Pressefreiheit

Zensur gegen den Machtverlust

Parallel zur Erfindung des Buchdrucks mit bewegten Lettern entstand Ende des 15. Jahrhunderts die Zensur. Seitdem hat sich die Medienlandschaft verändert, das Publikum vergrößert und die Technik modernisiert. Die Zensur ist geblieben. Auch und gerade im digitalen Zeitalter, in dem mittlerweile große Konzerne in enger Abstimmung mit den Regierungen die Aufgabe der Meinungskontrolle übernommen haben. Wer nicht bei Facebook, Twitter oder Google vorkommt, durch den Algorithmus oder sogenannte Faktenchecker aussortiert wird, der hat es schwer. Aber Zensur ist immer auch ein Ausdruck bröckelnder Macht, meint Hannes Hofbauer. Er hat eine Geschichte der Zensur bis in die Gegenwart vorgelegt. Eine Rezension.

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Demonstration gegen Internetzensur im Jahr 2009.
Foto: zensursula Lizenz: CC by , Mehr Infos

Wer zensiert hat Angst. Vor anderen Meinungen, der Opposition, dem Protest. Wer zensiert steht auf wackeligen Beinen. Hat Selbstzweifel. Ist sich seiner nicht gewiss. Denn wer mit beiden Beinen auf festem Boden steht, braucht keine Zensur. Wer sich nicht angreifbar fühlt, wer der Kritik kontern kann, muss sich nicht wehren. Das war schon immer so. Seit die Zensur parallel mit der Erfindung des Drucks mit beweglichen Lettern, also dem Buchdruck, die Bühne der Geschichte betrat, wehrt sie ab. Eine andere Sicht auf Gott und die Welt. Eine andere Sicht auf Staat und Regierung. Eine andere Sicht auf Wirtschaft und Gesellschaft.

Die Geschichte der Zensur ist eine Geschichte der Verbote. Sie zieht sich in den vergangenen gut 500 Jahren durch die Zeit. Jeweils auf ihre Weise und jeweils gegen die konkreten anderen Stimmen hat die Zensur versucht, das Alte zu bewahren, andere Stimmen mundtot zu machen, Flugblätter, Bücher und Zeitungen zu verbieten und mittlerweile auch Websites und Social-Media-Kanäle verschwinden zu lassen. Was einst mit dem Index der verbotenen Bücher formalisiert wurde, ist mit dem Verbot russischer Sender auf dem Gebiet der EU noch lange nicht abgeschlossen.

Damit befasst sich das neue Buch von Hannes Hofbauer. Es heißt schlicht „Zensur“ und bietet einen einführenden Überblick. Etwa die Hälfte des Buches widmet sich dem analogen, der Rest dem digitalen Zeitalter. Hofbauer beginnt mit der Entstehung der formellen Zensur im 16. Jahrhundert, als im Zuge der Reformation die Vorzensur obligatorisch wurde. Sie richtete sich zunächst gegen religiöse Schriften. Schon in der Frühzeit der deutschen Zensurgeschichte wurde deutlich, dass sie oftmals wenig effektiv war – aus Sicht derer, die Schriften verboten sehen wollten. Denn: Was in einem Fürstentum verboten war, konnte im anderen verbreitet werden. Und über die Grenzen geschafft.

Ebenfalls eine Grundregel der Zensurgeschichte: Wurden die Anhänger der Reformation zu Beginn verfolgt, taten sie dasselbe, als sie in einigen deutschen Staaten konfessionell das Sagen hatten und an der Seite der Fürsten standen. Die Folgen der Zensur waren teils massiv, ob sie nun katholisch oder protestantisch ausgerichtet war. Einige Drucker wurden hingerichtet. So wie Johann Herrgott, der Thomas Müntzer und Martin Luther nachdruckte und eine sozialrevolutionäre Schrift mit dem Titel „Von der neuen Wandlung eines christlichen Lebens“ herausbrachte. Wer für die Gleichheit aller Menschen eintrat, landete 1527 auf dem Scheiterhaufen.

Kampf gegen die jeweilige Opposition

Nach (und neben) der Kirche übernahm der Staat. In Frankfurt und Leipzig, den beiden wichtigsten Umschlagorten für Druckwerke im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, entstanden Bücherkommissionen. Sie waren nicht für die Vor- sondern die Nachzensur zuständig. Denn wo die meisten Werke gedruckt werden konnten – irgendein Zensor in einem Kleinstaat fand sich meist, ansonsten gab es auch die Möglichkeit des gleichwohl gefährlichen anonymen Drucks und Vertriebs ganz ohne Vorabkontrolle – da musste notfalls konfisziert werden. Ohnehin ist die Zensur viel mehr als die reine Vorzensur, die Schriften vor dem Druck prüft, ändern lässt oder gleich ganz verbietet. Dies war schon immer so und hat sich heute nicht geändert. Auch die Selbstzensur, die Selbsteinschränkung aus Gründen des Selbstschutzes, gehört ins weitere Feld der Zensur. Hofbauer weist zurecht darauf hin.

