„Den Prolls die Fresse polieren“
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Der Hass auf die Arbeiterklasse hat Hochkonjunktur –
Von SUSANN WITT-STAHL, 17. September 2012 –
Ein Buch des Historikers, Gewerkschafters und Journalisten Owen Jones über die Stigmatisierung der Arbeiterklasse in der britischen Gesellschaft schlägt riesige Wellen. In den Primetime-Talkshows werden seine von den etablierten Medien als „Polemik“ und „Provokation“ reflektierten Thesen zum Niedergang und der Zerschlagung der Organisationsstrukturen der Arbeiterklasse diskutiert – vor allem die Folgen, ihre permanente Verunglimpfung und Demütigung. Ihre Mitglieder werden vom „Salz der Erde“ zum „Abschaum der Welt“ degradiert. Die überall im öffentlichen Raum gebräuchliche pejorative Bezeichnung „Chav“ („Proll“) ist das sinnfälligste Phänomen dieser Verächtlichmachung. „Da die Arbeiterklasse politisch niemandem mehr Angst einjagt, respektiert sie auch niemand mehr, und die da oben können ihre Überlegenheit auskosten, ganz wie im 18. Jahrhundert“, zitiert Jones die Bürgerrechtlerin Polly Toynbee. Für den von bürgerlichen Rechten mithilfe von Sozialdemokraten und Gewerkschaftsbossen vorangetriebenen neoliberalen Umbau der westlichen Gesellschaften war die Diskreditierung derjenigen, die als einzige die Potentiale haben, Sozialabbau, Privatisierung und Deregulierung zu verhindern, eine historische Notwendigkeit. In der sich dramatisch zuspitzenden Wirtschaftskrise mit ihren sich stetig verschärfenden gesellschaftlichen Widersprüchen allerdings scheinen die Klassengegensätze auf und durchdringen auch noch den dicksten Ideologieschleier des Marktradikalismus. Angesichts der großen Gefahr besinnen sich immer mehr Arbeiter auf ihre Herkunft und unternehmen erste Schritte für den Wiederaufbau ihrer Bewegung.
Hat das Mahatma Gandhi zugeschriebene Diktum über politische Bewegungen, „Zuerst ignorieren sie dich, dann lachen sie über dich, dann bekämpfen sie dich, und dann gewinnst du“, einen historischen Wahrheitsgehalt? Wenn ja, dann ist es gegenwärtig dramatisch schlecht bestellt um die Arbeiterbewegung. Sie wäre in ihrem gerechten Kampf für Lebensverhältnisse, in denen die private Aneignung gesellschaftlicher Arbeit abgeschafft, das Individuum und nicht das Kapital freigesetzt wird, ins 19. Jahrhundert zurückgeworfen. Heute werde das Proletariat „nur noch ausgelacht oder ignoriert“, lautet die bittere Bestandsaufnahme des 28 Jahre jungen Autors Owen Jones (er schreibt für den Guardian, The Independent und Le Monde Diplomatique) in seinem ersten Buch mit dem Titel Prolls. Die Dämonisierung der Arbeiterklasse. (1) Jene sei „das Triumphgeheul der Reichen, die von unten nicht mehr bedroht sind und sich nun über die Arbeiter lustig machen“, meint Jones.
„Manche nennen sie Abschaum“
Das englische Wort für „Proll“, mit dem gewöhnlich Arbeiter, Unterprivilegierte, sozial Ausgegrenzte und Geächtete, also all jene belegt werden, die keine Produktionsmittel besitzen und gezwungen sind, ihre Haut zu Markte zu tragen, lautet „Chav“. Es tauchte im Internet 1998 – kurz nach der Wahl von Tony Blair zum Premierminister –, in einer Zeitung 2002 und in einem Wörterbuch 2005 das erste Mal auf. Es ist von dem Romani-Wort „Chavi“ abgeleitet und bedeutet ursprünglich „Kind“. Die „Chavs“ in der britischen Gesellschaft werden nicht nur wie Kinder als Unmündige behandelt und haben sich des Paternalismus‘ der Reichen zu erwehren. Sie sind auch Hass-Objekte: „Manche nennen sie Abschaum. Soziologen nennen sie Unterschicht. Wie man sie auch nennt, sie nisten sich überall ein“, war in einem vor Verachtung nur so strotzenden Artikel in der Daily Mail zu lesen.
Auf Websites, beispielsweise ChavTowns und ChavScum, werden Arme und Deklassierte nach allen Regeln der Kunst beleidigt und entwürdigt. Blogger posten Witze wie „Two Chavs jump off a cliff. Who wins? Society“. Oder sie rufen, in Anlehnung an die Nike-Werbung („Just Do it!“), zur Gewalt auf: „Chav – Just Kill It!“ Ihre Parole lautet: „Yay, chav bashin! Best sport ever!“ Online-Versände verkaufen T-Shirts mit der Aufschrift „I Hate Chavs“. Gymbox, ein Fitness-Center für Reiche, bietet einen Kurs für „Proll-Bekämpfung“ an: „Mies gelaunte Chavs brauchen keine Verwarnung, ihnen gehört die Fresse poliert“, meint der Besitzer. „Verschwenden Sie Ihre Zeit nicht mit Sandsäcken und Holzbrettern, schlagen Sie lieber einem Proll die Zähne ein.“ Das Unternehmen Activities Abroad organisiert exotische Luxus-Abenteuerurlaube, wie Huski-Safaris in der kanadischen Wildnis, und wirbt damit, dass seine Reisegruppen garantiert „prollfrei“ sind.
