Zeitfragen

Ukraine-Berichterstattung: Programmbeschwerde beim Rundfunkrat

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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„Ich hätte nie gedacht, dass so eine schrille Art der politischen Kommunikation 100 Jahre nach Ausbruch des 1. Weltkrieges möglich ist“ –

Interview mit STEFAN SLABY, 5. Juni 2014 – 

Der 49-jährige Stefan Slaby ist Kommunikationswissenschaftler.  Vor über fünfundzwanzig Jahren – von 1986-1989 – war er im Rahmen seiner Bundeswehr-Dienstzeit im Fernmeldezentrum des NATO-Hauptquartiers SHAPE in Mons/Belgien tätig. Anschließend studierte er Publizistik, Internationale Politik und Militärgeschichte an der Westfälischen Wilhelms-Universität. Heute arbeitet er als Dozent und Fachautor in Münster/Westfalen. Mit Hintergrund sprach er über die aktuelle Medienberichterstattung zur Ukraine und seine Erfahrungen bei der NATO.

Herr Slaby, Sie haben Programmbeschwerde beim NDR-Rundfunkrat eingereicht. Was war der Anlass?

Der letzte und auslösende Anlass war ein Beitrag in den Tagessthemen. Am 20. Mai 2014 kündigte Tagesthemen-Moderatorin Caren Miosga einen Beitrag an, in dem Demonstrationen gegen die Abspaltung der Ostukraine gezeigt wurden. Zu denen hatte der Oligarch Rinat Achmetow aufgerufen. Der Beitrag behauptet eine massenhafte Teilnahme, blieb aber bei den Bildern eigenartig zurückhaltend. Mit Grund, wie sich Tage später erwies. Ein Video, das auf der Plattform YouTube hochgeladen worden war, zeigte im Stadion nur einige Hundert Demonstranten. Kameraperspektive und Bildausschnitt waren in dem ARD-Beitrag so gewählt worden, dass es nach einer hohen Beteiligung aussah. Ich habe per E-Mail Redaktion und Beteiligte damit konfrontiert, ohne Ergebnis. Doch ich wollte der ARD eine Chance geben. Schließlich hätte ja auch das Video manipuliert sein können. Erst nachdem keine Reaktion erfolgte, entschloss ich mich zu einer offiziellen Beschwerde. Seien wir einmal ehrlich: Warum haben die Tagesthemen denn keine Totale gewählt, wenn sie die Chance dazu hatten? Das wäre für die Redaktion doch ein schlagender Beweis für Achmetows Erfolg gewesen und niemand hätte gezweifelt. Aber nichts davon.

Halten Sie diese Art der Berichterstattung für einen Einzelfall oder symptomatisch für den Umgang mit der Situation in der Ukraine?

Man muss differenzieren, aber ein Einzelfall ist es nicht. Tage später verkaufte uns die Tagesschau um 17:30 Uhr den Abschuss eines syrischen Kampfhubschraubers aus dem Vorjahr als Militäraktion in der Ukraine. Auch hier sorgte ein YouTube-Video für Aufklärung. Am 30.05.2014 musste die Redaktion aufgrund der überwältigen Beweislast zurückrudern. Das verdanken wir nicht der Einsicht der ARD, sondern der ausgezeichneten Arbeit der Person, die das Video hochgeladen hat.

Lassen sich solche Vorfälle nur gelegentlich nachweisen, so ziehen sich einseitige, pro-ukrainische, anti-russische Beiträge durch die ganze Berichterstattung. Und das behaupten nicht Verschwörungstheoretiker, sondern sogar einige Redakteure der ARD selbst. Mittlerweile breiter bekannt sind die Kritik im NDR-Medienmagazin ZAPP und die Schelte der ehemaligen Moskaukorrespondentin Gabriele Krone-Schmalz. An Korrespondenten wie Golineh Atai prallt das ab. Diese Journalisten weisen alles von sich und blocken sogar Kritiker auf Twitter. Und diese Missachtung der Beitragszahler, schlimmstenfalls ihre Diffamierung als „Putin-Versteher“, ist meines Erachtens typisch für das Verhalten vieler Medienvertreter. Beim ZDF haben Anke Gellinek, Die Anstalt und Maybrit Illner dankenswerterweise für nachdenkliche Zwischentöne gesorgt. Auch in den Printmedien gab es das eine oder andere Fragezeichen. Der Tenor war aber auch hier von der taz bis zum Spiegel erschreckend tendenziös.

Als ehemaliger NATO-Mitarbeiter haben Sie beobachten können, wie das Bündnis in der Endphase des Kalten Krieges informierte. Können Sie uns darüber etwas sagen?

Am besten kann man das an den NATO-Generalsekretären festmachen, denen ja, wenn man es so ausdrücken will, eine gewisse repräsentative Funktion in der Öffentlichkeit zukommt. Hier haben Lord Carrington und Manfred Wörner meiner Meinung nach in der Umbruchsphase damals sehr verantwortungsvoll agiert.

