Krise der Linken

Sachlichkeit in die Debatte bringen

Der Mitbegründer von Attac Deutschland und Friedensaktivist Peter Wahl erklärt die Verwerfungen in der politischen Linken. Er klärt über Geopolitik auf und argumentiert gegen den Moralismus der Politik, denn nur so könne eine Friedensperspektive eröffnet werden. Teil sechs unserer losen Rezensionsreihe zur Krise der Linken.

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Zur Kundgebung in Berlin im November 2023 hatte unter anderem die Linkspartei aufgerufen.
Foto: Tilo Gräser, Mehr Infos

In Kriegszeiten liegt die Aufgabe der politischen Linken auf der Hand. Eigentlich. Peter Wahl fasst sie am Ende seiner Flugschrift „Der Krieg und die Linke“ zusammen:

Ihre Aufgabe ist es, der Militarisierung der Gesellschaft, der Aufrüstung und den Großmachtambitionen des herrschenden Blocks entgegenzutreten. Dazu gehört auch, dämonisierende Feindbilder zu bekämpfen, die erst Kriegsbereitschaft erzeugen. (S. 96)

Was eigentlich banal klingt, zumindest wenn man die Maßstäbe bis Anfang der 1990er Jahre ansetzt, muss mittlerweile explizit geschrieben werden. Denn es gehört zur fundamentalen Krise der politischen Linken, dass sie keine eindeutige Position in der Kriegsfrage hat. Anders gesagt: Viele vermeintliche Linke haben sich bereits beim Irakkrieg 1991, andere im Kosovokrieg 1999, weitere nach dem 11. September 2001 oder noch mehr im Konflikt um die Ukraine seit 2014 von der Friedensfront abgemeldet. Sie sind mittlerweile Bellizisten.

Peter Wahl ist ein Streiter für den Frieden geblieben. Sein gut lesbares Buch über die linke Geschichte und die Friedenspolitik, die Geopolitik und insbesondere die aktuellen Herausforderungen kann als Hilfestellung in verwirrenden Zeiten dienen, in denen „die Kategorien links und rechts durcheinandergeraten zu sein scheinen“. (S. 8) Dabei scheint es, dass der Einmarsch Russlands in die Ukraine im Februar 2022 einer ohnehin gespaltenen bundesdeutschen Linken endgültig den Todesstoß gegeben hat. Hierfür nur ein Beispiel von einer Attac-Mailingliste, auf der ein (ungenanntes) langjähriges Mitglied der deutschen Attac-Führung im Februar 2022 schrieb: „Jede Panzerfaust, die in der Ukraine einen russischen Panzer trifft, ist eine gute Panzerfaust.“ (S. 10)

Eine Linke, die die Panzerfaust zu lieben lernte, braucht kein Mensch. Sie ist nicht mehr anschlussfähig zu den Resten der Friedensbewegung, die es auch in Deutschland noch gibt, die aber ein eher tristes Dasein fristet. Sie versucht, Menschen auf die Straße zu bekommen und grenzt sich meist gleichzeitig von denen ab, die aus der Mahnwachenbewegung nach dem Maidan-Putsch oder aus der Corona-Maßnahmenkritik stammen. Annäherungen gab es, mittlerweile vielleicht am deutlichsten zu erkennen im Umfeld des Bündnisses Sahra Wagenknecht, das aber nach Veröffentlichung von Wahls Buch gegründet wurde.

Angesichts einer Unkenntnis über Geopolitik in der Linken und dem Fehlen eigenständiger Analysen stellt sich der Autor an die Seite derer, die eine „intellektuelle Gegenmacht gegen Bellizismus und Krieg“ aufbauen wollen. Einen kleinen Teil der Aufklärung dafür kann das vorliegende Buch leisten. Wahl stellt dabei zunächst generelle Erfahrungen der politischen Linken mit dem Krieg vor, denn bereits vor dem Ersten Weltkrieg schienen die Parteien der Arbeiterbewegung zunächst für die Kriegsbegeisterung immun – nicht nur in Deutschland die SPD. Dass sie dann quasi mit wehenden Fahnen an die Seite der Herrschenden wechselten und in großen Teilen für den Krieg eintraten, ist eine der einschneidenden Erfahrungen der linken Geschichte. Wichtig ist dabei die Erkenntnis, so Wahl, dass Organisationen der Linken „unter dem Konformitätsdruck des politischen Systems anfälliger [sind] als ihre Basis und die subalternen Klassen generell“.(S. 16) Auch die Linke konnte sich nicht dem Wahrheitsregime entziehen, das Massenmedien und Multiplikatoren errichtet hatte – was 1914 galt, scheint heute umso stärker wirksam.

Um überhaupt vernünftig für den Frieden einstehen zu können, braucht es Sachverstand. Über die Geschichte wie die Gegenwart und über Krieg und Frieden an sich. Kenntnisse über Atomwaffen, Raketen, Abschreckung, Erst- und Zweitschlagfähigkeit inklusive. Es genüge nicht, die Welt verändern zu wollen, schreibt Wahl, man müsse sie auch richtig interpretieren (S. 22). Dafür liefert seine kurze Darstellung der Geopolitik auf 25 Seiten eine gute Grundlage, denn es gelingt ihm, auf diesen wenigen Seiten die wichtigsten Aspekte für die Frage von Krieg und Frieden nebst den wichtigsten Akteuren der Geopolitik abzuhandeln. Wahl schaut auf die USA, Russland, China und die EU, und er macht deutlich, dass es unabdingbar ist, sich Zusammenhänge anzuschauen.

