Zeitfragen

Neoliberaler Vandalismus. Wie die Kultur kaputt gespart werden soll

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Von THOMAS WAGNER, 15. März 2012 –

Was ist Kultur? Die Verfasser des dieser Tage Furore machenden Buchs „Der Kulturinfarkt“ (2012)
haben dafür eine einfache Antwort parat. Zur Kultur gehören vor allem jene künstlerischen Aktivitäten, die sich auf dem Markt verkaufen lassen. Von einem Bildungsauftrag wollen sie deshalb nichts wissen. „Der Kulturkonsument ist doch auf einem Markt. Er entscheidet sich, ob und welche Kulturveranstaltung er besucht, ein privates oder ein subventioniertes Angebot. Oder ob er stattdessen essen geht oder sich zu Hause einen schönen Abend macht. Das sind natürlich marktwirtschaftliche Entscheidungen, und da fließt Geld. Insofern ist es nicht ehrenrührig davon zu sprechen, dass Kulturangebote sich auf einem Markt bewegen. Man müsste aber darüber sprechen, was und wie gefördert wird. Ich halte die Entgegensetzung von hehrer Kultur und bösem Markt schlicht für eine interessengeleitete Polemik.“, sagt Dieter Haselbach, einer der vier Autoren des Buchs, der sich damit als ein Fürsprecher der restlosen Ökonomisierung der gesamten Gesellschaft zu erkennen gibt, im Gespräch mit dpa.

Dem marktradikalen Soziologen und Unternehmensberater stehen Armin Klein, Pius Knüsel und Stephan Opitz zur Seite. Ihre im Spiegel vorab gedruckte Provokation, einfach mal über die Schließung von 50 Prozent aller Kulturinstitutionen nachzudenken, verfehlte die vermutlich einkalkulierte Wirkung nicht. Sie erntet viel Widerspruch im Feuilleton und aus dem Kulturbetrieb. Das wiederum gibt den politisch gut vernetzten Autoren die nötige Vorlage, um Angriffe auf den vermeintlichen Konservatismus im aktuellen Kulturbetrieb zu platzieren.

Vermutlich werden sie im Verlauf der Debatte ihre Kritiker wahlweise als Reformblockierer, elitäre Besitzstandswahrer oder als unbewegliche Staatsfetischisten denunzieren. Die Kritiken selbst werden womöglich immer differenzierter ausfallen und den Autoren im Verlauf der Debatte in dem einen oder anderen Punkt dann doch zustimmen. Schon jetzt äußerte sich der Hildesheimer Kulturwissenschaftler Wolfgang Schneider entsprechend. Gegenüber der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung sagte er am Donnerstag: „Es ist ja richtig zu fragen, ob man jede Oper unbedingt erhalten muss.“ Vielleicht habe sich hier tatsächlich einiges überlebt.

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Angriffe auf den öffentlich finanzierten Kulturbetrieb sind nicht neu. Was den Vorstoß der neoliberalen Kulturvandalen gefährlicher als frühere erscheinen lässt, ist der Zeitpunkt seiner Veröffentlichung. „Reformbereite“ Kulturpolitiker dürften angesichts des wachsenden Spardrucks mehr als versucht sein, zumindest einige der erörterten Vorschläge ernsthaft zu prüfen und bei allererster Gelegenheit in die Praxis umzusetzen.

Den Anfang machte der kulturpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Siegmund Ehrmann. „Über viele Jahre hat sich eine Förderpraxis entwickelt, die in ihrem Ergebnis nicht immer schlüssig ist“, meint der Politiker. Allerdings sei eine pauschale Halbierung der Mittel „plan- und konzeptlos“. Sollten sich ihm Stimmen weiterer Spitzenpolitiker anschließen, hätten die Fürsprecher des neoliberalen Kulturvandalismus ihr Ziel schon fast erreicht.

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