Klassenhass gehöre mittlerweile „zum festen Grundbestand der britischen Kultur“, sagt Owen Jones. Der Verantwortung der Vierten Gewalt und der Kulturindustrie für diese Entwicklung sollte nicht unterschätzt werden. In dieser Sphäre „gibt es die Arbeiterschicht eigentlich gar nicht mehr. Es gibt nur noch die nette Mittelschicht, die Häuslebauer, für die die Daily Mail schwärmt. Und dann gibt es die ganz Schlimmen“, zitiert Jones die Guardian-Kolumnistin Polly Toynbee. Boulevardzeitungen, zum Beispiel die Sun oder der Daily Mirror, berichten über Kriminalität, Drogensucht, misslungene Schönheitsoperationen, schlechte Ernährung und Verfettung der „Asozialen“ – direkt aus ihren schmutzigen Wohnzimmern, in denen sich leere Bierdosen und Pizza-Hut- und McDonald’s-Verpackungen bis zur Decke stapeln. Die Fernsehserie „Shameless“ zeigt hässliche Karikaturen von Proletarier-Familien in Manchester: Faulheit, Chaos, Dreck, Alkoholismus. Super Nannys nehmen sich der vernachlässigten Kinder an. Strenge Talkmaster stellen die „Rabeneltern“ im Vorabendprogramm vor Millionenpublikum an den Pranger. In der Reality Show „How Clean Is Your House?“ werden ihre verkommenen Behausungen ausgemistet; in „The Biggest Loser“ fettleibige „Exemplare“ zur Schau gestellt. Und stets wollen die Sensationsmedien dabei glauben machen, dass Erwerbslosigkeit, Armut, Elend, die vielen Peinlichkeiten das Ergebnis individuellen Versagens, der Dummheit und des schlechten Charakters der „Prolls“ sind – nicht einer durch und durch ungerechten Gesellschaft, geprägt von üppigen Steuergeschenken für die Reichen, Lohndrückerei, verweigerten Bildungschancen und zwanzig Prozent Jugendarbeitslosigkeit.
Jones verweist auf die Auswüchse der neoliberalen Ideologie: Laut der ehemaligen Premierministerin Großbritanniens, Margret Thatcher, einer Schülerin Milton Friedmans („Er war ein intellektueller Freiheitskämpfer“), gibt es gar „keine Gesellschaft. Es gibt einzelne Frauen und Männer und Familien“. Und die haben selber Schuld, wenn ihr Leben nicht wie das des blaublütigen Millionärssohns, Eton-Schülers und derzeitigen Premiers David Cameron verläuft.
Der Aufstand – drakonische Strafen statt „linker Sozialexperimente“
Einen Höhepunkt erfuhr die Abscheu gegenüber den „Prolls“ während der schweren sozialen Unruhen 2011. Sie begannen am 6. August im Londoner Stadtteil Tottenham, nachdem die Polizei den jungen Afro-Briten Mark Duggan erschossen hatte (Schwarze sind in Großbritannien immer wieder Diskriminierung und Schikanen durch Ordnungskräfte ausgesetzt. So werden sie in England und Wales nachweislich dreißig Mal häufiger bei Polizeikontrollen angehalten als Weiße), und breiteten sich in vielen Städten des Landes aus. Laut Umfragen sprachen sich bereits nach zwei Tagen zwei Drittel der Briten dafür aus, dass die Armee gegen die Aufrührer vorgehen soll, und immerhin ein Drittel war für den Einsatz scharfer Waffen.
Daily-Mail-Kolumnist Richard Littlejohn beklagte die angebliche Zurückhaltung der Polizei gegenüber dem „Rudel wilder Verwahrloster und Streuner, die ihre Zeit mit Dope-Rauchen und Lagerbier-Trinken verbringen“ und offenbarte seine Vernichtungsfantasien: „Die Polizei wird von der Gesetzgebung lahmgelegt und hat Angst vor Rassismusvorwürfen. Daher ist es kein Wunder, dass sie zunächst tatenlos zusah, als Geschäfte ausgeräumt und Häuser niedergebrannt wurden, anstatt die Plünderer zu keulen wie Robbenbabies, was sie verdient hätten“, meint Littlejohn (2). Der Hardcore-Neocon zählt zu den prominentesten Journalisten des Landes. Wenn er gerade nicht damit beschäftigt ist, über die Unterklasse und „das unausweichliche Ergebnis von dreißig Jahren linker Sozialexperimente“ herzuziehen, die, weiß Littlejohn, „bewusst darauf zielen, das Sozialgefüge unseres Landes zu zerstören“, bombardiert er Linke und Muslime mit absurden Antisemitismusvorwürfen. (3)
Auch staatliche britische Medien heizten die Stimmung fleißig an. In der BBC-Sendung Newsnight durfte der Historiker David Starkey seine rassistische Analyse der Riots zum Besten geben: Die „schwarze Kultur“ sei schuld. Sie habe Weiße zu Schlägern gemacht. „Die Weißen sind schwarz geworden.“ Als die britische Regierung allen Ernstes in Erwägung zog, verurteilten Aufständischen die Sozialleistungen zu kürzen, sie sogar in Sippenhaftung zu nehmen und sie, falls sie in Sozialwohnungen leben, samt ihren Familien auf die Straße zu setzen, sollte in der Öffentlichkeit des Landes keine nennenswerte Empörung aufkommen. Die Gerichte verhängten drakonische Strafen, die wesentlich mehr mit Rache als mit Gerechtigkeit zu tun hatten, kritisiert Owen Jones und nennt ein Beispiel: „Mutter zweier Kinder, an Unruhen nicht beteiligt, verurteilt zu fünf Monaten, weil sie geraubte Shorts annahm. Keiner kommt davon“, triumphierte die Polizei von Manchester auf Twitter.
