Linkspartei

Wo ist links?

Die Hintergrund-Medienrundschau vom 19. Mai 2022

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Schlimmer geht immer. Nach den dramatischen Verlusten der Linkspartei im Saarland und der kompletten Marginalisierung in Schleswig-Holstein, erlitt sie am Sonntag auch in Nordrhein-Westfalen eine Erdrutschniederlage. Die Partei, die im September nur mit Ach und Krach bzw. mit Gysi, Lötzsch sowie Pellmann und deren Direktmandaten in den Bundestag eingezogen ist, zerlegt sich weiter. Und immer weiter. Ein Ende ist nicht abzusehen, wenn die Protagonisten der Nivellierung der Partei wie Bodo Ramelows Staatssekretär Benjamin-Immanuel Hoff in der Parteiführung bleiben sollten. Denn links ist nicht da, wo die Linke ist. Da kann es zuweilen auch sehr rechts sein. Nicht nur, wenn man von der anderen Seite schaut.

Der Linkspartei-“Rechtsaußen” Hoff gilt als einer der möglichen Nachfolger von Susanne Henning-Welsow als Vorsitzende (junge Welt, 10.5.22). Ihre Verwechslung der Ukraine mit Polen (Youtube) als Angriffsziel Russlands ist nur die Spitze des Bergs an Unfähigkeit, die sie in dem einen Jahr als Vorsitzende aufgehäuft hat. Der Rücktritt war folgerichtig, hat sie sich doch perfekt als Aushängeschild der Deformierung der Partei aufgebaut – inklusive der Zustimmung zur Impfpflicht gegen Covid-19 oder der Überlegungen, die Aufrüstung als Linke mitzutragen. Allerdings: Der Rücktritt kann auch als kalkuliert und putschähnlich beschrieben werden, wie dies Ellen Brombacher getan hat (junge Welt, 9.5.22).

Nun wird unter den Resten der Parteifunktionären also nach einem Nachfolger gesucht. Viel ist da nicht mehr. Hoffs möglicher Rivale Sören Pellmann sollte vergangene Woche vermutlich mit einer Medienkampagne an den Rand gedrängt werden (junge Welt, 16.5.22), was zumindest vorerst gescheitert scheint. Ob Pellmann mit seiner nicht vorhandenen Ausstrahlung als Hoffnungsträger wirken kann? Unwahrscheinlich. Immerhin hat er sich gegenüber dem Konkurrenten Hoff zuletzt gut geschlagen (MDR, 9.5.22). Intern mag das (bis zur nächsten Intrige) reichen. Nach außen wirkt er funktionär.

Unterdessen bieten sich einige Linke weiter dem Mainstream an. An vorderster Front: Der Landessprecher der Linken in Bremen, Christoph Spehr. Es sei gerade an diesem Tag, gemeint war der 8. Mai, „ein Gebot der Freiheit und des Völkerrechts, dass die Ukraine den Verteidigungskrieg gegen den russischen Angriff gewinnt – und dass sie das bekommt, was sie dafür braucht“. Der russische Angriffskrieg könne „nur militärisch zurückgeschlagen werden“, so Spehr. Claudia Wangerin, die auf diese Rede bei Telepolis hinweist, macht in diesem Zusammenhang auf die ultrarechten und nationalistischen Kräfte auf beiden Seiten aufmerksam und weist darauf hin, dass dies das idealisierte Bild der Ukraine als Hort der Freiheit infrage stelle (Telepolis, 13.5.22). Auch die Linke sollte mehr Hintergrund lesen, der Artikel von Susann Witt-Stahl sei an dieser Stelle noch einmal nachdrücklich all denen empfohlen, die ihn noch nicht kennen (Hintergrund, 9.5.22).

Fest an der Seite der Parteiprogramm-Leugner steht auch der Bundesgeschäftsführer. Denn die Gegenseite nennt man doch heute Leugner, oder? Ignorant wäre in diesem Fall übrigens auch passend. Am Sonnabend lädt die linke Friedensbewegung zum Kongress nach Berlin (sowohl digital als auch in Präsenz: mehr Informationen). Der Titel: „Ohne NATO leben – Ideen zum Frieden“. So etwas darf man offenbar auch in der Linken nicht mehr sagen, in deren Parteiprogramm immerhin noch steht: „Wir fordern die Auflösung der NATO und ihre Ersetzung durch ein kollektives Sicherheitssystem unter Beteiligung Russlands, das Abrüstung als ein zentrales Ziel hat.“ Und wenn‘s dann mit der Auflösung nicht klappt heißt es im Programm für Deutschland doch ernsthaft: Raus aus der NATO (hier ist das Parteiprogramm). Da sind wir dabei. Viele „Linke“ nicht.