Nun schauen Sie sich Anders Fogh Rasmussen an. Dieser Mann hat scheinbar vergessen, dass er nur Generalsekretär ist. Er war ja selbst an der Entstehung des Strategischen Konzepts der NATO 2010 beteiligt. Und das sieht vor, mit Russland zu kooperieren. Und was passiert? Rasmussen heizte nach meinem Verständnis die Krise verbal ständig weiter an, ruft zur Stärkung der Verteidigungsbereitschaft auf, äußert sich zu Truppenverlegungen ins Baltikum. Der müsste eigentlich deeskalieren und tut das Gegenteil. Deswegen fragten sich erfahrene Köpfe wie Egon Bahr, warum diesen Mann eigentlich niemand zurückpfeift. Rasmussen kommuniziert teilweise wie ein militärischer Oberkommandierender, der er nicht ist! Und die Medien greifen das auf, statt es zu kritisieren.

Woran liegt das? Hat sich die Organisation gewandelt?

Sie hat sich zutiefst gewandelt. 1989 sind der NATO als Verteidigungsbündnis faktisch die Feinde abhanden gekommen. Die Reaktion war eine Neudefinition des Auftrags. Der wurde, wie es manchmal so schön heißt, an die Herausforderungen einer multipolaren Welt „angepasst“. Nun standen die Terrorbekämpfung, Schutz vor Proliferation, Stabilisierungseinsätze und die Osterweiterung auf der To-Do-Liste. Mit wandelnden Aufgaben ändert sich auch die Kommunikationspolitik einer Institution. Und das beobachten wir im Moment. Die Tonality ist alarmistischer geworden und folgt oft der aggressiven Linie der USA. Nehmen Sie z. B. alle Bemerkungen über die Bedrohung Polens oder des Baltikums durch Russland. Das trägt nicht zur Entspannung bei. Ich hätte nie gedacht, dass so eine schrille Art der politischen Kommunikation 100 Jahre nach Ausbruch des 1. Weltkrieges möglich ist. Und die Medien gehen sogar noch einen Schritt weiter…

Können Sie uns dafür Beispiele geben?

Da weiß ich gar nicht, wo ich anfangen soll. Am besten bei der Berichterstattung vom Maidan. Da werden mittelalterlich bewaffnete Demonstranten als Protestler definiert, während pro-russische Aktivisten wie selbstverständlich als „russischer Mob“ deklassiert wurden. Man stelle sich vor, vermummte Demonstranten wären in Berlin vor dem Reichstag aufmarschiert, mit Schilden, Brandsätzen, Knüppeln und Katapulten. Aber die gewählte ukrainische Regierung hatte das nach Meinung der Mainstream-Medien alles zu akzeptieren. Dann die Darstellung Putins. Im Spiegel war er der „Halbstarke“, der „Brandstifter“ oder der „gefährliche Nachbar“. Das hat doch mit Berichterstattung nichts mehr zu tun. Das ist pure Hetze. Schließlich Vorfälle wie in Odessa. Da sterben pro-russische Aktivisten unter ungeklärten Umständen, aber es löst nicht ansatzweise dieselbe Betroffenheit aus, wie ähnliche Ereignisse auf dem Maidan.

Wie schätzen Sie das ein: Welchen Interessen dienen die Mainstream-Medien hier?

In der Frankfurter Rundschau gab es vor geraumer Zeit in anderem Zusammenhang einmal einen schönen Satz: Viele Medienvertreter sind vom Beobachter zum Mitmischer mutiert. Genau das ist hier passiert. Und diesen Entscheidern geht es um die Integration der Ukraine in das westliche Bündnis- und Wirtschaftsgefüge. Die Medien beobachten in diesem Fall oft nicht mehr, sie werten, sie manipulieren und dienen damit politischen Entscheidern. Wie Dr. Uwe Krüger aus Leipzig in seiner wichtigen Arbeit über Journalisten und Eliten erklärt hat, liegt die Ursache in einer ungesunden Nähe vieler Journalisten zu den Institutionen, die sie eigentlich kritisieren sollen. Das sind hier EU und NATO.

Was kann das Publikum tun?

Nun, fest steht erst einmal, dass die Mainstream-Medien, der öffentlich-rechtliche Rundfunk, die sogenannte Qualitätspresse in den vergangenen Monaten jede Deutungshoheit, jedes Vertrauen verspielt haben. Das Publikum muss in dieser Situation genau hinschauen und protestieren und kritisieren. Wo das nicht hilft, muss mit dem Portemonnaie und mit der Fernbedienung abgestimmt werden. Für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist darüber hinaus die Schaffung eines Publikumsrates unabdingbar. Ein „Weiter so“ kann und darf es nicht mehr geben. Die Ukraine-Berichterstattung ist medienpolitisch eine Zeitenwende.

Herr Slaby, vielen Dank für das Gespräch!

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