Die Rolle der Rüstungswirtschaft
Der Begriff „Militarisierung“ der Gesellschaft ist aus der Mode gekommen. Ebenso über die strukturierende Rolle der Rüstungswirtschaft zu sprechen. Fred Schumacher tut es in seinem aktuellen Buch. Lothar Schröter stellt es vor.
Gesine Lötzsch, langjährige verdienstvolle Abgeordnete DER LINKEN im Bundestag, beklagt mit vollem Recht in ihrem Vorwort:
Wenn man sich die Aufträge an die Rüstungsindustrie anschaut, dann weiß man, wo das Geld (aus dem Bundeshaushalt – L.S.) landet – bei Rheinmetall und den anderen Rüstungskonzernen.
Der Begriff „Militarisierung“ der Gesellschaft scheint in Gesamtdeutschland aus der Mode gekommen zu sein. Dabei hat Militarisierung zu allerletzt etwas mit Stechschritt, Paraden mit klingendem Spiel durchs Brandenburger Tor oder Uniformanbetung zu tun. Militarisierung bedeutet in erster Linie Gleichschaltung in den Köpfen in Richtung „Kriegstüchtigkeit“ – ein klares und militantes Feindbild in Richtung Osten und Fernost, einen explodierenden Militärhaushalt und Aufrüstung: koste es, was es wolle.
Kanonen statt Butter!
Und erst recht ist es aus der Mode gekommen, über die im modernen Kapitalismus strukturierende Rolle der Rüstungswirtschaft zu sprechen. Oder gar zu forschen und die Ergebnisse dieser Forschungen bewusstseinsbildend breit in der Öffentlichkeit vorzustellen. Das nämlich würde den Menschen nur zu klar vor Augen führen, was Jean Jaurès zu der gewalttätigen und chaotischen kapitalistischen Gesellschaft sagte. Dass diese „selbst wenn sie sich in einem Zustand scheinbarer Ruhe befindet, den Krieg in sich (trägt), wie eine schlafende Wolke das Gewitter trägt.“ Nicht umsonst wurden doch nach 1989/90 die marxistischen Gesellschaftswissenschaften, darunter auch die politische Ökonomie, zielklar und mit kaum zu überbietender Konsequenz aus der Forschungs- und Universitätslandschaft Gesamtdeutschlands ausgeschaltet. Artikel 5 Grundgesetz hin oder her.
Schumacher, seit Jahrzehnten Aktivist in der antifaschistischen und Friedensbewegung, bäumt sich dagegen auf. Mit einem Buch, dessen aufklärerisches Gewicht seine gut neun Dutzend Seiten weit übersteigt. Er nimmt sich die Düsseldorfer Rheinmetall AG als den größten und profitträchtigsten deutschen Rüstungskonzern vor. Auf dessen Internetseite gibt Rheinmetall – bei einem Jahresumsatz von 7,2 Milliarden Euro – das „operative Ergebnis“, hinter dem sich der Profit verbirgt, mit 918 Millionen Euro an, was einer Marge von knapp 13 Prozent entspricht. Zum Vergleich: Die durchschnittliche Umsatzrendite aller Unternehmen des deutschen Mittelstandes im Jahr 2022 betrug 7 Prozent. Deswegen schoss die Dividende der Düsseldorfer Händler des Todes zwischen 2014 und 2023 von 30 Cent pro Aktie auf 5,70 Euro. Für 2027 rechnen die Rüstungsprofiteure mit über 19 Euro.
Schumacher steigt tief in die ebenso blutbefleckte wie skandalträchtige Geschichte des 1899 gegründeten Unternehmens ein. Besonderes Augenmerk richtet er auf dessen Verquickung mit dem Hitlerfaschismus und die Mitschuld der damaligen Rheinmetall-Borsig AG an den Aggressionskriegen Nazideutschlands, aber auch auf die Beteiligung des Konzerns am brutalen Zwangsarbeitersystem, das bis 1945 in der „Vernichtung durch Arbeit“ gipfelte. Die Verantwortlichen werden mit Namen und Hausnummer genannt. Dies auch für die Zeit ihrer Schonung durch die Westmächte nach 1945 in deren Kalten Krieg. Es folgt ein tour d‘horizon zum profitträchtigen Wiederaufstieg des Düsseldorfer Rüstungskonzerns, belastet mit zahlreichen und für derartige Unternehmen durchaus kennzeichnenden massiven Vorwürfen der Korruption. Den bisherigen Höhepunkt, den Schumacher detailliert beschreibt, erreichte Rheinmetall mit dem 2014 von Kiew ausgelösten Ukrainekrieg, in dem auch namhafte westliche Politiker, Militärs und Wissenschaftler einen Stellvertreterkrieg der NATO gegen Russland sehen.
Ein besonderes Verdienst Schumachers besteht darin, mit Nachdruck das für den modernen Imperialismus typische, aber auch gesellschaftsprägende Phänomen des Militärisch-Industriellen Komplexes (MIK) in Erinnerung zu rufen. Also der „Verschmelzung der Macht und der Interessen des Rüstungskapitals mit denen der Militärhierarchie und der Staatsbürokratie zu einem festgefügten Machtkomplex“. Umfangreiche Untersuchungen und Publikationen gab es dazu in der DDR und durch die marxistische Friedensforschung in Westdeutschland, was dazu führte, dass die fundamentale Kritik am MIK, darunter auch dem in der BRD, zu einem mächtigen Fels in der prinzipiellen Kritik an der kapitalistischen gesellschaftlichen Ordnung wurde. Den Vertretern des MIK ist es gelungen, dies weitgehend zu neutralisieren. Um so wichtiger ist es, hier entschieden entgegenzusteuern, wie es Schumacher unternimmt. Darunter auch mit Namen wie CSU-Pfahls, FDP-Niebel, SPD-Gabriel oder CDU-Merz (über Black Rock); FDP-Strack-Zimmermann ist gedacht mit dabei.
Ein außerordentlich wichtiges Buch zum richtigen Zeitpunkt – allerdings auch zu einem der gefährlichsten seit 1945.
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Fred Schumacher, “Waffen für die Welt. Rheinmetall und das Geschäft mit dem Krieg”, Verlag Das Neue Berlin, Berlin 2024, 112 S., 10,00 Euro
“‘Zeitenwende’ bringt Rheinmetall größten Einzelauftrag in 135 Jahren Unternehmensgeschichte” – Ein Auszug aus Fred Schumachers Buch