Gemeinsam kämpfen, gemeinsam leben
Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.
Sie sind Israelis und glauben an einen gemeinsamen Widerstand mit der palästinensischen Bevölkerung gegen die Besatzungspolitik. Dafür überschreiten sie Grenzen und leben oft einsam. Der israelische Filmemacher Dror Dayon hat über sie eine Dokumentation gedreht. Klaus Petrus traf ihn anlässlich einer Vorführung des Films in Bern
Dror Dayan, in Ihrem Dokumentarfilm Even Though My Land is Burning erzählen Sie von israelischen Aktivisten, die in die Westbank fahren und zusammen mit Palästinensern gegen die Besatzung kämpfen. War es für Sie als Israeli schwierig, dort zu drehen?
Nein, eigentlich nicht. Früher war das wohl noch anders. Da musste man das Auto irgendwann stehen lassen, mit einem palästinensischen Taxi weiterfahren, dann frühzeitig aussteigen und womöglich noch zu Fuß über die Felder laufen. So wurde es mir jedenfalls berichtet. Das ist jetzt anders. Einmal bin ich für den Dreh mit einem Siedlerbus von Tel Aviv nach Nabi Salah gefahren, das ist jenes Dorf nordwestlich von Ramallah, in dem mein Film hauptsächlich spielt. Ich stieg bei der Siedlung Halamish, die direkt gegenüber Nabi Saleh liegt, aus, überquerte die Straße und ging hinüber zum Dorf. So einfach war das.
Keine Mauern, Zäune oder Checkpoints?
Nein. Aber das zeigt nur, dass die Besetzung des Westjordanlandes durch die Israelis immer unsichtbarer wird – zumindest in gewissen Regionen.
In Nabi Saleh gibt es wöchentliche Proteste. Warum gerade dort?
Vor einigen Jahren wurde die Wasserquelle des Dorfes durch die Siedlung Halamish beschlagnahmt. Das war der Auslöser. Im Grunde demonstrieren die Leute aber gegen die Besatzung als solche. Wie auch in Bil’in und Ni’lin und vielen anderen Dörfern, in denen ebenfalls Aktivisten aus Israel und anderen Ländern regelmäßig an Protesten teilnehmen.
Was treibt diese Aktivisten an?
Das hat unterschiedliche Gründe. Am Anfang war es der Kampf gegen die Mauer, welche die israelische Regierung im Sommer 2002 zu bauen begann. Damals gründeten sich die Anarchists Against the Wall. Das ist eine lose Gruppierung von Leuten, die auf direkte Aktionen setzt und sich schon früh mit der palästinensischen Bevölkerung solidarisierte und an gemeinsamen Protesten teilnahm.
Wie wichtig ist es für die Aktivisten, dass sie – als Israelis – in den besetzten Gebieten demonstrieren?
Das spielt, denke ich, eine große Rolle. Sie können so Zeugnis davon ablegen, was da „drüben“ vor sich geht. Viele Israelis wissen nämlich nicht – oder sie wollen nicht wissen –, was in den besetzten Gebieten tatsächlich passiert.
In Ihrem Film sieht man immer wieder Ben, einen israelischen Aktivisten, im Gespräch mit Einwohnern von Nabi Saleh. Das wirkt sehr vertraut.
Ben geht seit fünf Jahren fast jede Woche zu den Demos in Nabi Saleh. Da entsteht natürlich ein Gefühl der Zugehörigkeit. Er hat viel durchgemacht mit diesen Leuten, er leidet mit ihnen, er liebt sie. Und sie lieben ihn.
Bassem Tamimi, der Kopf des palästinensischen Widerstandes in Nabi Saleh, hatte schon vor Jahren verkündet, in seinem Dorf werde die Basis für eine dritte Intifada geschaffen. Lässt sich diese Art von gemeinsamem Widerstand wirklich auf andere Teile der palästinensischen Bevölkerung ausweiten?
Ich bin skeptisch. Man muss wissen: Die Teilnahme israelischer Aktivisten an den Protesten in Bil’in oder Nabi Saleh kann bereits auf eine gewisse Tradition bauen. Das schafft gegenseitiges Vertrauen, was sehr wichtig ist. Zudem sind das alles Dörfer von höchstens einigen Tausend Einwohnern. Entsprechend gut organisiert ist der Widerstand, es gibt für die Aktivisten Ansprechpartner oder sogar ein Komitee. Anders in den großen Städten oder Flüchtlingslagern. Dort dürfte es für israelische Aktivisten – wenn überhaupt – viel schwieriger sein, Kontakte zu Palästinensern zu knüpfen. Ich fuhr einmal mit Ben nach Ostjerusalem zu einer Demonstration, an der auch Leute von Nabi Salah waren. Schon dort habe ich gemerkt, dass die Menschen viel weniger Vertrauen haben und es vielleicht besser wäre, nicht Hebräisch zu reden.
Es gibt von palästinensischer Seite aber auch Kritik: Die israelischen Aktivisten sollten lieber in Israel bleiben und dort gegen die eigentlichen Ursachen der Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung kämpfen.
Ich kann das verstehen. Und tatsächlich denke ich, dass die wöchentlichen Proteste in der Westbank für manche israelischen Aktivisten zu einer Art Ersatz für die politische Arbeit innerhalb der israelischen Gesellschaft geworden sind.
Was heißt das?
