„Ich würde es auch kaufen.“ Peter Gauweiler lobt Sahra Wagenknechts Kapitalismuskritik
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Von THOMAS WAGNER, 10. Mai 2012 –
Wer nach Alternativen zur Herrschaft der Finanzdiktate sucht, muss im heutigen Europa damit rechnen, ausgegrenzt und als vermeintlicher Chaot seiner demokratischen Rechte beraubt zu werden. Das widerfuhr dem philippinischen Globalisierungskritiker Walden Bello, dem die belgischen Zollbehörden die Einreise verweigerten, als er am vergangenen Woche in Brüssel an einer Konferenz zur neoliberalen Politik der EU teilnehmen wollte. Das erleben die griechischen Wähler, seitdem sie mehrheitlich ihren Willen bekundet haben, sich nicht länger von den Banken mit dem Nasenring durch die Manege ziehen zu lassen. Das gilt aber auch für die Anhänger der Occupy-Bewegung, die angekündigt hatten, das Frankfurter Bankenviertel vom 16. bis 19. Mai zum Ort einer lebendigen Debatte um die Zukunft der Demokratie zu machen. Denn die Stadt Frankfurt hatte nichts Eiligeres zu tun, als schon weit im Vorfeld die geplante Großkundgebung am 19. Mai ebenso zu untersagen wie zwölf weitere von den Organisatoren angemeldete Mahnwachen, Camps (1) und schließlich sogar eine Kundgebung der Ordensleute für den Frieden. (2)
Für Sahra Wagenknecht, die stellvertretende Vorsitzende der Partei die Linke, handelt es sich dabei um ernste Anzeichen dafür, dass sich die europäische Politik in eine zunehmend undemokratische Richtung entwickelt. Sie forderte am Dienstag in Berlin all diejenigen, denen an den Errungenschaften der sozialen Marktwirtschaft der alten Bundesrepublik Deutschlands etwas gelegen ist, dazu auf, sich für die Verteidigung der demokratischen Rechte zu engagieren. Ihr Gesprächspartner auf dem Podium des Palais der Kulturbrauerei, Peter Gauweiler, wollte ihr an dieser Stelle nicht widersprechen. Überhaupt konnte man den Eindruck gewinnen, dass den ehemaligen CSU-Hardliner und die marxistische Ökonomin mehr verbindet, als manche ihrer Anhänger bis heute wahrhaben möchten. Das jedenfalls war der rote Faden, den Moderator Frank Schirrmacher, seines Zeichens Herausgeber der FAZ, einer Diskussion geben wollte, deren ursprünglicher Anlass die Vorstellung der um ein aktuelles Kapitel erweiterten Neuauflage des im vergangenen Jahr zunächst bei Eichborn erschienenen Wagenknecht-Buchs „Freiheit statt Kapitalismus“ war.
Vor weit über 200 Gästen, unter denen sich hochrangige Piratenpolitiker, linke Ökonomen und erheblich mehr junge Leute als bei solchen Gelegenheiten sonst üblich befanden, gab sich der ehemalige CSU-Rechtsaußen Gauweiler, der vor der Veranstaltung von Linkenpolitiker Dieter Dehm mit einer herzlichen Umarmung begrüßt worden war, sehr angetan von Wagenknechts Buch: „Ich habe es geschenkt bekommen, aber ich würde es auch kaufen.“ Freilich hätte er, der sich nebenbei als Erfinder der unseligen Parole „Freiheit oder Sozialismus“ outete, das Buch lieber „Freiheit statt Goldman Sachs“ genannt. Er las es vor allem als eine Kampfschrift gegen das staatlich unregulierte Investment Banking und als Plädoyer für die Errungenschaften jener sozialen Marktwirtschaft, für die sich er und sein Parteichef Franz-Josef Strauss zu Zeiten des Kalten Kriegs immer stark gemacht hätten. Nun machte er keinen Hehl daraus, wie sehr er sich freute, dass jemand, der wie Wagenknecht von einem anderen Stern, „vom Andromenanebel“ komme, diese Politik nun würdige.