Rückfall in den finstersten Sozialdarwinismus
„Arme haben einen niedrigeren IQ als Reiche, und das bedeutet einfach, dass ein viel geringerer Prozentsatz von Arbeiterkindern die Aufnahmekriterien unserer Eliteuniversitäten erfüllen wird“, lautet die Quintessenz einer Expertise, die der Evolutionspsychologe Bruce Charlton von der Universität Newcastle in einem Interview mit der Tageszeitung The Scotsman präsentierte. (4) Der konservative Kommunalpolitiker John Ward aus Kent findet: „Man sollte wirklich darüber nachdenken, Leute zu sterilisieren, die zwei oder meinetwegen drei Kinder haben und von staatlicher Unterstützung leben.“
Die Klassengesellschaft wird wieder unverhohlen als natürliche Ordnung propagiert: Der Sozialdarwinismus, Matrix-Bestandteil der faschistischen Ideologie, feiert fröhliche Urstände. Die Naturgesetzlichkeit ist in der Menschengeschichte das „Bewegungsgesetz der bewusstlosen Gesellschaft“, konstatierte der marxistische Soziologe Theodor W. Adorno. (5) Das ist die große Tragödie des missratenen Zivilisationsprozesses; eine zweite, dass der herrschende Zustand als unabänderlich verbrämt wird. Karl Marx und seine historischen Nachfolger versuchten beide zu beenden, indem sie den Kapitalismus – die bislang am höchsten entwickelte Form des vergesellschafteten Naturgesetzes des „Fressens und Gefressenwerdens“ – abschaffen wollen. Das elementarste und untrüglichste Merkmal zur Unterscheidung zwischen Linken und Rechten: Letztere preisen das „Recht des Stärkeren“ und hypostasieren es als unüberwindbare und alles bestimmende Naturgegebenheit. Originäre Linke hingegen setzen alles daran, diese Behauptung als Lüge – als Legitimationsideologie für die Aufrechterhaltung der Klassengesellschaft – zu entlarven und verweisen auf die Möglichkeit einer Gesellschaft der „Solidarität des Lebens“ (Max Horkheimer).
Der „Neoliberalismus hat die sozialdestruktiven und antizivilisatorischen Entwicklungstendenzen eines späten Kapitalismus verstärkt“, meint der Soziologe Werner Seppmann. (6) Dass der Neoliberalismus sogar ein Rückfall in den finstersten Sozialdarwinismus ist, veranschaulicht Owens Studie auf eindringliche Weise. „Im Laufe der Jahrhunderte wurde gesellschaftliche Ungleichheit immer wieder durch die Dämonisierung der Menschen am unteren Ende gerechtfertigt.“ Sie sei „das ideologische Fundament einer ungleichen Gesellschaft“ und habe die politische Funktion, Ausbeutung, Unterdrückung und Entrechtung als normal erscheinen zu lassen: „Unten ist, wer dumm, faul und unmoralisch ist.“
Gesellschaft noch vom Thatcherismus geprägt
Eine von Jones‘ Kernthesen lautet: Der neue Klassenhass zielt nach wie vor vor allem auf die organisierten Arbeiter und die Gewerkschaften. „Wir leben noch immer in einem thatcheristischen Staat“, meint der Autor. Und er verweist auf interessante Analysen des Meinungsforschungsinstituts Britain Thinks, das vor allem drei Konsequenzen der wirtschaftlichen Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte ausmachte. Erstens: Die Grundfeiler der Arbeiterklasse, beispielsweise die alteingesessenen Industriezweige und Wohnungsgenossenschaften wurden von der Thatcher-Regierung weitgehend zerstört. Als Thatcher 1979 die Regierungsgeschäfte übernahm, gab es noch über sieben Millionen Arbeitsplätze in der Industrie. Heute sind es nur noch 2,83 Millionen. Die meisten Unternehmen sind in Niedriglohn- und Entwicklungsländer abgewandert. Zweitens: Thatcher ist es gelungen, in der Gesellschaft weitgehend die Auffassung zu verbreiten, dass alle versuchen sollten, Mittelschicht zu sein und niemand mehr stolz darauf sein soll, Arbeiter zu sein. Drittens: Angehörige der Arbeiterklasse sind aus Politik und Medien – im britischen Parlament gehören ihr nur noch fünf Prozent der Abgeordneten an; über die Hälfte der 100 führenden Journalisten des Landes besuchten eine Privatschule – fast völlig verdrängt, und das hat zur ungehinderten Verbreitung von „Proll-Zerrbildern“ geführt. Der Tory-Abgeordnete Nicholas
Soames, ein Enkel von Winston Churchill, habe dem Labour-Abgeordneten und Sohn eines Bahnwärters John Prescott in den Parlamentsdebatten stets Getränkebestellungen entgegengerufen, führt Jones ein Beispiel für den innerhalb der politischen Klasse des Vereinigten Königreiches herrschenden Standesdünkel an.