Viele bedeutende Köpfe der Aufklärung, der Philosophie und der Literatur mussten mit der Zensur umgehen. Hofbauer nennt unter anderen Kant, Fichte, Marx und Heine. Wesentlich dramatischer als die Genannten traf es Johann Philipp Palm, den „Märtyrer der Pressefreiheit“. Der Buchhändler Palm wurde für die Verbreitung der Broschüre „Deutschland in seiner tiefen Erniedrigung“ 1806 hingerichtet – gemeint war die Niederlage gegen Napoleon, den „gallischen Freiheitsschwindler“. Palm hatte sich geweigert, den Autor der Schrift zu nennen. Auch wegen des radikalen Vorgehens gegen den Buchdrucker formierte sich eine publizistische Front gegen die französische Besatzung. Das Herz der deutschen Intellektuellen, das noch nach der Französischen Revolution zumindest teilweise für Frankreich schlug, konnte Napoleon nicht gewinnen.

Als die Sozialdemokratie Ende des 19. Jahrhunderts mit der Industrialisierung immer stärker wurde, geriet sie und ihre Presse vornehmlich in den Fokus der Zensur. Zeitungen wurden verboten, sie mussten über Umwege und geheime Pfade ins Land gebracht werden. Auch nach Ende der Sozialistengesetze 1890 wurden weiterhin proletarische Zeitungen verboten. So wurden beispielsweise etwa die Hälfte der Exemplare der Arbeiter-Zeitung beschlagnahmt, die zwischen 1889 und 1894 erschien.

Die wortmächtigen Gegner der Mächtigen blieben im Fokus der Zensur. Sozialisten, Kommunisten, Anarchisten und im Ersten Weltkrieg dann Kriegsgegner wie Rosa Luxemburg, Hermann Duncker, Hugo Eberlein und Wilhelm Pieck. In Österreich wurden viele Ausgaben der „Fackel“ von Karl Kraus beschlagnahmt. Nach der Revolution folgte in der Weimarer Republik eine relativ freie Zeit, allerdings auch eine Zeit neuer Medien. Der Film kam auf. Und mit ihm die Filmzensur. Unsittliche Filme, später auch politische, durften nicht gezeigt werden. Unter den Nazis schon gar nicht. Hofbauer nennt deren Politik einen „Versuch, Kultur und Kommunikation […] auf völlig neue, vom deutschen Rassenwahn getragene Beine zu stellen“. Die Nazis übten mehr als Zensur aus. Sie betrieben offensive Meinungslenkung.

Nach dem Zweiten Weltkrieg blieb die Zensur auf der Tagesordnung – den Verfassungen beider deutscher Staaten zum Trotz. Verboten wurde Unsittliches, Linksextremes oder – jenseits von Stacheldraht und Mauer – was den vorgeblich sozialistischen Staat angriff. Geholfen hat das nicht. Wie so oft in der Zensurgeschichte fanden oppositionelle Meinungen auch in der DDR Verbreitungswege, wurden teilweise im Westen gedruckt und im Osten rezipiert. Oppositionelle Schriften gehörten schließlich zu den Grundlagen für den Umsturz des Jahres 1989.

Der digitale Raum

Zensur und Publikationsverbote sind, so schreibt es Hannes Hofbauer schon in seiner Einleitung, immer auch ein Zeichen dafür, dass die Macht bröckelt und damit „ab einem gewissen Kickpunkt nur mehr Zeichen der Schwäche“. Allerdings sei es schwer zu erkennen, wann dieser Punkt erreicht ist. Ein Indiz in seinen Augen: Heute basteln Regierungskritiker bereits an eigenen Servern, versuchen die Grenzen dessen zu sprengen, was die aktuelle Infrastruktur der Kommunikation bietet. Denn die Arbeit der Digitalkonzerne gegen freie Meinungsäußerungen, allen voran Facebook und Google/Youtube, ist der Ausdruck der Zensur in der heutigen Zeit.

Zensiert wird der geopolitische Gegner, also vor allem Russland und seine Medien. Zensiert werden andere Meinungen und wissenschaftliche Erkenntnisse, die der Regierungsauffassung widersprechen, was vor allem in den vergangenen zwei Jahren besonders zu beobachten war. Für die EU agiert die „Task Force gegen Desinformation“, die seit Februar 2015 akribisch genau dokumentiert, welche vorgeblichen Fake News insbesondere von russischer Seite verbreitet werden. Bis Mai 2022 listet sie knapp14.000 Fälle vorgeblicher Desinformation auf.

In Deutschland hat das Netzwerkdurchsetzungsgesetz hohe Wellen geschlagen, als es 2017 in Kraft getreten ist. Laut Hofbauer hat es vor allem als Anstoß fungiert, denn die großen Monopolisten zensieren mittlerweile alle selbst. Sie nennen es nur nicht so. Sie verstecken Beiträge, checken angeblich neutral Fakten (und die Checker werden unter anderem von großen Konzernen und Stiftungen bezahlt). Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz hat vor allem Drohpotential im Hintergrund. Und während es zu Anfang noch Einwände gegen die Privatisierung der Publikationskontrolle gegeben hatte, die bis in den Mainstream reichten, ist es von dieser Seite mittlerweile still geworden. Es geht ja gegen Fake News und die Konkurrenz im Internet. Gegen Fake News sind alle und die Konkurrenz stört die Medien.