Wenn die Ausblendung des geopolitischen Kontextes des Krieges beim offiziellen Bellizismus folgerichtig ist – alles andere würde die Moral an der Heimatfront untergraben, so ist es eine intellektuelle Bankrotterklärung, wenn Linke das tun. (S. 25)

Wahl betrachtet die Entwicklung hin zu einer multipolaren Ordnung. Er stellt die besondere Bedeutung der USA für den Weltfrieden heraus, erläutert die Stärke Chinas, die insbesondere in der beachtlichen Soft Power im Globalen Süden bestehe, betrachtet die begrenzten Handlungsoptionen Russlands im internationalen System und erklärt, warum die EU kaum mehr ist als subalterner Juniorpartner der USA.

Das BRICS-Bündnis sieht er als Teil der Transformation zur Multipolarität. Die Transformation ist dabei in seinen Augen „ein Schritt zur Demokratisierung des internationalen Systems, ein Schritt zur Selbstermächtigung, der einigen Akteuren Stimme und Einfluss gibt, die sie bisher nicht hatten“. (S. 47) Es sei ein Schritt nach vorne, beispielsweise wenn die BRICS-Staaten erklären, die UN-Charta in das Zentrum einer neuen Weltordnung zu stellen. Eine linke Außenpolitik müsste dazu, so Wahl, eine „eingriffsfähige Position“ erarbeiten. Dabei ist die Linke weit weg davon, überhaupt irgendwo eingreifen zu können, was eben auch mit ihrer fehlenden Fähigkeit zur realistischen Analyse zusammenhängt. Peter Wahl zeigt, dass es auch anders geht und liefert nach der generellen Analyse der Geopolitik auch noch eine gute Zusammenfassung der Grundlage für die aktuellen Konflikte sowohl in der Ukraine als auch in Israel.

Viele Linke hingegen verlieren sich im Moralischen. Besonders gut zu sehen war dies vor genau einem Jahr, als Sahra Wagenknecht gemeinsam mit Alice Schwarzer ein Manifest für Frieden auf den Weg brachte. Statt über den Inhalt zu diskutieren, wurde den Initiatorinnen die Billigung von Vergewaltigungen und anderen Kriegsverbrechen vorgehalten – auch und gerade aus dem weiten Feld der politischen Linken.

Aber emanzipatorische Friedenspolitik kann nicht auf Wut und Empörung gründen. Hass und Rache rufen wiederum Hass und Rache hervor und schaukeln sich so wechselseitig immer höher. Und Hass macht blind. (S. 62)

Wer sich auf die Moral zurückzieht, hat es einfach, er analysiert nicht, sondern urteilt und verurteilt, so Wahl (S. 65). Ein besonders drastisches Beispiel dafür liefert er mit einem Zitat von Matthias Döpfner, der sich letztlich gegen jegliches Verstehen der Handlungen der Hamas wendet. Es dürfe kein Verständnis geben, so Döpfner Ende Oktober vergangenen Jahres in der Bild am Sonntag. Peter Wahl hält dagegen:

Hier wird Moral zur Waffe gegen Denken und Verstehen überhaupt, es zählen nur Gefühle, die man ertragen kann – oder nicht. Das ist Obskurantismus pur und die Liquidierung von Aufklärung und Rationalität. (S. 66)

Wahl macht deutlich, dass es mit dem allgemeinen Moralismus keinen Frieden geben kann, sein Buch ist aktuell, weil er den Beginn der aktuellen Auseinandersetzungen zwischen Israel und der Hamas mit einbeziehen konnte. Er konfrontiert er die Moralisten dabei auch mit der Frage, wie sie das massenhafte Sterben (der anderen, in diesem Fall der Ukrainer) im Krieg moralisch vertreten können? Und er weist auf den Maximalismus der Bellizisten hin, die Gerechtigkeit um jeden Preis fordern – auch wenn die Welt darüber zugrunde ginge.

Damit es dazu nicht kommt, braucht es wieder eine politische Linke, die für den Frieden und nicht für den Krieg einsteht, die sachlich argumentiert und sich von den Vereinfachungen des Mainstreams nicht kirre machen lässt. Eine Linke, die, wie zu Beginn zitiert, der Militarisierung der Gesellschaft entgegentritt, den Internationalismus als internationales Bündnis der Lohnabhängigen versteht und nicht als Beglückung anderer Länder mit vermeintlicher Demokratie von außen. Peter Wahls Buch ist ein gelungener Versuch, solch eine Linke zu adressieren und ihr eine Basis für die aktuellen Auseinandersetzungen zu geben. Klar dürfte sein: Wenn sich eine solche Linke wieder formiert, dann jenseits der bisherigen ausgetretenen Pfade, die sie erst zur heutigen Misere geführt hat.

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Peter Wahl, Der Krieg und die Linken. Bellizistische Narrative, Kriegsschuld-Debatten und Kompromiss-Frieden, VSA-Verlag, 97 Seiten, 10 Euro (Bestellen bei den Buchkomplizen)

Die politische Linke in der Krise – Rezensionen

Teil 1: Artur Becker, Links, Westend 2022
Teil 2: Göran Therborn, Die Linke im 21. Jahrhundert, VSA 2023
Teil 3: Sven Brajer, Die (Selbst)Zerstörung der deutschen Linken, Promedia 2023
Teil 4: Żaklin Nastić, Aus die Maus, Das Neue Berlin 2023
Teil 5: Lukas Meisner, Medienkritik ist links, Das Neue Berlin 2023
Teil 6: Peter Wahl, Der Krieg und die Linken, VSA 2023

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