Das Zensurgeschehen europäisiert sich

Canceln, verbieten, bestrafen

Das Spektrum von Zensurmaßnahmen hat sich in den vergangenen zehn Jahren beträchtlich erweitert und vertieft. Dabei spielt Berlin oft die Vorreiterrolle, auch Brüssel scheut sich nicht, verschärfende Vorgaben auf EU-Ebene zu machen.

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Mit Richterspruch und Strafbefehl: Kritiker der ukrainischen Rechten sollen mundtot gemacht werden.
Foto: Tim Reckmann Lizenz: CC BY 2.0 , Mehr Infos

Vor allem in Deutschland und Österreich ist das Canceln missliebiger Positionen weit verbreitet. Meistens geschieht es abseits offizieller behördlicher Eingriffe, indem einzelne Initiativen, sogenannte NGOs, die das „N“ in ihrem Akronym oft zu Unrecht tragen und staatliche Gelder abgreifen, sich lautstark gegen den Auftritt einer kritischen Stimme zu Wort melden. Dieser Vorgang wird dann von einzelnen Journalisten in Mainstream-Medien aufgegriffen, um kampagnenartig mit dem Ziel darüber zu berichten, die jeweilige Veranstaltung zu Fall zu bringen. Die davon betroffenen Themen nehmen zu und reichen von Diskussionen über Corona, den Ukrainekrieg, Palästina/Israel bis zu Migration. Zunehmend werden auch Stimmen einzelner Personen, die sich dem herrschenden Meinungsstrom entgegenstellen, gecancelt, egal, zu welchem Thema sie sich äußern. Die Folge: Der Diskursraum verengt sich.

Neben diesem gesellschaftlich-medialen Druck hat sich in Deutschland seit 2020 eine Wahrheitsbehörde in Form von „Medienanstalten“ zur Überwachung der digitalen Sphäre etabliert, über die noch zu reden sein wird. Als weiteres hartes Instrument im Zensurgeschehen rücken immer häufiger Gerichte aus, um in besagten Themenfeldern vom herrschenden Diskurs abweichende Narrative schlicht zu verbieten und ihre Verbreitung zu bestrafen.

Nazi-Symbole gerichtlich missbraucht

Ein jüngstes Beispiel für einen solchen Rechtsspruch, der eine Gegenerzählung – in diesem Fall zum Zustand der ukrainischen Armee – schlicht bestraft, stammt aus dem Amtsgericht Mühldorf am Inn, einer oberbayrischen Kreisstadt. Dort erging am 14. September 2023 ein Strafbefehl gegen den/die Nutzer/in des Accounts „Johanna Wagner“ auf der Plattform X (vormals Twitter). Einleitend heißt es: „Am 01.04.2023 um 18 Uhr 40 veröffentlichten Sie unter Verwendung Ihres Twitter-Accounts „Johanna Wagner“ (@johannawagner57) einen Tweet, der als Antwort an insgesamt fünf andere User gedacht war.“ Und dann gehts politisch in die Vollen: „Ihr Beitrag enthält ein Bild, das zwei Soldaten der ukrainischen Armee zeigt. Ein Soldat führt mit der rechten Hand den Hitlergruß aus. Zudem halten beide Soldaten eine Flagge in den ukrainischen Landesfarben in die Kamera, welche ein Hakenkreuz enthält. Das Bild kommentieren Sie mit den Worten ‚Salva Ukrajini!‘“ (soll wohl heißen: Slawa Ukrajini, d.A.). In der Folge führt das Amtsgericht unter dem Aktenzeichen Cs 510 Js 32559/23 aus, dass 18 Einzelbilder ähnlichen Inhalts auf dem Account zu sehen waren; sie reichten vom Hitlergruß über die ukrainische Wolfsangel bis zum Hakenkreuz. Weiter unten zitiert der Strafbefehl einen anderen Kommentar von „Johanna Wagner“, die einem Soldaten mit Hitlergruß sarkastisch die Worte „Dabei haben seine Freunde doch Waffen“ entgegenschleudert.

