worten: Ich könnte über eine beliebige Sache urteilen, ohne mich der Mühen des Kompetenzaufbaus zu unterziehen, ohne mich mit der Sache selbst auseinanderzusetzen, ohne eine eigene Lösungsidee zu entwickeln, ohne mich selbst zu exponieren, ohne irgendein Risiko des Scheiterns einzugehen. Und es funktioniert immer: Wenn der kleine Robin beim Krippenspiel sein Gesicht schwarz färbt, ist es Rassismus. Aber wenn kein Gesicht schwarz gefärbt wird, kann es erst recht als Rassismus gedeutet werden. Und natürlich wäre es auch ein Verstoß gegen „Racial Blindness“, wenn man ein zufällig im Dorf wohnendes schwarzes Kind mit dieser Rolle betraute. Ein Wokie kann sich also beruhigt aufs Sofa setzen und abwarten – er wird immer ein Haar in der Suppe finden und so den Sündenpfuhl entlarven. Es funktioniert wie bei der mittelalterlichen Wasserprobe: Wenn die Hexe untergeht, hat sie bewiesen, dass sie eine Hexe ist. Wenn sie oben bleibt auch, denn nur Hexen könnten es schaffen, nicht unterzugehen.

Arbeiter, Handwerker, Unternehmer, gute Künstler oder echte Forscher sind relativ immun gegen diese Haltung, nicht weil sie bessere Menschen sind, sondern weil sie einfach anders arbeiten. Aber für unsere administrative Mittelschicht ist es der normale Arbeitsstil. Das ist auch nicht weiter schlimm, solange sie in ihrem Feld bleiben – der Lehrer soll ja ruhig Noten in seinem Unterrichtsfach vergeben. Aber wir brauchen keine Schicht, die es für normal hält, ständig die ganze Gesellschaft zu benoten, ohne irgendeine Verantwortung für das Gelingen zu tragen. Und wie ausführlich beschrieben, funktioniert der Machtmechanismus nur, wenn er anknüpft an Werte, Regeln und Standards, die in der Gesellschaft längst akzeptiert sind.

Mangelndes Rückgrat von Hochschulen und Veranstaltern

Ich möchte noch einen weiteren Punkt genauer beleuchten. Dass einzelne Menschen Ideen, Forderungen oder Thesen in die Welt setzen, ist ganz normal und ihr gutes Recht. Ebenso, dass sie einige Anhänger finden. Aber ein Baustein fehlt offenbar noch für das Funktionieren des Machtmechanismus: 2020 war die österreichische Kabarettistin Liza Eckhart beim Hamburger „Harbourfront Literaturfestival“ als Preisträgerin für den besten Debütroman nominiert. Nach Drohung einer anderen Nominierten, nicht zu erscheinen, wurde Liza Eckhart wieder ausgeladen. Erst nach Presseberichten ruderten die Veranstalter mit fadenscheinigen Begründungen wieder zurück. Im Frühjahr 2021 hatte das Berliner Zentrum für Allgemeine Sprachwissenschaft die englische Philosophin Kathleen Stock von einer Tagung wieder ausgeladen, nachdem eine andere Referentin erklärt hatte, sich in ihrer Gegenwart unwohl zu fühlen. Im Sommer 2022 wollte die Biologin Marie Luise Vollbrecht an der Berliner Humboldt-Universität darüber referieren, dass es in der Biologie nur zwei Geschlechter gibt. Nachdem ein Studierendenkreis Proteste angekündigt hatte, wurde der Vortrag seitens der Hochschule abgesagt. Auch hier wurde der Termin nachgeholt, nachdem der Vorgang durch die Medien ging. Ähnliche Ereignisse gibt es an anderen Universitäten und in anderen Kontexten.

