Kulturindustrie

Nazis go to Hollywood

Das ukrainische Kino ist von den Narrativen des Bandera-Faschismus geprägt. Sie propagieren den totalen Krieg gegen Russland und Heldentod für alle. NATO-Strategen und die Traumfabrik der USA liefern die nötige Inspiration.

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Rear view of Hollywood Sign Overlooking Hollywoodland and Hollywood
Foto: Michael E. Arth; Quelle: Wikimedia; Lizenz: CC BY-SA 4.0, Mehr Infos

Packende Action-Szenen von den vordersten Frontlinien und emotional anrührende Soldaten-Porträts werden dem Zuschauer in dem fiktionalen Dokumentarfilm We Were Recruits geboten. Erzählt werden die Geschichten von einem 19-jährigen Rekruten mit dem Nom de Guerre »Journalist«, dargestellt von einem Schauspieler, der acht seiner Kameraden von der Grundausbildung bis zu ihren ersten Kampfeinsätzen begleitet.

Das Schema solcher Skript-Doku ist simpel, aber wirkungsvoll, weil sie persönliche Nähe zu den Protagonisten und intime Einblicke in deren Lebensalltag suggerieren. Lubomir Lewizkijs Produktion in Spielfilmlänge von 92 Minuten läuft in der Ukraine seit Mai 2024 in den Kinos und hatte bereits nach einem Monat den zweithöchsten Erlös eingespielt, den ein Dokumentarfilm in der Geschichte des Landes erzielen konnte. 1 Im Juli nahm Netflix sie in sein Angebot für das ukrainische Publikum auf, Ende August wurde sie für die nationale Oscar-Shortlist nominiert.

Eine der wichtigsten Zutaten des Erfolgsrezepts des Films dürfte sein, dass die porträtierten Männer dem derzeit berühmtesten Kampfverband der Ukraine angehören: Die 3. Sturmbrigade der ukrainischen Armee wurde zur Elite-Einheit aufgebaut, und kein Aufwand ist zu groß, um sie zu promoten und ihre Angehörigen als Lichtgestalten zu inszenieren. Und das obwohl – wahrscheinlich weil – sie aus der faschistischen Asow-Bewegung hervorgegangen ist und von Andrij Bilezkij, einem der berüchtigtsten Neonazis der Ukraine, kommandiert wird.

Der Stellvertreterkrieg gegen Russland macht’s möglich. Was der ukrainisch-kanadische Politikwissenschaftler Ivan Katchanovski (er hat mit Enthüllungen zum Maidan-Massaker 2014, die die ukrainischen Nationalisten schwer belasten, für Aufsehen gesorgt 2) als »orwellianisch« bezeichnet, 3 entwickelt sich für die Kulturindustrie der Ukraine und des verbündeten kollektiven Westens zum Trend: 2024 hatte mit 20 Tage in Mariupol von Mstislaw Tschernow bereits ein ukrainischer Propagandastreifen die höchste Auszeichnung als bester Dokumentarfilm erhalten, die die Branche zu vergeben hat. Am 2. März 2025 könnten im Dolby Theatre in Los Angeles mit der Verleihung eines Oscars an We Were Recruits auch darin als »die wahren Helden der Gegenwart« gepriesene Kräfte geehrt werden, die in der Tradition des Bandera-Flügels der »Organisation Ukrainischer Nationalisten« (OUN- B) – einst Hitler-Kollaborateure – stehen und in deren Truppenkennzeichen sich mit der Wolfsangel ein Symbol der Waffen-SS findet.

Heiligenschein für Mordbrenner

»Nazis go to Hollywood« heißt es vielleicht auch für Da Vinci, so der Kampfname von Dmitro Kotsiubailo, der titelgebend für einen Dokumentarfilm ist, der im September in die ukrainischen Kinos gekommen ist. Kotsiubailo war 2015 im Alter von 21 Jahren zum jüngsten Kommandeur einer Sturmkompanie des Ukrainischen Freiwilligenkorps des banderistischen »Rechten Sektors« ernannt worden, an der »Antiterroroperation« (ATO) gegen die aufständische russische Bevölkerung in der Ostukraine beteiligt und wurde 2021 von Präsident Wolodimir Selenskij als »Held der Ukraine« dekoriert. Als Kotsiubailo im März 2023 in der Schlacht bei Bachmut fiel, hat die Staatsführung auf dem Kiewer Maidan eine pompöse Trauerfeier für ihn organisiert. Was der Filmdoku, die ihm ein Denkmal setzen soll und unter anderem Interviews mit dem ehemaligen Oberbefehlshaber der ukrainischen Armee, Walerij Saluschnyj, enthält, einen besonderen Live-Charakter verleiht: Regisseur Wolodimir Sidko hat bisher unveröffentlichte Aufnahmen vom Kampfgeschehen aus Kotsiubailos Körperkamera sowie Videomaterial seiner Kameraden verwendet.