Der gesamte Aufbau des Accounts sowie die Kommentare lassen für Normalbegabte nur den Schluss zu, dass es sich dabei um Kritik an faschistischen Strukturen in der ukrainischen Armee handelt. Das Gericht in Mühldorf nimmt diese allerdings zum Anlass, dem Inhaber des Accounts die Verwendung gesetzlich verbotener faschistischer Symbole und Handlungen zu unterstellen und bestraft ihn/sie wegen des Zeigens von Nazi-Zeichen mit einer Geldstrafe in der Höhe von 7500.- Euro. Die Höhe ergibt sich daraus, dass der Account viele Tage online war. „Sie werden daher beschuldigt“, heißt es abschließend im Strafbefehl, „(…) durch eine selbstständige Handlung im Inland Kennzeichen einer der in § 86 Abs. 1 (…) bezeichneten Parteien oder Vereinigungen verbreitet (…) zu haben.“ Das ist dem Gericht nach „strafbar als Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen (…).“

Die Perfidie dieses richterlichen Spruches besteht in der Umdrehung der Absicht des/der Verurteilten. Diese bestand darin, faschistische Strukturen in der ukrainischen Armee sichtbar zu machen und damit öffentlich zu enttarnen. Aus einem antifaschistischen Bestreben machte das Amtsgericht Mühldorf eine faschistische Tat. Der Aufdecker verbotener Handlungen wurde verurteilt, indem der Richter ihm unterstellte, Nazi-Symbole gutzuheißen. Dass diejenigen, die tatsächlich Hakenkreuz und Hitlergruß zeigten, von der deutschen Politik als Verbündete gegen Russland betrachtet werden, setzt dem Ganzen eine schauerliche geopolitische Krone auf.

Ob das Amtsgericht Mühldorf sich der Wirkungen des Strafbefehls bewusst oder schlicht in Ahnungslosigkeit gefangen ist, spielt für die Folgen des Urteils keine Rolle. Neben dem unmittelbaren Schaden für die verurteilte Person sind zwei weitreichende Konsequenzen absehbar. Zum einen ist ein Präzedenzfall geschaffen, der es künftig möglich macht, Nazi-Strukturen in befreundeten Ländern bei Androhung von Strafen zu tabuisieren. Konkret sollen Kritiker der ukrainischen Rechten mundtot gemacht werden. Die zweite Konsequenz scheint mindestens ebenso tiefgreifend. Dabei handelt es sich um den Kampf der Europäischen Union gegen missliebige Meinungen. Dieser hat mit dem „Digital Services Act“ vom November 2022 einen neuen Höhepunkt erreicht: Die großen digitalen Plattformen werden damit gezwungen, Hassrede – wer immer diese als solche definiert – und Falschmeldungen vom Netz zu nehmen. Aktuell steht dabei vor allem „X“ im Visier Brüssels, weil sich sein Besitzer Elon Musk ziert, den EU-Vorgaben zu folgen. Der Mühldorfer Richterspruch gibt der Europäischen Union politische Munition gegen den unwilligen Multimilliardär in die Hand. Es kann nun behauptet werden, dass auf „X“ Nazi-Symbole verbreitet werden, mehr noch: dass dazu ein Urteilsspruch eines deutschen Gerichts vorliegt.

Weiterlesen:

Dieser Artikel ist Teil eines längeren Beitrages von Hannes Hofbauer aus Hintergrund – Das Nachrichtenmagazin 1|2 / 2024. Sie können das Heft bestellen – HIER oder im Handel kaufen – HIER.

 

Von Hannes Hofbauer ist zum Thema erschienen: „Zensur. Publikationsverbote im Spiegel der Geschichte. Vom kirchlichen Index zur YouTube-Löschung“. Wien, Promedia Verlag 2022.

 

 

 

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