Wenn solche Vorgänge gerichtlich geklärt wurden, bekamen die „Gecancelten“ übrigens immer Recht – einfach, weil die Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit ein hohes und selbstverständliches Gut ist. Aber wenn es so selbstverständlich ist, warum bedarf es dann erst des Umweges über die Medien oder gar das Gericht? Warum ist nicht der erste Reflex einer Hochschulleitung, den freien Diskurs mit allen Mitteln gegen solche Störungen zu verteidigen? Warum entgegnen die Veranstalter in Hamburg und Berlin auf die Drohung, bei Erscheinen von Eckhart oder Stock wegzubleiben, nicht einfach mit der Antwort „Dann bleib halt weg“? Offenbar weicht die vom Wokeismus ausgelegte Schuldfalle jegliches Rückgrat der Veranstalter oder Dienstherren so auf, dass Grundrechte und Anstand erst einmal unter den Tisch fallen. Und wir kennen ja nur die Beispiele, die an die Öffentlichkeit gelangen. Viel schlimmer ist der stille und unsichtbare vorauseilende Gehorsam, der dazu führt, dass „umstrittene“ Personen gar nicht mehr eingeladen werden.9 Dann gibt es keine unappetitlichen Cancel-Vorfälle mehr, sondern nur noch harmonische Friedhofsruhe. Und wieder sind wir ein Stück grauer, ärmer und spießiger geworden.

Moralisierung als Ersatz für Handeln und Verantwortung

Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Moralismus der beschriebenen Schicht und der offensichtlichen Vernachlässigung ihrer eigentlichen Aufgaben? Auf den ersten Blick erscheint die Unterstellung eines solchen Zusammenhangs wie eine böswillige und polemische These. Aber ich glaube, man kann diesen Zusammenhang erhärten. Und ich meine dies nicht einfach in der platten Art und Weise, dass man seine Arbeitszeit anderen Dingen als den eigentlichen widmet. Ich glaube, dass man es anhand von Indikatoren erhärten kann, die teilweise gar nicht besonders politisch erscheinen. Es hängt eher mit der Art von Berufen zusammen, aus denen die in diesem Text behandelte Schicht stammt. Wenn man als Industriearbeiter, als Handwerker, als Arzt, aber zum Beispiel auch als Unternehmer oder als Verkäufer tätig ist, dann ist man bei seiner Arbeit mit dem Widerstand der Materie und der Welt konfrontiert. Man kann nicht einfach wie bei dem Satz „Das Büffet ist eröffnet“ erklären, dass der Patient gesund ist oder der Motor funktioniert, der Kunde das Produkt kauft oder das Unternehmen profitabel ist. Man kann es nicht beschließen, nicht anordnen, nicht verbieten. Man muss etwas dafür tun und wird dabei mit weiteren unvorhergesehenen Problemen konfrontiert, für die man wiederum situative Lösungen finden muss. Und jeder kann sehen, ob das Ergebnis gut ist oder nicht.

Nicht dass Verwaltungsbeamte, Richter, Lehrer oder Politiker per se irgendetwas Böses im Schilde führten oder ihre Tätigkeit überflüssig wäre, aber sie haben einen anderen Zugang zur Realität. Lehrer zum Beispiel stellen Fragen, bei denen es ein richtiges Ergebnis gibt, das sie schon vorher kennen. Das gibt es im wirklichen Leben nicht. Politiker, Verwaltungsbeamte oder Richter können festlegen, dass das Kindergeld erhöht wird oder der Angeklagte schuldig ist – und damit sind Tatsachen geschaffen. Dies hat in seinem Bereich auch gewiss seine Berechtigung und ich wüsste auch nicht, was man anders machen sollte. Aber es ist verhängnisvoll, wenn dieser spezielle Zugang zur Welt Überhand nimmt – und das tut er zweifellos, wie man an der Zusammensetzung der Parlamente unschwer erkennen kann.10 Es ist verhängnisvoll, wenn man glaubt, alle Ziele durch Verordnungen und Richtlinien erreichen und alle Missstände durch Verbote oder Deckelungen lösen zu können. Ein Lehrer besitzt eine Kompetenz, sein Fach gut zu unterrichten, aber keine originäre Kompetenz und – wie wir gelernt haben – offenbar nicht das unbedingte Berufsethos, den Schülern auch in der Coronazeit auf irgendeine fantasievolle Weise einen vollständigen und vernünftigen Präsenzunterricht zu bieten.