Keine Frage, die Demos in der Westbank können gefährlich sein, es werden ja immer wieder Leute verletzt oder sogar getötet. Doch ist diese Art von Protest auch sehr einfach. Du fährst am Freitagmorgen hin, die Gleichgesinnten sind schon vor Ort, alles ist organisiert, abends geht es zurück nach Tel Aviv und du hast das Gefühl, etwas Gutes getan zu haben. Was die harte politische Arbeit ausmacht, nämlich: organisieren, debattieren, propagieren, agitieren – das alles fällt da mehr oder weniger weg.
Wollen Sie damit sagen, dass sich diese Aktivisten vor dem politischen Engagement im eigenen Land scheuen?
So weit würde ich nicht gehen, nein. Zumal sie in Israel häufig ein ziemlich einsames Leben führen. Gerade weil diese Leute in die Westbank fahren, sehen und erleben sie Dinge, die die israelische Gesellschaft oft gar nicht wahrhaben will. Auch sind sie nicht selten Repressionen ausgesetzt.
Haben sie in Israel denn keine politischen Verbündeten?
Die ökonomische und soziale Situation in Israel wird zunehmend prekärer. Das führt zwar immer häufiger zu Protesten, sei es gegen Zwangsräumungen, gegen die Diskriminierung äthiopischer Juden oder auch gegen die Tierausbeutung. Doch das sind soziale Kämpfe, die weitgehend unabhängig von der israelischen Besatzungspolitik geführt werden. Tatsächlich ist es so: Je schlechter es den Leuten in Israel geht, umso weniger wollen sie etwas von der Besatzung hören. Was ich für problematisch halte. Es ist an der Zeit, dass die Menschen erkennen, wie die unterschiedlichen Unterdrückungsformen zusammenhängen und dass der Zionismus hier die tragende Rolle spielt.
Was ist mit Palästinensern israelischer Staatsbürgerschaft?
Ja, ich denke, eine Zusammenarbeit mit ihnen könnte wichtig sein. Sie werden innerhalb der israelischen Gesellschaft stark diskriminiert und zu ihren Kämpfen, die immer stärker werden, gehört auch die nationale Frage der palästinensischen Befreiung.
Und die Linke, gibt es sie noch?
Kaum. Die radikal antizionistische Linke hat ihre Kämpfe innerhalb der israelischen Gesellschaft fast vollständig aufgegeben, und der liberale Zionismus thematisiert die Besatzung kaum mehr. Mir scheint, die Linke ist verzweifelt. Und sie ist müde geworden.
Die israelischen Aktivisten, die in der Westbank zu Protesten fahren, haben nicht eigentlich ein politisches Programm. Ist das mit ein Grund, weshalb sie selbst von progressiven Israelis kaum Unterstützung erhalten?
Es ist richtig, die Anarchists Against the Wall sind erklärtermaßen eine Aktionsgruppe, sie kümmern sich nur wenig um einen theoretischen Überbau oder um politische Manifeste. Was nicht bedeutet, dass sie keine Vision hätten. Die meisten Aktivisten, die ich in meinem Film porträtiere – im Übrigen auch die palästinensischen – sprechen sich deutlich für einen gemeinsamen demokratischen Staat aus, wo die Rechte aller – egal ob Israelis oder Palästinenser – garantiert sind. Sie glauben längst nicht mehr an das Modell zweier eigenständiger Staaten. Um diese Idee umzusetzen, müssten schon heute rund eine halbe Million jüdische Siedler aus der Westbank abziehen, was ziemlich unrealistisch ist.
Ein Grund, wieso die israelischen Aktivisten im eigenen Land kaum Unterstützung erfahren, dürfte letztlich auch ein erschreckend banaler sein: Die israelische Gesellschaft wird immer militaristischer, sie driftet immer mehr nach rechts ab.
Und sie wird wieder religiöser.
Religiöser?
Ja, ich rede von den Nationalreligiösen, die auch auf parteipolitischer Ebene an Macht und Einfluss gewinnen. Sie geben den Leuten eine Legitimation für ihr Recht auf dieses Land, denn in ihren Augen ist es Gottes verheißenes Land. Gerade in Zeiten, in denen es den Menschen, auch ökonomisch, immer schlechter geht und der Staat unter Druck gerät, kommt eine solche Legitimation gerade recht.
Wie meinen Sie das?
Die Menschen in Israel haben wieder einmal ein Identifikationsproblem, sie brauchen etwas, was sie als Volk vereint. Was heißt es eigentlich, Israeli zu sein? Was, ein Jude zu sein? Ist das eine nationale Identität? Oder ist es eine religiöse? Die Identifikationsfrage wurde seit der Kolonialisierung Palästinas durch die Zionisten nie richtig geklärt, und ich denke, diese Verunsicherung besteht in der israelischen Bevölkerung bis heute. Das nutzen nationalreligiöse Kräfte geschickt aus.
Zurück zu Ihrem Film. Die Medien spielen bei den Protesten in Dörfern wie Bil’in und auch Nabi Saleh eine große Rolle, oft sind Journalisten und Fotografen vor Ort und auch die Aktivisten stellen ihre Videos von den Protesten ins Netz. Was erhoffen Sie sich von Ihrer Dokumentation?
Ich möchte Menschen zeigen, die den Willen haben, zusammen in einem Land für alle zu leben. Deswegen habe ich mich für die Aktivisten aus Nabi Saleh entschieden. Es sind dies Menschen, die wirklich darauf hoffen, dass sie eines Tages zusammenleben können, wenn sie nur gemeinsam Widerstand leisten. Nicht als zwei benachbarte Länder, sondern als Nachbarn ein einem Land.
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