Während die großen Konzerne ihre Angebote mit Monopolcharakter wie Facebook, Twitter oder Instagram also selbst kontrollieren, kümmert sich der Staat um oppositionelle Websites. Der Medienstaatsvertrag, der seit November 2020 für die digitale Welt gilt, richtet sich eindeutig gegen reichweitenstarke Portale wie Rubikon oder KenFM, die bereits beide eine Abmahnung erhielten. Während die Presse mit ihren Onlineangeboten durch ihr Selbstkontrollorgan „Presserat“ und der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk mit seinen angeblich unabhängigen und mindestens ebenso angeblich demokratisch verfassten Räten unbehelligt bleiben, nehmen die Landesmedienanstalten ihre neue Aufgabe als eine Art Wahrheitsministerium für das Internet gründlich wahr. Sie monieren angebliche Fake News. Allerdings waren unter den abgemahnten Texten Kommentare, also gerade solche, die nicht unter das Gesetz fallen sollen.

Meinungsmonopol

KenFM ist dadurch aber vor allem durch die Sperre seines Kanals auf Youtube – die Zahl der Abonnenten war dort größer als die der meisten öffentlich-rechtlichen Sender – niedergerungen worden. Übrigens ohne Protest von links. Die linken Zeitungen Neues Deutschland oder Junge Welt überzogen ihrerseits das Portal mit Häme und unterschieden sich nicht vom Mainstream. Wie kurzsichtig, denn am Ende wird keiner mehr da sein, der die Zensur der abweichenden Meinungen anprangert. Und gegen den Mainstream stellen sich auch die genannten Blätter. Zumindest meinen sie das.

Die digitale Zensur gegen den Meinungsführer der Internet-Gegenöffentlichkeit hatte vorerst Erfolg, der KenFM-Nachfolger Apolut hat bislang die Reichweite bei weitem noch nicht erreicht. Auch die Angebote von RT DE werden derzeit vom Publikum ferngehalten. Die Hintertüren, die es wie immer in der Zensurgeschichte auch hier gibt, werden vor allem die technisch Versierten finden.

Zensur gegen Russland und Zensur gegen andere wissenschaftliche Erkenntnisse als offiziell genehm. Das sind die beiden Hauptgegner der aktuellen Meinungskontrolleure. Dass sie dabei Flankenschutz von Wissenschaftlern bekommen, die dem Narrativ des Mainstreams folgen, ihn sogar selbst bestimmen wie beispielsweise Christian Drosten, verwundert nicht. Und so inserierte eine Gruppe von Ärzten im Mai 2020 in der New York Times, brachte ihre Sorge wegen Fehlinformationen – gemeint waren Meinungen, die von ihren abwichen – auf den Plattformen der Internetmonopolisten zum Ausdruck und forderten diese ganz offen zur Zensur auf, schreibt Hannes Hofbauer. Es stellt sich die Frage, wer eine solch teure Anzeige in einer der weltweit meinungsführenden Zeitungen bezahlt hat. Leider beantwortet er sie nicht.

Geld ist ohnehin ein weites Feld, haben doch in der Corona-Zeit gerade die staatlichen Stellen in der ach so unabhängigen Presse inseriert, die dann zufälligerweise genau das Narrativ bediente, das die großformatigen Anzeigen von Bundesgesundheitsministerium oder Robert-Koch-Institut zwischen den Artikeln ebenfalls transportierten. Meinungskontrolle hat verschiedene Ausprägungen. Das war schon immer so und ist heute nicht anders. Da die Geschichte aber eben auch zeigt, dass die Zensur überwunden werden kann, ist nicht alles verloren. Auf die Versuche der Gegenöffentlichkeit, unabhängiger zu werden, habe ich in Anlehnung an Hannes Hofbauer bereits hingewiesen. Sein Streifzug durch über 500 Jahre Zensurgeschichte endet dadurch erstaunlich positiv. Nicht nur deshalb ist das Buch in jedem Fall zu empfehlen.

Hannes Hofbauer: Zensur. Publikationsverbote im Spiegel der Geschichte. Vom kirchlichen Index zur YouTube-Löschung, Wien: Promedia Verlag, 2022, 248 Seiten, 19,90 Euro

Einen Auszug aus dem Kapitel zur Zensur im digitalen Zeitalter haben wir im April veröffentlicht.
Einen ausführlichen Auszug finden Sie auch im Magazin Multipolar.

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Der Autor

Helge Buttkereit, geboren 1976, hat Geschichte, Politikwissenschaft und Journalistik studiert und 2003 seine Abschlussarbeit zum Thema Zensur und Öffentlichkeit am Anfang des 19. Jahrhunderts geschrieben. Nach journalistischen Tätigkeiten bei verschiedenen Medien und Buchveröffentlichungen über die Neue Linke in Lateinamerika arbeitet er aktuell in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit.

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