In vielen Äußerungen im Zusammenhang mit Homeoffice und dem sogenannten „New Work“ scheint sich eine Auffassung auszubreiten, als ob es durch die technischen Möglichkeiten der Virtualisierung gleichgültig geworden sei, wann und wo und mit wem eine Arbeit gemacht werde. Schon länger grassiert in Unternehmen und anderen Organisationen das Unwesen der sogenannten Leitbilder. Gewiss kann man sich für Leitbilder auch einen sinnvollen Kontext vorstellen, aber nicht, wenn sie zu einem Handlungsersatz werden nach dem Motto „Wir haben doch das Gute gewollt und niedergeschrieben, wenn es nicht umgesetzt wird, können wir nichts dafür“. Und noch verhängnisvoller wird es im Zusammenhang mit der aktuellen Beschwörung des „Purpose“. Nicht nur dass wie bei den sogenannten „systemrelevanten Berufen“ bestimmte Branchen oder Tätigkeiten willkürlich und realitätsfremd hervorgehoben oder ausgeblendet werden, sondern die eigentliche Aufgabe einer Tätigkeit wird zugunsten eines angeblichen höheren Sinnes oder größeren Zieles vernachlässigt. Es ist bestimmt gut, unbestechlich zu sein, Frauen fair zu bezahlen oder Behindertenwerkstätten zu beauftragen. Aber der Purpose oder die Systemrelevanz eines Schraubenherstellers besteht zunächst einmal darin, Schrauben herzustellen. Es ist gewiss erstrebenswert, den Anteil von grünem Strom am Energieverbrauch der Bahn zu erhöhen, aber der erste und wichtigste Purpose der Bahn besteht darin, Menschen pünktlich, sauber, sicher und komfortabel von A nach B zu bringen. Die Bahn schaltet Anzeigen gegen den Personalmangel, in denen Bewerber rhetorisch gefragt werden, was ihnen wichtig sei. Und dann werden ihnen Antworten in den Mund gelegt wie „Dass ich auch von zuhause aus arbeiten kann“, „Ein faires Miteinander“ oder „Einen Job, der unsere Welt voranbringt“. Was denken bei solchen Anzeigen die Bahn-Mitarbeiter, die Tag und Nacht bei jedem Wetter ihre Arbeit machen müssen? Und was denken sich Bahnkunden, die im Zug einfach mal saubere Toiletten erleben möchten? Und was denken sich die Passagiere eines vollbesetzten Fluges, wenn sie über eine Stunde am Gepäckband warten, während Selbstbeweihräucherungen zur Nachhaltigkeitsstrategie oder zum sozialen Engagement des Flughafens über die Bildschirme flimmern, jedoch keine Information zur Gepäckauslieferung? Und wenn man dann beim Nachforschen feststellt, dass der Flughafen zu zahlreichen Fragen des woken Themenspektrums Konventionen unterschrieben und Leitbilder verabschiedet hat, aber kein Leitbild zur Kernaufgabe der Gepäckauslieferung besitzt, darf man dann nicht langsam anfangen, Zusammenhänge zwischen beiden Befunden zu sehen?

Wie wir in vielen Kriegen, aber auch in der Corona-Pandemie gesehen haben, lassen Ärzte und Krankenpfleger ihre Patienten nicht im Stich, auch wenn sie noch so überlastet sind. Das ist eine mit der eigentlichen Tätigkeit verbundene Berufsethik. Nicht mit der eigentlichen Tätigkeit verbunden ist eine Pseudoethik, die per Gesetz von außen Fragen der sogenannten Triage regeln oder diese am besten gleich verbieten will. In vielen Berufen gibt es eine auf das Eigentliche gerichtete Berufsethik. Wenn sie verlorenginge, gäbe es keine guten Restaurants, stürzten Flugzeuge ab oder wären Luft und Flüsse heute nicht sauber. Aber Stück für Stück wird diese auf die Sache selbst gerichtete Berufsethik untergraben und relativiert. Ein Automobilhersteller hat den Slogan „Vorsprung durch Technik“ durch „Future is an Attitude“ (Zukunft ist eine Geisteshaltung) abgelöst. Ein solches Motto können sich wohl nur Menschen ausdenken, denen die Erfahrung im realen Handeln fehlt, die diese Erfahrung auch nicht vermissen, sondern die in der ständigen Betonung der eigenen Geisteshaltung einen den Mühen und Nöten des realen Handelns überlegenen Ansatz sehen.