„Entmachtet und entehrt wurde die Arbeiterklasse lächerlich gemacht und musste als Sündenbock herhalten“, meint Jones. Die Studie von Britain Thinks beförderte auch zutage, dass sich nur noch 24 Prozent der Bevölkerung zur Arbeiterklasse zählen wollen. „Die Fokusgruppen hatten ganz dezidiert das Gefühl, dass es die ehrenwerte Tradition einer anständigen, fleißigen Arbeiterklasse nicht mehr gibt. Zum ersten Mal habe ich beobachtet, dass ,Arbeiterklasse‘ als Schimpfwort verwendet und mit anderen negativen Klassenbegriffen wie ,Proll‘ gleichgesetzt wurde“, zitiert Jones die Mitbegründerin von Britain Thinks Deborah Mattinson. Die Menschen flüchten sich in die Fata Morgana Mittelschicht. „Wer Mittelschicht sein will, will zeigen, dass er Klasse hat“, laute die neue Devise, meint Mattinson.
New Labour als Anwälte der Reichen
Der Skandal besteht vor allem darin, dass der neoliberale Umbau Großbritanniens – das gilt auch für Deutschland und andere europäische Länder – in weiten Teilen nicht von rechten Parteien, sondern von den Sozialdemokraten gestaltet und exekutiert wurde. Die Labour Party sei auf die Welt gekommen, um die Lebensumstände der Arbeiter zu verbessern. Heute wolle sie „Menschen höchstens dabei helfen, ihr zu entkommen“, so Jones Resümee der 112-jährigen Geschichte der britischen Sozialdemokratie. Die Führung der Labour Party hatte schon in den 1980er-Jahren die Minenstreiks nicht unterstützt und die Arbeiter während ihres letzten großen Gefechts verraten. Über die Jahre hat Labour seine Leitlinien immer mehr der neoliberalen Agenda angepasst. „In Tony Blairs New Labour hatten die Anwälte der Klassenpolitik der Reichen das Sagen“ und der Labour Party „den Stempel Thatchers aufgedrückt“. In deren Politik stehe „die Flucht vor dem Arbeiterdasein im Vordergrund“, kritisiert Jones. „New Labour machte daraus kein Hehl.“ Gordon Brown bestritt seinen Wahlkampf 2010 mit dem Slogan „Die größte Mittelschicht aller Zeiten“. Das ist eine Politik, die die Arbeiterklasse zur Selbstverleugnung treiben soll.
Labour ging sogar zum offenen Angriff auf sie und ihre Errungenschaften über. Jones nennt ein Beispiel: Der Sozialberater der Brown-Regierung, David Freud – später lief er zu den Konservativen über –, hat 2008 gefordert, zwei Millionen Empfänger von Arbeitslosenunterstützung zur Arbeit zu zwingen, obwohl es nur eine halbe Million offener Stellen gab. Es war ein Sozialdemokrat, Tony Blair, der 1998 die sogenannten Anti-Social Behaviour Orders (ASBO) einführte, durch die Menschen wegen „antisozialem Verhalten“ – dazu gehört nicht nur öffentliches Fluchen, Spucken und Alkoholgenuss, sondern auch Breakdance-Vorführungen – mit zivilrechtlichen Sanktionen wie Platzverweisen belegt werden können. Reiche müssen die ASBO in der Regel nicht fürchten: Das asoziale Verhalten von Angehörigen des berüchtigten Bullingdon Clubs – einer Studentenverbindung für Superreiche in Oxford, in der auch David Cameron und Londons Bürgermeister Boris Johnson Mitglied waren – beispielsweise, die als extrem gewaltbereit gelten und traditionell im Vollrausch die Einrichtungen von Pubs und Restaurants zerlegen, bleiben grundsätzlich unbehelligt. Die oberen Zehntausend werden von Labour hofiert, die Armen drangsaliert. „Wir zwingen die Leute zu schlecht bezahlter Arbeit mit dem niedrigsten denkbaren Mindestlohn. Dann bist du schuld, wenn du nicht aus der Armut kommst. Diese Einstellung ist so von oben herab wie im 19. Jahrhundert“, zitiert Jones einen gewerkschaftsnahen Abgeordneten vom linken Flügel der Labour Party.