Bereits im Juli wurde von einer Abordnung der ukrainischen Regierung und der Werchowna Rada der Film Men of Steel von Serhij Fomenko 4 über die »tapferen Helden« von Asowstal und deren Kriegsgefangenschaft in Russland beim Europarat in Straßburg vorgestellt – in Anwesenheit des Präsidenten der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, Theodoros Rousopoulos, sowie Vertretern der Asow- Bewegung. 5 Mit einer Produktion aus der Serie Festung Mariupol gewann auch ein Dokumentarfilm den Hauptpreis des diesjährigen internationalen »Doc Kyiv Fests« im März, der die Asow-Brigade glorifiziert.

Die Lichtspielhäuser verhelfen der faschistischen Mordbrennerbande zum ersehnten Heiligenschein und Kontakt zur A-Prominenz von Politik und Gesellschaft. Anlässlich der Premiere des Films Glory to the Heroes von dem rechten Publizisten Bernard-Henri Lévy im Februar 2023 ließ sich Asow-Krieger Illia »Gandalf« Samoilenko – ein Holocaust-Leugner, wie unlängst der unabhängige Forscher Moss Robeson enthüllte 6 – in Paris unter anderem von François Hollande, Ex-Präsident Frankreichs, und der Bürgermeisterin der Seine-Metropole feiern.

Mit neuen Spielfilmproduktionen sollen Parallelen zwischen dem »Befreiungskampf« der Ukrainer gegen die Sowjetunion und dem Krieg gegen Russland heute aufgezeigt werden. In Der Weg der Generationen von Mihailo Ukhman, der vom ersten Jahr der ATO 2014 handelt und im Herbst 2023 in die Kinos kam, werden die Kämpfer des paramilitärischen Arms der OUN-B, der Ukrainischen Aufständischen Armee (U PA), als historische Vorbilder präsentiert. 7 Dass sie in den 1940er Jahren am Holocaust und Massenmord an Polen beteiligt waren, wird ausgeblendet – wie in der gesamten Erinnerungspolitik der Ukraine.

Solche Geschichtsklitterung, die die unheilige Allianz des ukrainischen Nationalismus mit Nazideutschland unterschlägt, ist nicht minder fester Bestandteil der Kriegspropaganda der OUN-B und ihrer Lobby im In- und Ausland als die Dämonisierung der Russen zum vom reinen Bösen beseelten ewigen Todfeind. Nicht selten sitzen die Geldgeber in den USA. Das gilt zum Beispiel für die Produktion The Undefeated von 2000 über den legendären UPA-Kommandeur Roman Schuchewitsch (der auch das ukrainische Bataillon »Nachtigall« der deutschen Wehrmacht befehligt hatte) von Oleksandr Jantschuk, der seit 2017 Vorsitzender der »Nationalen Vereinigung der Kinematografen« der Ukraine ist. Ebenso für dessen Drama Das Attentat. Ein Herbstmord in München 8 über den Giftanschlag des KGB auf Stepan Bandera, das bereits 1995 herauskam. Diese Projekte wurden vom »Ukrainian Congress Committee of America« – der Dachverband der ukrainischen Diaspora-Organisationen in den USA ist seit 1980 faktisch unter der Kontrolle der Banderisten – initiiert und maßgeblich mitfinanziert.

Kino für den totalen Krieg

Das nationalistische Kino der Ukraine dient der »Banderisierung« des Landes, wie sie der ehemalige Direktor des staatlichen »Ukrainischen Instituts für Nationale Erinnerung« und rechtsextreme »Gedächtniszar« der Ukraine, Wolodimir Wiatrowitsch, anstrebt und wie sie seit Jahrzehnten von Denkfabriken und Kulturinstitutionen in den USA und anderen westlichen Ländern gefördert wird. 9 Für die Hardliner ist das Nahziel solcher Kulturoffensiven, die Ukraine vollständig aus der Einflusszone Moskaus herauszubrechen, das Fernziel die Zerschlagung Russlands – für die Faschisten darüber hinaus die Errichtung einer Großukraine. Dafür soll ein totaler Krieg mit aktiver NATO-Beteiligung gegen Russland entfesselt werden.