In der Wirtschaftsethik gibt es schon seit langem die Tendenz, das Wirtschaften selbst zu umschiffen oder zu ignorieren, um dann umso stärker aufzutrumpfen bei Themen, die eher in den Regelungsbereich der Gesellschaft gehören und für welche Unternehmen demokratisch nicht legitimiert sind. Und es ist verhängnisvoll, wenn das ordentliche Verrichten einer Arbeit – worin auch immer sie besteht – als Sekundärtugend abgewertet wird. Man sieht auch hier: Es handelt sich um eine schichtenspezifische Tendenz, die nicht zwangsläufig politisch ist, die aber einen Turbolader darstellt für das beklagte „Alles besser wissen, nichts besser können“. Oder wie der SPIEGEL am 19.12.2022 in einer Kolumne schrieb: „Die Regierung will mehr Geld für politische Bildung ausgeben, um das Vertrauen der Bürger in die Demokratie zu stärken. Das ist nutzlos, solange die Politik nicht besser wird. Wie wär’s stattdessen mit einem Staat, der funktioniert?“

Die „woke Bewegung“ ist ein Hindernis für ihre eigenen Anliegen

Um zum Schluss einem möglichen Missverständnis vorzubeugen: Ich meine keineswegs, dass man sich nur noch um Zugtoiletten und Gepäckbänder an Flughäfen und nicht mehr um die Bewältigung des Klimawandels kümmern sollte. Ich befürchte jedoch, dass man mit dem Glauben, die Zukunft sei nur eine Frage der Geisteshaltung, auch in der Bewältigung des Klimawandels und in allen anderen erwähnten Themen keinen Schritt weiterkommen wird. Während meiner beruflichen Tätigkeit in der Automobilindustrie habe ich erlebt, wie die phänomenalen Einsparungen beim Benzinverbrauch, in der Abgasreinigung und bei der Ressourceneinsparung und Schadstoffvermeidung in der Produktion zustande gekommen sind, nämlich durch beständiges Arbeiten an Details: drei Prozent weniger Verbrauch durch Veränderung des Brennraums, zwei Prozent Einsparung durch verminderten Rollwiderstand der Reifen, Verringerung des Luftwiderstandes um fünf Prozent, Senkung des Gewichtes der Sitze um zehn Prozent, Verminderung der Weichmacher in Kunststoffteilen, Erleichterung des Recyclings durch Kennzeichnung aller Bauteile, Rückgewinnung der Metalle in der Galvanik, Umstellung auf Wasserlacke und so weiter und so fort. Tausende solcher „kleiner“, in sich unscheinbarer Verbesserungen, die jedoch in der Summe und durch immer neue Fortschritte zu einem namhaften Ergebnis führten. Und später konnte ich in der Luft- und Raumfahrtindustrie erleben, wie schwierig die Transformation einer Industrie auch bei großem Enthusiasmus und unbedingtem Erfolgswillen ist – in diesem Fall die Konversion von Verteidigungstechnik zu zivilen Anwendungen.

Der ökologische Umbau einer Wirtschaft ist ein höchst anspruchsvoller Vorgang, bei dem das Gelingen nicht garantiert ist. Denkverbote haben hier nichts zu suchen, sondern man benötigt viele kreative Ideen, muss mit Zielkonflikten ringen und ständig um die Ecke denken. Wie kann es angesichts dieser Herausforderung angehen, dass man den Dieselmotor kaputtredet, obwohl einer verfügbaren Übergangtechnologie, die bei gleicher Leistung 20-30 Prozent weniger Treibhausgase produziert, eigentlich der rote Teppich ausgerollt werden müsste? Oder: Warum macht man mit der EURO 7 die Abgasgrenzwerte noch einmal strenger, statt bei längst beschlossenem Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor den Herstellern zu ermöglichen, alle Investitionsmittel in Zukunftstechnologien zu stecken statt in komplizierteste Abgastechnik? Ich selbst maße mir in diesen und ähnlichen Themen gar kein endgültiges Urteil an, aber ich finde es seltsam und besorgniserregend, dass solche Transformationsüberlegungen niemals von den Aktivisten kommen, die wir allabendlich auf den Talkshow-Sofas bewundern dürfen. Glauben wir wirklich, dass wir die Energiewende oder den ökologischen Umbau der Wirtschaft mit Leuten hinbekommen, die sich ständig mit Ausstiegsdaten überbieten, die das männliche Geschlecht für alle Übel der Welt verantwortlich machen und die am laufenden Band Konventionen und Leitbilder unterzeichnen, aber – im übertragenen Sinne – weder eine neue Oper schreiben noch die Koffer vom Flugzeug zum Gepäckband bringen?