Eine wesentliche Ursache für die Schwäche der Arbeiterklasse ist die von Margret Thatcher unter Hochdruck betriebene Zerschlagung der Gewerkschaften. Neue Gesetze ermöglichten es Unternehmen, streikende Arbeiter zu entlassen, ihre Abfindungen zu senken. Gerichte wurden befugt, das Vermögen der Gewerkschaften einzuziehen und ihnen hohe Strafen aufzubrummen – was während des großen Stahlarbeiterstreiks 1980 auch geschah. Dieses Vorgehen wurde unter der Regierung Blair nicht nur nicht gestoppt, sondern gefördert. „Tony Blair prahlte einst damit, dass auch unter New Labour die Gewerkschaften so eingeschränkt sind wie nirgendwo sonst in der westlichen Welt‘“, erinnert Jones.
… und die „Nazi-Hartzler“ in Deutschland
Die Dämonisierung der Arbeiter ein hausgemachtes innerbritisches Problem?
Im Vereinigten Königreich sind die Klassengegensätze traditionell krasser, die Kluften zwischen Arm und Reich noch tiefer als in Deutschland. Entsprechend aggressiver sind die Auswüchse des Hasses auf das „riff-raff“ („Gesocks“).
Aber auch hierzulande ist eine signifikante Zunahme von Sozialchauvinismus und Ressentiments gegen „die da unten“ wahrnehmbar. Bild verbreitet, beispielsweise mit der Kreation und Überzeichnung von Figuren wie „Karibik-Knut“ und „Florida Rolf“, seit Jahrzehnten den Mythos vom massenhaften „Sozialbetrug“. Einige Privatsender haben regelrechte Hetzjagden auf Sozialhilfe-, später auf Hartz IV-Bezieher gestartet.
In Reality Shows wie „Frauentausch“ darf der Zuschauer in die unterirdischen Lebenswelten stinkefauler „Prolls“ hinabsteigen. TV-Schuldenberater betreuen coram publico ketterauchende Jogginghosen-Träger, während die „Punkt 12“ beim RTL-Mittagsjournal ihre ersten „Kleinen Feiglinge“ zum Frühstück vernaschen. „Extrem schön“ verwandelt gönnerhaft hässliche kik-Entlein in schöne Versace-Schwäne. Die der neoliberalen Logik entspringende Botschaft der Sendungen: Nehmen Sie Ihr Schicksal selbst in die eigene Hand, dann „werden Sie geholfen“.
Im Täterland ist Hitler nicht nur beliebte Allzweckwaffe der Neokonservativen gegen die Friedensbewegung, auch als Popanz im Kampf gegen die Keynesianer ist er zu gebrauchen: So hat der Historiker Götz Aly herausgefunden, dass die NSDAP- und SS-Führer Leute „aus dem Volk“ waren, „die wussten, was es bedeutet, wenn der Gerichtsvollzieher klingelt, und wie es ist, wenn eine komplette Familie wegen Mietschulden auf die Straße gesetzt wird“. (7) Die Arbeiterklasse im NS-Staat hat in Alys Vorstellungswelt so glücklich und froh gelebt wie der berühmte Mops im Paletot: „Den einfachen Leuten ging es im Nationalsozialismus gut. Sie haben gerne mitgemacht und vom Krieg profitiert“, weiß Aly (und sieht einmal großzügig von den paar Milliönchen ab, die in den Stahlgewittern der Ost-, West-, Nord-, Süd- sowie Feuerstürmen der Heimatfront krepiert sind. Auch die Zigtausende ermordeter und in KZ gepferchter Kommunisten und Sozialdemokraten sind offenbar Peanuts). „Wenn man die Gründe für Auschwitz wirklich verstehen will, soll man endlich aufhören, plakativ mit Namen wie ,Flick‘, ,Krupp‘ oder ,Deutsche Bank‘ zu operieren.“ Mörderisch im NS-Staat war doch nicht, wie noch Adorno dachte, die „bürgerliche Kälte“ – nein, es war die „soziale Wärme“. (8)
Ohne Hitler bliebe sogar noch Hartz IV ein unerfüllter Wunschtraum aller Langzeitarbeitslosen. „Vom Kündigungs- über den Mieter- bis zum Pfändungsschutz bezweckten Hunderte fein austarierte Gesetze das sozialpolitische Appeasement“, lautet eine weitere sensationelle Entdeckung von Aly. „Hitler regierte nach dem Prinzip ,Ich bin das Volk‘, und er zeichnete damit die politisch-mentalen Konturen des späteren Sozialstaats Bundesrepublik vor.“ (9) Diese Behauptung ist zwar kompletter Unsinn, aber gut geeignet, um den Sozialstaat und seine Nutznießer zu kriminalisieren. Jones Beobachtung, weil es in Großbritannien gar nicht so leicht sei, den Sozialstaat zu zertrümmern, würden diejenigen verurteilt, die auf ihn angewiesen sind, trifft auch auf Deutschland zu, wo sich die ex-linke Intelligenz massenhaft als PR-Berater des Neoliberalismus andient. So wird jemand, der einfach nur seinen Anspruch auf ALG I oder II geltend macht, ganz schnell zum „Nazi-Hartzler“ (in satirischer Anlehnung an diese Wortschöpfung bezeichnet sich ein Blogger als „Nazi-Hartzi“), wie auf dem rechten Islamhasser-Portal Politically Incorrect zu lesen ist. Dessen Betreibern ist die „soziale Hängematte“ ebenso zuwider wie der „Umma-Sozialismus“.