Denn das Programm haben wohl viele vergessen, nie gelesen oder ignorieren es mehr oder weniger gekonnt. Und werden dafür in den Mainstream-Medien gelobt. Beifall von der falschen Seite. Jörg Schindler jedenfalls, um zum Bundesgeschäftsführer zurückzukommen, distanziert sich vom Kongress: „Ich kann ausdrücklich sagen, das ist nicht die Position unserer Partei.“ Was nicht die Position ist, lese man nach (Link s.o.), der Einladungstext ist interessant. Inklusive der Fragen wie: „Welche Ideen zum Frieden, zur Abrüstung und zum öko-sozialen Umbau gibt es und wie können sie wirkmächtig zu einer lebensbejahenden Zukunft beitragen?“ Schindler dagegen macht es sich einfach: „Unsere Partei hat zum Thema Ukraine-Krieg eine klare Position. Wir kritisieren und verurteilen den Angriffskrieg Putins. So einfach ist das, und da gibt es auch nichts anderes zu sagen.“ Ein wenig mehr sagt er schon, denn Schindler stellt sich an die Seite derer, die neue Sanktionen wollen (RT DE, 17.5.22). Die verhinderte Regierungslinke ist angekommen. Nur keiner will und braucht sie.

Auch der Atlantikbrückengenosse Steffen Liebich, mittlerweile nicht mehr Mitglied des Bundestags, ätzt gegen den Kongress am Sonnabend: „Zwei Sätze zu Russland und acht Absätze zur NATO. Das muss man in diesen Tagen mal schaffen“ (junge Welt, 18.5.22). Nicht besser die Parteijugend. Ausgerechnet. Eine der Sprecherinnen der Linksjugend „Solid“ antwortet Liebich auf Twitter: „Lafontaine, Hänsel, Dehm, Dagdelen, Nastic, Neu, Paech. Ne Liste direkt aus der Hölle“. Feind, Todfeind, Parteifreund.

Albrecht Müller hat zuletzt auf eine Auseinandersetzung ähnlicher Güte hingewiesen (Nachdenkseiten, 3.5.22, Leserbriefe dazu). Dass die Bewegungslinke Juliane Nagel, die sich schon vor zwölf Jahren von klassischen linken Positionen wie dem Antiimperialismus verabschiedet hat (Hintergrund, 17.10.2010), sich ebenfalls in diese Richtung positioniert und ausgerechnet diese Jugend als Zukunft beschreibt, verwundet nicht (Jungle World, 19.5.22). Alles in allem ein Zeichen des Niedergangs oder, netter gesagt, des Umbruchs, der bei aller Scheinradikalität im Schoß des Systems enden wird. Oder schon geendet ist. Siehe Staatssekretär Hoff.

Die Auswahl der Kriegsbefürworter ließe sich noch verlängern. Bringt aber nichts. Auch die Routine, mit der die Niederlage kommentiert und in die Zukunft verwiesen wird, soll uns hier nicht weiter kümmern (junge Welt, 17.5.22). Interessanter die Frage: Hat die Linke eine Zukunft und welche wird das sein? An der Seite von SPD, Grünen und vor allem dem Kapital die Prekarisierten ruhig halten und die Verelendung verwalten? Oder in Frontstellung gegen den entfesselten Neoliberalismus als vorläufigen Sieger der Geschichte bleiben, sich sammeln, vernetzen und neu aufbauen. Wie das geht? Darüber gibt es keine Debatten. Oder zumindest kaum.

Die Vorsitzende der kommunistischen Plattform Ellen Brombacher schrieb in dem bereits oben zitierten Beitrag: „Dringend erforderlich wie vielleicht nie zuvor ist eine von den objektiven Interessen der mehr oder minder Ausgebeuteten geleitete Oppositionspolitik. Und zu diesen objektiven Interessen gehört die Erhaltung des Friedens ebenso wie der Kampf um die sozialen Rechte der Werktätigen; gehört der Kampf gegen die profitgesteuerte Umweltzerstörung ebenso wie der Antifaschismus […].“ Das mag ja alles richtig sein, notwendig wäre eine Analyse, warum die Linkspartei diese Oppositionspolitik nicht leistet gelingt und welche Schlüsse daraus zu ziehen wären.