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Der Autor

Dr. Axel Klopprogge studierte Geschichte und Germanistik. Er war als Manager in großen Industrieunternehmen tätig und baute eine Unternehmensberatung in den Feldern Innovation und Personalmanagement auf. Axel Klopprogge hat Lehraufträge an Universitäten im In- und Ausland und forscht und publiziert zu Themen der Arbeitswelt, zu Innovation und zu gesellschaftlichen Fragen.

Das Essay erschien zuerst bei Freie Akademie für Medien und Journalismus. Es wurde vom Autor für Hintergrund ergänzt und etwas erweitert.

1 Nur einige Beispiele zur Zeitachse: Die Frauen haben das allgemeine gleiche und geheime Wahlrecht 1919 zusammen mit den Männern erhalten – auch sie hatten in den meisten deutschen Ländern bis dahin nur ein eingeschränktes Wahlrecht. Der Hochschulzugang von Frauen ist ebenfalls seit über 100 Jahren gesichert. Die Strafbarkeit männlicher Homosexualität (die weibliche war niemals strafbar) wurde zwischen 1969-1973 abgeschafft – also vor über 50 Jahren. Ebenfalls vor über 50 Jahren begann die Reinigung der Bodensee-Abwässer bis hin zur Errichtung einer kompletten Ringkanalisation. Der Abgaskatalysator wurde in Deutschland 1984 gesetzlich vorgeschrieben. Und natürlich gab es in allen Beispielen eine gesellschaftliche Diskussion, der oft Jahrzehnte vor der gesetzlichen Regelung begann. In einer Broschüre des Daimler-Benz-Konzerns hieß es schon 1991: „In Deutschland herrscht heute weitgehend Einigkeit über die Notwendigkeit eines umfassenden Umweltschutzes. Dabei haben wir gelernt, dass ökologische Vorgänge komplexer sind, als sie sich mit Schwarz-Weiß-Erklärungen erfassen lassen. Ein Beispiel: Kohlendioxid ist als natürlicher Bestandteil der irdischen Lufthülle nicht nur nicht gefährlich, sondern sogar lebensnotwendig. Ohne dieses Treibhausgas würden die Weltmeere rasch vergletschern. Doch mit steigender Konzentration und im Zusammenwirken mit anderen Stoffen behindert es die Abstrahlung der Wärme in den Weltraum und kann zu Klimaveränderungen mit schwer vorhersehbaren Folgen führen.“ Es wird sogar konstatiert: „Andererseits sind wir häufig zum Handeln gezwungen, bevor – wie etwa beim Treibhauseffekt – die letzte wissenschaftliche Aufklärung auf dem Tisch liegt.“

2 Jürgen Zimmerer, Bismarck und der Kolonialismus, APuZ 20.03 2015 https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/202989/bismarck-und-der-kolonialismus/

3 Dieser Vorgang des Umdenkens fand eben in Westdeutschland in den sechziger und siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts statt bis zur Reform des § 175 StGB im Jahre 1973 und zur endgültigen Abschaffung im Jahre 1990 statt.

4 Siehe zum Beispiel die Berichterstattung in der Deutschen Welle: https://www.dw.com/de/rassismus-in-deutschland-streit-um-stadtwappen-von-coburg/a-54252491 Auch hier offenbart sich wieder die geistige Schlichtheit: Keinem Aktivisten fällt auf, dass doch niemand einen afrikanisch aussehenden Schutzpatron gewählt hätte oder seine Apotheke, seine Gaststätte oder sein Hotel nach „Mohren“ benannt hätte, wenn er mit dieser Herkunft oder diesen Begriffen etwas Negatives verbände.

5 Aussage der Klimaaktivistin Luisa Neubauer gegenüber dem Schweizer Nachrichtenportal Watson.

6 „Luisa Neubauer: Ich will die Welt retten“ in BUNTE Quarterly 1/2021

7 https://www.welt.de/wirtschaft/article234058756/Bundestagswahl-Das-sind-die-Berufe-der-neuen-Abgeordneten.html

8 Es ist das Mitgliedermagazin der Barmer Ersatzkasse 02/2021.

9 Vgl. den Artikel „Redner-Tweet empört Studierende“ in der Semester-Startzeitung der Leuphana Universität Lüneburg nach einem Vortrag des Managers und Politikers Thomas Sattelberger am 10.10.2022.

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10 Und umgekehrt gibt es eine Präferenz von Beamten für die Partei Die Grünen: https://www.dbb.de/artikel/oeffentlicher-dienst-die-gruenen-liegen-vorn.html

 

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