„Die Regierung Schröder-Fischer steht vor der historischen Aufgabe des langen Abschieds von der Volksgemeinschaft“, schrieb Götz Aly 2004 auf dem Höhepunkt der Anti-Hartz IV-Proteste (mit „Volksgemeinschaft“ meinte er die sozialen Sicherungssysteme als angebliches Erbe des NS-Staates) (10) – eine Herausforderung, die die Sozialdemokraten mithilfe der neoliberalen Grünen mit Bravour gemeistert haben. „Wer arbeiten kann, aber nicht will, der kann nicht mit Solidarität rechnen. Es gibt kein Recht auf Faulheit in unserer Gesellschaft“, hatte der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder in Bild schon 2001 allen mit rechtspopulistischem Zungenschlag gedroht, die in den Boulevardzeitungen als „Sozialschmarotzer“ gehandelt werden. Derartige Stimmungsmache lenkt gut von der Tatsache ab, dass längst nicht genug Lohnarbeit für alle da ist – schon gar nicht angemessen vergütete. Ex-SPD-Parteichef Kurt Beck empfahl einem Arbeitslosen: „Wenn Sie sich waschen und rasieren, finden Sie auch einen Job.“ Nivea und Gillette als Wundermittel gegen Rezession? Schröder forderte sogar, widerspenstige Arbeitssuchende härter ranzunehmen, und begrüßte Sanktionen: „Das ist richtig so. Ich glaube allerdings, dass die Arbeitsämter die entsprechenden Möglichkeiten noch konsequenter nutzen können.“ Wie Schröders Agenda 2010 bewiesen hat, bedeutet das Wort „Reform“ – das hat Jones für den britischen Arbeitsmarkt feststellt – auch für Sozialdemokraten „nicht mehr sozialer Fortschritt, sondern Rückschritt und Kürzung“.
Die Klassenfrage wieder auf die Tagesordnung setzen
Als historischer Materialist weiß Owen Jones, dass es nicht damit getan ist, vom bürgerlichen Lager mehr Respekt vor der Arbeiterklasse zu fordern und eine politisch korrekte Sprache in Medien, Politik und Alltagskultur durchzusetzen. Die würde die real existierenden sozialen Abgründe nur noch mehr verhüllen. Es gilt auch nicht, in erster Linie die Herrschenden zur Räson – es gilt, die Unterdrückten zur Besinnung zu bringen.
„Letztlich müssen wir nicht gegen Vorurteile kämpfen“, schreibt Jones, „sondern gegen das, was sie ermöglicht.“ Aber wie gelingt es denen, die diesen Kampf führen müssen, sich neu zu formieren und entschlossen auf die Barrikaden zu gehen? Es bedarf starker, handlungsfähiger Gewerkschaften, antikapitalistischer, zumindest kapitalismuskritischer Parteien und anderer linker Organisationsstrukturen.
Dabei ist eine Hürde von gewaltiger Höhe zu überwinden. Der Marxist Herbert Marcuse, einer der führenden Vertreter der Kritischen Theorie, Gesellschaftstheoretiker und Revolutionär, hatte in seiner Schrift „Der Eindimensionale Mensch“ auf das Problem hingewiesen, dass die Unterdrückung des Menschen in der spätkapitalistischen Gesellschaft längst nicht nur auf der ökonomischen, sozialen und politischen Ebene stattfindet. Auch die dem System immanenten und auf seinen Widersprüchen basierenden emanzipativen Negationspotentiale werden neutralisiert – vor allem durch Kulturindustrie, eine falsches Bewusstsein produzierende Apparatur des Massenbetrugs. Daher maß Marcuse dem Projekt der richtigen Interpretation der Welt eine große Bedeutung zu, wie der israelische Philosoph Zvi Tauber in seinem Buch „Befreiung und das ,Absurde‘“ (eine Abhandlung über die Frage nach der Möglichkeit „der Verwirklichung der Freiheit des Menschen als positive Verwirklichung des Menschen“ im Sinne einer Befreiung aus dem Würgegriff einer totalitären Ökonomie) darlegt: Auch wenn die theoretische Interpretation der Welt die dringend benötigte revolutionäre Praxis nicht ersetzen könne, so sei „die Interpretation doch zumindest in der Lage, aufgrund der kritischen Analyse der vorhandenen Gesellschaft, umfassend eine mögliche verändernde Praxis zu projizieren und diese zu beeinflussen“, bringt Tauber einen wichtigen Gedankengang aus dem „Eindimensionalen Menschen“ auf den Punkt: „Nach Marcuse beabsichtigte Marx‘ ,11. These über Feuerbach‘ nie, die Überflüssigkeit einer theoretischen Weltinterpretation zu lehren“, schreibt Tauber. „Im Gegenteil: Man müsse die Welt verstehen und deuten, um sie zu verändern.“ (11)
