Corona-Pandemie

Fehlender Wille zur Aufarbeitung

Der Medizinstatistiker Gerd Antes hat frühzeitig die fehlende Datengrundlage für die Corona-Politik kritisiert. Im Interview beschreibt er die Ursachen und die Folgen. Zudem geht er auf die Möglichkeiten einer notwendigen Aufarbeitung ein.

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Foto: Skitterphoto; Quelle: Pixabay
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HINTERGRUND Herr Professor Antes, vor fast fünf Jahren wurde offiziell die COVID-19-Pandemie ausgerufen und damit die sogenannte Corona-Krise ausgelöst. Derzeit wird viel von Aufarbeitung der Corona-Politik sowie der verordneten Maßnahmen und der Folgen gesprochen. Doch es geschieht wenig. Warum ist das so?

GERD ANTES Eine einfache Frage ohne einfache Antwort. Eigentlich wäre zu erwarten, dass nach einer Krise, die von Kanzlerin Merkel als »größte Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg« gesehen wurde, eine fundierte Aufarbeitung eine Selbstverständlichkeit ist. Das Gegenteil ist jedoch der Fall, in einer Mischung aus offener Blockade (»Gefahr eines Tribunals«), breitem Desinteresse und Inaktivität seitens der Institutionen, die jetzt aktiv werden müssten. Die Passivität erstreckt sich über die Bereiche Politik, Wissenschaft und Medien. Das »Warum« fordert eine komplexe, lange Antwort, die für viele unbequem ist.

HINTERGRUND Und wie lautet diese lange Antwort?

ANTES Sofort einleuchtend ist, Erklärungen in den unterschiedlichen Interessenkonflikten zu finden. An dem weitgehenden Versagen der letzten vier Jahre ist eine Fülle von Einzelpersonen und Institutionen aus Politik, Wissenschaft und Medien beteiligt. Für das volle Verständnis muss dieses Triumvirat noch um die Rechtsprechung und auch die Gesetzgebung erweitert werden. Was die ersten drei Bereiche betrifft, wurde wiederholt, vor allem aus der Politik, auf die Gefahr hingewiesen, dass es zu Umdeutungen der Verläufe der letzten vier Jahre kommen und dies zu einem Tribunal gegen die beteiligten Politiker führen könne. Da sich diese Bereiche massiv überlappen, kann der Beginn einer kritischen Aufarbeitung an einer Front an anderen Stellen nicht ignoriert werden und möglicherweise zu Kettenreaktionen führen. Es kann nur vermutet werden, dass dies vermieden werden solle und niemand der Auslöser dafür sein möchte. Jüngstes Beispiel für solch eine Kettenreaktion: Das Verwaltungsgericht Osnabrück hält die einrichtungsbezogene Impfpflicht für verfassungswidrig und setzt damit das Bundesverfassungsgericht unter Druck, das nun die Verfassungsmäßigkeit überprüfen soll. Das System strotzt vor Widersprüchen, einmal in den einzelnen Bereichen, vor allem aber auch zwischen den Bereichen. Der rote Faden in dem ganzen Geschehen ist der fehlende Wille, die Wirksamkeit und die Schädlichkeit von Maßnahmen nach den Methoden der evidenzbasierten Medizin zu bewerten. Dadurch ist die gesamte Architektur des Pandemiemanagements extrem fragil, was die Aufarbeitung mehr als schwierig macht.

HINTERGRUND Sie haben frühzeitig, bereits im März 2020, auf fehlende Daten für eine reale Risikoeinschätzung hingewiesen. Zugleich stellten Sie fest, die verkündeten Zahlen würden »eher überschätzt«. Das hat sich in der Folgezeit nicht verbessert, wie Sie wiederholt anmahnten. Warum war das so?

ANTES Ein banaler Grund ist die tiefgehende Strukturkrise, die in einer solchen Situation massiv sichtbar wird durch die Unfähigkeit, die notwendigen Mechanismen der empirischen Forschung anzuwenden, um die für Entscheidungen notwendigen Daten zu generieren. Üblich und weitverbreitet war die Feststellung, Corona sei das Brennglas für das Aufzeigen von Mängeln und Defiziten der für ein Pandemiemanagement notwendigen Strukturen. Das geriet jedoch schnell in Vergessenheit, was aus meiner Sicht grob unverantwortlich ist und ein weiteres Versagen des Komplexes Politik-Wissenschaft-Medien darstellt. Dass Zahlen eher überschätzt und zur Dramatisierung der Lage missbraucht wurden, war eine Folge der vielfach extrem schlechten Datenqualität.

HINTERGRUND Damals haben Sie als einen der Gründe Inkompetenz bei der Politik genannt. Das habe sich unter anderem darin gezeigt, dass die von Ihnen geforderte Begleitforschung und Datenerhebung nicht durchgeführt wurden. Der Ökonom Gabriel Felbermayr hatte im Spiegel im August 2021 aufgrund eigener Erfahrungen erklärt, eine »systematische Datenerhebung ist politisch nicht gewollt«. 1 Haben sich da im Hintergrund andere Interessen durchgesetzt?

ANTES Das ist schwer einzuschätzen. Auf jeden Fall wurden die Mängel hier täglich demonstriert, indem man in Diskussionen über die Lage und die notwendigen Maß- nahmen fast ausschließlich auf ausländische Daten und Studien verwies. Allerdings wurde die Überlegenheit der notwendigen Strukturen in den angelsächsischen Ländern und Skandinavien weder anerkannt noch nutzte man sie als Vorbild.

Das vollständige Interview lesen Sie in der aktuellen Ausgabe 1/2 2025 unseres Magazins, das ab dem 21. Dezember im Bahnhofsbuchhandel, im gut sortierten Zeitungschriftenhandel und darüber hinaus in ausgewählten Lebensmittelgeschäften erhältlich ist. Sie können das Heft auch auf dieser Website (Abo oder Einzelheft) bestellen.

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Prof. Dr. rer. nat. GERD ANTES ist Mathematiker und verbrachte sein Berufsleben mit Anwendungen von Mathematik und Statistik in den Lebenswissenschaften. Er lieferte wesentliche Beiträge zur Etablierung der evidenzbasierten Medizin in Deutschland, gründete das Deutsche Cochrane Zentrum und war Mitglied der Stiko während der Schweinegrippe. Seine Schwerpunkte waren fokussiert auf die Gewinnung von Wissen aus Daten, der Generierung von dafür notwendigen Daten und der institutionellen Weiterentwicklung in diesem Umfeld.

1 https://www.spiegel.de/wirtschaft/gabriel-felbermayr-zu-corona-und-impfen-systematische-datenerhebung- ist-politisch-nicht-gewollt-a-1e5bb73a-7d31-4216-bd4d-38480c433009

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