Gedanken zu Krieg und Frieden

Krieg – das ist die Angst, die wir erzeugen!

In seinem neuen Buch arbeitet der Theologe, Psychotherapeut und Friedensaktivist Dr. Eugen Drewermann heraus, was die Bergpredigt Jesu uns gerade in Zeiten des Krieges angeht. Hannes Pfeiffer sprach mit ihm über „gerechte“ Kriege, staatliche Kriegslogik, barbarische Kulte und Wege aus der Angst. „Es ist unbedingt notwendig“, sagt Eugen Drewermann, „diesem politischen Programm religiös zu widersprechen.“

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“Unsere Sicherheit ist die Sicherheit, die wir dem Nachbarn geben.” Eugen Drewermann im Interview.
(Das Foto ist aus dem Jahr 2010, bei der Leipziger Buchmesse.)
Foto: Amrei-Marie Lizenz: CC BY-SA 3.0, Mehr Infos

Hannes Pfeiffer: Herr Drewermann, Ihr neues Buch nimmt kritisch Bezug auf die von Kanzler Scholz ausgerufene „Zeitenwende“. Sie schreiben, ausgestattet mit den Mitteln des Atomzeitalters erhöhe sie nur die Fallhöhe zurück in die Barbarei der Steinzeit. Wie meinen Sie das?

Eugen Drewermann: Wir haben uns entwickelt vom Faustkeil bis zur Atombombe. Damit haben wir quer durch die menschliche Geschichte immer wieder den gleichen Fehler begangen: Angst zu bekämpfen, indem wir anderen Angst einjagen. Wir sprechen davon, Gewalt dürfe sich nicht lohnen; wir müssen in der Lage sein, jeden denkbaren Angreifer zurückzuschlagen. In Wirklichkeit stilisieren wir eigene Machtansprüche in globalem Maßstab gegen Russland und China und sind dabei bereit, über beliebig viele Tote zu gehen. Das ist grausam, barbarisch, archaisch. Ein Widerspruch der Zivilisation in sich selbst.

Seit jeher war Ihr Hauptanliegen, Gott ohne Angst zu denken und durch Jesus erfahrbar zu machen. Wie kommt es, dass das Gottesbild so vieler Menschen mit Angst zu tun hat? Und wie hängt das mit Krieg zusammen?

Diese Frage bringt uns zu archaischen Vorstellungen, die in der Religionsgeschichte weiter wirken. Was zum Teil mit daran liegt, dass man unter der Gottheit die Personifikation bestimmter Naturkräfte verstanden hat. Alle Naturkräfte sind ambivalent, sie bringen Leben hervor, aber nehmen es auch wieder. Die Bibel selber hat in dem Teil, den wir das Alte Testament nennen – Rechtsvorstellungen aus dem Keilschriftrecht im großen Stil übernommen. Darin sind Strafe und Vergeltung, Gerechtigkeit, sind Krieg und Kampf in ganz großem Umfang vorhanden. Und statt abgeschafft, werden sie Gott zugeschrieben.

Oft wird ja die Religion (als Jenseits-Hoffnung) im krassen Gegensatz zu allem Politischen gesehen. Von Jesus ist überliefert: Er sei gekommen, einen Frieden zu geben, den die Welt nicht geben kann. Können wir von Jesus auch politisch lernen?

In der Tat heißt es sehr deutlich in Johannes 14: „Nicht wie die Welt ihn gibt, gebe ich euch meinen Frieden.“ Es ist Jesus, der uns einen Gott lehrt, der den Menschen nachgeht. Es ist Jesus, der nicht verurteilt und uns verbietet, selber zu verurteilen. Der die Unterschiede zwischen den Menschen, unter den Völkern und den Staaten prinzipiell aufhebt. Der vollkommene Kontrast zu unserer (sogenannten) politischen Ordnung, unserem Völkerrecht, unserem eingebildeten Anspruch – noch in Gottes Namen – auf bestimmte Einrichtungen, Territorien, Besitztümer, Ressourcen, die wir nötig hätten zum Leben. Es ist ein Gott, von dem Jesus sagt, dass er Menschen, auch die Vieles falsch gemacht haben im Leben, eine Güte und ein Verstehen schenkt, das ihnen hilft, zu sich zurückzufinden (in Lukas 15 wird das erzählt). Es gibt aber auch aus dem Munde Jesu eine Reihe von Vorstellungen, die mit dem strafenden Gott arbeiten. Wesentlich jedoch überwindet er die Angst, die zu der Aggression führt, welche Kriege als notwendig erscheinen lässt. Der Unterschied ist absolut. Ganz konträr dazu ist die Art, wie die Welt Frieden zu geben versucht.

Der strafende Gott – als prominenter Kirchenkritiker sagen Sie, die Kirche komme noch immer nicht los von ihm …

Ja, gerade kirchlicherseits beruft man sich auf den strafenden Gott immer wieder, und auch unter neutestamentlichen Theologen, wird er hochgezüchtet sogar bis zur Strafe qualvoller, ewiger Hölle.

Aber ist nicht Jesus, abgesehen von seinem Jenseitsreich, gerade auch irdisch für Frieden eingetreten?

In den Tagen Jesu’ empfand man es als einen unerhörten Skandal, dass Heiden, dass die römischen Legionäre den heiligen, von Gott so gelobten Boden Palästinas oder Israels betreten. Sie machen ihn damit unrein; einem Römer die Hand zu geben, macht unrein. Der ganze Volkszorn richtete sich gegen sie als Besatzungsmacht. Jesus aber stellt es jetzt und für alle Zeiten klar, dass man sich entscheiden muss: Will man einen zweiten David – der nach dem Psalm Salomos mit dem Stößel in der Hand im Mörser die Römer zermalmen wird wie Korn – oder einen Mann, der von Gott kommt und der als allererste Maßnahme die Kriegswagen verbrennen und die Bogen zerbrechen wird (wie es bei Sacharja 9 steht)? Jesus zieht bei Markus 11, wie in der Prophezeiung, auf einem Esel in die Heilige Stadt ein. Das heißt: Abrüstung, einseitig, radikal. So kommt der Friede und nicht anders. Am Karfreitag steht es zur Wahl: Wen wollt ihr – Jesus oder Barabbas, den Dolchmann aus Galiläa? Und der Pöbel schreit: Barabbas wollen wir! Und was machen wir mit Christus? Ans Kreuz mit ihm!

Was hat diese Entscheidung mit uns heute zu tun?

Die Wahl hat nie aufgehört und sie ist auch in unseren Tagen der sogenannten Zeitenwende aktueller denn je! Leider vermisse ich, dass die Kirche darauf hinweist. Wir müssen uns entscheiden zwischen Christus und Barabbas. Die Bergpredigt Jesu geht uns deshalb in der Sehnsucht nach Frieden und der Überwindung von Gewalt gerade heute an. Und zwar unabhängig von Glauben und Konfession weil sie gerade die Probleme löst, die zu den Grausamkeiten der Geschichte immer wieder geführt haben! Da gibt es keine Kompromisse, die je nach Staatslaune mit einer Remilitarisierung des Bewusstseins, mit einer Neueinforderung der Jugend, mit einer neuen Art des Patriotismus oder einer sogenannten NATO-Solidarität unter deutschem Führungsanspruch vereinbar wären. Wir stehen in der unbedingten Notwendigkeit, diesem politischen Programm religiös zu widersprechen.

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