Das heißt für die Arbeiterklasse in Großbritannien – und überall – konkret: Um eine Wende in ihrem kollektiven Bewusstsein herbeiführen zu können, müssen die Ideologieschichten abgetragen werden, die der Thatcherismus und andere Formen des Neoliberalismus hinterlassen haben. Es gelte zunächst einmal, mit einigen „Irrtümern“ aufzuräumen, fordert Jones. Die lauteten: „Wir gehören alle zur Mittelschicht, es gibt keine Klassengesellschaft mehr, und soziale Probleme sind auf das Versagen von Einzelnen zurückzuführen.“ Eine Besserung der Lage sei nur in Sicht, wenn die Klassenfrage wieder auf die Tagesordnung gesetzt werde. „Zur Emanzipation gehört die Klassenfrage. Wer nicht über Klassen spricht, verliert die Emanzipation aus dem Blick.“ Margret Thatcher war das in den 1980er-Jahren weitaus bewusster als der Mehrheit der Lohnabhängigen heute. Wie alle bourgeoisen Klassenkämpfer fürchtete sie kaum etwas mehr als ein historisches Wiedererwachen und Zu-Sich-Kommen der Arbeiter. Während ihre Torys sich in programmatischen Schriften freimütig zu einer Gesellschaft bekannten, deren zentraler Wesenszug die Herrschaft des Menschen über den Menschen ist, und nur diejenigen als Problem ausmachen, die gegen sie aufbegehren („Nicht die Klassengesellschaft spaltet die Nation, sondern das Klassenbewusstsein“), leugnete Thatcher in der Öffentlichkeit vehement deren Existenz: „,Klasse‘ ist ein kommunistisches Konzept“, lautete Thatchers Versuch, die elementare Wahrheit jeder kapitalistischen Gesellschaft zur Phantasmagorie zu lügen und sie als linke Demagogie zu diskreditieren.
Wie Owen Jones beobachtet hat, können die Konservativen heute – gegen extrem geschwächte Gewerkschaften und eine hoffnungslos zerstrittene Linke befinden sie sich auf der Siegerstraße – selbstbewusst auftrumpfen: „Die Torys der alten Schule sagen, es gebe keinen Klassenkampf“, zitiert Jones den Herausgeber von deren Parteizeitung Peregrine Worsthorne. „Die neuen Torys verschweigen nicht: Wir sind Klassenkämpfer, und wir wollen gewinnen.“ Aber mit dem Einsetzen der schwersten Krise seit 1929, deren Folgen ein noch brutalerer Sozialabbau, dramatische Entdemokratisierungsprozesse und eine massive Verletzung von Grund- und Bürgerrechten sind, wird der Mythos von der „klassenlosen Gesellschaft“ in der Bevölkerung unter Hochdruck weiterverbreitet.
Das Kapital und das politische Establishment können auf einen Mechanismus setzen, der in dieser prekären historischen Situation unweigerlich eintritt: Während die kapitalistische Gesellschaft „die Lehre vom Klassenkampf mit Konzentration und Zentralisation vindiziert, äußerste Macht und äußerste Ohnmacht unvermittelt, in vollkommenem Widerspruch einander entgegenstellt, lässt sie die Existenz der feindlichen Klassen in Vergessenheit geraten“, hatte Adorno nach seiner Erfahrung des damaligen Faschisierungsprozesses den Verlust des Klassenbewusstseins erklärt, nachdem er auf die Wahrheit gepocht hatte: „Alle Geschichte heißt Geschichte von Klassenkämpfen“ (12) – solange es eine „Zwangsorganisation zur Aneignung fremder Arbeit“ gibt. (13) „Das teuflische Bild der Harmonie, die Unsichtbarkeit der Klassen in der Versteinerung ihres Verhältnisses gewinnt darum nur jene reale Gewalt übers Bewusstsein, weil die Vorstellung, es möchten die Unterdrückten, die Proletarier aller Länder, als Klasse sich vereinen und dem Grauen das Ende bereiten, angesichts der gegenwärtigen Verteilung von Macht und Ohnmacht aussichtslos scheint“, schrieb Adorno weiter.