Eine wirkliche Selbstkritik der Linken vor dem Hintergrund der genannten Niederlage gegen den Neoliberalismus, der atomaren Bedrohung und den Folgen der Corona-Krise wäre angebracht, von einigen Rändern gab es Versuche in diese Richtung (z.B. die in einer früheren Ausgabe genannte Kritik an der Linken in der Corona-Krise, nd, 18.3.22). Sie scheinen ungehört zu verhallen. Stattdessen verliert sie sich in Machtkämpfen. Und wenn von Selbstkritik die Rede ist, dann verliert sie sich in Laberei wie beispielsweise bei führenden Vertretern der „Regierungslinken“ um Klaus Lederer (Luxemburg, April 2022).

Christian Baron hat Ende April eine Analyse im Freitag veröffentlicht, in der er den aktuellen Zustand und die Konfliktlinien in der Partei hellsichtig untersucht. Und er kommt zum Schluss: „Heute hat das Proletariat mehr zu verlieren als seine Ketten. Es hat aber noch immer eine Welt zu gewinnen. Die Linken wissen ziemlich gut, wogegen sie sind. Doch wofür genau stehen sie ein? Was ihnen fehlt, ist ein positiver Identifikationspol. In Deutschland könnte eine Zuspitzung auf einen solchen Pol eine neue Partei gebären. Die wäre zwar weniger koalitionsfähig als die derzeitige Linke. Dafür müsste sie nicht dauerhaft unter zehn Prozent landen, sondern könnte bei entsprechender Konsequenz und kluger Personalauswahl im besten Fall mit mehr als 20 Prozent der Zweitstimmen stärkste Kraft werden. Aus dieser demokratisch legitimierten Stärke heraus ließen sich die etablierten Parteien vor sich hertreiben.“ (Freitag, 29.4.22) Und der Linken-Kommunalpolitiker Holger Onken schreibt: „Die Linke muss von denjenigen gewählt werden, die keine Stimme im politischen System haben, und ihnen eine Stimme geben. Diese sehr heterogenen Gruppen können nur über ihre Gemeinsamkeiten gewonnen werden.“ (Jacobin, 19.5.22)

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Wie die aktuelle Entwicklung um das Linksbündnis in Frankreich und dessen Chancen bei der anstehenden Parlamentswahl zeigt, könnten solche Szenarien funktionieren (Telepolis, 14.5.22). Man darf sich halt nur nicht von der Zustimmung derer abhängig machen, die auf der Gegenseite stehen – wie die Mainstream-Medien. Übrigens: Dass die Linke sich zudem mit Sexismus-Vorwürfen konfrontiert sieht und mit diesen umgehen muss, soll an dieser Stelle auch noch erwähnt werden (junge Welt, 19.4.22). Diese Vorwürfe müssen aufgearbeitet werden, Prävention ist nötig. Klar. Die Gegner stürzen sich darauf. Auch klar.

Eine Medienrundschau ist nicht der Platz für tiefere Analysen. Die vertagen wir an dieser Stelle und stellen vorerst die übliche Frage am Schluss: Was fehlt? Vieles, wie immer. Unter anderem Josef Joffe als Herausgeber der Zeit (nd, 18.5.22). Dass der in atlantischen Zirkeln vernetzte Joffe (immer noch gut, der Beitrag in der ZDF-Sendung Die Anstalt, gegen den er vorging und verlor) nun über seine Freundschaft mit einem Banker und die Cum-Ex-Affäre stolpert, ist eine Ironie der Geschichte. Und es lässt ein wenig hoffen. Der investigative Journalismus ist noch nicht ganz tot (Oliver Schröm auf Twitter). Und richtet sich sogar einmal gegen Transatlantiker. Mit dieser positiven Nachricht enden wir diese Ausgabe der Medienrundschau. Bleiben Sie uns gewogen und schauen sie wieder rein. Bilden Sie sich ihre eigene Meinung und schicken uns gerne Anregungen an: redaktion@hintergrund.de.

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