Wagenknecht erläuterte, die Bundesrepublik an ihren eigenen Maßstäben zu messen, damit sich auch die Leute gegen den Sozial- und Demokratieabbau wehren, die mit Sozialismus erst einmal nichts im Sinn haben. Gegen den heutigen Kapitalismus wandte sie ein, dass dieser nicht nur ungerecht, sondern zudem in wachsendem Maße auch nicht mehr produktiv sei. In der Finanzbranche lasse sich viel schneller sehr viel mehr Geld verdienen, als durch das Anmelden noch so kreativer Patente. Obwohl sie zudem daran erinnerte, dass die unter Ludwig Erhards heute beinahe revolutionär klingender Formel „Wohlstand für alle“ erreichten Sozialstandards nicht das Ergebnis kluger Vorschläge waren, sondern ganz wesentlich auf kampfstarke Gewerkschaften und die Furcht des Kapitals vor dem Sozialismus zurückgeführt werden müssen, wollte sich eine Kontroverse nicht so recht entwickeln. Das lag zu einem guten Teil auch an Moderator Schirrmacher, der stets die Gemeinsamkeiten seiner Gäste hervorzuheben bestrebt war. Er selbst lobte „die ungeheure Fähigkeit des sozialistischen Denkens Krisen zu analysieren“ und fand seine Befürchtung, dass sich die europäische Politik in eine Phase der Postdemokratie bewege, von beiden Gesprächspartnern bestätigt.
„Das ist etwas dran“, sagte Gauweiler, der daran erinnerte, dass Giorgos Andrea Papandreou als griechischer Ministerpräsident auf dem europäischen Parkett just in dem Moment in Ungnade fiel, als er eine Volksabstimmung über die Griechenland von Brüssel auferlegten Sparauflagen ankündigte. Wagenknecht ergänzte den jüngsten Versuch, das Rederecht von abweichenden Parlamentariern im Deutschen Bundestag einzuschränken. Beide fühlten sich bei der gegenwärtigen Politik der Spardiktate an den Zentrumspolitiker und Reichskanzler Heinrich Brüning erinnert, dessen Notverordnungen den Aufstieg des deutschen Faschismus und damit den Untergang der Weimarer Republik begünstigt hatte. Einig waren sich der Konservative und die Linke außerdem darin, dass es Griechenland heute besser gehen würde, wenn es nicht in die Eurozone eingetreten wäre und „eine Debatte über einen anderen Weg in Europa“ dringend nötig sei, wie Wagenknecht es ausdrückte.
Deutlich unterschiedlich war dann freilich der aufgezeigte Lösungsweg: Während Gauweiler den Griechen einen Austritt aus dem Euro empfahl, um durch die dann mögliche Abwertung der eigenen Währung an Wettbewerbsfähigkeit zu gewinnen, befürchtete Wagenknecht, das diesem Schritt eine extreme Inflation und in deren Folge ein riesiges Ausmaß an Armut folgen müsse. Sie plädierte dagegen für den Versuch, in Europa eine Politik der Schuldenstreichung durchzusetzen und dafür die Banken und die Reichen zur Kasse zu bitten. „Wer den Nutzen hat,“ zitierte sie den Ökonomen Walter Eucken, „soll auch den Schaden haben.“ Dann müsste man auch den Euro nicht aufgeben.
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Ob Gauweiler, Schirrmacher und Wagenknecht aus Anlass des globalen Aktionstags gegen die Macht der Banken und Konzerne am Samstag gemeinsam mit der Occupy-Bewegung gegen das Protestverbot in Frankfurt zu Felde ziehen wollen, ist zur Stunde nicht bekannt.
(1) http://www.heise.de/tp/blogs/8/151976
(2) http://www.heise.de/tp/blogs/8/151976