Andererseits haben die bittere Realität und der Leidensdruck im Laufe der Geschichte aber auch immer wieder Menschen dazu bewogen, sich zu einem widerständischen Kollektivsubjekt zusammenzuschließen und sich zu wehren. Auch das wusste Adorno, der posthum gleichermaßen von Kritikern und Anhängern zum konservativen Kulturpessimisten zurechtgestutzt wird, obwohl er sich nie vom Weltveränderungspostulat losgesagt hatte. Noch kurz vor seinem Tod betonte er, dass es die Negativität der Verhältnisse selbst ist, von denen die Menschen die revolutionären Impulse zur Umkehr bekommen: „Die verhärteten Institutionen, die Produktionsverhältnisse, sind kein Sein schlechthin, sondern noch als allmächtige ein von Menschen Gemachtes, Widerrufliches. In ihrem Verhältnis zu den Subjekten, von denen sie stammen, und die sie umklammern, bleiben sie durch und durch antagonistisch. Nicht bloß verlangt das Ganze, um nicht unterzugehen, seine Änderung, sondern es ist ihm auch, kraft seines antagonistischen Wesens, unmöglich, jene volle Identität mit den Menschen zu erzwingen, die in den negativen Utopien goutiert wird.“ (14)
Der Ökonom Winfried Wolf, Autor von „Sieben Krisen – ein Crash“, sagte unlängst, heute gelte (mitten in einer gigantischen Wirtschaftskrise, die auf allen Ebenen die Fortexistenz der Menschheit und der Natur gefährdet) weniger, dass „Revolutionen die Lokomotiven der Geschichte“ sind, wie Karl Marx meinte. Näher an der Realität der Gegenwart sei wohl die Vorstellung des Philosophen Walter Benjamin, dass „Revolutionen der Griff des in diesem Zuge reisenden Menschengeschlechts nach der Notbremse“ sind. „Die Perspektive des Klassenkampfes ist zu einer Frage des zivilisatorischen Überlebens der Menschheit geworden“, so die Überzeugung von Werner Seppmann, dass die zugespitzten Verhältnisse als Weckruf zu verstehen sind.
Einige haben ihn offenbar gehört. Auch wenn ihnen nicht bewusst war, was sie und warum sie es taten, auch wenn sie teilweise das Falsche taten, indem sie ihre berechtigte Wut gewalttätig gegen ihre ebenso ohnmächtigen wie betrogenen Nachbarn richteten: Es war kein Zufall, dass die Armen 2011 in der Stadt mit dem größten Sozialgefälle der Welt den Aufstand probten (die reichsten 10 Prozent besitzen 273-mal mehr als die ärmsten 10 Prozent) in einem Land, in dem derart große Ungerechtigkeit herrscht, dass dem einen Prozent ganz oben 23 Prozent und der gesamten unteren Hälfte nur sechs Prozent des Wohlstands gehören.
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Immer mehr Angehörige der Arbeiterklasse verstehen, dass sie diejenigen sind, die die Krise am härtesten trifft und dass sie von den Happy Few als Bauernopfer verheizt werden. Seit 2011 „erlebt der Protest einen seiner größten Comebacks seit den 1960er-Jahren“, meint Owen Jones und verweist auf Hunderte von Demonstrationen, Betriebsbesetzungen und Streiks gegen die Spardiktate in Großbritannien. Viele Teilnehmer seien Arbeiter gewesen, die beispielsweise gegen die Abschaffung des Bildungsgeldes für Studenten aus einkommensschwachen Familien aufbegehren. Auch Hunderttausende von Lehrern und Beamten haben gestreikt, führt Jones weitere Beispiele an, und sich dann Müllmännern und Krankenschwestern angeschlossen. „So etwas hat es seit dem Generalstreik von 1926 nicht gegeben.“ Jones hofft, dass in seinem Land noch viel mehr Ausgebeutete sich aus der Paralyse der Resignation lösen und wieder Klassenbewusstsein entwickeln werden: „Wir brauchen den Druck der Massen“, sagt Jones. „Sie müssen für einen neuen Weg kämpfen. Die konservativen Torys, Blairs New Labour und ihre reichen Hintermänner sollen nicht denken, dass sie schon gewonnen haben. Jetzt steht viel auf dem Spiel.“
(1) Owen Jones, Prolls. Die Dämonisierung der Arbeiterklasse, Mainz 2012, VAT Verlag André Thiele;
der englische Originaltitel lautet: „Chavs. The Demonization of the Working Class“, London 2011, Verso
(2) http://www.dailymail.co.uk/debate/article-2025021/UK-riots-2011-The-politics-envy-bound-end-flames.html
(3) http://en.wikipedia.org/wiki/The_War_on_Britain%27s_Jews%3F
(4) http://www.scotsman.com/news/uk/working-classes-are-less-intelligent-says-evolution-expert-1-1169317
(5) Theodor W. Adorno, Negative Dialektik, Frankfurt am Main 1975, S. 348f.
(6) http://www.ag-friedensforschung.de/themen/Gewalt/seppmann.html
(7) http://www.taz.de/1/archiv/archiv/?dig=2005/01/15/a0167 Die Statistiken zur Sozialstruktur des NS-Staatsapparates sagen etwas anderes. So gehörten nur rund 25 Prozent der SS-Führer der Unterklasse an; rund 32 Prozent stammten aus der oberen Mittelschicht, rund 42 Prozent aus der unteren Mittelschicht, s. http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/artikel/artikel_44600#35
(8) http://www.taz.de/1/archiv/archiv/?dig=2005/01/15/a0167
(9) Ebda
(10) http://de.wikipedia.org/wiki/Hitlers_Volksstaat
(11) Zvi Tauber, Befreiung und das „Absurde“. Studien zur Emanzipation des Menschen bei Herbert Marcuse, Gerlingen 1994, S. 13
(12) Theodor W. Adorno, Reflexionen zur Klassentheorie, in: Gesellschaftstheorie und Kulturkritik, Frankfurt am Main 1981, S. 10
(13) Ebda, S. 7
(14) Theodor W. Adorno, Stichworte. Kritische Modelle 2, Frankfurt am Main 1969, S. 44