Der Kinopropagandakrieg ist für diese Strategie unverzichtbar. Das Konzept der »totalen Verteidigung«, wie Nico Lange, Militäranalyst der Münchner Sicherheitskonferenz, und andere Advokaten der Bandera-Lobby diese Eskalationspolitik, in der die gesamte Zivilbevölkerung eingebunden wird, verbrämen, funktioniert nur mit der Unterstützung durch »professionelle Kreative«. Vor allem die Filmbranche ist gefragt, wenn es darum geht, die »effektiven Stories« mit »starken emotionalen Themen« zu liefern, die authentisch wirken und ein positives Image der ukrainischen Armee befördern, wie es in der Studie »How to beat Russia« verlangt wird, die Lange 2023 für die in der Slowakei ansässige transatlantische Denkfabrik Globsec verfasst hat. 10

In der gegenwärtigen brenzligen militärischen Lage für die Kiewer Truppen sollen die nationalistischen Filmschaffenden dabei helfen, Nachschub für die Fleischwölfe an der Donbass-Front anzuwerben. Genau das sieht Regisseur Lubomir Lewizkij als dringlichste Mission von We Were Recruits: »Ich kenne viele Leute, die sich entschlossen haben, einen Vertrag zu unterschreiben, nachdem sie den Film gesehen haben«, sagte er im Interview mit Ukrajinska Prawda. Für ebenso wichtig hält er die Eroberung des Kinopublikums im Westen. »Wenn wir die siegreichen Geschichten unserer neuen Helden nicht sofort in die ganze Welt tragen, werden wir einfach verlieren.« Strahlendes Vorbild ist für ihn die Traumfabrik in den Vereinigten Staaten: Sie produziere »reine Propaganda« fürs Militär, meint Lewizkij. »Ich sehe darin nichts Falsches. Die amerikanische Armee wurde von Hollywood erschaffen.« 11

Dieser Text ist der aktuellen Ausgabe 11/12 2024 unseres Magazins entnommen. Sie können das Heft im Bahnhofsbuchhandel, im gut sortierten Zeitungschriftenhandel und ausgewählten Lebensmittelgeschäften kaufen oder auf dieser Website (Abo oder Einzelheft) bestellen.

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SUSANN WITT-STAHL, geboren 1961, lebt und arbeitet als freie Journalistin und Autorin in Hamburg. Seit 2014 ist sie Chefredakteurin des Kulturmagazins Melodie & Rhythmus und schreibt u.a. für die Tageszeitung junge Welt. Arbeitsschwerpunkte: Prowestlicher Faschismus, Ideologiekritik der modernen Kriege, der Kulturindustrie und der imperialen Linken. Veröffentlichungen (Auswahl): „,Antifa heißt Luftangriff!ʼ“ Regression einer revolutionären Bewegung“ (Hg. mit Michael Sommer 2014); „Gegen Entfremdung. Lyriker der Emanzipation und streitbarer Intellektueller. Gespräche über Erich Fried“ (mit Moshe Zuckermann 2021); »Der Bandera-Komplex. Der ukrainische Faschismus – Geschichte, Funktion, Netzwerke“ (Hg. 2024).

1 ukrainefrontlines.com/discover-ukraine/movie/a-documentary-about-the-fighters-of-the-legendary-third- separate-assault-brigade-appears-on-netflix/
2 youtube.com/watch?v=z9o-XTOVDgA
3 x.com/I_Katchanovski/status/1829204640854094172
4 t.me/AzovstalFamilies/2688?single
5 rada.gov.ua/en/news/News/top_news/251339.html
6 mossrobeson.medium.com/gandalf-and-azov-2-0-dbcc1bbf0e95 9
7 wz.lviv.ua/news/498628-tobi-ne-soromno-shcho-tvii-cholovik-vdoma-koly-v-kraini-viina
8 imdb.com/title/tt2796402/
9 jungewelt.de/artikel/454683.erinnerungspolitik-banderisierung-der-ukraine.html
10 globsec.org/sites/default/files/2023-02/How%20to%20beat%20Russia%20by%20Nico%20Lange%20v7%20web.pdf 11 https://www.pravda.com.ua/rus/articles/2024/09/22/7476086/

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